OGH vom 10.04.2018, 11Os158/17w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen DI Michael B***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde, die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 31 Hv 63/17k-123, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die „Beschwerde“ werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche des Angeklagten von gleichartigen Vorwürfen enthält, wurde DI Michael B***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A) und Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (B) schuldig erkannt.
Danach hat er
(A) an einer unmündigen Person außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, und zwar
(1) im Sommer 1999 in W***** an der am geborenen M*****, indem er seine Hand unter ihre Pyjamahose führte und ihre Schamlippen betastete;
(2) vom Juli 2011 bis zum August 2014 in B***** an dem am geborenen T*****, indem er ihm in wiederholten Angriffen an den Penis fasste;
(B) mit einer minderjährigen Person, die seiner Erziehung oder Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und zwar
(1) an M***** durch das zu A 1 beschriebene Verhalten;
(2) an T***** durch das zu A 2 beschriebene Verhalten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8 sowie 9 lit a und lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Mit dem Vorbringen, im Urteil getroffene Feststellungen seien in einem bestimmten Sinn zu verstehen, wird Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) gerade nicht behauptet.
Seine die Schuldsprüche A 2 und B 2 tragenden Feststellungen zum äußeren Tathergang stützte das Schöffengericht weder allein auf Aussagen des tatbetroffenen Zeugen T***** noch auf das zur Beurteilung dessen Aussagefähigkeit und -verlässlichkeit eingeholte Gutachten einer Sachverständigen aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychologie. Es leitete sie vielmehr
– vom Beschwerdeführer prozessordnungswidrig missachtet (RIS-Justiz RS0119370) – (schon) aus der insoweit (tatsachen-)geständigen Verantwortung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren im Zusammenhalt mit (vom Gericht als glaubhaft erachteten) Angaben der Zeugin M***** ab (US 9 f).
Die Mängelrüge wendet sich isoliert gegen die Überzeugungskraft der Aussage des Knaben, indem sie behauptet, die Tatrichter hätten sich mit bestimmten im Gutachten erwähnten Umständen, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprächen („gute Erfindungskompetenz“, „erheblicher Suggestionsprozess“; „Belastungsmotivation seitens der Kindesmutter“), „nicht auseinandergesetzt“ (Z 5 zweiter Fall). Weder aber handelt es sich bei der Glaubwürdigkeit des Zeugen um eine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0106588 [insbesondere T 10, T 12, T 15]) noch erblickte das Erstgericht – angesichts des oben Gesagten – darin erkennbar eine notwendige Bedingung für die Feststellung einer solchen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410). Damit verfehlt die Rüge (schon) den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung.
Gleiches gilt für den weiteren (ebenso gegen die Annahme von Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage T***** gerichteten) Einwand, die Sachverständige werde mit der Urteilspassage aktenwidrig (Z 5 letzter Fall) zitiert, „die Angaben über das kurze Greifen gegen den Penis des Knaben“ würden „nach ihrer Sachverständigensicht den Tatsachen entsprechen“ (US 10).
Im Übrigen hat gerade das Kalkül der Sachverständigen, die Schilderungen des T***** zu diesen (den Schuldsprüchen A 2 und B 2 zugrunde liegenden) Berührungen seines Penis würden über „ausreichende Realkennzeichen“ verfügen, andere seiner Aussagen hingegen nicht (ON 117 S 11 iVm ON 91), das Erstgericht dazu veranlasst, den – durch keine sonstigen Beweismittel gestützten – weiteren belastenden Depositionen dieses Zeugen keinen Glauben zu schenken (US 10 iVm 12 f).
In der Anklageschrift wurde dem Beschwerdeführer eine gleichartige Verbrechensmenge (RIS-Justiz RS0119552) – „regelmäßige“ Angriffe in Richtung § 207 Abs 1 und § 212 Abs 1 Z 2 StGB durch Berührung des Penis des unmündigen T***** während der Lebensgemeinschaft des Angeklagten mit der Mutter des Genannten – angelastet (ON 98, dort Fakten B I 3 und B IV). Die von den Schuldsprüchen A 2 und B 2 (als ebensolche gleichartige Verbrechensmenge) erfassten Sachverhalte finden in diesem Prozessgegenstand jedenfalls Deckung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502 ff, insbesondere Rz 509 und 520). Indem das Schöffengericht dabei nur solche Übergriffe als erwiesen annahm, die im Zuge eines (wenngleich in der Anklageschrift nicht erwähnten) „Spiels“ namens „Penisfangen“ stattfanden (US 8), überschritt es daher
– entgegen dem Beschwerdevorwurf (Z 8) – keineswegs die Anklage (vgl Wiederin, WK-StPO § 4 Rz 86; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 507).
