OGH vom 25.03.2020, 11Os166/19z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag, Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Roman B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach § 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Roman B***** und Willem B***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom , GZ 24 Hv 8/17i-241, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 zu Recht erkannt:
Spruch
Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen, demzufolge auch in den Aussprüchen über die Strafe sowie des Verfalls aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Krems an der Donau verwiesen.
Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen werden die Angeklagten ebenso wie diese und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen auf die Aufhebung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem – auch unbekämpft gebliebene Freisprüche enthaltenden – angefochtenen Urteil wurden Roman B***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach § 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (I), sowie mehrerer Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung nach § 228 Abs 1 StGB (IV und V), Willem B***** jeweils eines Vergehens des schweren Betruges nach § 146, 147 Abs 2 StGB (II) und der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (III) sowie mehrerer Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung nach § 228 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.
Danach haben
von 2000 bis zum August 2015 in A*****, W*****, E***** und andernorts in mehreren Angriffen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz folgende Personen durch Täuschung über anspruchsbegründende Tatsachen zu Handlungen, nämlich zur Gewährung von Pflegegeld für Roman B*****, verleitet, nämlich
(I) Roman B***** gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 [„ab A 3 auch“ Z 3 erster Fall] StGB), indem er psychische und physische Leiden simulierte, wodurch die Pensionsversicherungsanstalt ***** (P*****) in einem (somit 5.000 Euro übersteigenden) Betrag von zusammen 103.728 Euro am Vermögen geschädigt wurde, und zwar
(A) Verfügungsberechtigte der P*****
(1) mit Antrag vom und bei seiner ärztlichen Untersuchung am in Höhe der Stufe 1 bis zum ;
(2) mit Antrag vom und bei seiner ärztlichen Untersuchung am (weiterhin) in Höhe der Stufe 1;
(3) mit Antrag vom und bei seiner ärztlichen Untersuchung am in Höhe der Stufe 2 ab ;
(4) mit Antrag vom und bei seiner ärztlichen Untersuchung am in Höhe der Stufe 2;
(5) mit Antrag vom und bei seiner ärztlichen Untersuchung am in Höhe der Stufe 3 ab ;
(6) mit Antrag vom und bei seiner ärztlichen Untersuchung am in Höhe der Stufe 4 ab ;
(7) bei seiner ärztlichen Nachuntersuchung am in Höhe der Stufe 2 ab ;
(8) bei seiner ärztlichen Nachuntersuchung am in Höhe der Stufe 5;
(B) Richter in Arbeits- und Sozialrechtssachen mit Klage gegen die P*****
(1) vom (gegen eine bescheidmäßige Gewährung in Höhe der Stufe 4) sowie bei ärztlichen Untersuchungen am und am in Höhe der Stufe 6 ab ;
(2) vom (gegen eine bescheidmäßige Herabsetzung auf Stufe 2) sowie bei seiner ärztlichen Untersuchung am in Höhe der Stufe 5 ab ;
(II) Willem B***** im einverständlichen Zusammenwirken mit Roman B*****, indem er tatsachenwidrige Behauptungen über dessen (angebliche) Pflegebedürftigkeit aufstellte, wodurch die P***** in einem (somit 5.000 Euro übersteigenden) Betrag von zusammen 91.873 Euro am Vermögen geschädigt wurde, und zwar
(A) bei der ärztlichen Untersuchung am (I A 5);
(B) bei der ärztlichen Nachuntersuchung am (I A 7);
(C) bei der ärztlichen Nachuntersuchung am (I A 8);
(D) bei der ärztlichen Untersuchung am (I B 1);
(E) bei der ärztlichen Untersuchung am (I B 2) und durch das vom Schuldspruch III umfasste Verhalten;
(III) Willem B***** am vor dem Landesgericht K***** in der Sozialrechtssache des Klägers Roman B***** gegen die beklagte Partei P*****, AZ *****, als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt, indem er wahrheitswidrig angab, der Zustand des Roman B***** habe sich seit 2009 in mehrfacher Hinsicht verschlechtert, dieser könne sich nur noch mittels Rollstuhl fortbewegen und habe Panikattacken, benötige Windeln, müsse gewaschen sowie bekocht, an- und ausgezogen werden; weiters
bewirkt, dass gutgläubig eine Tatsache, nämlich ein „den Zuspruch von Pflegegeld tragender Pflegebedarf bei Roman B*****“ in inländischen öffentlichen Urkunden unrichtig beurkundet wurde, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, dass die Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis der Tatsache gebraucht werden, und zwar
(IV) Roman B***** und Willem B***** im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB)
(a) in den Bescheiden der P***** vom und vom durch die von den Schuldsprüchen I A 5 und I A 7 (des Roman B*****) sowie II A und II B (des Willem B*****) umfassten Taten;
(b) in den Urteilen des *****gerichts Wien vom , AZ *****, und des Landesgerichts K***** vom , AZ *****, durch die von den Schuldsprüchen I B 1 und I B 2 (des Roman B*****) sowie II D und II E (des Willem B*****) umfassten Taten;
(V) Roman B***** in den Bescheiden der P***** vom , vom , vom , vom und vom durch die von den Schuldsprüchen I A 1 bis 4 und 6 umfassten Taten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wenden sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, „9“ und 10 StPO gestützten (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Roman B***** und Willem B*****.
