OGH vom 24.11.2010, 9ObA11/10y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Alfred Klair als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei S***** D*****, Pflegehelferin, *****, vertreten durch Dr. Kurt Kozak, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Walter G*****, vertreten durch Dr. Johann Eder und andere, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 280,57 EUR sA (11 Cga 109/08b), 181,28 EUR sA (11 Cga 140/08m) und 670,05 EUR (11 Cga 233/08p), zusammen 1.131,90 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 84/09s 25, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 11 Cga 109/08b 19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Berufungsurteil wird im Umfang der Bestätigung der Abweisung eines Betrags von 181,28 EUR samt 4 % Zinsen seit (11 Cga 140/08m) als Teilurteil bestätigt. Die Kosten des Verfahrens bleiben der Endentscheidung vorbehalten.
Im Übrigen, also im Umfang der Abweisung von 280,57 EUR samt 9,47 % Zinsen seit (11 Cga 109/08b) und von 670,05 EUR samt 4 % Zinsen seit und 4 % Zinsen aus 2.400 EUR seit (11 Cga 233/08p) werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die verbundenen Arbeitsrechtssachen werden insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom bis in der vom Beklagten betriebenen Seniorenpension als Pflegehelferin beschäftigt, das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung.
Der Beklagte betreibt seit 32 Jahren eine Seniorenpension, die im Jahr 2000 von 40 auf 63 Betten aufgestockt wurde. Die erbrachten Leistungen sind gleich geblieben. Die Zielgruppe hat sich jedoch insoweit im Laufe der Zeit verändert, als diese nunmehr überwiegend aus pflegebedürftigen Menschen besteht. Schwerpunktmäßig werden Pflegebedürftige mit Pflegestufe 3 und höher aufgenommen, zwischen 10 % und 20 % der Heimbewohner sind aber Personen, die nur die Pflegestufe 0 bis 2 aufweisen. Mit den Heimbewohnern werden entweder unbefristete oder befristete Verträge abgeschlossen. So gibt es auch Personen, die nur zur Überbrückung kurzfristig aufgenommen werden. Der Beklagte bietet neben der Beherbergung und Verpflegung die erforderlichen Pflegeleistungen an. Er beschäftigt knapp 50 Angestellte, wovon ca 25 Personen im eigentlichen Pflegebereich und die anderen in den Bereichen Küche, Haustechnik, Reinigung etc tätig sind. Die Reinigung wird aber überwiegend von einem externen Unternehmen durchgeführt, das auch die Bettwäsche betreut, wenn Personen so mobil sind, dass sie ihr Bett verlassen können. Die Pflegehelfer und helferinnen, zu denen auch die Klägerin zählt, machen sämtliche Tätigkeiten, die „rund um das Bett“ anfallen, wie zB Körperpflege, An und Ausziehen, Verabreichung und Wegbringen der Speisen, Wickeln und Umlagern, Hinbringen zu und Abholen von Aktivitäten, die von externen Personen im Haus angeboten werden etc. Neben den Pflegehelferinnen sind sechs bis acht diplomierte Krankenpfleger/innen und eine Ärztin beschäftigt.
Der Beklagte ist der Berufsvereinigung für Gesundheits und Sozialberufe (= BAGS) nicht beigetreten, er verfügt über eine Konzession für das Hotel und Gastgewerbe und ist Mitglied der Wirtschaftskammer, Fachverband Hotel und Gastronomie. Im Hinblick auf die Einführung des BAGS KollV hielt er mit der Wirtschaftskammer Rücksprache, welchen Einfluss der Kollektivvertrag auf seinen Betrieb habe. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er als konzessionierter Gewerbebetrieb nicht dem BAGS KollV unterliege, sondern die Fachgruppenzugehörigkeit vorgehe. Der Beklagte entlohnte daher seine Angestellten, wie auch die Klägerin, weiterhin nach dem Kollektivvertrag für das Hotel und Gastgewerbe.
