OGH vom 01.02.2007, 9ObA124/06k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter KommR Mag. Paul Kunsky und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Karin S*****, vertreten durch Dr. Susanne Kuen, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Raits Ebner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen EUR 125.624,63 sA (Klage) und EUR 15.145,40 sA (Widerklage), über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 71/06d-41, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht erkannte mit Teil-Zwischenurteil, dass sowohl der Schadenersatzanspruch der klagenden und widerbeklagten Partei (im Folgenden Klägerin) gegenüber der beklagten und widerklagenden Partei (im Folgenden Beklagte) wegen der ungerechtfertigten fristlosen Auflösung des Agenturvertrags der Parteien (Pkt 1.) als auch der Ausgleichsanspruch der Klägerin gemäß § 24 Abs 1 HVertrG 1993 gegenüber der Beklagten aus dem Agenturvertrag dem Grunde nach zu Recht besteht (Pkt 2.). Die ziffernmäßige Bestimmung der Ansprüche und die Kostenentscheidung wurden der Endentscheidung vorbehalten (Pkt 3.). Über Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil. Nur gegen die Bestätigung des Pkt 1. des erstgerichtlichen Teil-Zwischenurteils richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung durch teilweise Klageabweisung; hilfsweise wird die teilweise Aufhebung des Berufungsurteils beantragt. Soweit die Revisionswerberin einen Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts vermisst, ist sie - abgesehen davon, dass im Fall eines Zwischenurteils über ein auf Zahlung von Geld gerichtetes Leistungsbegehren der Wert des Streitgegenstands mit dem Geldbetrag, auf den sich diese Entscheidung erstreckt, gleichzusetzen ist (RIS-Justiz RS0041025 ua) - auf § 502 Abs 5 Z 4 ZPO zu verweisen. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher nicht jedenfalls unzulässig, setzt aber zu ihrer Zulässigkeit das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO voraus. In tatsächlicher Hinsicht gingen die Vorinstanzen davon aus, dass die Klägerin ab August 1996 auf Grund eines Agenturvertrags mit der Beklagten eine Tankstelle geführt und in deren Namen und auf deren Rechnung Treibstoffe verkauft hatte. Am hatte die Beklagte den Agenturvertrag mit der Klägerin mit sofortiger Wirkung aufgelöst, weil sich am die Tageslosung vom aus im Verfahren nicht mehr klärbaren Gründen nicht wie vorgesehen vom Bankkonto der Klägerin hatte einziehen lassen. Die Losungen der Folgetage waren von der Klägerin in der Zeit vom 15. bis wie vereinbart direkt auf das Konto der Beklagten eingezahlt worden. In rechtlicher Hinsicht bejahten die Vorinstanzen einen Schadenersatzanspruch der Klägerin wegen der vorzeitigen Auflösung des Agenturvertrags durch die Beklagte gemäß § 23 Abs 1 Satz 2 HVertrG 1993. Danach kann bei vorzeitiger Auflösung des Vertragsverhältnisses durch einen Vertragsteil, ohne dass hiefür ein wichtiger Grund vorliegt, der andere Teil (entweder die Erfüllung des Vertrages oder) Ersatz des ihm verursachten Schadens verlangen. Die Vorinstanzen verneinten das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der den Unternehmer zur sofortigen Auflösung des Vertretungsvertrags berechtigt. Zutreffend gingen sie dabei von der ständigen Rechtsprechung aus, wonach ein wichtiger Grund zur Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses nur dann vorliegt, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem einen Teil unter Berücksichtigung der Eigenart des Schuldverhältnisses, des gesamten Verhaltens des Vertragspartners und der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0027780 ua). Richtig wies das Berufungsgericht in seiner Begründung der Nichtzulassung der ordentlichen Revision auch darauf hin, dass die Zumutbarkeit von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Deren Beurteilung kommt aber regelmäßig keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, sofern keine krasse Fehlbeurteilung vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0018842 ua). Von einer solchen kann hier keine Rede sein.
