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OGH vom 04.10.1994, 10ObS195/94

OGH vom 04.10.1994, 10ObS195/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Robert Letz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Pulkrab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wendelin F*****, Polier, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Feststellung der Berufsunfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 18/94-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 21 Cgs 205/92-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom wies die Beklagte den auf eine Berufsunfähigkeitspension gerichteten Antrag des Klägers vom ab. Er sei nicht berufsunfähig und am Stichtag, dem , in der Pensionsversicherung nach dem ASVG pflichtversichert gewesen.

Die rechtzeitige Klage richtete sich zunächst 1. auf Feststellung der Berufsunfähigkeit und 2. auf Leistung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag. Der Kläger behauptete, er könne seinen Beruf als Maurerpolier wegen seines körperlichen Zustandes nicht mehr ausüben. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom (ON 19 AS 89) wurde das Klagebegehren auf Feststellung der Berufsunfähigkeit ab eingeschränkt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger nicht berufsunfähig sei.

Das Erstgericht wies das eingeschränkte Begehren ab.

Es stellte den Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit und den Berufsverlauf des am geborenen Klägers, das Berufsbild eines Maurerpoliers und den Arbeitsmarkt für diesen Beruf sowie weiters fest, daß der Kläger seit beim selben Dienstgeber als Polier im Angestelltenverhältnis beschäftigt ist.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes ist der Kläger nicht berufsunfähig iS des § 273 Abs 3 ASVG (idF vor dem SozRÄG 1993 - 51. ASVGNov BGBl 335). Er könne zwar nicht mehr bei seinem bisherigen Dienstgeber oder in Betrieben ähnlicher Größe als Maurerpolier arbeiten. Es gebe aber eine ausreichende Zahl von Polierstellen, für die seine Arbeitsfähigkeit ausreiche.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, erachtete die Beweiswürdigung des Erstgerichtes als unbedenklich und teilte auch dessen rechtliche Beurteilung, daß der Kläger nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 3 ASVG (in der oben genannten Fassung) gelte.

In der Revision macht der Kläger Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; er beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es, allenfalls auch das der ersten Instanz, aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).

Die versuchte Bekämpfung der berufungsgerichtlichen Beweiswürdigung ist wegen der abschließenden Aufzählung der Revisionsgründe im § 503 ZPO unzulässig.

Die Rechtsrüge kann schon aus folgenden Gründen keinen Erfolg haben:

Nach § 271 Abs 1 ASVG idF SozRÄG 1991 BGBl 157 hatte der Versicherte bei Berufsunfähigkeit Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension, wenn die Wartezeit erfüllt war (§ 236) und er am Stichtag (§ 223 Abs 2) weder in der Pensionsversicherung nach dem ASVG noch in der nach dem GSVG oder dem BSVG pflichtversichert war, noch Anspruch auf einen der im § 23 Abs 2 des Bezügegesetzes bezeichneten Bezüge hatte. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 85 BlgNR 18. GP 3) sollte diese Neuregelung im Zusammenhang mit dem Entfall der Ruhensbestimmungen verhindern, daß ua bei Berufsunfähigkeit neben dem vollen Entgelt aus derselben Erwerbstätigkeit, für die der Versicherte berufsunfähig erklärt wurde, eine Pension bezogen wird.

Im Zusammenhang damit wurde § 273a in das ASVG eingefügt. Er hatte folgenden Wortlaut:

"Insoweit in einem Verfahren auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension nicht entschieden worden ist, weil der (die) Versicherte am Stichtag (§ 223 Abs 2) entweder in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz oder in der Pensionsversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder in der Pensionsversicherung nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz pflichtversichert ist oder Anspruch auf einen der im § 23 Abs 2 des Bezügegesetzes bezeichneten Bezüge hat, ist er (sie) berechtigt, einen Antrag auf Feststellung der Berufsunfähigkeit zu stellen, über den der Versicherungsträger in einem gesonderten Verfahren (§ 354 Z 4) zu entscheiden hat."

§ 273a ASVG eröffnete die Möglichkeit, Berufsunfähigkeit auch dann verbindlich feststellen zu lassen, wenn der Antrag auf Leistung einer Berufsunfähigkeitspension wegen Bestehens einer Pflichtversicherung am Stichtag abgelehnt werden mußte (Peterka - Pettliczek - Koller, SozSi 1991, 232 ff [234]). Aus welchen Gründen § 273a ASVG und der die Feststellung der Invalidität regelnde § 255a leg cit anders formuliert wurden, als die vergleichbaren Bestimmungen des GSVG (§ 133a) und BSVG (§ 124a), ist den Materialien des SozRÄG 1991 nicht zu entnehmen. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß mit den zit Bestimmungen des ASVG derselbe Zweck erreicht werden sollte, wie mit den beiden letztgenannten Normen. Diese sollen es ermöglichen, die besondere Voraussetzung der Erwerbsunfähigkeit zu klären, bevor ein Versicherter die schwerwiegende Entscheidung der Betriebsaufgabe trifft. Da durch das SozRÄG 1991 die Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung als weitere Anspruchsvoraussetzung ua der Berufsunfähigkeitspension eingeführt wurde, mußte der Versicherte, der diese Leistung anstrebte, das versicherungspflichtige Dienstverhältnis vor dem Stichtag lösen. § 273a ASVG schuf daher die Möglichkeit, vor Auflösung des Dienstverhältnisses die besondere Anspruchsvoraussetzung der Berufsunfähigkeit abschließend zu klären (SSV-NF 7/14 zum vergleichbaren § 255a ASVG).