Zutreffend zeigen die Rechtsrügen auf, dass die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) der von den Schuldsprüchen IV und V umfassten Taten nach § 228 Abs 1 StGB rechtlich verfehlt ist (2.). Im Übrigen (1. und 3.) geben die Nichtigkeitsbeschwerden Anlass zu amtswegiger Wahrnehmung nicht geltend gemachter, indes zum Nachteil der Angeklagten wirkender materieller Nichtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
1. Zum Betrug (Schuldsprüche I und II):
Vorangestellt sei, dass den Schuldsprüchen I und II nach den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts jeweils (nicht eine das gesamte Geschehen umfassende tatbestandliche Handlungseinheit, sondern) eine Mehrzahl von Einzeltaten zugrunde liegt. Diese umfassen jeweils alle Täuschungshandlungen, die der betreffende Angeklagte (mittelbar oder unmittelbar) gegenüber dem jeweiligen Entscheidungsträger (der Pensionsversicherungsanstalt oder des Gerichts) gesetzt hat, der in einem bestimmten Verfahren darüber zu befinden hatte, ob (und bejahendenfalls in Höhe welcher Stufe) Roman B***** Pflegegeld nach dem BPGG gebührt. Bei Roman B***** waren dies Antrags- oder Klagsbehauptungen sowie sein – Pflegebedürftigkeit simulierendes – Verhalten im Rahmen seiner diesbezüglichen ärztlichen Untersuchungen (Begutachtungen), bei Willem B***** Angaben zur (angeblichen) Pflegebedürftigkeit des Untersuchten gegenüber den betreffenden Ärzten (vgl § 25a Abs 1 BPGG), zu II E auch eine (inhaltsgleiche) Zeugenaussage vor Gericht.
1.1. Zur Qualifikation nach § 148 zweiter Fall StGB (Schuldspruch I):
§ 148 StGB verlangt (ua) die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung gleichartiger (im vom Erstgericht als verwirklicht erachteten zweiten Fall dieser Bestimmung: je für sich als schwerer Betrug iSd § 147 Abs 1 oder Abs 2 StGB zu beurteilender) Taten längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (§ 70 Abs 1 StGB; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 148 Rz 6). Nach den Feststellungen im Ersturteil war die Absicht des Angeklagten Roman B***** auf die Erzielung einer fortlaufenden Einnahme für sich selbst (bloß) durch die „monatliche Auszahlung“ „ihm nicht zustehender Pflegegelder“ – maW durch wiederkehrende Leistungen, zu deren Gewährung er die Getäuschten durch (jeweils) eine Tat verleitet hatte – gerichtet (US 27 f). Die Feststellungsbasis im Ersturteil trägt die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 148 (erster oder) zweiter Fall StGB schon aus diesem Grund nicht (Z 10 – vgl 13 Os 65/19m; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 9).
1.2. Zur Qualifikation nach § 147 Abs 2 StGB (Schuldsprüche I und II):
Das Schöffengericht hat zwar – entgegen den Einwänden der Beschwerdeführer – durch deutlichen Verweis auf das Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilsspruch (US 26 iVm US 2 und US 4; zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise Danek, WK-StPO § 270 Rz 32) Feststellungen zur Höhe des Schadens getroffen, den die Angeklagten durch ihre Taten laut Schuldsprüchen I und II jeweils insgesamt herbeigeführt haben. Allerdings hat es die Frage, ob die – nach dem Urteilssachverhalt jedenfalls zusammengerechnet (§ 29 StGB) jeweils 5.000 Euro übersteigende – Höhe der Schadensbeträge (insgesamt oder bezogen auf die einzelne Tat) vom Vorsatz des jeweiligen Angeklagten umfasst war, nicht durch Feststellungen geklärt (zu diesem Erfordernis Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 147 Rz 2, 59 f; RIS-Justiz RS0132778). Solcherart fehlt im angefochtenen Urteil auch der vom Erstgericht (jeweils) angenommenen Qualifikation nach § 147 Abs 2 StGB die Tatsachenbasis (Z 10).
