OGH vom 21.04.2004, 9ObA124/03f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Gerhard Prochaska als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Elfriede H*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Josef W. Deitzer, Rechtsanwalt in Schwechat, gegen die beklagte Partei Dr. Stephan R*****, Rechtsanwalt, ***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der T***** GesmbH (36 S 51/02w des Landesgerichtes Korneuburg) wegen Feststellung (EUR 13.400 sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 72/03x-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cga 199/02z-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der beklagte Masseverwalter ist schuldig, der klagenden Partei nach Maßgabe vorhandener Masse die mit EUR 812,52 (darin EUR 135,42 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom bis als Bürokauffrau bei der T***** GmbH angestellt. Das Arbeitsverhältnis endete am infolge Kündigung durch die Arbeitgeberin. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses war ihr Vater Geschäftsführer, ab ihre Schwester. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug zuletzt S 5,000.000, auf die Gesellschafter entfielen folgende Stammeinlagen: auf den Vater der Klägerin 69,9 %, auf ihre Mutter 25 %, auf die Klägerin sowie auf ihre beiden Geschwister je 1,7 %.
Am wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet.
Mit ihrer Klage vom begehrte die Klägerin die Feststellung, dass ihr im Konkurs der T***** GmbH eine Konkursforderung im Betrag von EUR 13.400 samt 8,75 % Zinsen zustehen. Aufgrund der Arbeitgeberkündigung habe sie Anspruch auf eine gesetzliche Abfertigung im Ausmaß von sechs Monatsgehältern, zusammen EUR 16.339,18. Auf diesen Betrag seien am 22. 2., 22. 6. und nur Teilzahlungen geleistet worden, sodass nach wie vor ein Nettobetrag von EUR 13.400 unberichtigt aushafte. Die Klägerin habe ihre Forderung am als Konkursforderung angemeldet, doch habe der Masseverwalter ihre Forderung zur Gänze bestritten.
Der beklagte Masseverwalter stellte die Klageforderung der Höhe nach außer Streit, beantragte aber die Abweisung des Klagebegehrens. Sowohl aus ihrer Beteiligung am Kapital der Gemeinschuldnerin als auch aufgrund ihrer engen familiären Beziehung zu den Mehrheitsgesellschaftern ergebe sich, dass die Klägerin hinsichtlich ihrer Forderung den Grundsätzen über das eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen zu unterwerfen sei. Insbesondere habe die Klägerin ihren seit fälligen Abfertigungsanspruch nicht betrieben. Sie hätte die Kreditunwürdigkeit der Gemeinschuldnerin aufgrund der monatelang nicht erfolgten Zahlungen erkennen können, dennoch habe sie keine rechtlichen Schritte unternommen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass der Oberste Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung über das "Stehenlassen" von Ansprüchen von Arbeitgebern, welche an der Gesellschaft selbst beteiligt seien, trotz der Wertung als eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen bisher nicht ausdrücklich zu der Frage Stellung genommen habe, ab welcher Beteiligung eines solchen Gesellschafters die Regeln über den Eigenkapitalersatz anzuwenden seien. Sowohl vor dem Hintergrund der 10 %-Klausel des § 32a des deutschen GmbH-Gesetzes als auch des zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die erste Instanz noch im Entwurfsstadium befindlichen Eigenkapitalersatzgesetzes (= EKEG) sei davon auszugehen, dass das "Stehenlassen" der Abfertigung durch die Klägerin nicht als Eigenkapitalersatz im herkömmlichen Sinn gewertet werden könne, zumal ihre Beteiligung von 1,7 % weit unter jener Beteiligung liege, welche sowohl nach der deutschen Rechtslage, als auch vom EKEG verlangt würde. Darüber hinaus liege diese Beteiligung aber auch erheblich unter jenen 20 %, die von der Judikatur als ausreichend angesehen worden seien, um die Regelungen des Eigenkapitalersatzrechtes anzuwenden.