Die Klägerin hat ihre Ansprüche nie innerhalb von vier Monaten nach deren Fälligkeit beim Beklagten geltend gemacht.
Die Klägerin begehrte zunächst mit ihrer Protokollarklage vom einen Betrag von 280,57 EUR sA an unbeglichenen Differenzzahlungen für die Monate Mai und Juni 2005; mit ihrer Protokollarklage vom (11 Cga 140/08m) machte sie eine Differenzzahlung von 181,28 EUR sA für Mai 2006 und mit Klage vom (11 Cga 233/08p) Differenzzahlungen in Höhe von 670,05 EUR sA für die Zeit vom November 2005 bis April 2006 und eine Zinsenforderung von gesetzlichen Verzugszinsen aus dem Klagsbetrag und von 4 % aus 2.400 EUR geltend. Sie begründete ihr Klagebegehren damit, dass sie unrichtig nach dem Hotel und Gastgewerbekollektivvertrag entlohnt worden sei. Dieser könne auf ihr Arbeitsverhältnis nicht angewendet werden, da sie eindeutig andere als in dieser Branche anfallende Arbeiten verrichtet habe.
Für die Zeit von Mai 2005 bis einschließlich April 2006 (Anmerkung: dies betrifft die Verfahren 11 Cga 109/08b und 11 Cga 233/08p) hätte daher der Mindestlohntarif für Arbeitnehmerinnen in Betrieben sozialer Dienste Anwendung finden müssen, für die Zeit ab (Anmerkung: dies betrifft die Klage 11 Cga 140/08m) wäre kraft Satzung der BAGS KollV auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwenden gewesen.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren.
Aufgrund seiner Fachgruppenzugehörigkeit bei der Wirtschaftskammer sei der Kollektivvertrag für das Hotel und Gastgewerbe anzuwenden gewesen, auf Basis dieses Kollektivvertrags habe die Klägerin ihre volle Entlohnung erhalten. Weder der Mindestlohntarif noch der BAGS KollV (- sei es auch im Wege der Satzung -) seien auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwenden, vielmehr gehe in beiden Fällen der Hotel und Gastgewerbe KollV vor. Im Übrigen hielt der Beklagte den Ansprüchen der Klägerin den Einwand der Verjährung sowie der Verfristung im Sinn des BAGS KollV entgegen.
Diesem Einwand erwiderte die Klägerin, dass ihre Ansprüche, die sie erstmals mit Schreiben vom geltend gemacht habe, weder verjährt noch verfristet seien. Der Beklagte könne sich insbesondere auf die Verfallsfrist des § 40 BAGS KollV nicht berufen, weil er es verabsäumt habe, seine Dienstnehmer über das Inkrafttreten der Bestimmungen des BAGS Kollektivvertrags aufzuklären. Es sei daher die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist des ABGB auf die Ansprüche der Klägerin anzuwenden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der BAGS KollV könne schon deshalb nicht zur unmittelbaren Anwendung gelangen, weil der Beklagte nicht Mitglied dieses Arbeitgeberverbandes sei. Auch seit dem Inkrafttreten der Satzung über den BAGS KollV könne dieser deshalb nicht angewendet werden, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 18 Abs 3 Z 4 ArbVG dem Kollektivvertrag für das Hotel und Gastgewerbe unterliege, zumal der Beklagte Mitglied der Wirtschaftskammer, Fachverband Hotel und Gastgewerbe, sei. Auch der vor der Satzung des BAGS KollV in Kraft gestandene Mindestlohntarif könne gemäß § 22 ff ArbVG nicht zur Anwendung gelangen, weil ein Kollektivvertrag immer Vorrang vor einem Mindestlohntarif besitze.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Der Mindestlohntarif komme als subsidiäre Rechtsquelle für Entgeltansprüche der Arbeitnehmer nicht in Frage, weil das ArbVG davon ausgehe, dass die Regelung des Entgelts primär durch die Kollektivvertragsparteien erfolgen solle. Der BAGS KollV könne auch nicht über den Umweg der Satzung zur Anwendung gelangen, weil für das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits ein Kollektivvertrag bestehe (§ 18 Abs 3 Z 4 ArbVG). Auf die konkrete Tätigkeit der Klägerin komme es daher nicht an. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Frage der Anwendung des BAGS KollV auf privat geführte Seniorenpensionen, Altersheime, Pflegeheime etc, in deren Betrieb aufgrund der zur Mitgliedschaft des Arbeitgebers zur Wirtschaftskammer und seiner tatsächlichen Zuordnung zu einer bestimmten Fachgruppe ein anderer Kollektivvertrag anwendbar sei, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vorgenannten Gründen zulässig und teilweise im Rahmen des Aufhebungsantrags berechtigt.