Dass das Vertragsverhältnis der Parteien dem HVertrG 1993 unterliegt, ist nicht weiter strittig (vgl 8 ObA 299/01f ua). Als rechtserheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO sieht die Revisionswerberin die Frage an, ob und inwieweit es möglich sei, neben den wichtigen Auflösungsgründen nach § 22 HVertrG 1993 auch einen anderen „frei beliebigen" Grund vertraglich zum vorzeitigen Auflösungsgrund zu erheben. Die Fragestellung geht an der - ebenfalls wiederum von den Umständen des Einzelfalls abhängigen und daher regelmäßig nicht revisiblen (RIS-Justiz RS0044298 ua) - Auslegung der Vereinbarung der Parteien und des Prozessvorbringens vorbei. Richtig ist zwar, dass sich die Beklagte auf den Auflösungsgrund nach § I/7.2 lit a des Agenturvertrags stützte, wonach sie den Vertrag fristlos kündigen kann, wenn der Partner die Verkaufserlöse nicht - wie an anderer Stelle des Agenturvertrags vorgesehen - termingerecht abführt. Die Revisionswerberin irrt jedoch, wenn sie meint, dass damit ein nicht im § 22 HVertrG vorgesehener Auflösungsgrund vereinbart worden sei, der - worauf sie offenbar hinaus will - anderen Regeln unterliege. Die Beklagte erstattete ihr Vorbringen auch gar nicht unter dem Prätext, dass es sich beim Auflösungsgrund nach § I/7.2 lit a des Agenturvertrags um einen „frei beliebigen", im Verhältnis zu den in § 22 HVertrG 1993 genannten Gründen „minderwichtigen" Grund handelt. Im Gegenteil betonte sie stets zur Rechtfertigung der von ihr vorgenommen vorzeitigen Auflösung, wie wichtig die pünktliche Abfuhr der Tageslosungen für die Vertragsbeziehung der Parteien sei. Letzteres ist der Revisionswerberin durchaus zuzugestehen, bedeutet aber entgegen ihrer offenbaren Annahme nicht, dass jeglicher Fehler im Zusammenhang mit der vereinbarten Abwicklung einer Tageslosung sogleich zur sofortigen Auflösung eines im Auflösungszeitpunkt immerhin seit sieben Jahren funktionierenden Dauerschuldverhältnisses berechtigt.
Die Revisionswerberin irrt auch, wenn sie meint, dass zur gegenständlichen Problematik Rechtsprechung fehlt. Richtig ist vielmehr, dass Rechtsprechung vorliegt, die bereits klargestellt hat, dass Vertragsverletzungen nicht generell die vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses rechtfertigen (6 Ob 191/05i ua). Wie schon erwähnt liegt dem von der Beklagten geltend gemachten Auflösungsgrund nach § I/7.2 des Agenturvertrags eine bestimmte, dort näher beschriebene Vertragsverletzung des Handelsvertreters zugrunde. Diese vertragliche Regelung stellt aber nichts anderes als eine Konkretisierung des gesetzlichen Auflösungsgrunds nach § 22 Abs 2 Z 4 HVertrG 1993 dar. Danach ist als ein wichtiger Grund, der den Unternehmer zur vorzeitigen Lösung des Vertragsverhältnisses berechtigt, insbesondere auch anzusehen, wenn der Handelsvertreter „andere wesentliche Vertragsbestimmungen verletzt". Es gilt selbstverständlich auch hier das allgemeine Prinzip, dass der Auflösungsgrund der Vertragsverletzung nur dann vorliegt, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem anderen Teil nicht zugemutet werden kann (Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht 463; Nocker, Handelsvertreterrecht Rz 407; 6 Ob 191/05i ua). Ob aber eine Vertragsbestimmung so wesentlich ist, dass ihre Verletzung durch den Handelsvertreter den Unternehmer zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses berechtigt, kann - wie schon erwähnt - nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0108379 ua), denen in der Regel keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt.
Worin die Revisionswerberin schließlich einen Widerspruch des Berufungsgerichts zu § 23 HVertrG 1993 erblickt, ist nicht verständlich. Dass der Schadenersatzanspruch nach dieser Bestimmung ein Verschulden des Schädigers voraussetzt, folgt ohnehin aus ihrem Abs 1 Satz 1 („Trifft einen Teil ein Verschulden ..."; Jabornegg, aaO 472 ua). Es genügt dann aber der Hinweis, dass die Beklagte nicht beweisen konnte, dass sie ohne ihr Verschulden daran gehindert wurde, den Agenturvertrag einzuhalten (§ 1298 ABGB), wozu im konkreten Fall das Unterlassen einer vorzeitigen Vertragsauflösung gehört hätte, wenn kein wichtiger Grund vorliegt (§ 23 Abs 1 Satz 2 HVertrG 1993). Aus dem Umstand, dass § 22 HVertrG 1993 nicht im Katalog zwingender Bestimmungen des § 27 HVertrG 1993 enthalten ist, ist für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts zu gewinnen. Sie ist darauf zu verweisen, dass § 23 HVertrG 1993, auf den sich der Schadenersatzanspruch der Klägerin gründet, Teil dieses Katalogs ist. Dies hat zur Folge, dass diese Bestimmung nicht im Voraus durch Vereinbarung zum Nachteil des Handelsvertreters aufgehoben oder beschränkt werden kann (§ 27 Abs 1 HVertrG 1993). Da auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird, ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.