OGH vom 27.02.2007, 10ObS2/07b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Vera Moczarski (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst-Paul J*****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Kärntner Gebietskrankenkasse, 9021 Klagenfurt, Kempfstraße 8, vertreten durch Dr. Gerhard Fink ua Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Kostenübernahme, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 130/06h-29, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Im ersten Rechtsgang wurden die klagsabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 10 ObS 12/06x (= JBl 2006, 597), insbesondere deshalb aufgehoben, weil die Richtigkeit der Tatsachenbehauptung des Klägers, die bei ihm vorliegende erektile Dysfunktion habe bereits zu psychischen Leidenszuständen mit Krankheitswert geführt, von den Vorinstanzen nicht geprüft worden war. In diesem Zusammenhang wurde vom erkennenden Senat bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die bloße Möglichkeit des Umschlagens einer psychischen Belastung in eine psychische Störung mit Krankheitswert nach ständiger Rechtsprechung noch keine Krankheit und damit auch noch keinen Versicherungsfall iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG darstelle, weil (in diesem Fall) ein regelwidriger Geisteszustand noch nicht eingetreten sei und ein Leistungsanspruch für Krankheitsverhütung nur für die in § 156 ASVG aufgezählten Maßnahmen vorgesehen sei.
Die im zweiten Rechtsgang von den Tatsacheninstanzen zu dieser Frage getroffenen Feststellungen, an die der Oberste Gerichtshof, der selbst keine Tatsacheninstanz ist, gebunden ist, lassen sich dahin zusammenfassen, dass beim Kläger derzeit kein psychischer Leidenszustand mit Krankheitswert vorliegt, weil er die erektile Dysfunktion durch eine selbst gekaufte Medikation („Caverject" im Rahmen der SKAT-Therapie) substituiert. Bei Nichtanwendung der SKAT-Therapie oder vergleichbarer Therapien ist beim Kläger mit einer depressiven Entwicklung bzw dem Auftreten von Depressionen durchaus zu rechnen. Wenn der Kläger die SKAT-Therapie nicht anwenden kann und sich in einer partnerschaftlichen Beziehung befindet, ist mit einer über 50 %igen Wahrscheinlichkeit zu rechnen, dass es bei ihm zu depressiven Entwicklungen kommt. Diese können aufgrund des Alters des Klägers und der damit verbundenen geringen Lebensperspektiven durchaus auch in schweren Depressionen enden. Diese Feststellungen beurteilten die Vorinstanzen in rechtlicher Hinsicht unter Hinweis auf die Ausführungen des erkennenden Senates im Aufhebungsbeschluss vom dahin, dass damit beim Kläger der Versicherungsfall der Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG noch nicht eingetreten sei. Der Kläger macht in seinem außerordentlichen Rechtsmittel im Wesentlichen geltend, sein Anspruch auf Übernahme der Kosten des Medikamentes „Caverject" durch den beklagten Krankenversicherungsträger dürfe nicht schon deshalb verneint werden, weil er sich die von ihm im Rahmen seines Kostenübernahmebegehrens begehrte Medikation derzeit selbst beschaffe und deshalb bei ihm derzeit keine Symptome eines psychischen Leidenszustandes mit Krankheitswert vorlägen. Dieser Ansicht des Klägers ist durchaus beizupflichten, es ist jedoch im Sinne der bereits im Aufhebungsbeschluss vom dargelegten Rechtsansicht jedenfalls zu prüfen, ob beim Kläger, wie von ihm behauptet, eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung vorliegt. Gemäß § 120 Abs 1 Z 1 ASVG gilt nämlich der Versicherungsfall (erst) mit dem Beginn der Krankheit, das ist der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht, als eingetreten. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die bloße Möglichkeit des Umschlagens einer psychischen Belastung in eine psychische Störung mit Krankheitswert, somit die bloße Gefahr einer psychischen Erkrankung, keine Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG und damit auch keinen Versicherungsfall im Sinne dieser Gesetzesbestimmung dar, würde doch andernfalls der Krankheitsbegriff des ASVG einseitig und in unzulässiger Weise zu Lasten des Krankenversicherungsträgers ausgeweitet werden, weil eben ein regelwidriger Geisteszustand noch nicht eingetreten ist und ein Leistungsanspruch für Krankheitsverhütungen nur für die in § 156 ASVG aufgezählten Maßnahmen vorgesehen ist (SSV-NF 12/82 = DRdA 1999/27, 222 [Enzlberger] mwN; vgl in diesem Sinne auch B. Karl, Der praktische Fall: Der krankenversicherungsrechtliche Leistungsanspruch psychisch Kranker, DRdA 2006, 152 ff [156]; Schrammel, Psychotherapie und soziale Krankenversicherung - Rechtsgutachten über Kostenzuschüsse zu psychotherapeutischen Leistungen, SozSi 2001, 351 ff [353]). Eine Leistungspflicht der beklagten Partei setzt daher nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den Eintritt einer Krankheit bzw die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung zumindest im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit voraus (SSV-NF 16/76; 10/45 ua; Binder, Aktuelle Fragen im Leistungsrecht der Krankenversicherung, ZAS 1990, 11 ff [13]).
Im vorliegenden Fall ist nach den maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen davon auszugehen, dass bei Nichtanwendung der SKAT-Therapie oder vergleichbarer Therapien mit einer depressiven Entwicklung bzw dem Auftreten von Depressionen beim Kläger zwar durchaus zu rechnen ist, die Wahrscheinlichkeit für depressive Entwicklungen jedoch (nur) über 50 % beträgt und diese möglichen depressiven Entwicklungen wiederum aufgrund des Alters des Klägers und der damit verbundenen geringen Lebensperspektiven durchaus auch in schweren Depressionen enden können. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage die in der zitierten Rechtsprechung geforderte hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer psychischen Krankheit und der Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung beim Kläger nicht als erfüllt ansahen, haben sie die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze in vertretbarer Weise auf den vorliegenden Einzelfall angewendet. Eine vom Obersten Gerichtshof im Rahmen einer außerordentlichen Revision aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt jedenfalls nicht vor.
Die außerordentliche Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.