OGH vom 21.10.1992, 9ObA121/92
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Christian Kleemann und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Land K*****, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei E***** F*****, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen S 6,500.000,- sA und Feststellung (S 500.000,-), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 47/91-9, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cga 80/91-2, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Verfahren in der für Arbeits- und Sozialrechtssachen vorgesehenen Gerichtsbesetzung fortzuführen ist.
Die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei vom Beklagten die Zahlung eines Betrages von S 6,500.000,- sA und die Feststellung, daß ihr der Beklagte für den Ersatz von mindestens 1 v.H. des ihr künftig im Zusammenhang mit Förderungsmaßnahmen betreffend die Zellstoffabrik V***** noch erwachsenden Schadens hafte. Der Beklagte sei in der Zeit von 1973 bis 1989 Mitglied der ***** Landesregierung und seit Dezember 1982 Landeshauptmannstellvertreter sowie Finanz- und Wirtschaftsreferent gewesen. In dieser Eigenschaft habe er durch seinen politischen Einfluß, mangelhafte und unrichtige Berichterstattung sowie unrichtige Auskunftserteilung schuldhaft und rechtswidrig bewirkt, daß die Landesregierung und der Landtag Förderungsmaßnahmen zugunsten der Zellstoff V***** Gesellschaft mbH (kurz ZV), über deren Vermögen am das Konkursverfahren eröffnet worden sei, beschlossen hätten. Bis habe die klagende Partei in diesem Zusammenhang folgende Zahlungen geleistet:
a) Förderungsmittel in Form
eines Landesbeitrags an die ZV nach
den Richtlinien für die Förderung von
Siedlungswasserbauten S 132,500.000,-
b) Gesellschafterdarlehen des Landes an
die ZV laut Schuldscheinen vom
und 12.7.1988S 370,000.000,-
c) Auf Grund der Realisierung von Haftungs-
übernahmen für Kredite der ZV bei der
österreichischen Volksbanken AG S 173,958,515,16
d) Auf Grund der Übernahme von Anteilen
der ZV gegen Haftungsübernahmen für
Kredite bei der K***** Landeshypotheken-
anstalt zur Abdeckung eines Unternehmens-
abgangs S 58,754.632,82
e) Auf Grund der Bürgschaftsübernahme für
nach dem Wasserbautenförderungsgesetz
gewährte Darlehen an den Umwelt- und
Wasserwirtschaftsfonds S 20,464.143,32
insgesamt sohin S 755,677.291,30
Darüber hinaus treffe die klagende Partei noch die weitere Haftung gegenüber dem Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds aus der Bürgschaft für die Förderungsdarlehen. Die klagende Partei habe sich gemeinsam mit dem Masseverwalter bemüht, die ZV konkursmäßig zu verwerten. Es könne jedoch nur mit einem geringen Erlös für die Anlagen in Höhe von höchstens S 55,000.000,- gerechnet werden. Unter Berücksichtigung eines globalen Vorteilsausgleichs für die durch den Fortbetrieb der ZV eingetretenen Ersparnisse betrage der der klagenden Partei bereits erwachsene Schaden S 650,000.000,-. Der Beklagte hafte für diesen Schaden, der unter Bedachtnahme auf mögliche Einwendungen aus wirtschaftlichen Gründen, auch unter Vorwegnahme einer allfälligen richterlichen Mäßigung und vor allem unter Bedachtnahme auf die Leistungsfähigkeit des Beklagten vorerst lediglich in Höhe von S 6,5 Mio. begehrt werde. Der Beklagte habe gewußt oder hätte insbesondere auf Grund der vorgelegenen Gutachten bei pflichtgemäßem Vorgehen wissen müssen, daß die geförderten und trotz fehlender Wirtschaftlichkeit weiterbetriebenen Projekte sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht realisierbar seien und daß die Betreiber nicht über die erforderliche Bonität und Seriosität verfügten. Darüber hinaus habe er auch die mangelnde Kontrolle bei der Projektdurchführung und die nachteiligen Sanierungsmaßnahmen zu vertreten, wodurch es zu einem weiteren Verlust von Förderungsdarlehensmitteln gekommen sei.
Soweit der Beklagte der klagenden Partei den Schaden in Vollziehung der Gesetze zugefügt habe, werde die Klage auch auf die Bestimmungen des Organhaftpflichtgesetzes gestützt. Akte der Förderungsverwaltung, bei denen der Rechtsträger zwar in den Formen des Privatrechts, aber ohne jegliches Gewinnstreben tätig werde, seien dem Bereich der "schlichten Hoheitsverwaltung" zuzurechnen. Der Beklagte sei im Sinne des § 1 Abs 2 OrgHG Organ der klagenden Partei gewesen. Er hafte gemäß § 4 OrgHG für Entscheidungen der Landesregierung, an denen er als stimmführendes Mitglied beteiligt gewesen sei, sowohl für die von ihm schuldhaft zu vertretende Zustimmung zu den der klagenden Partei nachteiligen Beschlüssen als auch für die von ihm zu vertretende unvollständige und unrichtige Darstellung des Sachverhalts.
Der Beklagte sei daher gemäß § 7 OrgHG aufgefordert worden, der klagenden Partei den erwachsenen Schaden zu ersetzen; er habe jedoch jede Haftung zurückgewiesen. Im Sinne der Bestimmungen des OrgHG nehme die klagende Partei die Zuständigkeit gemäß § 8 OrgHG in Anspruch. Das angerufene Gericht sei aber auch für allfällige Ansprüche, die dem OrgHG nicht unterliegen, zuständig, soweit solche Ansprüche mit Organhaftungsansprüchen verbunden seien.