Zu dem Begehren der Verfahren 11 Cga 109/08b und 11 Cga 233/08p (Differenzansprüche bis einschließlich April 2006):
Da die Satzung des BAGS KollV erstmals mit in Kraft trat, ist hinsichtlich der davor fällig gewordenen Ansprüche nur eine Prüfung dahin vorzunehmen, ob die Mindestlohntarife für die Jahre 2005 und 2006 für Arbeitnehmer/innen in Betrieben sozialer Dienste Anwendung zu finden haben.
Gemäß § 22 Abs 3 ArbVG darf ein Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag nicht abgeschlossen werden kann, 1. weil kollektivvertragsfähige Körperschaften auf Arbeitgeberseite nicht bestehen und 2. sofern eine Regelung von Mindestentgelten und Mindestbeträgen für den Ersatz von Auslagen durch die Erklärung eines Kollektivvertrags zur Satzung nicht erfolgt ist. Schon der Bestand einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber ist (bei Mangel einer Satzung) ausschlaggebend dafür, dass eine Festsetzung von Mindestlohntarifen nicht mehr erfolgen kann, gleichgültig, ob tatsächlich ein Kollektivvertrag abgeschlossen wurde oder nicht (DRdA 2009/10 [ Ritzberger Moser ] = RIS Justiz RS0122368). Dabei ist allerdings die aktuelle Situation ausschlaggebend ( Strasser , ArbVG Kommentar § 22 Rz 10).
Zunächst ist auszuschließen, dass der Beklagte mehrfach kollektivvertragsangehörig ist und zwei getrennte Betriebe führt (§ 9 Abs 1 ArbVG). Die Führung eines Pflegeheims stellt kein Gewerbe nach der Gewerbeordnung dar; vielmehr fällt die Regelung der Errichtung, der Erhaltung und des Betriebs von Heimen für Personen, die wohl ständiger Pflege, aber bloß fallweiser ärztlicher Betreuung bedürfen (Pflegeheimen), gemäß Art 15 Abs 1 B VG in die Zuständigkeit der Länder (VfGH SlgNr 13237, BGBl Nr 790/1992). Dieser Rechtslage trug der Salzburger Landesgesetzgeber mit dem Gesetz vom zum Schutz von Personen in Pflegeeinrichtungen (Salzburger Pflegegesetz PG) Rechnung, wo Mindeststandards betreffend bauliche und technische Ausstattung, Leistungen, Personalausstatttung, ärztliche Betreung und Arzneimittel, Verpflegung, Hygiene, Einrichtungs und Wertgegenstände einschließlich einer Verordnungsermächtigung, weiters Kundenschutz, Mitgestaltungsrechte, Anzeigepflichten gegenüber dem Land und dessen Aufsichtsrechte geregelt werden.
