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OGH vom 16.01.2007, 10ObS193/06i

OGH vom 16.01.2007, 10ObS193/06i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Canan Aytekin-Yildirim (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Natalia K*****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 67/06f-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 15 Cgs 183/05v-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist russische Staatsbürgerin. Sie lebt seit in Österreich. Seit ist sie mit Michael S*****, einem österreichischen Staatsbürger, mit dem sie im gleichen Haushalt lebt, verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn Maximilian wurde am geboren. Auch er ist österreichischer Staatsbürger und lebt mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt.

Ab war die Klägerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Wien in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt. Seit war sie in Mutterschutz und danach „bis laufend" in Karenz. Ihr Ehegatte ist seit bei der Vorbereitenden Kommission für die Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (im Folgenden: CTBTO [= comprehensive nuclear test ban treaty organization]) unselbständig tätig. Nach der Geburt ihres Sohnes Maximilian beantragte die Klägerin am Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld. Das zuständige Finanzamt erteilte ihr daraufhin - zumindest vorerst - Familienbeihilfe. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld wurde hingegen von der beklagten Partei mit Bescheid vom abgelehnt, weil einer Gewährung der [Art XV] Abschnitt 50 des Abkommens mit der CTBTO entgegenstehe:

Danach sind „die Angestellten der Kommission und deren im gemeinsamen Haushalt lebende Familienmitglieder, auf die sich das Abkommen bezieht, von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen ausgeschlossen, sofern diese Personen weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind". Die Klägerin als russische Staatsbürgerin erfülle diese Ausschlussvoraussetzungen, weil das Kinderbetreuungsgeld eine Leistung aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen darstelle und ihr Ehegatte bei der CTBTO beschäftigt sei.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß. Da sie seit Juli 1999 durchgehend in Österreich lebe und über einen Niederlassungsnachweis verfüge, habe sie unbegrenzten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und die Möglichkeit des unbefristeten Aufenthalts in Österreich. Bis habe sie Wochengeld bezogen und Familienbeihilfe zuerkannt erhalten. Ihren Anspruch auf Wochengeld habe sie durch eigene Erwerbstätigkeit erworben. Deshalb verfüge sie auch über einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung. Da der Ehegatte der Klägerin als Angestellter bei der CTBTO beschäftigt sei, die Klägerin russische Staatsbürgerin sei und mit ihrem Ehegatten in einem gemeinsamen Haushalt lebe, könne ihr gemäß [Art XV] Abschnitt 50 des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO kein Kinderbetreuungsgeld gewährt werden. Nach Auskunft des zuständigen Ministeriums sei die Familienbeihilfe nur „irrtümlich" gewährt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich wie folgt:

Dem Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld nach dem „grundsätzlich" anzuwendenden KBGG stehe als speziellere Norm der [Art XV] Abschnitt 50 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der CTBTO (BGBl III Nr 188/1999) entgegen. Nach [Art XII] Abschnitt 30 dieses Abkommens seien die Kommission und ihre Angestellten von der Anwendbarkeit aller Gesetze betreffend Sozialversicherung befreit. Der Ehegatte der Klägerin sei Angestellter der Kommission und die Klägerin als seine mit ihm lebende Ehefrau ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Familienmitglied. Da die Klägerin weder österreichische Staatsbürgerin noch eine in Österreich lebende Staatenlose sei, sondern die russische Staatsbürgerschaft besitze, sei sie nach [Art XV] Abschnitt 50 des Abkommens von den Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen, zu denen das beantragte Kinderbetreuungsgeld zähle, ausgeschlossen.

