OGH vom 26.01.2017, 9ObA121/16h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** B*****, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei L***** GmbH *****, vertreten durch Mairhofer Gradl, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert 750 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 44/16v9, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 11 Cga 4/16x5, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 335,64 EUR (darin enthalten 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Die tägliche Normalarbeitszeit liegt zwischen 7:00 Uhr und 16:00 Uhr. Am 9. und fanden bei der Beklagten von 6:00 Uhr bis 16:00 Uhr Betriebsratswahlen statt, bei denen der Kläger, der auch mit einer eigenen Liste kandidierte, als Wahlzeuge fungierte. Für diese beiden Tage wurde zwischen den Parteien eine Urlaubsvereinbarung geschlossen, damit der Kläger seine Tätigkeit als Wahlzeuge ausüben kann.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der für den 9. und getroffenen Urlaubsvereinbarung. Die Wahrnehmung einer Wahlzeugenfunktion bei einer Betriebsratswahl stelle einen wichtigen, die Person des Arbeitnehmers betreffenden Grund einer Leistungsverhinderung im Sinn des § 8 Abs 3 AngG dar. Er habe daher unter Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts vom Dienst fernbleiben können.
Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass kein Dienstverhinderungsgrund vorgelegen sei. Weder in der Betriebsratswahlordnung (BRWO) noch im ArbVG gebe es eine gesetzliche Grundlage für einen Freistellungsanspruch oder eine Entgeltfortzahlung für Wahlzeugen. Die Urlaubsvereinbarung sei daher wirksam.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Mitwirkung als Wahlzeuge sei als wichtiger, die Person des Arbeitnehmers betreffender Grund im Sinn des § 8 Abs 3 AngG anzusehen.
Der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Auch wenn die BRWO eine Dienstfreistellung mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur für den Wahlvorstand vorsehe, schließe das eine Anwendung des § 8 Abs 3 AngG auf Wahlzeugen nicht aus. Bei Auslegung dieser Bestimmung sei zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten aufgrund der Kollision mit anderen, höherrangigen Pflichten unzumutbar sei. Dabei sei das Interesse des Arbeitnehmers an der bezahlten Freistellung dem Interesse des Arbeitgebers an der Erbringung der Arbeitsleistung gegenüberzustellen und die jeweiligen Interessen gegeneinander abzuwägen. Den Interessen der gesamten Belegschaft am korrekten Ablauf der Betriebsratswahl komme aufgrund der zentralen Funktion des Betriebsrats ein hohes Gewicht zu. Der Kläger nehme bei seiner Tätigkeit als Wahlzeuge diese Interessen wahr. Demgegenüber habe die Beklagte ein besonderes Interesse an der Arbeitsleistung des Klägers für die beiden Wahltage nicht behauptet. Es sei daher von einem überwiegenden Interesse des Arbeitnehmers an der bezahlten Dienstfreistellung auszugehen.
Für Zeiträume, während denen ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe, könne der Urlaubsantritt nicht vereinbart werden, wenn diese Umstände bei Abschluss der Vereinbarung bekannt gewesen seien.
Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, da oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendung des § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB auf Wahlzeugen nicht bestehe und dieser Rechtsfrage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren in Abänderung der Vorentscheidungen abzuweisen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Nach § 23 BRWO ist jede Wählergruppe, deren Wahlvorschlag für die Betriebsratswahl zugelassen wurde, berechtigt, für jeden Wahlort höchstens zwei Wahlzeugen zu bezeichnen, denen das Recht zusteht, die Wahlhandlung zu beobachten. Als Wahlzeugen können außer wahlberechtigten Arbeitnehmern auch Vorstandsmitglieder oder Angestellte einer zuständigen freiwilligen Berufsvereinigung oder gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer namhaft gemacht werden.
Die Wahlzeugen haben die Aufgabe, die Wahlhandlung zu überwachen. Dieses Überwachungsrecht erstreckt sich auf die unmittelbaren Vorbereitungen vor der Stimmabgabe, die Stimmabgabe selbst und auf die Stimmenzählung (Löschnigg in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 56 Rz 9).
Die Bestellung von Wahlzeugen ist ein Recht der wahlwerbenden Gruppen, keine Verpflichtung. In der Literatur wird allerdings zu Recht darauf verwiesen, dass die Einrichtung von Wahlzeugen eng mit dem Gedanken der Betriebsdemokratie zusammenhängen. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass unnötige Streitigkeiten, die aus gegenseitigem Misstrauen entstehen könnten, vermieden werden. Wenn die Wahlzeugen auch in das Wahlverfahren selbst direkt nicht eingreifen dürfen, so wird durch ihre bloße Anwesenheit häufig erreicht, dass einerseits Unkorrektheiten von Seiten des Wahlvorstands, andererseits aber auch unbegründete Wahlanfechtungen durch wahlwerbende Gruppen, die im Wahlvorstand nicht vertreten sind, unterbleiben. Die Nichtzulassung ordnungsgemäß nominierter Wahlzeugen stellt einen Verfahrensfehler dar (vgl Jabornegg/Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl6, 166). Ihnen obliegt daher eine wesentliche Funktion bei der Sicherstellung der Gesetzmäßigkeit des Wahlvorgangs.