Gemäß § 22 Abs 3 ArbVG darf ein Mindestlohntarif nur für Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt werden, für die ein Kollektivvertrag aus den bereits genannten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass der Fachverband Hotel und Gastgewerbe in der Bundeswirtschaftskammer, dessen Mitglied der Beklagte ist, keine gesetzliche Kompetenz hat, einen Kollektivvertrag auch für die in einem Pflegebetrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzuschließen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen verdrängt nicht bereits das Vorhandensein irgendeines Kollektivvertrags im Unternehmen die Anwendbarkeit eines Mindestlohntarifs. Vielmehr normiert § 24 Abs 3 ArbVG klar, dass Kollektivverträge und Satzungen einen bestehenden Mindestlohntarif nur für ihren Geltungsbereich außer Kraft setzen. In diesem Sinn hat der erkennende Senat bereits in 9 ObA 83/89 ausgesprochen, dass ein durch Mindestlohntarif erfasster Bereich kein „vertragsfreier Raum“ sei, der durch eine lediglich an eine Teiltätigkeit anknüpfende Kollektivvertragsangehörigkeit aufgefüllt werde. Die zitierte Entscheidung unterscheidet sich damit ebenso wie der hier zu beurteilende Fall grundlegend von dem dem Erkenntnis 9 ObA 139/05i zu Grunde liegenden Sachverhalt, wo für den überwiegenden Teil des Unternehmens, eines Studentenheims, keine kollektive Regelung bestand, jedoch der organisatorisch nicht getrennt geführte Hotelbetrieb, dem untergeordnete wirtschaftliche Bedeutung zukam, dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel und Gastgewerbe unterlag. Nur in diesem besonderen Fall konnte die Geltung des Kollektivvertrags ausgehend vom sozialen Schutzprinzip auch auf den „vertragsfreien Raum“ ausgedehnt werden. Eine derartige Situation besteht hier jedoch wie dargestellt nicht.
Weiters ist bisher nicht hervorgekommen, dass der Beklagte einen Haupt- und Nebenbetrieb führt oder dass es sich um einen Betrieb mit organisatorisch und fachlich abgegrenzten Betriebsabteilungen, dh hier eine Pflegeabteilung, dort eine Beherbergungs und Bewirtungsabteilung, handelt (§ 9 Abs 2 ArbVG). Vielmehr liegt auf der Hand, dass auch ein Pflegeheim Arbeitskräfte benötigt, die nicht unmittelbar Pflegeleistungen erbringen, wie Küchenpersonal, Servier- und Reinigungskräfte, Hausarbeiter etc.
Damit stellt sich die Frage eines Mischbetriebs iSd § 9 Abs 3 ArbVG. Liegt nach dieser Bestimmung eine organisatorische Trennung in Haupt- und Nebenbetriebe oder eine organisatorische Abgrenzung in Betriebsabteilungen nicht vor, so findet jener Kollektivvertrag Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. In diesem Fall gilt also anders als nach § 9 Abs 1 und 2 ArbVG das Prinzip der Tarifeinheit ( Reissner in ZellKomm § 9 ArbVG Rz 11 mwN). Zwar sind die Feststellungen zur maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung, noch dahin ergänzungsbedürftig, ob der Pflege- oder der Beherbergungsbetrieb im Vordergrund steht, doch lassen die bisherigen Verfahrensergebnisse darauf schließen, dass wenn überhaupt in einem Teilbereich noch von einem Hotel - und Gastgewerbegetrieb die Rede sein kann die Pflegetätigkeit dem Betrieb das Gepräge (DRdA 1991/39 [ Resch ]; Runggaldier in Tomandl ArbVG § 9 Rz 8) gibt. Die weiteren Erörterungen unterstellen daher den prägenden Charakter des Pflegebetriebs.
Zum Aufeinandertreffen von Kollektivvertrag und Mindestlohntarif hat der Oberste Gerichtshof in der schon zitierten Entscheidung 9 ObA 83/89 Stellung genommen. In einer Sprachschule stand die einem Mindestlohntarif unterliegende den Betrieb prägende Tätigkeit der Sprachlehrer der Beschäftigung einiger weniger mit dem Verkauf von Lernunterlagen befasster Personen gegenüber, welch letztere nach dem Kollektivvertrag für Handelsangestellte entlohnt sein wollten. Diesem Begehren entsprach der Oberste Gerichtshof nicht und sprach aus, dass der Kollektivvertrag nicht den Mindestlohntarif verdrängen könne, sondern vielmehr § 9 Abs 3 ArbVG analog anzuwenden sei. Das führt im Ergebnis dazu, dass der für den prägenden Betriebsbereich anzuwendende Mindestlohntarif den sonst für die Arbeitnehmer des nicht maßgeblichen Bereichs anzuwendenden Kollektivvertrag verdrängt.
