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OGH vom 25.04.2017, 10ObS20/17i

OGH vom 25.04.2017, 10ObS20/17i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Mag. Andrea Schultz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. S*****, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Höhe der Witwenpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 59/16t-14, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Den Gegenstand des Revisionsverfahren bildet die – im Zusammenhang mit Eigeneinkünften stehende – Frage der Höhe der der Klägerin im Jahr 2014 sowie ab zustehenden Witwenpension.

Die Klägerin bezieht von der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine Witwenpension nach ihrem im Jahr 2013 verstorbenen Ehemann. Deren Höhe wurde zunächst mit 1.315,51 EUR monatlich festgesetzt. Im Jahr 2014 erzielte die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 123.822,01 EUR brutto (also vor Abzug der Einkommensteuer), worauf die beklagte Partei mit dem (ersten) Bescheid vom die Höhe der Witwenpension für das Jahr 2014 rückwirkend auf 0,00 EUR pro Monat festsetzte. Ab wurde die Witwenpension mit 1.337,87 EUR monatlich festgesetzt. Der im Jahr 2014 entstandene Überbezug von 16.334,10 EUR wurde in monatlichen Raten á 587,98 EUR zurückgefordert.

Mit dem (zweiten) Bescheid vom sprach die beklagte Partei aus, dass die Höhe der Hinterbliebenenpension gemäß § 145 Abs 6 GSVG ab vorläufig auf 0,00 EUR herabgesetzt wird und die endgültige Entscheidung vorbehalten bleibt.

Die Vorinstanzen sprachen der Klägerin für das Jahr 2015 eine monatliche Witwenpension von 1.337,87 EUR zu und verpflichteten die Klägerin, die Aufrechnung des Überbezugs von 16.334,10 EUR durch Abzug von monatlichen Raten von 587,98 EUR zu dulden. Das Begehren auf Zuspruch der Witwenpension für die Zeit von bis und für die Zeit ab wurde abgewiesen. Die Revision wurde vom Berufungsgericht im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit nicht zugelassen.

In ihrer außerordentlichen Revision stellt die Klägerin drei Punkte in den Vordergrund:

– als Erwerbseinkommen iSd § 60 ASVG ist ihres Erachtens das Nettoeinkommen und nicht das Bruttoeinkommen heranzuziehen;

– die Höchstbeitragsgrundlage ist nach ihrer Ansicht auf 14 Monatsbezüge statt auf 12 Monatsbezüge aufzuteilen;

– das Abstellen auf die Höchstbeitragsgrundlage für das Kalenderjahr 2012 ohne Valorisierungsregel widerspricht nach ihrer Meinung der Verfassung.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) dargestellt.

1. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO). Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt darüber hinaus auch dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (s RISJustiz RS0042656). Das ist hier in Bezug auf § 60 Abs 1 Z 2 GSVG der Fall.

2.1 Als Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit gelten nach § 60 Abs 1 Z 2 GSVG grundsätzlich die Einkünfte im Sinn des Einkommensteuergesetzes (§ 25 Abs 1 GSVG; RISJustiz RS0105193; Atria in Sonntag, GSVG5§ 60 Rz 9). Das Einkommensteuergesetz kennt sieben Einkunftsarten in § 2 Abs 3 Z 1 bis 7 EStG. Gegenstand der Einkommensteuer ist gemäß § 2 Abs 2 EStG der Gesamtbetrag der Einkünfte aus diesen Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18 EStG) und außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34, 35 EStG) sowie der Freibeträge nach den §§ 104, 105 und 106a EStG. Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind gemäß § 2 Abs 4 EStG der Gewinn (§§ 414 EStG;10 ObS 90/08w, SSVNF 23/56; RISJustiz RS0121584 [T1]; Schramm in SVKomm [127. Lfg] § 91 ASVG Rz 10; Auer-Mayer in Neumann, GSVG für Steuerberater § 60 Rz 11).

2.2 Entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin ist daher nach § 60 Abs 1 Z 2 GSVG für die Bemessung des Ausmaßes der Witwenpension der Klägerin für das Jahr 2014 (hier gemäß § 145 Abs 6a Z 1 GSVG iVm § 145 Abs 5 Z 1 GSVG) nicht das „Netto“einkommen der Klägerin nach Abzug der Einkommensteuer heranzuziehen. Maßgeblich sind vielmehr – wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist – jene Einkünfte, die die Klägerin aus selbständiger Arbeit im Jahr 2014 erzielt hat und die der Berechnung der Einkommensteuer zugrunde gelegt wurden („Bruttoeinkommen“, 10 ObS 26/09k, SSVNF 23/36, mH auf 10 ObS 56/98b, SSVNF 12/43 = ZAS 1999/8, 83 [Drs]; 10 ObS 90/08w, SSVNF 23/56; RISJustiz RS0109912; Atria in Sonntag, GSVG5§ 60 Rz 9; Teschner/Widlar, GSVG [103. ErgLfg] § 145 Anm 7a).