Zum subjektiven Handlungselement stellte das Schöffengericht fest, bei dem von den Schuldsprüchen A 1 und B 1 (betreffend M*****) erfassten Verhalten sei es das „alleinige Ziel“ des Angeklagten gewesen, eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorzunehmen (US 7). Zu den Schuldsprüchen A 2 und B 2 (betreffend T*****) seien ihm die entsprechenden Tatumstände „vollinhaltlich bewusst“ gewesen (US 8); ebenso „vollinhaltlich bewusst“ seien ihm jeweils jene (im angefochtenen Urteil konstatierten) Umstände gewesen, die die Begehung dieser Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dem (jeweils) seiner Aufsicht unterstehenden Opfer ausmachten (US 7, 8).
Die Beschwerde (Z 9 lit a, nominell verfehlt auch Z 5 zweiter Fall) behauptet – der Sache nach – jeweils Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite. Sie versäumt es (bereits), aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen, weshalb die eine Formulierung („alleiniges Ziel“; vgl § 5 Abs 2 StGB) nicht die Wissens- und die andere („vollinhaltlich bewusst“; vgl § 5 Abs 3 StGB) nicht die Wollenskomponente (auch nur) bedingten Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) zum Ausdruck bringen sollte (dazu im Übrigen RIS-Justiz RS0089034, RS0088835 [T4]).
Der weitere, gegen die Schuldsprüche A 1 und B 1 gerichtete Einwand (Z 9 lit b, nominell verfehlt auch Z 5 zweiter Fall) beruht auf der Prämisse, „laut damaliger Rechtslage, die dem Angeklagten jedenfalls zu Gute“ komme, wäre Verjährung der Strafbarkeit insoweit „am “ eingetreten. Mangels konkreter Feststellung, dass eine der von den Schuldsprüchen A 2 und B 2 erfassten – eine allfällige Hemmung der Verjährungsfrist bewirkenden – Taten zu einem Zeitpunkt davor begangen worden sei (vgl US 8: „zwischen Juli 2011 und August 2014“), hätte daher in jenem Umfang „ein Freispruch erfolgen müssen“. Die behauptete rechtliche Konsequenz, die Verjährungsfrage sei „jedenfalls“ nach „damaliger Rechtslage“ zu beurteilen, entbehrt freilich
– abermals – der methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565).
Im Übrigen sei hinzugefügt: Bei der hier aktuellen Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 207 Abs 1 StGB) betrug die Verjährungsfrist sowohl nach der zur Tatzeit als auch nach der zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz geltenden Normenlage fünf Jahre (§ 57 Abs 3 StGB). Nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der zur Tatzeit (Sommer 1999 – Schuldsprüche A 1 und B 1) geltenden Fassung BGBl I 1998/153 wurde die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung (ua) nach §§ 207 und 212 StGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet (maW begann die Frist bis zum Eintritt der Volljährigkeit des zur Tatzeit minderjährigen Opfers nicht zu laufen [Anlaufhemmung; Marek in WK2 StGB § 58 Rz 3]). Ihre Volljährigkeit hat die zur Tatzeit minderjährige M***** mit Ablauf (§ 68 StGB; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 68 Rz 6) des erreicht, sodass die Verjährungsfrist – bei Weitergeltung der Tatzeitfassung – mit abgelaufen wäre. Schon mit BGBl I 2009/40 (Inkrafttreten am ) aber wurde diese Bestimmung dahin geändert, dass die Zeit bis zur Erreichung (seit [BGBl I 2009/142]: Vollendung) des 28. Lebensjahres des Opfers einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (wenn das Opfer zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war) nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Die neu gefasste (und weiterhin geltende) Regelung war (und ist) auch auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden, sofern die Strafbarkeit – wie hier – zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen war (Art XIV Abs 2 2. GeSchG). Ihr 28. Lebensjahr aber hat M***** erst mit Ablauf des vollendet. Selbst ungeachtet neuerlich einschlägiger Tatbegehung (§ 58 Abs 2 StGB) und des inzwischen geführten Strafverfahrens (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) wäre die Verjährungsfrist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gar nicht abgelaufen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung und der (ebenfalls gegen das Urteil angemeldeten) „Beschwerde“ wegen dem Zuspruch (ON 122 S 21) folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00158.17W.0410.000 |
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