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OGH vom 29.08.2019, 8Ob16/19i

OGH vom 29.08.2019, 8Ob16/19i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj R*****, verteten durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, 1210 Wien, Franz-Jonas-Platz 12, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 171/18d-161, mit dem dem Rekurs des Vaters H***** gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 2 Pu 121/14h-151, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten haben:

Der Vater H***** ist schuldig, der mj R***** für den Zeitraum bis einen Unterhalt von monatlich 30 EUR, insgesamt 420 EUR, zu Handen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, binnen 14 Tagen zu zahlen.

Text

Begründung:

Die Minderjährige ist die Tochter von S***** und H*****. Nach der Scheidung blieb die gemeinsame Obsorge zunächst aufrecht, die hauptsächliche Betreuung oblag dem Vater. Ab kam die hauptsächliche Betreuung der Mutter zu. Mit Beschluss vom wurde der Mutter die Obsorge entzogen. Ungeachtet dessen lebte die Minderjährige von bis (mit Ausnahme von zwei Wochen im Oktober 2014) bei der Mutter. Seit Mai 2015 wird das Kind wieder vom Vater betreut.

Im Jahr 2014 bezog der Vater monatlich rund 750 Euro Notstandshilfe. Auch 2015 bezog er Notstandshilfe. Hätte er sich um einen Arbeitsplatz bemüht, wäre es ihm nach einer Suche von bis zu einem Jahr möglich gewesen, eine Vollzeitbeschäftigung als Restaurantleiter oder Hoteldirektor zu erlangen und ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von zumindest 2.076 Euro zu erzielen.

Die Minderjährige beantragt, den Vater für den Zeitraum bis zur Zahlung eines Unterhalts von 5.600 Euro zu verpflichten. Als Restaurantleiter hätte er monatlich 2.500 Euro verdienen können.

Der Vater bot in einer dem Erstgericht übermittelten Niederschrift des Amtes für Jugend und Familie die Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 50 EUR an (ON 120) und ersuchte um Rücksprache mit der Kindesmutter, ob sie mit einer Vereinbarung in dieser Höhe einverstanden sei.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater für den Zeitraum bis zur Zahlung von insgesamt 4.620 EUR. Das Mehrbegehren wies es unbekämpft ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und wies den Antrag zur Gänze ab. Der aus § 231 ABGB ableitbaren Forderung der Anspannung liege zugrunde, dass dem Unterhaltspflichtigen der Vorwurf zu machen sei, er setze nicht alle seine Fähigkeiten zur Erzielung eines ihm möglichen (höheren) Einkommens ein. Diese Forderung sei frühestens ab jenem Zeitpunkt berechtigt, in dem dem Vater seine Unterhaltspflicht bekannt sei. Da die Minderjährige zunächst beim Vater gelebt habe, nach den Feststellungen ab dem Wechsel der Obsorge mit einer längeren Arbeitsplatzsuche zu rechnen gewesen sei und der Vater, nachdem der Mutter die Obsorge entzogen worden sei, wieder mit einer persönlichen Betreuung des Kindes (und Naturalunterhalt) haben rechnen können, sei er nicht anzuspannen. Sein tatsächliches Einkommen in Höhe von ca 750 EUR monatlich liege unter dem Unterhaltsexistenzminimum. Damit bestehe kein Anspruch auf Geldunterhalt.

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht über Antrag der Minderjährigen nachträglich zu, da die Rekursentscheidung nicht darauf eingegangen sei, ob der Vater in Höhe des von ihm bezogenen Familienzuschlags zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet sei.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Vater beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt. Dass nur ein Aufhebungsantrag gestellt wurde, hindert eine abschließende Erledigung nicht, da sich aus den Ausführungen im Rechtsmittel ergibt, dass jedenfalls auch die Abänderung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird (vgl RIS-Justiz RS0043651 ua).

1. Der Revisionsrekurs wendet sich nicht gegen die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, dass eine Anspannung auf eine Vollzeitbeschäftigung als Restaurantleiter oder Hoteldirektor nicht zu erfolgen hat. Darauf muss daher nicht weiter eingegangen werden.

2. Soweit der Revisionsrekurs davon ausgeht, dass der Vater aufgrund seines Angebots, zumindest 50 EUR zu bezahlen, jedenfalls zu diesem Betrag zu verpflichten gewesen wäre, kann ihm nicht gefolgt werden.

Eine Überschreitung des Verfahrensgegenstands liegt schon deshalb nicht vor, weil die Niederschrift vor dem Amt für Jugend und Familie keine prozessuale Erklärung des Vaters darstellt. Es liegt damit aber auch keine gegenüber dem Gericht erfolgte Zustimmungserklärung zur Unterhaltsfestsetzung in bestimmter Höhe vor.

