OGH vom 11.09.2019, 15Os85/19t (15Os86/19i)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. SetzHummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leitner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Igor S***** wegen des Verbrechens nach § 3g VG, AZ 612 Hv 5/18d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom und einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. SauterLongitsch, sowie des Vertreters der Medieninhaberin o***** GmbH Mag. Bauer, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 612 Hv 5/18d des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen
1./ das Unterbleiben der Ladung der Medieninhaberin zur Hauptverhandlung am § 41 Abs 6 erster Satz MedienG,
2./ die im Urteil vom selben Tag ohne Wahrung des rechtlichen Gehörs der Medieninhaberin angeordnete Einziehung (Löschung) § 6 StPO iVm § 41 Abs 1 und Abs 6 zweiter Satz MedienG.
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 612 Hv 5/18d-12, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch über die Einziehung (Löschung) aufgehoben, und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien verwiesen.
Text
Gründe:
Mit beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 612 Hv 5/18d eingebrachter Anklageschrift vom (ON 5) legte die Staatsanwaltschaft Wien Igor S***** zur Last, er habe am A***** W***** (in Z*****) sich auf andere als die in § 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er auf der für alle Nutzer einsehbaren Facebook-Seite von o***** mit Mediensitz in Wien einen Beitrag mit der Überschrift „26 % wollen einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss“ samt einem Link zum Artikel mit dem Titel „Jeder Vierte will starken Führer“ auf der Website o***** sowie dem Titelbild von Adolf Hitler mit erhobener rechter Hand wie folgt kommentierte: „An alle Hitler Hasser!!! Informiert euch mal über Stalins Verbrechen der Kommunismus hat 100 Millionen Menschen auf dem Gewissen im letzten Jahrhundert. Rothschild & Rockefeller die 2 größten Massenmörder und Verbrecher gegen Menschlichkeit kontrollieren seit denn 20er Jahren das internationale Banksystem, die Pharmaindustrie, Großkonzerne wie Big Pharma die eine internationale Impfpflicht einführen wollen, sind in so gut wie jedem Krieg Mitwirkende. Hitler ist ein Held meiner Ansicht nach, dem es darum ging Ostpreußen zurückzugewinnen was immer zu Deutschland gehörte. Ab da fing dann die kacke an zum dampfen. Hitler wollte sogar einen Krieg verhindern das ist ein Historischer Fakt an alle ungeschulten!!!“.
Gemäß § 33 Abs 1 MedienG beantragte die Staatsanwaltschaft die Löschung des im Anklagetenor zitierten Kommentars auf der Facebook-Seite von o***** (ON 5 S 3, S 7).
Der Vorsitzende des zuständigen Geschworenengerichts lud zur Hauptverhandlung am ua den Angeklagten und seinen Verteidiger, nicht jedoch die Medieninhaberin o***** GmbH (vgl ON 2 S 20; ON 8; ON 1 S 3 iVm ON 10). Die Medieninhaberin wurde über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Löschung nach § 33 Abs 1 MedienG weder informiert noch wurde ihr Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom wurde Igor S***** – aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen – von dem wider ihn mit Anklageschrift vom erhobenen Vorwurf in Richtung § 3g VG gemäß § 336 StPO freigesprochen (ON 11 S 15 f, ON 12). Im Urteil wurde jedoch nach § 33 Abs 1 MedienG die Löschung des vom Angeklagten auf der Facebook-Seite von o***** geposteten Kommentars angeordnet (ON 11 S 16, ON 12).
Die Staatsanwaltschaft erklärte zu diesem Urteil einen Rechtsmittelverzicht (ON 11 S 16).
In der schriftlichen Urteilsausfertigung verwies das Gericht hinsichtlich der angeordneten Löschung nach § 33 Abs 1 MedienG begründend darauf, dass der Kommentar des Igor S***** objektiv den Tatbestand nach § 3g VG erfülle und noch online abrufbar sei (ON 12 S 4).
Mit Note vom übermittelte der Vorsitzende des Geschworenengerichts der o***** GmbH eine Urteilsausfertigung mit Rechtskraftbestätigung zur Veranlassung der dort ausgesprochenen Löschung (ON 14).
Mit Schriftsatz vom gab die o***** GmbH bekannt, dass dem Auftrag zur Löschung per entsprochen worden und der inkriminierte Kommentar nicht mehr abrufbar sei (ON 15).
Das Vorgehen und die Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Wien über die Einziehung (Löschung) stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Kraft der ausdrücklichen Anordnung des § 41 Abs 6 erster Satz MedienG ist in Verfahren wegen eines – wie hier – Medieninhaltsdelikts (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) der Medieninhaber (§ 1 Abs 1 Z 8 MedienG) zur Hauptverhandlung zu laden. Er hat gemäß § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG die Rechte des Angeklagten (vgl § 48 Abs 1 Z 3 und Abs 2; § 49 StPO), demnach ua Anspruch auf Information und rechtliches Gehör (§ 6 StPO; vgl auch § 49 Z 1 und Z 4 StPO).
Indem die Medieninhaberin o***** GmbH (vgl § 1 Abs 1 Z 8 lit d MedienG; RIS-Justiz RS0125859 [T2]) nicht zur Hauptverhandlung geladen und ohne ihre Beiziehung zum Verfahren die – von der Staatsanwaltschaft beantragte – Einziehung (Löschung) nach § 33 Abs 1 MedienG angeordnet wurde, wurde nicht nur gegen die Verfahrensvorschrift des § 41 Abs 6 erster Satz MedienG verstoßen, sondern auch der Anspruch der Medieninhaberin auf rechtliches Gehör (§ 6 StPO iVm § 41 Abs 1 und Abs 6 zweiter Satz MedienG) verletzt (vgl 15 Os 81/10s).
Da sich diese Gesetzesverletzungen zum Nachteil der mit den Rechten des Angeklagten ausgestatteten Medieninhaberin ausgewirkt haben könnten, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung – wie im Spruch ersichtlich – mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO;§ 41 Abs 3 MedienG; RIS-Justiz RS0100271 [T12], RIS-Justiz RS0100318 [T6, T 7]).
Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass die bereits erfolgte Löschung des inkriminierten Kommentars die (neuerliche) Anordnung der Löschung nicht zu hindern vermag (vgl Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4§ 33 Rz 10 mwN).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00085.19T.0911.000 |
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