Dieser Auffassung pflichtete in der Folge auch Tomandl (Zur Problematik des kollektivvertragsfreien Raumes in ZAS 1995, 152) bei. Schon die Grundregel des § 9 Abs 3 ArbVG könne dazu führen, dass der für den prägenden Betriebsbereich geltende Kollektivvertrag wesentlich rudimentärer ausgestattet sei als jener Kollektivvertrag, der für den weniger bedeutenden Bereich gelte; dennoch verdränge letzterer den Kollektivvertrag mit den ausführlicheren Regelungen. Nicht anders seien die Auswirkungen zu beurteilen, wenn im wirtschaftlich bedeutenderen Betriebsbereich eine Substitutionsform des Kollektivvertrags, nämlich eine Satzung oder ein Mindestlohntarif gelte. Auch in diesem Fall werde der Kollektivvertrag verdrängt, die von der Rechtsprechung angenommene Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG überzeuge.
Auch Runggaldier (in Tomandl ArbVG § 9 Rz 15) befürwortet die analoge Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG auf die Substitutionsformen des Kollektivvertrags. Sei daher die im bedeutenderen Wirtschaftsbereich tätige Belegschaft von einem Mindestlohntarif erfasst, verdränge dieser auch einen Kollektivvertrag, der sonst für den anderen Tätigkeitsbereich Anwendung fände.
Unter Bezugnahme auf die oben zitierte Entscheidung 9 ObA 83/89 (= Arb 10.787) vertritt auch Reissner (in ZellKomm § 9 ArbVG Rz 11) die Meinung, dass die Prinzipien des § 9 Abs 3 ArbVG dann durchschlagen, wenn in einem Mischbetrieb der den wirtschaftlich dominanten Bereich betreffende Mindestlohntarif mit einem Kollektivvertrag für den nebenbei betriebenen Bereich zusammentrifft.
Weiß (Tarifeinheit oder Tarifvielfalt im ungegliederten Mischbetrieb, JBl 1999, 781) pflichtet nur dem Ergebnis der Entscheidung 9 ObA 83/89 bei, verneint aber die Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG für einen Mindestlohntarif. Mit Bezug auf das „Prinzip der Betriebsnähe“ versucht er, eine Mischkonstruktion aufzuzeigen, bei der der Kollektivvertrag für den ganzen Betrieb gelten solle, allerdings mit der Maßgabe, dass für die vom Mindestlohntarif erfassten Arbeitnehmer dessen Entlohnungsschema anzuwenden sei; dabei müsse das Entgeltschema freilich auf eine durch den KollV verkürzte wöchentliche Arbeitszeit umgerechnet werden. Diese Konstruktion vermag indes nicht zuletzt im Hinblick auf das aus § 9 Abs 3 ArbVG hervorgehende Prinzip der Tarifeinheit nicht zu überzeugen.
Der erkennende Senat hält daher mit Tomandl , Runggaldier und Reissner an der auch einen Mindestlohntarif erfassenden Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG (9 ObA 83/89) fest.
Liegt somit ein Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG vor, verdrängt ein für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender Mindestlohntarif in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden Kollektivvertrag.