Auch ein eigener Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld aus eigenem Erwerb sei zu verneinen, weil der [Art XV] Abschnitt 50 des Staatsvertrages nicht unterscheide, ob der im gemeinsamen Haushalt lebende Familienangehörige eigenem Erwerb nachgehe oder nicht. Eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber anderen Eltern liege nicht vor, weil der Staatsvertrag zwar einerseits den Verlust von Leistungen vorsehe, andererseits aber zahlreiche Begünstigungen auch für Familienmitglieder von Angestellten der Kommission. Einer von der Klägerin angesprochenen „verfassungskonformen" Interpretation stehe der klare Wortlaut des Abkommens entgegen, der die speziellere Norm gegenüber den Regeln des KBGG sei. Ein Erfüllungsvorbehalt iSd Art 50 Abs 2 B-VG sei im Staatsvertrag nicht verankert. Die unmittelbare Anwendbarkeit bedürfe daher keines weiteren Aktes der staatlichen Gesetzgebung.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass die Beklagte schuldig sei, der Klägerin ab dem Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß (derzeit EUR 14,53 täglich) zu bezahlen; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. In Anwendung der Grundsätze materieller Derogation hielt es zunächst fest, dass das Abkommen der Republik Österreich mit der CTBTO im Jahr 1997 und das Kinderbetreungsgeldgesetz im Jahr 2001 im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden seien, wobei das genannte Abkommen bloß gesetzesändernden bzw gesetzesergänzenden Charakter habe, keine verfassungsändernden Bestimmungen enthalte, und in Österreich unmittelbar anwendbar sei. Die einander widersprechenden Regelungen stünden einander daher im Gesetzesrang gegenüber. Mit Inkrafttreten des KBGG sei eine neue Regelung eines gesamten Rechtsgebiets vollständig und abschließend beabsichtigt gewesen, weil nach dem Karenzgeld als „Entgelt-Ersatzleistung" ein Wandel dieser öffentlichen Leistung vorgenommen worden sei. Karenzgeld nach dem KGG sei aufgrund der Zugangsvoraussetzungen als Versicherungsleistung anzusehen, während die Leistung nach dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere der VO (EWG) 1408/71 über die soziale Sicherheit, bereits vor dem Inkrafttreten des KBGG als Familienleistung gemäß Art 4 Abs 1 lit h dieser VO zu qualifizieren gewesen sei. Das Kinderbetreuungsgeld sei (nun) als eine allgemeine Familienleistung konzipiert, auf welche alle Mütter und Väter für die in ihrem Haushalt betreuten Kinder Anspruch hätten. Als neue familienpolitische Leistung gebühre es unabhängig davon, ob vor der Geburt des Kindes eine Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sei, aufgrund der Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Das Kinderbetreuungsgeld sei daher an die Stelle des bisherigen Karenzgeldes getreten, welches eine Leistung der Arbeitslosenversicherung gewesen sei. Damit sollte das System des Lastenausgleiches zu einem Leistungsausgleich weiterentwickelt sowie die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten werden.

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO hätte die Klägerin aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses zur veterinärmedizinischen Universität - unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis ihres Ehegatten bei der CTBTO - jedenfalls einen Anspruch auf Gewährung von Karenzgeld nach der alten Rechtslage gehabt: Art XV des Abkommens regle die Privilegien und Immunitäten der Angestellten der Kommission. Dieser Artikel sehe unter anderem im Abschnitt 46 den Zugang von Ehegatten zum Arbeitsmarkt (in einer bevorzugten Art und Weise in Übereinstimmung mit den in Annex IV umrissenen Verfahren) und in Abschnitt 50 den Ausschluss von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen vor. Wenn Ehegatten nach Abschnitt 46 des Abkommens eine gewinnbringende Beschäftigung ausübten, erstreckten sich die Privilegien und Immunitäten nach dieser Bestimmung ausdrücklich nicht auf diese Tätigkeit. Solche Personen unterlägen daher auch nicht dem Ausschluss von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, weil die Regelung in Abschnitt 50 anderenfalls dem Abschnitt 46 des Abkommens zuwiderlaufen würde. Grundsätzlich erfolge die Finanzierung des Kinderbetreuungsgeldes zur Gänze aus den Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF). Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO am seien solche Leistungen nach dem FLAG idF BGBl I 1997/14 (vgl insbesondere die §§ 39 ff FLAG, Aufbringung der Mittel) beispielsweise die Familienbeihilfe (§§ 39 Abs 2, 22 Abs 1 FLAG), unentgeltliche Schulbücher (§ 31 FLAG) oder die gesetzliche Unfallversicherung der Schüler und Studenten (§ 39a Abs 1 FLAG) gewesen. Anders als das Kinderbetreuungsgeld habe das Karenzgeld selbst aber gerade nicht zu den Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe gezählt: Gemäß § 52 Abs 2 KGG seien nämlich lediglich die Aufwendungen für die Zuschüsse zum Karenzgeld oder zur Teilzeitbeihilfe teilweise aus den Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen bezahlt worden. Bei einem Anspruch der Klägerin auf Karenzgeld nach dem KGG hätte es sich daher nicht um eine Leistung aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, sondern um eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung aufgrund der Tätigkeit der Klägerin gehandelt. Die Mittel des Ausgleichsfonds seien zweckgebunden für den Aufwand an den nach dem FLAG vorgesehenen Leistungen und ausschließlich durch Beiträge der Dienstgeber aufgebracht worden.