Die seit geltenden §§ 255a und 273a ASVG wurden durch Art I Z 85 bzw Z 103 SozRÄG 1993 - 51. ASVGNov mit Wirkung vom aufgehoben. Sie wurden überflüssig, weil durch die gleichzeitige Novellierung der §§ 254 Abs 1 und 271 Abs 1 ASVG seit auch dann Anspruch auf Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension besteht, wenn der Versicherte am Stichtag in der Pensionsversicherung ua nach dem ASVG pflichtversichert ist. Bei der Formulierung des durch Art I Z 154 SozRÄG 1993 - 51. ASVGNov eingefügten § 551 Abs 1 Z 2,§ 255a und § 273a würden mit "in Kraft treten", handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Damit kann nur gemeint sein, daß die Aufhebung dieser Bestimmungen mit wirksam wurde.

Daraus folgt, daß die Klagseinschränkung auf das Feststellungsbegehren in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom vorgenommen wurde, als § 273a ASVG bereits außer Kraft getreten war.

Schon deshalb kann dem Feststellungsbegehren nicht mehr stattgegeben werden.

Aus dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz (dazu Kuderna, ASGG 357 mwN) ergibt sich, daß die Sozialgerichte nur dann über ein Feststellungsbegehren entscheiden können, wenn die Bestimmungen über das Verfahren vor den Versicherungsträgern eine entsprechende (feststellende) Entscheidung in Leistungssachen vorsehen. Da bei der Entscheidung über ein Feststellungsbegehren nicht auf einen (in der Vergangenheit liegenden) Stichtag, sondern immer auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist, muß auch die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens in diesem Zeitpunkt geprüft werden; im gerichtlichen Verfahren daher zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung. Ob allenfalls im konkreten Fall das Feststellungsbegehren im Zeitpunkt der Einbringung der Klage zulässig gewesen wäre, ist nicht entscheidend. Gegen einen Nachteil des Klägers durch eine Gesetzesänderung während des anhängigen Verfahrens bietet § 86 ASGG ausreichend Schutz; diese Bestimmung ermöglicht in Sozialrechtssachen eine weitgehende Änderung der Klage. Wohl sieht § 65 Abs 2 ASGG grundsätzlich die Möglichkeit von Feststellungsklagen vor, doch ist die Zulässigkeit der Geltendmachung von Feststellungsbegehren in dem oben eingeschränkten Sinn zu verstehen. Dafür sprechen vorerst die Gesetzesmaterialien (zitiert bei Kuderna aaO 365 Anm 13 und bei Feitzinger/Tades ASGG 91 Anm 10 zu § 65), die ausdrücklich darauf hinweisen, daß solche Klagen (gemeint Feststellungsklagen) die Einrichtung eines vergleichbaren (vorgeschalteten) "Verwaltungsverfahrens" voraussetzen. Es wird nicht darauf abgestellt, ob ein solches "Verwaltungsverfahren" im Einzelfall abgeführt wurde oder zur Zeit der Führung dieses Verfahrens eine feststellende Entscheidung vorgesehen war, sondern es muß im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im "Verwaltungsverfahren" eine entsprechende Einrichtung vorgesehen sein. Nur damit kann eine Harmonisierung der beiden Verfahren erzielt werden. Die feststellende Entscheidung des Gerichtes ist regelmäßig die Grundlage für weitere Entscheidungen im Leistungsverfahren vor dem Versicherungsträger. Es könnte daher durchaus zu Problemen in diesem Verfahren führen, wenn eine feststellende Entscheidung des Gerichtes für einen Zeitpunkt getroffen wird, zu dem das Leistungsverfahren eine solche nicht mehr vorsah.

Für die Ansicht, daß ein Feststellungsbegehren bei Gericht nur gestellt werden kann, wenn eine entsprechende Entscheidung im Leistungsverfahren vorgesehen ist, spricht auch § 96 Z 7 ASGG. Mit dieser Bestimmung wurde § 367 ASVG dahin geändert, daß nunmehr auch die Feststellung, daß eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit ist, in den Katalog der Fälle aufgenommen wurde, über die jedenfalls ein Bescheid zu erlassen ist. Die Gesetzesmaterialien (zitiert bei Kuderna aaO 469 Anm 8 und bei Feitzinger/Tades aaO 126 Anm 5) führen dazu aus, daß diese Ergänzung zur Verwirklichung des mit § 65 Abs 2 letzter Satz und § 82 Abs 5 ASGG verfolgten Anliegens im Hinblick auf die - ein vorgeschaltetes "Verwaltungsverfahren" voraussetzende - sukzessive Gerichtskompetenz erforderlich gewesen sei. Den Ausführungen Faschings (in Tomandl, SV-System 7.ErgLfg 734 f), der die Zulässigkeit der Feststellungsklage in Sozialrechtssachen primär an § 228 ZPO mißt und dem § 65 Abs 2 ASGG nur die Bedeutung zumessen will, daß in diesem Fall das rechtliche Interesse nicht mehr zu prüfen sei, vermag der Senat aus den oben dargestellten Gründen nicht zu folgen. Bei Erhebung einer Feststellungsklage in Sozialrechtssachen ist in erster Linie zu prüfen, ob das für den Versicherungsträger maßgebliche Verfahren eine feststellende Entscheidung vorsieht (wie etwa in den §§ 247 a, 367, 255 a bzw 273 a je aF ASVG). Ist dies - wie hier - nicht der Fall, dann ist das Feststellungsbegehren aus diesem Grund abzuweisen, ohne daß es einer Prüfung der Voraussetzungen des § 228 ZPO bedürfte. Es kann daher auch auf sich beruhen, ob das vorliegende Feststellungsbegehren nicht schon deshalb unzulässig wäre, weil der Kläger mit einem Leistungsbegehren auf den Zuspruch künftiger Pensionsleistungen das strittige Rechtsverhältnis vollständig hätte klären können (SZ 58/175; SSV-NF 4/131).

Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.