2.3 Nach der ständigen Rechtsprechung können schon aufgrund der unterschiedlichen Ziele der Sozialversicherungsgesetze und der Steuergesetze zwischen dem Einkommen im Sinn des Einkommensteuergesetzes und dem Erwerbseinkommen im Sinn der Sozialversicherungsgesetze erhebliche Unterschiede bestehen (RISJustiz RS0085302; RS0105193; RS0085210). Da der Begriff der „Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit“ in den Sozialversicherungsgesetzen nicht näher definiert wird, ist es Aufgabe der Gerichte zu klären, welche Einkünfte bzw Abzüge zu berücksichtigen sind (10 ObS 16/07m, SSVNF 21/9). Nach diesen Grundsätzen gelangte der Oberste Gerichtshof in der von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 10 ObS 7/11v, SSVNF 25/65, zu dem Ergebnis, dass es sich beim Veräußerungsgewinn im Sinn des § 24 EStG zwar um betriebliche Einkünfte im steuerrechtlichen Sinn, nicht aber um Erwerbseinkommen im Sinn des § 60 GSVG handelt. Für die Rechtsansicht der Revisionswerberin, dass für die Ermittlung des Erwerbseinkommens im Sinn des § 60 GSVG das „Nettoeinkommen“ heranzuziehen sei, bietet diese Entscheidung hingegen keine Grundlage.

2.4 Die von der Revisionswerberin unter Berufung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , G 33/89 ua, behauptete „Unklarheit“ des § 60 Abs 1 Z 2 GSVG liegt nicht vor. Gegenstand dieses Erkenntnisses war die Ruhensbestimmung des § 94 ASVG in der bis zur 49. Novelle des ASVG, BGBl 1990/294, geltenden Fassung. Grund für die Aufhebung dieser Bestimmung war ihr Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Der Verfassungsgerichtshof sah – zusammengefasst – die Aufgabe der bisherigen Erwerbstätigkeit bei Anfall einer Witwen oder Witwerpension als nicht zumutbar an. Als Folge dieses Erkenntnisses wurde die damals geltende, inhaltlich mit § 49 ASVG aF übereinstimmende Ruhensbestimmung des § 60 GSVG mit dem SRÄG 1991, BGBl 1991/157, aufgehoben. Erst mit der 21. Novelle zum GSVG, BGBl 1996/412, wurde § 60 GSVG in seiner bis heute im Wesentlichen geltenden Fassung geschaffen. Diese Bestimmung enthält keine Ruhensregelung mehr, sondern regelt lediglich – und insofern im Wesentlichen mit § 60 Abs 3 GSVG aF übereinstimmend (Teschner/Widlar, GSVG [102. ErgLfg] § 60 Anm 1) – den Begriff des Erwerbseinkommens, der aber im genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht Thema war.

2.5 Nach § 60 Abs 1 Z 2 GSVG gilt bei einer selbständigen Erwerbstätigkeit „der auf den Kalendermonat entfallende Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus dieser Tätigkeit“ als Erwerbseinkommen. Die Regelung des § 60 Abs 1 Z 2 GSVG stellt nicht auf ein Zwölftel der Jahreseinkünfte sondern auf den auf den Kalendermonat entfallenden Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus dieser Tätigkeit ab (10 ObS 26/09k, SSVNF 23/36 = DRdA 2011/14, 136 [Resch]; 10 ObS 7/11v, SSVNF 25/65). Im Verfahren sind die von der Klägerin aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte für das gesamte Jahr 2014 festgestellt. Die Klägerin hat nicht behauptet, in unterschiedlichen Monaten dieses Jahres ein unterschiedlich hohes Einkommen erzielt zu haben. Ausgehend davon steht die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, das von der Klägerin in diesem Jahr erzielte Erwerbseinkommen rechnerisch gleichmäßig auf alle zwölf Kalendermonate zu verteilen und bezogen auf den auch gemäß § 145 Abs 6a GSVG maßgeblichen Bezugszeitraum eines Kalendermonats der Höchstbeitragsgrundlage im Sinn des § 145 Abs 6a GSVG gegenüberzustellen, im konkreten Fall im Einklang mit dieser Rechtslage. Für das Argument der Revisionswerberin, die Höchstbeitragsgrundlage sei „auf 14 Bezüge aufzuteilen“, fehlt eine gesetzliche Grundlage. Zu Unrecht verweist die Klägerin insofern auf § 60 Abs 1 Z 1 GSVG, weil sie keine Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit erzielt hat, sodass diese Bestimmung nicht anwendbar ist.

