OGH vom 15.03.2016, 10ObS20/16p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. I*****, vertreten durch Dr. Walter H. Anderl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über das als „außerordentliche Revision“ bezeichnete Rechtsmittel (richtig: außerordentlicher Revisionsrekurs) der klagenden Partei gegen das Urteil (richtig: den im Urteil enthaltenen Beschluss) des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 120/15f-28, womit infolge Berufung (richtig: Berufung und Rekurs) der klagenden Partei das „Urteil“ des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 36 Cgs 48/14h 17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom wurde dem Kläger die Ausgleichszulage ab zuerkannt und gleichzeitig ausgesprochen, dass diese ab als Vorschuss ausbezahlt wird. Mit Bescheid vom sprach die beklagte Partei den Wegfall der Ausgleichszulage mit aus und rechnete den vom bis entstandenen Überbezug gegen die dem Kläger ab Februar 2010 gebührende Pension in monatlichen Raten von 40 EUR auf. Als Begründung wurde ausgeführt, dass es der Kläger trotz Aufforderung unterlassen habe, Nachweise über ihm zugeflossene Einkünfte zu erbringen.
Mit seinem bei der beklagten Partei am eingelangten Schreiben beantragte der Kläger (zum wiederholten Mal) die „rückwirkende“ Auszahlung der Ausgleichszulage zu seiner Alterspension „in vollem Umfang“ unter Berücksichtigung des Kinderzuschusses (Seite 386 im Pensionsakt).
Mit Bescheid vom anerkannte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage ab und bemaß die Ausgleichszulage unter Erhöhung des Richtsatzes für zwei Kinder sowie unter Berücksichtigung der ausländischen Pensionsbezüge und des Sachbezugs für eine volle freie Station mit monatlich 584,34 EUR ab und mit monatlich 566,16 EUR ab .
Mit seinem als Klage gegen diesen Bescheid gewerteten Schreiben vom begehrte der Kläger „die ihm nach dem Gesetz zustehende volle Alterspension seit Pensionsantritt, die volle Ausgleichszulage seit Pensionsantritt, die Kinderzuschüsse für zwei Kinder, die Rückerstattung aller Abzüge ausgenommen Krankenversicherung sowie jährlichen Inflationsabgleich für die säumigen Beträge“. Er nimmt zusammengefasst den Standpunkt ein, der Abzug des Sachbezugs wegen freier Station sei zu Unrecht erfolgt; die Ausgleichszulage wäre ihm in „voller Höhe“ ab auszubezahlen gewesen.
Die beklagte Partei bestritt und beantragte die Klageabweisung.
D as Erstgericht erkannte mit einer (einheitlich) als „Urteil“ abgefassten Entscheidung die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Ausgleichszulage unter Abzug eines Sachbezugs in Höhe von 10 % der freien Station ab in Höhe von monatlich 789,22 EUR und ab in Höhe von monatlich 812,81 EUR zu gewähren (Pkt 1 des Spruchs) und wies das Mehrbegehren auf Zahlung einer höheren Ausgleichszulage ab (Pkt 2 des Spruchs). Das Begehren auf „Zahlung einer vollen Alterspension seit Pensionsantritt, einer vollen Ausgleichszulage seit Pensionsantritt, eines Kinderzuschusses für zwei Kinder, Rückerstattung aller Abzüge ausgenommen Krankenversicherung und jährlichen Inflationsabgleich für die säumigen Beträge“ wurde zurückgewiesen (Pkt 3 des Spruchs). Aus der Begründung des Ersturteils zu Punkt 3 des Spruchs ergibt sich, dass die Zurückweisung mangels Zulässigkeit des Rechtswegs erfolgte, da diesem Begehren soweit es über den in Punkt 1 des Spruchs genannten Zeitraum und Betrag hinausgehe, der Grundsatz der sukzessiven Kompetenz und die Rechtskraft der in der Vergangenheit gefällten (im Einzelnen festgestellten) Vorentscheidungen entgegenstünden.
Das Berufungsgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten, als „Berufung“ bezeichneten Rechtsmittel des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil mittels einer ebenfalls (einheitlich) als „Urteil“ abgefassten Entscheidung dahin ab, dass dem Kläger eine Ausgleichszulage (ohne 10%igen Abzug des Wertes der freien Station) vom bis in Höhe von monatlich 815,98 EUR und ab in Höhe von monatlich 840,22 EUR zuerkannt, im Übrigen der „Berufung“ nicht Folge gegeben und die erstinstanzliche Entscheidung in ihrem Spruchpunkt 3 (betreffend die Zurückweisung) bestätigt wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, dass gegen diese Entscheidung die „ordentliche Revision“ nicht zulässig sei.