Die Erklärung stellt aber auch kein Anerkenntnis eines bestimmten Unterhaltsbetrags dar. Das (konstitutive) Anerkenntnis muss als zweiseitiges Rechtsgeschäft gegenüber dem anderen Vertragsteil erklärt oder wenigstens für ihn bestimmt und von ihm angenommen werden (RS0032621). Aus der Formulierung der Erklärung gegenüber dem Vertreter des Kindes in Unterhaltssachen ergibt sich vielmehr, dass es sich um ein – nicht angenommenes – Vergleichsangebot handelt.

Für die gerichtliche Unterhaltsfestsetzung bietet diese Erklärung daher keine Grundlage.

3. Zum Vorwurf, dass ungeprüft geblieben ist, ob der Vater Mindestsicherung bezogen hat bzw weshalb er diese nicht beantragt habe, ist festzuhalten, dass auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen die subjektiven Behauptungslastregeln und Beweislastregeln jedenfalls dann heranzuziehen sind, wenn über vermögensrechtliche Ansprüche, in denen sich die Parteien in verschiedenen Rollen gegenüberstehen, zu entscheiden ist (RS0006261 [T1]). Die Behauptungs- und Beweislast für ein zumutbarerweise erzielbares höheres Einkommen trifft die durch den Anspannnungsgrundsatz begünstigte Partei (RS0006261 [T5]). Dass die Voraussetzungen für den Bezug von Mindestsicherung für den relevanten Zeitraum vorlagen, wurde aber in erster Instanz nicht vorgebracht.

4. Zu dem als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienenden Einkommen des Unterhaltspflichtigen zählen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann (RS0107262 [T21, T 29]). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass auch Sozialleistungen – sofern sie nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands für einen Sonderbedarf dienen oder nach gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind – als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden (RS0080395; RS0047456 [T5, T 11]; Gitschthaler, Unterhaltsrecht6 Rz 293 mwN). Zu den Sozialleistungen, die als Einkommen des Unterhaltspflichtigen qualifiziert werden und bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen sind, zählen etwa die Ausgleichszulage, das Karenzurlaubsgeld, die Notstandshilfe oder auch die Sozialhilfe nach verschiedenen Landesgesetzen (RS0047456 [T5]).

Bei der Bemessung der Unterhaltspflicht hat dem Verpflichteten ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (RS0008667). Die Bestimmungen der Exekutionsordnung können als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen. Die Grenze des § 291b EO kann jedoch in Hinblick auf § 292b EO nicht als Untergrenze der Belastung des Unterhaltsschuldners bei der Unterhaltsbemessung herangezogen werden. Die Unterhaltsbemessung kann vielmehr darüber hinausgehen, doch ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige nicht so weit belastet wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre (RS0047455).

In die Bemessungsgrundlage für den Kindesunterhalt sind jene Familienzuschläge zur Notstandshilfe einzubeziehen, die für den konkreten Unterhaltsberechtigten bezogen werden (9 Ob 72/15a mwN).

Nach § 1 Abs 1 Notstandshilfeverordnung, die mit außer Kraft getreten ist, jedoch im hier zu beurteilenden Zeitraum anzuwenden war, gebühren zuzüglich zum Ausmaß der Notstandshilfe Familienzuschläge gemäß § 20 AlVG. Gemäß § 20 Abs 2 AlVG sind Familienzuschläge für Kinder […] zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt des jeweiligen Angehörigen tatsächlich wesentlich beiträgt und für diesen ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Der Familienzuschlag beträgt nach § 20 Abs 4 AlVG für jede zuschlagsberechtigte Person täglich ein Dreißigstel des Kinderzuschusses gemäß § 262 Abs 2 ASVG (29,07 EUR monatlich), kaufmännisch gerundet auf einen Cent.

Da dem Unterhaltsberechtigten dieser Zuschlag nur zusteht, wenn er wesentlich zum Unterhalt des jeweiligen Angehörigen beiträgt, ist es gerechtfertigt, dem Vater die Zahlung zumindest dieses – von ihm nach eigenen Angaben bezogenen – Betrags als Unterhalt aufzuerlegen, auch wenn dadurch das Unterhaltsexistenzminimum unterschritten wird.

Daher steht der Minderjährigen für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum ein Betrag von (gerundet) 30 EUR monatlich an Unterhalt zu. Der Gesamtrückstand beträgt daher 420 EUR.

Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Rekursgerichts dahingehend abzuändern, dass dem Antrag teilweise stattgegeben wird.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00016.19I.0829.000

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