3.1 Mit dem 2. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl I 2012/35, wurde die monatliche Höchstbeitragsgrundlage zwar ab erhöht; in diesem Zusammenhang wurde allerdings der für die Witwen/Witwerpension maßgebliche Wert der doppelten monatlichen Höchstbeitragsgrundlage mit dem Wert des Jahres 2012 „eingefroren“ (Neumayr in SVKomm [91. Lfg] § 264 ASVG Rz 13; ErläutRV 1685 BlgNR 24. GP 50 f). In dieser Vorgangsweise des Gesetzgebers sieht die Revisionswerberin eine Verfassungswidrigkeit begründet, weil das „Einfrieren“ der Höchstbeitragsgrundlage mit dem Wert des Jahres 2012 zu einer kontinuierlichen Verringerung der Einkünfte bei steigenden laufenden Ausgaben führe. Die Revisionswerberin macht mit diesen Ausführungen inhaltlich eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährten Grundrechts auf Unversehrtheit des Eigentums geltend (Art 5 StGG; Art 1 1. ZPEMRK). Diese verfassungsrechtlichen Bedenken werden vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt.

3.2 Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , G 300/02 ua, VfSlg 16.923, eine Verfassungswidrigkeit des § 264 Abs 6a ASVG (diese Bestimmung idF des SRÄG 2000, BGBl I 2000/101, entsprach inhaltlich im Wesentlichen dem hier anzuwendenden § 145 Abs 6a GSVG) verneint. Er sah es als sachlich gerechtfertigt an, dass die Witwen/Witwerpension bei vergleichsweise hohem Eigeneinkommen der Witwe/des Witwers auch gegebenenfalls nicht gewährt werden kann.

3.3 Der Pensionsanspruch nach den Bestimmungen des ASVG, BSVG und GSVG (der auf Beiträgen der Versicherten beruht) steht nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs grundsätzlich im Schutzbereich des Eigentumsrechts nach Art 1 1. ZPEMRK. Der Gesetzgeber kann jedoch angesichts des in Art 1 1. ZPEMRK enthaltenen Gesetzesvorbehalts Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechts der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt, soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und nicht unverhältnismäßig ist (VfGH G 165/08 ua, VfSlg 18.885 mwH).

3.4 Das öffentliche Interesse an dem mit dem 2. StabG 2012 in § 145 Abs 6a GSVG vorgenommenen Festhalten an der Höchstbeitragsgrundlage für 2012 liegt in dem mit diesem Gesetz angestrebten Ziel, Strukturmaßnahmen zu setzen, die eine Entlastung des Staatshaushalts erreichen („Konsolidierungspaket 2012 bis 2016“, ErläutRV 1685 BlgNR 24. GP 1, 7). Der Verfassungsgerichtshof hat es in seinem Erkenntnis G 300/02 – wie ausgeführt – sogar als sachlich gerechtfertigt angesehen, dass die Witwen/Witwerpension bei verhältnismäßig hohem Eigeneinkommen der Witwe/des Witwers zur Gänze (nachträglich, vgl 10 ObS 48/10x, SSVNF 24/39) entfallen kann. Er sieht diese Bestimmung damit auch in solchen Fällen als sachlich gerechtfertigt an, in denen jeder der beiden Ehegatten über ein sehr hohes Einkommen verfügt, sodass es zu einer nicht unerheblichen Absenkung des Versorgungsniveaus des hinterbliebenen Ehegatten kommen kann. Die Pensionsversicherung schützt nicht Einkommen jeder Größenordnung, sondern begrenzt den Einkommensschutz durch die Höchstbeitragsgrundlage. Die Sicherung von Einkommen, die diese Grenze übersteigen, ist nicht mehr Angelegenheit der auf Solidarität beruhenden Sozialversicherung (Tomandl, Der VfGH zur Pensionsreform 2000, ZAS 2004/5, 24 [29]). Ausgehend davon kann im „Einfrieren“ der Höchstbeitragsgrundlage mit dem Jahr 2012 (damals täglich 141 EUR, § 1 Z 2 BGBl II 2011/398) – zumindest bezogen auf das nach den Revisionsausführungen maßgebliche Jahr 2014 (in dem die tägliche Höchstbeitragsgrundlage 151 EUR betrug, § 1 Z 2 BGBl II 2013/434) – nicht von einer Unverhältnismäßigkeit dieses Eingriffs des Gesetzgebers ausgegangen werden.

4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00020.17I.0425.000
Schlagworte:
Sozialrecht

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