Das Erstgericht faßte im Sinne des § 37 Abs 3 ASGG (§ 40 a JN) den Beschluß, daß das Verfahren in der für allgemeine streitige Zivilrechtssachen zuständigen Gerichtsbesetzung durchzuführen sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Tätigkeit des Beklagten nach dem Inhalt der Klage (Haftungsübernahme, Bürgschaft, Ausfallhaftung udgl.) als Förderungsverwaltung ausschließlich im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erfolgt sei, sodaß auf sie die Bestimmungen des OrgHG nicht anzuwenden sei. Dem aus der deutschen Verwaltungsrechtslehre entnommenen Begriff der schlichten Hoheitsverwaltung komme in der österreichischen Rechtsordnung keine juristische Bedeutung zu, weil sich daran keine spezifischen Rechtsfolgen knüpften.
Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung zulässigerweise erhobenen Rekurs des Beklagten (9 Ob A 147/91) nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, daß ein Handeln "in Vollziehung der Gesetze" nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 1 Abs 2 OrgHG nur dann vorliege, wenn es in den Rahmen der Gerichtsbarkeit oder der Hoheitsverwaltung falle. Die in der Klage aufgestellten Behauptungen (§ 226 Abs 2 ZPO) ließen keinen Zusammenhang der Tätigkeit des Klägers mit der Hoheitsverwaltung erkennen. Die bloße Äußerung in der Klage, sie werde auch auf das Organhaftpflichtgesetz gestützt, sei nicht geeignet, eine besondere Gerichtsbesetzung zu erwirken; diesbezüglich stehe der klagenden Partei kein Wahlrecht zu. Für die Abgrenzung zwischen Hoheitsverwaltung und Privatwirtschaftsverwaltung komme es nicht auf Erwerbswille und Gewinnorientierung des staatlichen Handelns an, sondern auf die rechtstechnischen Mittel, mit denen der Gesetzgeber seine Ziele zu verwirklichen sucht. Dabei stehe außer Frage, daß bei der Übernahme von Haftungen und Gewährung von Darlehen, um eine Insolvenz der ZV zu vermeiden, Tätigkeiten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gegeben seien.
Aber auch die Zuführung von Förderungsmitteln für Siedlungswasserbauten und die Übernahme von Haftungen für Darlehen des Umwelt- und Wasserwirtschaftsförderungsfonds nach dem Wasserbautenförderungsgesetz seien im Rahmen der Förderungsverwaltung Privatwirtschaftsverwaltung. Nicht ein Bescheid bestimme die Förderungsgewährung, sondern eine schriftliche Förderungszusage, die an Bedingungen, Auflagen und Vorbehalte geknüpft sein könne und dem Förderungswerber lediglich einen klagbaren Anspruch gewähre. Da die Klage keinen Tatbestand enthalte, der eine Haftung des Beklagten nach dem OrgHG begründen könnte, und der Beklagte auch nicht als Arbeitnehmer der klagenden Partei oder auch nur als arbeitnehmerähnlich anzusehen sei, komme eine für Arbeits- und Sozialrechtssachen vorgesehene Besetzung des Erstgerichts nicht in Betracht.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Verfahren in der für die Ausübung der Gerichtsbarkeit in Arbeits- und Sozialrechtssachen zustehenden Besetzung durchzuführen sei; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Wie das Rekursgericht richtig erkannte, sind die Fragen der Zuständigkeit und der Gerichtsbesetzung auf Grund der in der Klage enthaltenen Angaben zu prüfen. Nach diesem begehrt die klagende Partei den Ersatz des Schadens, den ihr der Beklagte als ihr Organ in Vollziehung der Gesetze schuldhaft zugefügt haben soll. Die klagende Partei habe ein Aufforderungsverfahren gemäß § 7 OrgHG durchgeführt; der Beklagte habe jede Haftung zurückgewiesen. Demgemäß werde die Zuständigkeit des Erstgerichts gemäß § 8 OrgHG in Anspruch genommen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kommt es bei der Prüfung der richtigen Besetzung des Gerichts aber nicht darauf an, ob der geltend gemachte Anspruch nach dem OrgHG - so wie etwa nach dem Amtshaftungsgesetz (1 Ob 18/80 in RZ 1981/50) - auch zu Recht besteht. Auch wenn das Arbeits- und Sozialgericht der Ansicht ist, daß das beklagte Organ schon nach den Klagebehauptungen bei richtiger rechtlicher Beurteilung nicht in Vollziehung der Gesetze (Hoheitsverwaltung) tätig geworden sei, bleibt es, da dieser Umstand auch anspruchsbegründend ist (vgl Arb.7.861) zur Sachentscheidung berufen. Es ist nicht Aufgabe eines bereits nach Einlangen der Klage ergangenen formellen Besetzungsbeschlusses nach § 37 Abs 3 ASGG schon über geltend gemachte materiellrechtliche Ansprüche abzusprechen. Da die klagende Partei ihre Ansprüche - und nicht nur die Zuständigkeit - ausdrücklich auf das OrgHG gestützt hat, erübrigt es sich auf die Ausführungen im Revisionsrekurs, der Beklagte sei bei Zufügung des Schadens in Vollziehung der Gesetze tätig geworden, einzugehen.
Gemäß § 8 Abs 1 OrgHG ist auf Rechtsstreitigkeiten, die Ersatzansprüche im Sinne des § 1 Abs. 1 OrgHG betreffen, das ASGG anzuwenden (§ 95 ASGG). Demgemäß ist über die vorliegende Klage in der in den §§ 10 ff ASGG vorgesehenen Gerichtsbesetzung zu verhandeln und zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.