Unter Zugrundelegung dieser Rechtslage komme dem Vorbringen der Klägerin, dass der Zweck des Abschnitts 50 des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO nicht darin gelegen sei, Personen mit originär erworbenen Ansprüchen von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen auszuschließen, sondern dem Umstand entgegenzuwirken, dass nichtösterreichische Angestellte der Kommission allein wegen ihrer Tätigkeit für die Kommission oder nichtösterreichische Familienangehörige von Angestellten der Kommission ausschließlich wegen dieser Angehörigeneigenschaft und der damit verbundenen aufenthaltsrechtlichen Privilegien, einen Anspruch auf solche Leistungen erwerben, Berechtigung zu.

Zu beachten sei überdies der in [Art XIX] Abschnitt 61 lit a des Abkommens normierte Interpretationsgrundsatz, wonach die Auslegung des Abkommens im Licht seines vorrangigen Zwecks zu erfolgen habe, der darin bestehe, die Kommission in die Lage zu versetzen, an ihrem Amtssitz in der Republik Österreich die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Das Ziel dieses Abkommens habe darin bestanden, alle rechtlichen Fragen zu regeln, welche sich aus der Tatsache ergeben, dass sich der Amtssitz der CTBTO in Wien befinde. Die Einräumung von Vorrechten und Befreiungen diene vorwiegend der Sicherung der Unabhängigkeit der Organisation.

Vor diesem Hintergrund sei der Ausschluss von Angestellten der Kommission und deren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder von Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe oder einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen gemäß [Art XV] Abschnitt 50 des Abkommens zu verstehen. Die Kommission entrichte nämlich nach Abschnitt 25h (des Art X „Steuerfreiheit") des Abkommens weder den Dienstgeberbeitrag zum FLAF noch an eine Einrichtung mit gleichartiger Funktion. Eine Einrichtung mit gleichartiger Funktion habe es im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens soweit überschaubar nicht gegeben (ein dahingehendes Vorbringen der Parteien sei nicht erstattet worden). Zwar habe man durch die Anführung einer solchen Einrichtung bereits damals eine allfällige Rechtsänderung im Familienlastenausgleichgesetz mitumfassen wollen; dies stehe der Annahme einer materiellen Derogation aber nicht entgegen, weil es sich zum einen beim Kinderbetreuungsgeld um eine Leistung aus dem FLAF und nicht aus einer Einrichtung mit gleichartigen Funktionen handle, und zum anderen gerade durch das KBGG - wie ausgeführt - das System des Lastenausgleichs zu einem Leistungsausgleich weiterentwickelt worden sei. Dem [Art XV] Abschnitt 50 sei daher durch das Inkrafttreten des KBGG materiell derogiert worden, weshalb zur Beurteilung des Anspruches der Klägerin allein die Normen des KBGG anzuwenden seien. Die Beklagte habe ihr bestreitendes Vorbringen ausschließlich auf die Anwendbarkeit des [Art XV] Abschnitt 50 des Abkommens gestützt, im Übrigen aber kein substantiiertes Bestreitungsvorbringen gegen einen Anspruch der Klägerin nach dem KBGG, das auf Geburten nach dem zweifellos anwendbar sei, erstattet. Demnach habe ein Elternteil für sein Kind Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn er für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe habe, mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebe und ein maßgeblicher Grenzbetrag der Einkünfte des Elternteils im Kalenderjahr EUR 14.600 nicht übersteige. Die Klägerin, die keine österreichische Staatsbürgerin sei, habe nach den Feststellungen Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 3 Abs 1 FLAG idF BGBl I 142/2004. Da sie sich nach den §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalte, wären auch die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 FLAG idF BGBl I 100/2005, der ab in Kraft stehe, erfüllt.

Der Anspruch der Klägerin sei auch bei Anwendung des § 2 Abs 2 Z 1 KBGG idF BGBl I 2003/58, auf den sich die Berufungswerberin im Hinblick auf die Erfüllung der Anwartschaft nach § 3 iVm § 4 KGG berufe, zu bejahen. Diese Bestimmung sei erst mit außer Kraft getreten (§ 49 Abs 9 KBGG) und auf den vorliegenden Sachverhalt daher anzuwenden. Die Klägerin sei nämlich nach den unbekämpften Feststellungen innerhalb der letzten 24 Monate vor dem Tag der Geltendmachung des Anspruchs () insgesamt mehr als 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig als Angestellte beschäftigt gewesen (§ 3 Abs 1 KGG).

Ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe daher auch dann, wenn kein Anspruch auf Familienbeihilfe gegeben sein sollte (§ 2 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2003/58). Es bedürfe daher schon deshalb keiner weiteren Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Klägerin die Familienbeihilfe „irrtümlich" zuerkannt worden sei oder nicht. Abgesehen davon wäre diese Frage durch das Gericht als Vorfrage und ohne Bindung an das Ergebnis des verwaltungsrechtlichen Verfahrens zu beurteilen; dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte nicht Partei im Verwaltungsverfahren sei.

Außerdem sei nach § 2 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2003/58 vom Erfordernis der Erfüllung der Anwartschaft gemäß § 2 Abs 2 Z 1 KBGG abzusehen, wenn unter anderem die Voraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 Z 2 bis 4 KGG idF BGBl I Nr 142/2000 erfüllt seien. Nach § 2 Abs 1 Z 2 KGG habe die Mutter Anspruch auf Karenzgeld gehabt, wenn sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebe und Wochengeld aus der Krankenversicherung nach dem KGG oder dem AlVG bezogen habe. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin habe sie Wochengeld bis bezogen, sodass ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld auch nach dieser Variante bestehe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil auch andere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der CTBTO bzw deren Angehörige mit einer vergleichbaren Problematik konfrontiert werden könnten, sodass der hier zu beurteilenden Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klageabweisenden Sinne zu ändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revision bestreitet das Vorliegen der Voraussetzungen einer materiellen Derogation. Es bestehe kein Widerspruch zwischen dem KBGG und der Ausschlussbestimmung des Abkommens. Letztere sei eine ergänzende Spezialnorm für einen bestimmten Personenkreis, die nicht durch spätere nationale Regelungen außer Kraft gesetzt werden könne. Eine Nichtanwendbarkeit der Ausschlussbestimmung des CTBTO-Abkommens und damit auch aller anderer vergleichbarer Abkommen durch das Inkrafttreten des KBGG sei vor allem in Hinblick auf die Auswirkungen auf sämtliche Familienleistungen des FLAF im Verhältnis zu allen Amtsabkommen und die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nachvollziehbar. Dessen Erkenntnisse vom , 91/13/0086 und vom , 83/13/14 zur Familienbeihilfe im Fall des IAEO- bzw OPEC-Abkommens seien auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar und stützten die Rechtsansicht, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld habe. Es sei nicht unsachlich, wenn im Amtssitzabkommen neben den Angestellten der Organisationen - unter Berücksichtigung der im CTBTO-Abkommen eingeräumten Privilegierungen - auch im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten der privilegierten Angestellten von der Familienbeihilfe und dem Kinderbetreuungsgeld als Hauptleistungen des FLAF ausgeschlossen würden. Personen, die im gemeinsamen Haushalt lebten, partizipierten nämlich regelmäßig von den wirtschaftlichen Vorteilen, die einem Mitglied der Haushaltsgemeinschaft zukämen. Es komme zu einer Entlastung des Haushaltsbudgets, sodass eine weitere Entlastung durch Familienleistungen aus dem FLAF dem Gesetzgeber nicht geboten erscheine (vgl ). Nicht entscheidend sei, ob die Klägerin bei einem österreichischen Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei, von ihrem Arbeitsentgelt entsprechende Abgaben entrichtet habe und daher nach alter Rechtslage Anspruch auf die (Arbeitslosen-)Versicherungsleistung Karenzgeld gehabt hätte. Der [Art XV] Abschnitt 50 des gegenständlichen Abkommens stelle auf diese Umstände nicht ab. Zur irrtümlichen Auszahlung der Familienbeihilfe führt die Beklagte noch aus, dass diese mit eingestellt worden sei und von der Finanzbehörde derzeit geprüft werde, ob von einer Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Familienbeihilfe aus Billigkeitsgründen abgesehen werde. Tatsache sei, dass die Klägerin in Österreich keinen Anspruch auf Familienbeihilfe habe. Insoweit sei auf die Entscheidung 10 ObS 65/06s zu verweisen, wonach es ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspreche, dass grundsätzlich eine Bindung der Gerichte an einen rechtskräftigen Bescheid der Verwaltungsbehörden bestehe; nur die Frage, wie weit die Rechtskraftswirkung eines Bescheides gehe, sei vom Gericht selbständig zu beurteilen, wobei sich die Bindung nur auf den Spruch über den Bescheidgegenstand und nicht (auch) auf dessen Begründung erstrecke. Eine Bindung der Gerichte an die auf einen bestimmten Sachverhalt gestützte Beurteilung der Rechtsfrage in Bescheiden der Verwaltungsbehörden liege nur dann nicht vor, wenn zwei verschiedene Entscheidungen über Rechte und Pflichten zu ergehen hätten, die von verschiedenen Behörden nach verschiedenen Gesichtspunkten zu fällen seien (9 ObA 22/01b).