1.3. Zum Grundtatbestand nach § 146 StGB(Schuldsprüche I und II):
Strafbarkeitsvoraussetzungen wie das Nichtvorliegen der Verjährung sind bei (wie hier) Tatmehrheit für jede Tat gesondert zu prüfen, woran auch die allfällige Anwendung des Zusammenrechnungsgrundsatzes nach § 29 StGB nichts ändert (RIS-Justiz RS0132829).
Nach dem oben Gesagten entfallen vorliegend – auf Basis des derzeitigen (s o 1.1. und 1.2.) Urteilssachverhalts – in Bezug auf jede einzelne Tat nach § 146 StGB sämtliche Qualifikationen. Bei der (verbleibenden) Strafdrohung von bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (§ 146 StGB) beträgt die Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB jeweils ein Jahr. Angesichts der festgestellten Zeitpunkte der letzten Tat (vgl § 57 Abs 2 StGB; US 23 [I A 8 und II C]: ) und des letzten Schadenseintritts (vgl § 58 Abs 1 StGB; US 26 iVm US 2: August 2015) bleibt somit – mangels im Ersturteil getroffener Feststellungen zu sonstigen verjährungshemmenden Umständen (§ 58 StGB; vgl RIS-Justiz RS0122332 [T1], RS0118545, RS0091794 [T4]) – insgesamt offen, ob diese Taten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz bereits verjährt waren (Z 9 lit b).
2. Zur mittelbaren unrichtigen Beurkundung nach § 228 Abs 1 StGB (Schuldsprüche IV und V):
Daran ändert nichts, dass das Erstgericht einzelne der von den Schuldsprüchen I und II umfassten Taten darüber hinaus – ideal konkurrierend (vgl RISJustiz RS0113960 [insbesondere T 2]) – jeweils einem (mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedrohten – Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB daher: drei Jahre) Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung nach § 228 Abs 1 StGB subsumierte. Dies bereits deshalb, weil – worauf die Beschwerden (nominell Z 9, der Sache nach Z 10) zutreffend hinweisen – das insoweit festgestellte Verhalten den in Rede stehenden Tatbestand von vornherein nicht erfüllt:
Nach dem diesbezüglichen Urteilssachverhalt erwirkten die Angeklagten durch Täuschung von Beamten der Pensionsversicherungsanstalt und von Richtern des *****gerichts Wien, dass diese in Bescheiden und Urteilen des Roman B***** trafen (US 11 ff, 28). Der der (jeweiligen) öffentlichen Urkunde – den § 228 Abs 1 StGB allein im Blick hat – ist davon (gerade) nicht betroffen (Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 228 Rz 4 f; Roitner SbgK § 228 Rz 12, 51; 13 Os 132/18p mwN).
3. Zur falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (Schuldspruch III):
Mit Blick auf den Wegfall der übrigen Schuldsprüche (vgl § 58 Abs 2 StGB) des Willem B***** wäre – mangels Feststellungen zu sonstigen verjährungshemmenden Umständen (vgl § 58 Abs 3 StGB) – dessen am begangene, (auch – vgl II E) dem Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren – Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB daher: fünf Jahre) unterstellte Tat (US 22) bei Urteilsfällung in erster Instanz ebenfalls bereits verjährt gewesen (Z 9 lit b – vgl abermals RIS-Justiz RS0122332 [T1], RS0118545, RS0091794 [T4]).
Die teils zutreffend geltend gemachte (2.), teils von Amts wegen wahrzunehmende (1. und 3.) materielle Nichtigkeit führt in Übereinstimmung mit dem Croquis zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO, teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen waren die Angeklagten – ebenso wie diese und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen – hierauf zu verweisen.
Hinzugefügt sei, dass die – auf der im zweiten Rechtsgang zu schaffenden Feststellungsbasis – für jede (erneut konstatierte) Tat gesondert zu prüfende Verjährung der Strafbarkeit (§§ 57 f StGB) unter anderem davon abhängt, wie weit die mehreren § 146 StGB unterstellten Taten je für sich einen Qualifikationstatbestand erfüllen (RIS-Justiz RS0128998, RS0132829; Marek in WK2 StGB § 57 Rz 12).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00166.19Z.0325.000 |
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