Das Berufungsgericht schloss sich im Wesentlichen dieser Rechtsauffassung an und führte ergänzend aus, dass bei einem Kapitalanteil von 1,7 % des Stammkapitals auch kein wesentlicher Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen gegeben sei. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es noch keine Rechtsprechung des Höchstgerichtes zur Frage gebe, ab welcher Beteiligung eines Gesellschafters an einer GmbH die Regeln über das eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen anzuwenden seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des beklagten Masseverwalters aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragte, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrmals ausführlich dargelegt (siehe zuletzt zusammenfassend: 8 ObA 14/04y in RIS-Justiz RS0054372), dass die Grundsätze über die Nichtrückforderbarkeit von "eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen" im Konkurs auch für jene Gesellschafter gelten, die als Arbeitnehmer, nachdem sie die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft erkennen konnten, weiter ihre offenen Entgeltforderungen "stehenlassen" oder dadurch, dass sie trotz beträchtlicher Lohnrückstände nicht ihren Austritt erklären, die Gesellschaft von der Notwendigkeit der sofortigen Lohnzahlung befreien. Dabei ist nicht ausschließlich auf die konkrete subjektive Kenntnis des Gesellschafter-Arbeitnehmers, sondern darauf abzustellen, ob er als Gesellschafter den eigenkapitalersetzenden Charakter seiner Zuwendungen erkennen musste. Wenn sich der Gesellschafter über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft zum Zeitpunkt der "Darlehensgewährung" nicht hinreichend informiert, so soll dies nicht zu Lasten der Konkursgläubiger gehen (8 ObA 14/04y; 9 ObA 53/00k jeweils mwN). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Gesellschaft dann kreditunwürdig, wenn sie von dritter Seite keinen Kredit zu marktüblichen Bedingungen hätte erhalten können und deshalb ohne die Gesellschafterfinanzierung hätte liquidiert werden müssen. Wie auch sonst bei der Gewährung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen liegt der Gleichbehandlung des "Stehenlassens" von Gehaltsansprüchen eine Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters zugrunde, welcher im Zeitpunkt des Stehenlassens die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft kannte oder kennen musste (SZ 70/232, Zehetner/Bauer Eigenkapitalersatzrecht 19). Der Revisionswerber verweist zunächst richtig darauf, dass die Judikatur die Argumente über eine Analogie zu § 74 GmbH-Gesetz insbesondere aus der Bestimmung des § 32a des deutschen GmbH-Gesetzes gewonnen hat, ohne aber auch die erst mit dem Jahre 1998 in Deutschland eingeführte 10 %-Klausel (§ 32a Abs 3 zweiter Satz dGmbH-Gesetz) zu übernehmen. Aus der Änderung der deutschen Bestimmung lassen sich daher keine unmittelbaren Rückschlüsse für das Erfordernis einer Mindestbeteiligung gewinnen. Ebensowenig ist eine Heranziehung des mit in Kraft getretenen Eigenkapitalersatz-Gesetzes zwecks Beurteilung zurückliegender Sachverhalte angezeigt. Nach den Materialien (ErlBem zur RV 124 der BlgNR XXII. GP) war es ein klares Ziel des Gesetzgebers, der bisher von der Rechtsprechung zu § 74 GmbH gezogenen Analogie für die Zukunft den Boden zu entziehen. Darüber hinaus versteht der Gesetzgeber dieses Gesetz auch als Korrektur der Rechtsprechung, welche bisher keine Beteiligungsuntergrenze für die Anwendung eines eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens festgesetzt hatte und in einigen Fällen Eigenkapitalersatz auch bei Beteiligungen angenommen hatte, welche unter der nunmehrigen 25 %-Grenze lagen.
