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OGH vom 12.09.2013, 10ObS20/13h

OGH vom 12.09.2013, 10ObS20/13h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Sonja Fragner, Rechtsanwältin in Krems, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 100/12w 10, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 6 Cgs 145/11x 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Spezialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer zum Stichtag mit der Begründung ab, es lägen nicht die erforderlichen 540, sondern nur 480 Beitragsmonate der Pflichtversicherung vor.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage brachte der Kläger vor, die beklagte Partei habe die im Zeitraum Juli 1966 bis September 1970 erworbenen 51 Monate an „Ausübungsersatzzeiten“ nach dem BSVG mit der Begründung unberücksichtigt gelassen, dass diese Zeiten gemäß § 107 Abs 1 Z 1 BSVG nur dann als Beitragsmonate berücksichtigt werden könnten, wenn für sie gemäß § 607 Abs 12 fünfter Teilstrich ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 ein Beitrag in der Höhe von 22,8 % der 30 fachen Mindestbeitragsgrundlage nach § 76a Abs 3 ASVG je Ersatzmonat (156,59 EUR pro Ersatzmonat, somit insgesamt 7.970,79 EUR) entrichtet würde. Diesem Standpunkt sei entgegenzuhalten, dass diese mit dem BudgetbegleitG 2011 neu geschaffene und nach nur einer einmonatigen Übergangsfrist bereits für Stichtage ab in Kraft getretene Regelung eine massive Schlechterstellung gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage bewirke (§ 607 Abs 12 idF des SRÄG, BGBl I 2008/129), die keine „Nachkaufspflicht“ gekannt habe. § 607 Abs 12 fünfter Teilstrich ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 verletze demnach das Grundrecht auf Eigentum und widerspreche wegen des massiven Ausmaßes des Eingriffs dem Vertrauensschutz. Die Entscheidung der beklagten Partei beruhe somit auf einer verfassungswidrigen gesetzlichen Norm.

Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger habe zum Stichtag statt der gemäß § 607 Abs 12 Z 1 ASVG erforderlichen 540 Beitragsmonate lediglich 480 Beitragsmonate erworben, weshalb er die Anspruchsvoraussetzungen für die Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht erfülle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass der Kläger per 456 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG, 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem BSVG, 9 Monate Ersatzzeit nach dem ASVG und 51 Monate Ersatzzeit nach dem BSVG (gemäß § 107 Abs 1 Z 1 BSVG) erworben habe und kein Nachkauf der „Ausübungsersatzzeiten“ erfolgt sei. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass zum Stichtag nur 480 Beitragsmonate vorlägen, sodass die Voraussetzungen nach § 607 Abs 12 Z 1 ASVG (540 Beitragsmonate zum Stichtag) nicht erfüllt seien. Mangels Entrichtung von Beiträgen gemäß § 607 Abs 12 fünfter Teilstrich ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 seien die 51 Monate an Ersatzzeiten nach § 107 Abs 1 Z 1 BSVG nicht als Beitragszeiten zu werten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es erachtete die gegen § 607 Abs 12 fünfter Teilstrich ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken als nicht stichhältig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

Die beklagte Partei erstattete trotz Freistellung keine Revisionsbeantwortung.

Der Verfassungsgerichtshof hatte bereits mit Beschluss vom zu G 3 9/2013 ein Verfahren gemäß Art 140 Abs 1 B VG eingeleitet, in dem die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge „wenn für sie ein Beitrag in der Höhe von 22,8 % der dreißigfachen Mindestbeitragsgrundlage nach § 76a Abs 3 je Ersatzmonat unter sinngemäßer Anwendung des § 227 Abs 4 entrichtet wird“ in § 607 Abs 12 ASVG von Amts wegen geprüft wurde.

Der Oberste Gerichtshof teilte die in dem Beschluss vom geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofs und stellte am gemäß Art 89 Abs 2 Satz 2 B VG (Art 140 Abs 1 B VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, die Wortfolge „wenn für sie ein Beitrag in der Höhe von 22,8 % der 30 fachen Mindestbeitragsgrundlage nach § 76a Abs 3 je Ersatzmonat unter sinngemäßer Anwendung des § 227 Abs 4 entrichtet wird“, in § 607 Abs 12 ASVG, BGBl Nr 189/1955 idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I Nr 111/2010, als verfassungswidrig aufzuheben. Unter einem wurde ausgesprochen, dass mit der Fortführung des vorliegenden Revisionsverfahrens gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten werde.