Die Revisionsbeantwortung hält dem entgegen, dass sich das Recht der Klägerin auf Einreise, Aufenthalt und vollen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt unabhängig vom Abkommen bereits nach fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen durch die Tatsache ergebe, dass die Klägerin mit einem Österreicher verheiratet und Mutter ihres österreichischen Sohnes sei. Die Besonderheit des Sachverhaltes liege also darin, dass sowohl der Ehegatte der Klägerin als auch ihr gemeinsames Kind, für das Kinderbetreuungsgeld beansprucht werde, österreichische Staatsbürger seien, während die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes Personen betroffen hätten, die allesamt nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügten. Weil der Ehegatte der Klägerin als österreichischer Staatsbürger nach Art XV Abschnitt 50 des Abkommens trotz aller ihm und ihr aus dem Abkommen zukommenden Privilegien von Bezug von Familienleistungen ausdrücklich nicht ausgeschlossen sei, widerspreche ein die Person der Klägerin betreffender Ausschluss von Familienleistungen dem Zweck dieser Ausnahme. Gerade Angestellten der CTBTO mit österreichischer Staatsbürgerschaft und deren Familien sollte der Zugang zu Familienleistungen trotz ihrer Anstellung zur CTBTO ermöglicht werden. Der Zweck der Befreiung solcher Angestellten vom Ausschluss liege gerade darin, österreichische Staatsbürger und deren Familien durch die Gewährung von Familienleistungen zu entlasten; hier würde jedoch auch der österreichische Ehegatte - im Wege seiner familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung - entgegen dem Zweck des Art XV Abschnitt 50 des Abkommens durch die Aufbringung der zur Kinderbetreuung erforderlichen finanziellen Mittel unmittelbar belastet. Entgegen den Ausführungen der Beklagten sei es der Republik Österreich nicht verwehrt, Fremden - über das Amtssitzabkommen hinaus - einseitig lediglich die Republik Österreich verpflichtende Begünstigungen zu gewähren, Fremde im Hinblick auf Begünstigungen mit Inländern gleichzustellen und (wie in den Erläuterungen RV zum KBGG ausgeführt werde) universelle Familienleistungen zu schaffen. Sollte die Leistungsausschlussregelung des Abschnittes 50 des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO dennoch zur Anwendung kommen, werde die Klägerin dadurch in ihren nach dem BVG vom zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassistischer Diskriminierung (BGBl 390/1973) verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten verletzt. Als russische Staatsbürgerin und Familienangehörige eines österreichischen Angestellten der Kommission würde ihr dann nämlich das Kinderbetreuungsgeld trotz Vorliegens der Voraussetzungen für dessen Bezug nicht gewährt, während staatenlosen Angestellten der Kommission sowie staatenlosen Familienangehörigen von Angestellten der Kommission, die die sonstigen Voraussetzungen für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld erfüllten, ein solches gewährt würde. Die Klägerin und ihre Familie würde damit gegenüber diesen staatenlosen Personen diskriminiert. Es werde daher angeregt, Art XV Abschnitt 50 des Abkommens der Republik Österreich mit der CTBTO vom Verfassungsgerichtshof auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Die angesprochenen Rechtsfragen stellen sich jedoch gar nicht, weil der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld schon aus den vom Berufungsgericht zuletzt aufgezeigten Gründen zu bejahen ist:

Im - hier anzuwendenden (§ 49 Abs 9 KBGG) - § 2 Abs 2 Z 1 KBGG idF BGBl I 2003/58 war (noch) vorgesehen, dass auch jenen Eltern, die zwar keine Familienbeihilfe erhielten, die aber nach alter Rechtslage Anspruch auf Karenzgeld nach dem KGG gehabt hätten, Kinderbetreuungsgeld gebührt. Von dieser Bestimmung waren jene ausländischen StaatsbürgerInnen erfasst, welchen kein Anspruch auf Familienbeihilfe zustand. Hinsichtlich des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld blieben im Rahmen der zitierten Bestimmung die §§ 3 und 4 KGG über den hinaus (nach Inkrafttreten des KBGG) in Geltung (Ehmer/Lamplmayr/Mayr/Nöstlinger/Reiter/Stummer, KBGG, 54).