Die Berufungsentscheidung wurde dem Rechtsvertreter des Klägers am zugestellt. Am langte beim Erstgericht ein als „außerordentliche Revision“ bezeichnetes (ausschließlich) gegen die Zurückweisung des Klagebegehrens gerichtetes Rechtsmittel des Klägers mit dem Antrag ein, der „Revision“ Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass „eine Ausgleichszulage in gesetzlicher Höhe auch für den Zeitraum bis zuerkannt werde, dies „unter Heranziehung des infolge Wertanpassung erhöhten, bei Fällung der hier beantragten Entscheidung geltenden Richtsatzbetrages und des aktuell geltenden Kinderzuschlagsbetrages“.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel ist verspätet:
1 . Soweit die Vorinstanzen das auf „ Zahlung der vollen Alterspension seit Pensionsantritt, der vollen Ausgleichszulage seit Pensionsantritt; des Kinderzuschusses für zwei Kinder, Rückerstattung aller Abzüge ausgenommen Krankenversicherung und jährlichen Inflationsabgleich für die säumigen Beträge“ gerichtete Klagebegehren und „Urteil“ zurückgewiesen haben, haben sie eine unrichtige Entscheidungsform gewählt, weil die Zurückweisung der Klage mit Beschluss zu erfolgen hat. Für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluss vorliegt, ist nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgesehene Entscheidungsform maßgebend (RIS Justiz RS0036324 [T7]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher in diesem Umfang in Wahrheit ein Beschluss, gegen den der Revisionrekurs nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO zulässig ist, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.
2. Das Vergreifen in der Entscheidungsform beeinflusst aber weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des gegen die Entscheidung erhobenen Rechtsmittels (RIS Justiz RS0036324). Auch die Frage, ob eine Entscheidung anfechtbar ist und mit welchem Rechtsmittel das zu geschehen hat, hängt daher nicht davon ab, welche Entscheidungsform das Gericht tatsächlich gewählt hat, sondern nur davon, welche Entscheidungsform die richtige ist (RIS Justiz RS0041880 [T1]). Das gegenständliche Rechtsmittel ist demnach als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln.
3. Dieser ist jedoch verspätet, weil auch das Vergreifen in der Entscheidungsform nicht zur Verlängerung von unerstreckbaren Notfristen führt und daher keine Auswirkung auf die gegen die Entscheidung offenstehenden Rechtsmittelfristen hat (vgl RIS Justiz RS0036324 [T14]). Rechtsmittelfristen sind Notfristen, die gemäß § 128 Abs 1 ZPO auch durch das Gericht nicht verlängert werden können (4 Ob 77/14y mwN). Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz steht somit nur der innerhalb von 14 Tagen einzubringende Revisionsrekurs zur Verfügung. Nach § 521 Abs 1 ZPO beträgt die Revisionsrekursfrist nur mehr dann 4 Wochen, wenn sich der Revisionsrekurs gegen einen Endbeschluss oder Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO richtet (vgl 9 Ob 67/15s). D ie Bestimmungen über die
verhandlungsfreie Zeit sind in Arbeits und Sozialrechtssachen nicht anzuwenden (§ 39 Abs 4 ASGG). Dem Kläger kommt auch nicht die Rechtsprechung zugute, wonach sämtliche in einem einheitlichen Erkenntnis zusammengefassten Entscheidungen, für die bei gesonderter Ausfertigung unterschiedliche Rechtsmittelfristen gelten würden, innerhalb der längsten jeweils zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfrist angefochten werden können (vgl RIS Justiz RS0002105; RS0041696; 8 ObA 10/15a mwN). Er hat in zweiter Instanz mit seinem Begehren auf Gewährung einer Ausgleichszulage ab ohne Anrechnung eines Sachbezugs für freie Station zur Gänze obsiegt, sodass er mangels Beschwer zur Erhebung einer Revision nicht berechtigt war. Es kam nur die Anfechtung der Zurückweisung des Klagebegehrens in Betracht, dies auch hinsichtlich der gar nicht vom Antrag des Klägers bei der beklagten Partei umfassten, in der Klage dennoch begehrten „Inflationsabgeltung“. In einer derartigen Verfahrenskonstellation besteht keine Veranlassung, dem Kläger, der allein durch die Zurückweisung der Klage beschwert sein kann, die längere (vierwöchige) Rechtsmittelfrist zu eröffnen (RIS Justiz RS0041670 [T6, T 7]). Für die Anfechtung der Zurückweisung gilt wie bereits ausgeführt somit die 14 tägige Revisionsrekursfrist, weshalb es bei dieser Frist zu bleiben hat.
Das nach Ablauf der 14 tägigen Revisionsrekursfrist erhobene, als außerordentlicher Revisionrekurs zu behandelnde Rechtsmittel war daher als verspätet zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00020.16P.0315.000