Auf den bekannten Inhalt dieses Antrags kann verwiesen werden.

Rechtliche Beurteilung

Mit Erkenntnis vom , G 3 9/2013 15, G 50/2013 10, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die in Prüfung gezogene Wortfolge bis einschließlich verfassungswidrig gewesen sei. Die als verfassungswidrig erkannte Wortfolge sei auch im Verfahren 10 ObS 20/13h vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr anzuwenden. Unter einem wurde der oben genannte, zu G 50/2013 des Verfassungsgerichtshofs protokollierte Antrag des Obersten Gerichtshofs zurückgewiesen.

Aus der Begründung des Erkenntnisses ergibt sich, dass der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Einführung der Beitragspflicht für Ersatzzeiten als solche hege, noch bezweifle, dass die Einführung der Beitragspflicht an sich einem zulässigen gesetzgeberischen Ziel diene. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs richteten sich aber dagegen, dass der Gesetzgeber nach dem Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes nicht in der gebotenen Weise auf Dispositionen der Betroffenen Rücksicht genommen habe. Die Bundesregierung habe nicht dargetan, dass es vor dem Hintergrund der Ziele der Konsolidierung des Bundeshaushalts und der Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Pensionsversicherung geboten und daher im öffentlichen Interesse gelegen wäre, die Gesetzesänderung gänzlich übergangslos einzuführen. Es sei nicht ersichtlich, welche besonderen Umstände es wären, die den Gesetzgeber gehindert hätten, die nach der Rechtslage naheliegenden Dispositionen der Versicherten, insbesondere eine bereits erfolgte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder anderer pflichtversicherter Tätigkeiten, voherzusehen und durch eine entsprechende Übergangszeit zu berücksichtigen. Für Zeiträume nach Ablauf einer solchen Übergangszeit bestünden die Bedenken nicht, sodass zur Herstellung des verfassungskonformen Zustands eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle nicht erforderlich sei. Es genüge vielmehr festzustellen, dass die Bestimmung aus dem Blickwinkel des Entscheidungszeitpunkts im Gesetzesprüfungsverfahren bis zum Ablauf einer vom Verfassungsgerichtshof als angemessen zu bestimmenden Übergangszeit verfassungswidrig gewesen sei. Eine Übergangszeit im Ausmaß von fünf Monaten sei ausreichend, sodass unter Berücksichtigung des Zeitpunkts des Inkrafttretens am die Norm für Pensionsstichtage vom 1. 2. bis einschließlich als verfassungswidrig zu beurteilen sei.

Zur Begründung der Zurückweisung des Antrags des Obersten Gerichtshofs führte der Verfassungsgerichtshof aus, dieser wenige Tage vor Beginn der Beratungen eingelangte Antrag habe nicht mehr in das Gesetzesprüfungsverfahren einbezogen werden können und sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Im Hinblick darauf, dass der Pensionsstichtag in dem beim Obersten Gerichtshof anhängigen Ausgangsverfahren der sei, habe sich der Verfassungsgerichtshof jedoch veranlasst gesehen, gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B VG von der Möglichkeit der Ausdehnung der Anlassfallwirkung auf dieses Verfahren Gebrauch zu machen.

Nach der Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

Aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs folgt, dass die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben ist, weil eine ergänzende Verhandlung unabdingbar ist.

Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs im Hinblick auf die Erfüllung der Wartezeit mit den Parteien zu erörtern sein. Es werden ergänzende Feststellungen zum Vorliegen (oder Nichtvorliegen) einer Pflichtversicherung zum Stichtag in der Pensionsversicherung nach dem ASVG, dem GSVG, dem BSVG und dem FSVG zu treffen sein; weiters dazu, ob am Stichtag keine sonstige selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Allenfalls werden auch Feststellungen zur Höhe des monatlichen Bruttoerwerbseinkommens aus einer etwaigen Erwerbstätigkeit zu treffen sein.

Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt der Verfahrenskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00020.13H.0912.000