Davon ausgehend erfüllt die Klägerin die sog „große Anwartschaft" nach § 3 Abs 1 KGG, weil sie in den letzten 24 Monaten vor dem Tag der Geltendmachung des Anspruchs (das ist der ) mehr als 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig im Inland beschäftigt war (Ehmer ua, aaO 55). Bereits aus diesem Grund besteht ihr Anspruch gemäß § 2 Abs 2 Z 1 KBGG aF zu Recht. Außerdem wäre im vorliegenden Fall nach § 2 Abs 2 Satz 2 KBGG aF vom Erfordernis der Erfüllung dieser Anwartschaft abzusehen, weil die Klägerin mit ihrem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt und - unstrittig - Wochengeld bezog, sodass für sie (auch) die Voraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 KGG zutrifft (Ehmer ua, aaO 57 f). Maßgebend für das Entstehen ihres Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld sind also nicht allfällige Privilegien aufgrund der Tätigkeit ihres Ehegatten bei der CTBTO, sondern die eigene sozialversicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Wien. Daraus folgt aber auch, dass der im Abkommen der Republik Österreich mit der CTBTO, BGBl III Nr 188/1997 (im Folgenden: Abkommen) getroffenen, eingangs wiedergegebenen Regelung zum Ausschluss der in dieser Kommission Beschäftigten (und ihrer Angehörigen) mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft von Leistungen aus dem Ausgleichsfond für Familienbeihilfen (oder aus einer Einrichtung mit gleichartiger Funktion) hier keine Bedeutung zukommt; sie soll nämlich offenbar nur verhindern, dass der genannte Personenkreis, allein aufgrund einer bei der Kommission ausgeübten Tätigkeit und neben den damit verbundenen Privilegien, (auch noch) Ansprüche auf derartige Leistungen erwirbt:

Dieser Gesetzeszweck ist den ErläutRV zu Art XV Abschnitt 50 des Abkommens, wonach österreichische Angestellte und deren haushaltszugehörige österreichische Familienangehörige vom dort normierten Ausschluss „nicht betroffen sind und daher am System des österreichischen Familienlastenausgleichs teilnehmen können" (710 BlgNR 20 GP 49) eindeutig zu entnehmen. Aber auch aus den beiden Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom , 91/13/0086 und vom , 83/13/0014 (zu den Amtsitzabkommen der IAEO und der OPEC), auf die sich die Revisionswerberin beruft (die jedoch - wie bereits die Klägerin zutreffend aufzeigt - jeweils Personen betrafen, die nicht österreichische Staatsbürger waren), geht nichts anderes hervor; wird doch darin lediglich ausgesprochen, dass Personen, auf die sich diese Abkommen beziehen und die weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit ständigem Aufenthalt in Österreich sind, „mit Rücksicht auf ihre Privilegierung" als Angestellte dieser Organisationen keinen (weiteren) „Vorteil" aus den österreichischen Bestimmungen über die Familienbeihilfe und Geburtenbeihilfe ziehen sollen, wobei auch die Ehegatten der Angestellten zu diesem Personenkreis gehören. Das Berufungsgericht hat demnach im Ergebnis zutreffend erkannt, dass der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld vom Zweck des Ausschlusses nach Art XV Abschnitt 50 des Abkommens nicht erfasst wird. Sein Anwendungsbereich ist daher teleologisch zu reduzieren wie folgt:

Neben den österreichischen Angestellten der CTBTO und deren haushaltszugehörigen österreichischen Familienangehörigen können auch deren Ehegatten mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft jedenfalls dann am System des österreichischen Familienlastenausgleichs teilnehmen und sind daher von der zitierten Ausschlussbestimmung nicht betroffen, wenn sie (bereits) durch ihre eigene sozialversicherungspflichtige Tätigkeit in Österreich - wie die Klägerin - vom Abkommen unabhängige Ansprüche auf Leistungen aus dem Ausgleichsfond für Familienbeihilfen (oder aus einer Einrichtung mit gleichartiger Funktion) erworben haben.

Da der Revision schon aus diesem Grund ein Erfolg versagt bleiben muss, ist auf die im Rechtsmittel aufgeworfenen Fragen, denen - im Hinblick auf die hier noch maßgebende Rechtslage (vgl demgegenüber: § 2 Abs 1 KBGG igF) - keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt, nicht weiter einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.