Da, wie schon erwähnt, die Feststellungen zur definitiven Beurteilung, worin der prägende wirtschaftliche Bereich des Betriebs liegt, aber auch zur - bestrittenen - Höhe der Klageforderungen nicht ausreichen, ist hinsichtlich der Verfahren 11 Cga 109/08b und 11 Cga 233/08p (Differenzansprüche bis einschließlich April 2006) mit einer Aufhebung vorzugehen. Im fortgesetzten Verfahren wird die Klägerin auch anzuleiten sein, das Begehren von „4 % Zinsen aus 2.400 EUR seit “ (11 Cga 233/08p) schlüssig zu stellen.
Zur Klage 11 Cga 140/08m (betreffend die Nettodifferenz für Mai 2006):
Wenngleich die Analogiefähigkeit des § 9 Abs 3 ArbVG wohl auch auf die Substitutionsform der Satzung auszudehnen ist ( Tomandl , Zur Problematik des kollektivvertragsfreien Raumes in ZAS 1995, 152 f; Runggaldier in Tomandl ArbVG § 9 Rz 15; diesbezüglich zustimmend auch Weiß , Tarifeinheit oder Tarifvielfalt im ungegliederten Mischbetrieb, JBl 1999, 781 f), bedarf diese Frage hier keiner weiteren Erörterung:
Die Satzung des BAGS KollV umfasst nämlich auch die Geltung dessen § 40, wo es heißt:
„§ 40 Verfall von Ansprüchen:
1. Ansprüche nach diesem Kollektivvertrag müssen binnen vier Monaten nach Fälligkeit bei sonstigem Verfall geltend gemacht werden. Liegen keine Arbeitszeitaufzeichnungen vor, gelten für Ansprüche, die sich aus Lage und Umfang der Arbeitszeit ergeben, die allgemeinen Verjährungsbestimmungen des ABGB.
2. Für Überstunden, die durch eine Überstundenpauschale nicht abgedeckt sind, läuft die Frist jeweils am Ende des Kalenderjahres bzw am Ende des Arbeitsverhältnisses.“ (Anmerkung: Das Vorbringen der Klägerin lässt keine Ansprüche erkennen, die dem § 40 Z 1 zweiter Satz oder Z 2 unterliegen).
Die Beklagte hat die Verfristung der Ansprüche der Klägerin ausdrücklich eingewendet. Selbst wenn man daher von der durch Satzung herbeigeführten Geltung des BAGS KollV ausgehen wollte, müsste auch die Verfallsbestimmung des § 40 Z 1 erster Satz BAGS KollV zur Anwendung gelangen. Die Klägerin hat ausdrücklich zugestanden, ihre Ansprüche erstmals am geltend gemacht zu haben. Sie meint lediglich, dass die Verfallsfrist deshalb nicht greife, weil sie vom Beklagten nicht auf die Geltung des Kollektivvertrags hingewiesen worden sei. Der Kollektivvertrag sieht aber eine derartige Folge nicht vor. Der Einwand der Klägerin, es sei sittenwidrig, sich auf die Verfallsbestimmung zu berufen, wenn die Information über das Inkrafttreten des Kollektivvertrags (hier gemeint wohl: der Satzung) nicht erfolgt sei, vermag nicht zu überzeugen: Abgesehen davon, dass die Übergangsbestimmung des „§ 40“ BAGS KollV (richtig: § 41 Z 2 lit b) die Verständigung nicht als Voraussetzung für die mögliche Option der Arbeitnehmer ansieht, konnte der Beklagte aufgrund der von ihm eingeholten Auskunft der Wirtschaftskammer der Meinung sein, dass ein Kollektivvertrag der Satzung vorgehe. Wenngleich die Verfallsproblematik vom Berufungsgericht nicht aufgegriffen wurde, kann dennoch ohne Überraschung der Parteien darüber entschieden werden, weil der Verfristungseinwand mit den Parteien erörtert wurde und der Sachverhalt zu diesem Thema unstrittig ist. Wegen Entscheidungsreife dieses verfristeten Anspruchs konnte daher gemäß § 391 Abs 1 ZPO ein Teilurteil gefällt werden.
Die Kostenvorbehalte gründen sich auf § 52 Abs 2 ZPO.