2. Weder das ArbVG noch die BRWO enthalten eine Bestimmung über einen Freistellungs- bzw Entgeltfortzahlungsanspruch von Wahlzeugen für die Zeit der Ausübung ihrer Tätigkeit. Eine derartige Regelung findet sich in § 55 Abs 1 ArbVG sowie § 13 Abs 4 BRWO nur für den Wahlvorstand, indem auf die sinngemäße Anwendung der §§ 115 und 116 ArbVG verwiesen wird. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich daraus jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass damit für andere Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl eine Dienstfreistellung bzw Entgeltfortzahlung jedenfalls ausgeschlossen ist. Durch die mit der Novelle BGBl Nr 394/1986 ins ArbVG aufgenommene Regelung erfolgte nur eine Klarstellung und damit Absicherung der Rechtsstellung der Mitglieder des Wahlvorstands. So verweist Löschnigg darauf, dass diese in der Stammfassung des ArbVG nur ansatzweise geregelt war, §§ 115 und 116 seien nur per analogiam zur Anwendung gekommen. Durch die Novellierung sei diese Unsicherheit bereinigt worden (Löschnigg in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 54 Rz 27). Die Materialien enthalten jedoch keinen Hinweis darauf, dass damit ein allfälliger Freistellungsanspruch auf den Wahlvorstand beschränkt und für andere Personen im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen ausgeschlossen werden sollte.
3. Zu prüfen ist daher, ob ein Entgeltfortzahlungsanspruch aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen besteht, da allgemein gilt, dass für Zeiten, während denen der Angestellte die Dienstleistung unterlässt, ohne dass ein Grund vorliegt, der nach dem Gesetz oder Kollektivvertrag einen Anspruch auf Weiterleistung begründet, kein Entgeltanspruch besteht (RIS-Justiz RS0027896).
Nach § 8 Abs 3 AngG besteht ein Anspruch auf Entgelt, wenn der Angestellte durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung seiner Dienste verhindert wird. Andere wichtige, die Person des Dienstnehmers betreffende Gründe sind nicht nur solche, die in der Person des Dienstnehmers entstanden sind, sondern auch solche, die ihn entweder durch ihre unmittelbare Einwirkung an der Dienstleistung hindern oder nach Recht, Sitte oder Herkommen wichtig genug erscheinen, um ihn davon abzuhalten (RIS-Justiz RS0027938). Die dadurch entstehende Kollision von Vertragspflichten mit einer höherwertigen Pflicht kann dann im Einzelfall das ansonsten pflichtwidrige Unterlassen der Dienstleistung rechtfertigen. Es hat daher eine Interessenabwägung stattzufinden, wobei die Interessen des Arbeitnehmers an der (bezahlten) Freistellung den Interessen des Arbeitgebers an der Erbringung der Arbeitsleistung gegenüberzustellen sind. Ein Dienstverhinderungsgrund liegt nur dann vor, wenn seitens des Arbeitnehmers ein so wichtiges Interesse vorliegt, das schwerer wiegt als der Nachteil, den der Arbeitgeber durch das Unterbleiben der Dienstleistung erleidet (Drs, Sonstige Dienstverhinderungsgründe, in Resch, Fragen der Lohnfortzahlungspflicht 42 f mwN; vgl RIS-Justiz RS0029446).
Neben familiären oder tatsächlichen Hinderungsgründen ist es anerkannt, dass eine Dienstverhinderung aus öffentlich-rechtlichen Pflichten ebenfalls unter § 8 Abs 3 AngG subsumiert werden kann. So wurde etwa in der Entscheidung 8 ObA 71/03d (zu § 1154b Abs 4 ABGB) die Tätigkeit als fachkundiger Laienrichter als ein solcher wichtiger Grund angesehen. Dabei wurde darauf verwiesen, dass auch wenn diese Tätigkeit das Einverständnis des Arbeitnehmers voraussetzt, eine Verpflichtung zur beruflichen Vertretung besteht, entsprechende Laienrichter zu wählen und die Zugehörigkeit zu der Berufsgruppe auch Wahlvoraussetzung sei. Die „Bereitschaft zur Übernahme“ könne daher nur die Auswahl zwischen den potenziellen Arbeitnehmern einschränken. Insgesamt bestehe aber zwingend das Erfordernis der Wahl von Laienrichtern aus dem Kreis der Arbeitnehmer.
