VfGH vom 06.03.1995, B2802/94

VfGH vom 06.03.1995, B2802/94

Sammlungsnummer

14064

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch "Abweisung" eines Wiedereinsetzungsantrags wegen Versäumung der einmonatigen Frist zur Abgabe der Zivildiensterklärung; Anwendung der Bestimmungen des AVG über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand infolge verfahrensrechtlicher Natur dieser Frist geboten

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch den zu B108/95 bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer, zu Handen seiner Rechtsvertreter, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

2. Die Behandlung der zu B2802/94 erhobenen Beschwerde wird abgelehnt.

Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 1985 als tauglich zum Wehrdienst befunden.

Nach seinen Behauptungen habe er sich vom bis aus Studiengründen in Schottland aufgehalten. Kurz nach seiner Rückkehr nach Österreich, nämlich am , habe er sich über die Voraussetzungen für die Abgabe einer Zivildiensterklärung erkundigt und erfahren, daß während seines Auslandsaufenthaltes das Zivildienstgesetz durch die Novelle BGBl. 187/1994 geändert wurde und er eine Zivildiensterklärung nur innerhalb eines Monats (ab ) hätte abgeben können.

Am stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Abgabe der Zivildiensterklärung und gab gleichzeitig eine Zivildiensterklärung ab.

2.a) Der Bundesminister für Inneres (BMI) stellte mit Bescheid vom gemäß § 5a Abs 4 i.V.m. § 5a Abs 3 Z 2 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679, i.d.F. der Novelle BGBl. 187/1994, (im folgenden: ZDG nF), fest, daß die vom Beschwerdeführer eingebrachte Zivildiensterklärung wegen Fristversäumnis gemäß § 76a Abs 2 Z 1 leg.cit. die Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könne.

b) Mit Bescheid des BMI vom wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG "abgewiesen". Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß es sich bei der im § 76a Abs 2 Z 1 ZDG nF vorgesehenen einmonatigen Frist für die Abgabe einer Zivildiensterklärung "um die Frist zur Wahrung eines Antragsrechts handelt" und deshalb "zu dieser Frist eine Wiedereinsetzung nicht stattfinden" könne. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne "nur bei Versäumung einer Frist für eine Handlung in Frage kommen, die die Partei im Zug eines schon anhängigen Verwaltungsverfahrens zu setzen hatte (...), nicht aber für die Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Anspruches oder Antrages (...)".

3. Die vorliegenden, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützten, in einem gemeinsamen Schriftsatz eingebrachten Beschwerden wenden sich gegen die beiden erwähnten Bescheide des BMI. In den Beschwerden wird die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und auch die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§76a Abs 2 Z 1 i.V.m. § 2 ZDG nF) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung beider Bescheide, hilfsweise die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zu B108/95 erhobene - zulässige - Beschwerde, die sich gegen den die "Abweisung" des Wiedereinsetzungsantrages betreffenden Bescheid vom (s. oben, Pkt. I.2.b) wendet, erwogen:

1. Die Behörde hat dem vom Beschwerdeführer gestellten Wiedereinsetzungsantrag der Sache nach mit der Begründung keine Folge gegeben, daß die Frist des § 76a Abs 2 Z 1 ZDG nF eine materiellrechtliche sei, weshalb eine Wiedereinsetzung gemäß § 71 AVG ausgeschlossen wäre. Damit hat sie dem Beschwerdeführer hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrages eine Entscheidung in der Sache verweigert.

Hätte sie dies zu Unrecht getan, so hätte sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Ein solcher Vorwurf ist der Behörde im vorliegenden Fall zu machen. Es genügt, hiezu auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B1659/94, Pkt. II.2.c, zu verweisen. Aus dieser Judikatur - von der abzurücken kein Anlaß besteht - ergibt sich, daß die Frist des § 76a Abs 2 Z 1 ZDG nF eine verfahrensrechtliche ist. Demnach ist in Fällen, in denen diese Frist versäumt wurde, die Bestimmung des § 71 AVG (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) anzuwenden.

Da die Behörde dies verkannte, hat sie den Beschwerdeführer durch den in Rede stehenden Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der Bescheid war sohin aufzuheben.

2. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

III. Die Behandlung der zu

B2802/94 eingebrachten Beschwerde, die sich gegen jenen Bescheid des BMI (vom ) wendet, mit dem festgestellt wurde, daß die Zivildiensterklärung vom wegen Fristversäumnis Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen könne (s. oben, Pkt. I.2.a), war aus folgenden Gründen abzulehnen:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt - wie erwähnt - die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes (zur Befristung der Zivildiensterklärung vgl. ). Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Dies gilt auch für die Frage, ob ein gleichzeitig mit einem Wiedereinsetzungsantrag gestellter, fristgebundener Antrag als verspätet zurückgewiesen werden darf, obgleich über den Wiedereinsetzungsantrag noch nicht entschieden wurde (vgl. hiezu die - nicht einheitliche - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. die bei Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, I. Bd., Wien 1987, E 3 und 4 zu § 72 AVG, zitierte Rechtsprechung. Auf die dort unter E 4 zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach dann, wenn die Wiedereinsetzung erst nach Erlassung des über den verspäteten Sachantrag ergangenen Zurückweisungsbescheides bewilligt wird, dieser Bescheid gemäß § 72 Abs 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft tritt, wird hingewiesen.)

Soweit die Beschwerde insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit genereller Normen behauptet wird, läßt ihr Vorbringen schon im Hinblick darauf, daß die den angefochtenen Bescheid vornehmlich tragende Norm auf Verfassungsstufe steht, die in dieser Hinsicht behaupteten Rechtsverletzungen als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen (vgl. z.B. , abgedruckt in: JBl. 1994/10, S 681 f.).

Somit wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 VerfGG).