OGH vom 04.03.2013, 8Ob16/13f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der A***** H*****, geboren am *****, des mj B***** H*****, geboren am *****, des mj C***** H*****, geboren am *****, ebendort, und der mj D***** H*****, geboren am *****, ebendort, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter J***** H*****, vertreten durch Mag. Hartmut Gräf, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 21 R 239/12i 71, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Eine bereits vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeit kann ebenso wie ein bereits verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz in der Regel keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS Justiz RS0050037; RS0030748). Eine Beeinträchtigung der Interessen des Kindeswohls durch die Entscheidungen der Vorinstanzen liegt nicht vor.
Das im Rekursverfahren von der Mutter vorgelegte Privatgutachten basiert auf einer ungenügenden Grundlage, weil es sich um ein reines Aktengutachten handelt. Davon abgesehen nimmt der Privatsachverständige in unzulässiger Weise eine Beweiswürdigung vor, indem er im Wesentlichen mit der Begründung, dass sonst schon ein früherer Handlungsbedarf bestanden hätte, „die Vorwürfe des Jugendwohlfahrtsträgers“ in Frage stellt. Immerhin führt auch der Privatsachverständige aus, dass die Mutter eine Gefährdung der beiden jüngeren Kinder durch B***** aktuell nicht ausschließen könne und die sexuellen Übergriffe von ihr nicht ernst genommen und erkannt worden seien bzw würden. Die Mutter habe in ihrer neuen Wohnung sogar ein Zimmer für B***** eingerichtet, was eine latente Gefährdung bedeuten würde.
2.1 Maßnahmen nach § 176 Abs 1 ABGB, insbesondere die gänzliche oder teilweise Entziehung der Obsorge über ein Kind, setzen eine Gefährdung des Kindeswohls durch den mit der Obsorge betrauten Elternteil voraus. Für eine Gefährdung des Kindeswohls genügt es, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt wurden oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Die Entziehung der Obsorge ist demnach geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist (3 Ob 155/11g mwN; 3 Ob 165/11b).
Eine Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger darf gemäß § 213 ABGB dann erfolgen, wenn sich dafür nicht andere geeignete Personen finden lassen. Die Entscheidung über die Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger ist letztlich eine solche des Einzelfalls, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG begründet, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS Justiz RS0115719).
2.2 Die Vorinstanzen sind von den zutreffenden Grundsätzen ausgegangen und haben ausgehend von den konkreten Feststellungen eine Gefährdung für das Wohl der Kinder bejaht.
Die Mutter war nicht in der Lage, auf die sexuellen Missbrauchshandlungen adäquat zu reagieren und vor allem D***** zu schützen. Vielmehr legte sie ein bagatellisierendes Verhalten an den Tag, leugnete die Übergriffe und überließ B***** weiterhin die Aufsicht über die kleineren Kinder. Die Betreuungssituation führte zu traumatischen Störungen der Kinder und zu einer Gefährdung ihrer seelischen und sittlichen Entwicklung. Die Mutter vermochte nicht, vor allem das sexualisierte Verhalten der Kinder und die daraus resultierenden Störungen zu erkennen. Sie ist nicht in der Lage, eine elterngerechte emotionale Bindung zu den Kindern herzustellen und ihnen Schutz und Hilfe zu bieten, was für die Aufarbeitung der psychischen Störungen aber erforderlich ist.
Wenn die Vorinstanzen in dieser Situation die Erziehungsfähigkeit der Mutter verneinen, so stellt dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Das Gefährdungspotential für die beiden kleineren Kinder besteht nicht allein in weiteren Kontakten zu B*****. Vielmehr ist die Mutter auch nicht in der Lage, die emotionalen Bedürfnisse der Kinder zu erkennen, geschweige denn angemessen zu versorgen, und ihnen eine für die Aufarbeitung der Störungen adäquates Umfeld zu bieten. Von bloßen „Erziehungsdefiziten“ der Mutter kann im Anlassfall nicht gesprochen werden.
Insgesamt gelingt es der Mutter mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.