Allgemein anerkannt ist auch, dass die Ausübung des Wahlrechts einen wichtigen Grund darstellt. Dabei wird in der Literatur ein Entgeltfortzahlungsanspruch bei allgemeinen Wahlen auch für Beisitzer und Wahlzeugen angenommen (Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 8 Rz 49; Melzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG9 Rz 200; Drs in ZellKomm2§ 8 AngG Rz 137), ungeachtet des Umstands, dass die Tätigkeit als Wahlzeuge eine freiwillige ist (vgl beispielsweise § 61 NRWO).
Floretta/Strasser(ArbVG Handkommentar, 331) bejahen für den Wahlzeugen zwar einen Anspruch auf Freizeit, nicht jedoch auf Fortzahlung des Entgelts. §§ 115, 116 ArbVG seien nicht analog anzuwenden. Auf § 8 Abs 3 AngG wird nicht eingegangen.
Dagegen vertritt Löschnigg in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 56 Rz 9, dass die Mitwirkung als Wahlzeuge jedenfalls einen wichtigen, die Person des Arbeitnehmers betreffenden Grund iSd § 1154b ABGB bzw des § 8 Abs 3 AngG darstellt. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Die Tätigkeit als Wahlzeuge bei einer Betriebsratswahl dient, wie eingangs dargelegt, den Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens und damit letztlich auch den betrieblichen Interessen am gesetzmäßigen Ablauf einer Betriebsratswahl und ist so wie die Tätigkeit des Wahlzeugen bei allgemeinen Wahlen für das Funktionieren einer demokratischen (Betriebs-)Gemeinschaft von essentieller Bedeutung. Sie stellt damit für den einzelnen Arbeitnehmer wenn auch keine Rechtspflicht, so doch eine so wesentliche gesellschaftliche Verpflichtung dar, dass vom Vorliegen eines Dienstverhinderungsgrundes im Sinn des § 8 Abs 3 AngG auszugehen ist. Daran ändert auch nichts, dass diese Funktion auch von Mitgliedern von Interessenvertretungen ausgeübt werden kann. Denn gerade die Möglichkeit der Teilnahme von Arbeitnehmern des Betriebs oder Mitgliedern wahlwerbender Gruppen wird in der Regel besonders geeignet sein, das Vertrauen in den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl zu bestärken und zur Akzeptanz des Ergebnisses beitragen.
Soweit die Beklagte damit argumentiert, dass ein derartiger Verhinderungsgrund bei der Teilnahme an einer Betriebsversammlung verneint wurde (9 ObA 347/89), haben schon die Vorinstanzen dargelegt, dass § 47 ArbVG ausdrücklich nur einen Anspruch auf Arbeitsfreistellung vorsieht und die Möglichkeit der Einräumung einer Entgeltfortzahlung einer Regelung in Kollektivverträgen bzw Betriebsvereinbarung vorbehält. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass keine Regelung zur Abgeltung eines allfälligen Verdienstentgangs im geltenden Recht besteht (RV 840 BlgNR 13. GP 73). Die Teilnahme an der Betriebsversammlung ist daher weder von der Sache noch von der Rechtslage mit dem vorliegenden Fall vergleichbar.
Die grundsätzliche Bejahung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für Wahlzeugen macht auch
– entgegen den Ausführungen in der Revision – § 55 ArbVG nicht überflüssig, da durch diese Regelung klargestellt wird, dass für die Tätigkeit als Wahlvorstand in jedem Fall ein Anspruch auf Dienstfreistellung und Entgeltfortzahlung besteht, unabhängig von den anderen Voraussetzungen, die nach § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b ABGB jeweils im Einzelfall zu prüfen sind.
4. Ausgehend von dem wichtigen Interesse des Klägers an der Tätigkeit als Wahlzeuge hat wie zuvor dargelegt eine Interessenabwägung mit den Interessen des Arbeitgebers an der Arbeitsleistung des Klägers zu erfolgen. Da diesbezüglich von der Beklagten kein Vorbringen erstattet wurde, ist von einem überwiegenden Interesse des Klägers auszugehen.
Der Kläger hat daher nach § 8 Abs 3 AngG einen Anspruch auf Freistellung gegen Entgeltfortzahlung.
5. Nach § 4 Abs 2 UrlG kann für Zeiträume, während der der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Entfall der Arbeitsleistung hat, ein Urlaubsantritt nicht vereinbart werden, wenn diese Umstände – wie im vorliegenden Fall unstrittig – bereits bei Abschluss der Vereinbarung bekannt waren. Geschieht dies dennoch, zählen die in die Zeiten der Arbeitsverhinderung fallenden Urlaubstage nicht auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch (RIS-Justiz RS0052347). Der Anspruch des Klägers, dass die beiden Tage, in denen er bei der Betriebsratswahl als Wahlzeuge tätig war, unabhängig von den Urlaubsvereinbarungen nicht auf seinen Urlaubsanspruch anzurechnen sind, besteht daher zu Recht. Der Revision war nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00121.16H.0126.000 |
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