Dennoch ist der Revision des beklagten Masseverwalters im Ergebnis kein Erfolg beschieden. In der zu 8 ObS 112/01f entschiedenen Rechtssache wurde - implizit - eine Beteiligung des Arbeitnehmers von ca 11 % für ausreichend angesehen, um die Grundsätze des Eigenkapitalersatzes anwenden zu können. Zu 8 Ob 254/97d = SZ 70/232 sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass "die Qualifikation einer Leistung des Gesellschafters als Eigenkapitalersatz jedenfalls keine Beteiligung von mehr als 20 % erfordere". In der letztgenannten Entscheidung referiert der Oberste Gerichtshof auch den Meinungsstand der Lehre, wobei sich die deutsche Literatur noch auf die Rechtslage vor Novellierung des § 32a dGmbH-Gesetz durch Einführung der 10 %-Klausel bezieht: So erachteten Karsten Schmidt (Scholz-Kommentar zum GmbH-Gesetz8 Rz 30 zu §§ 32a, 32b), Ulmer (Hachenburg-Großkommentar8 Rz 35 f) und Hueck (Baumbach/Hueck GmbH-Gesetz16 Rz 17, 19) keine Mindestbeteiligung eines Gesellschafters für erforderlich, um ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen annehmen zu können. Für den österreichischen Rechtsbereich schloss sich insbesondere Schummer ("Entwicklung und Stand im Recht der Eigenkapital ersetzenden Gesellschafterleistungen" in ÖJZ 1996, 241 f, 244) erkennbar der überwiegenden deutschen Lehre an. Für eine Mindestbeteiligung von 10 % traten in Deutschland Luther/Hommelhoff, GmbH-Gesetz14 Rz 55, 56 ein. Nicht jedes Darlehen eines Gesellschafters sei schlechthin in Eigenkapitalersatz umzuqualifizieren. Von der mitunternehmerischen Verantwortung, dem Grundgedanken der Umqualifizierung her, bedürfe § 32a dGmbH-Gesetz (aF) einer teleologischen, aber zugleich rechtssichernden Reduktion: Wer weniger als 10 % des Stammkapitals halte, trage typischerweise keine mitunternehmerische Verantwortung. Ähnlich argumentierte für den österreichischen Rechtsbereich Nowotny ("Probleme des eigenkapitalersetzenden Darlehens, von der Gesellschafterstellung zum atypischen Kreditgeber" in ÖBA 1994, 669, 674), welcher für die Finanzierungsverantwortung auch bei der GmbH ein unternehmerisches Engagement fordert, welches aber nur dann bestehen soll, wenn eine Beteiligung im Sinn der bilanzrechtlichen Vorschriften gegeben ist. Karollus ("Kapitalersetzende Leistungen, jüngste Entwicklungen und Zukunftsperspektiven" in ÖBA 1997, 105 f, insbesondere 109, 110) vertrat die Auffassung, dass eine relevante Grenze bei ca 10 % Beteiligung gesehen werden könne, spricht sich aber gegen absolute Grenzen aus. Das Anliegen, dass nicht jeder geringfügig beteiligte Gesellschafter ohne weiteres dem Kapitalersatz unterworfen werde, sei berechtigt. Absolute Grenzen, unter denen es keinen Eigenkapitalersatz mehr geben könne, seien nicht wünschenswert, weil sie zu unerträglichen Schutzlücken führen könnten, die mit dem Grundgedanken des Kapitalersatzrechts nicht in Einklang zu bringen seien. Ausgangspunkt sei ja die Überlegung, dass es beim Kapitalersatzrecht um eine Frage der Kapitalerhaltung gehe. Dies treffe auch auf geringfügig beteiligte Gesellschafter grundsätzlich zu. Beim Kapitalersatzrecht komme aber noch eine zusätzliche Frage hinzu, die in der Tat gewisse Differenzierungen rechtfertige: Es sei zu unterscheiden, ob das Darlehen ein normales "Drittdarlehen" oder aber ein solches sei, das der Gesellschafterstellung zuzurechnen sei. Beim Darlehen eines geringfügig beteiligten Gesellschafters könne man nun durchaus zum Ergebnis kommen, dass das Darlehen - trotz Kreditunwürdigkeit - nichts mit der Gesellschafterstellung zu tun habe.
Reich-Rohrwig (GmbH-Recht² I) sieht als relevante Grenze eine "unternehmerische Beteiligung" an, welche in der Regel erst ab 25 % Kapitalanteil vorliege.
Im hier zu beurteilenden Fall ist Folgendes zu erwägen:
Die Klägerin war nie Geschäftsführerin der GmbH, sie hatte auch keinen besonderen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft (soweit der beklagte Masseverwalter auch auf eine von der Klägerin übernommene Haftung abstellt, handelt es sich um eine erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachte und damit unzulässige Neuerung, auf die nicht einzugehen ist). Auch war hier das Angehörigenverhältnis zu den Mehrheitsgesellschaftern nicht der Natur, dass die Klägerin in Wahrheit von diesen ihr Einkommen bezogen hätte und auf ihr Arbeitseinkommen nicht angewiesen gewesen wäre (vgl hiezu: SZ 70/232). Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die eher "symbolisch" anmutende Beteiligung der Klägerin eine allfällige im Gesellschaftsrecht begründete Kapitalzuführungsabsicht gänzlich in den Hintergrund treten lässt, sodass hier die - auf historischer Rechtslage beruhenden - Grundsätze über das Eigenkapitalersatzrecht keine Anwendung zu finden haben, ohne dass es einer verallgemeinerbaren Grenzziehung hinsichtlich einer Mindestbeteiligung bedürfte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.