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VfGH vom 05.03.1996, B2674/94

VfGH vom 05.03.1996, B2674/94

Sammlungsnummer

14453

Leitsatz

Keine Verletzung der Rundfunkfreiheit durch Versagung der Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb eines Fernsehsenders auf dem Wiener Donauturm; Unzulässigkeit der Verbreitung von terrestrischem Fernsehen für andere Veranstalter als den ORF aufgrund Untätigkeit des Gesetzgebers; gänzliches Untätigbleiben des Gesetzgebers vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgreifbar; RundfunkG und RegionalradioG im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr - gestützt auf § 3 Fernmeldegesetz 1949, BGBl. 170/1949 idF BGBl. 49/1972, und auf ArtI des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, BGBl. 396/1974, (im folgenden: BVG-Rundfunk) - den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft ab, ihr eine Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb eines Fernsehsenders auf dem Wiener Donauturm zur Versorgung des Wiener Raumes zu erteilen. Nach ArtI Abs 1 und 2 BVG-Rundfunk sei die Errichtung und der Betrieb von Rundfunkanlagen nur bei Vorliegen eines Bundesgesetzes zulässig, das zu einer solchen Tätigkeit ermächtigt. Da ein derartiges Gesetz über einen Regionalfernsehrundfunk nicht bestehe, könne dem Antrag nicht stattgegeben werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Rundfunkfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie (alternativ) eine Rechtsverletzung wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesvorschriften behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Das bestehende Fernseh(sende)monopol verstoße - wie sich aus der Entscheidung des EGMR vom , Informationsverein Lentia u.a. gegen Österreich, Serie A, Nr. 276 (vgl. auch Medien und Recht 1993, 239 ff. und ÖJZ 1994, 32 ff.), ergebe - gegen Art 10 EMRK und sei daher verfassungswidrig. Da ein Gesetz, das zur Veranstaltung privaten Fernsehens ermächtige, nicht ergangen sei, greife der Bescheid gesetzlos in die Rundfunkfreiheit der beschwerdeführenden Gesellschaft ein; wollte man aber - im Sinne von VfSlg. 9909/1983 - annehmen, daß ein zur Veranstaltung von privatem Fernsehen ermächtigendes Gesetz Voraussetzung für eine Genehmigung sei, so seien jene Rechtsvorschriften konventions- und damit verfassungswidrig, die eine solche Ermächtigung bloß dem ORF bzw. bloß für Hörfunksendungen gewähren, also das Rundfunkgesetz (RFG), BGBl. 379/1984 idF BGBl. 505/1993, und das Regionalradiogesetz (RRG), BGBl. 506/1993.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheides verteidigt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Die österreichische Rundfunkverfassung wird - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G 1256-1264/95 vom zusammenfassend festgehalten hat - durch die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit in Art 10 EMRK und durch das BVG-Rundfunk konstituiert:

"Art10 Abs 1 EMRK garantiert als Bestandteil des Rechtes auf freie Meinungsäußerung auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen mit Hilfe von Rundfunk- einschließlich Fernsehrundfunkanlagen (individuelle Rundfunkfreiheit), doch schließt diese Gewährleistung es nicht aus, daß die Staaten Rundfunkunternehmungen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. Freilich müssen nach der Rechtsprechung des EGMR (siehe insbesondere seine Entscheidung Informationsverein Lentia u.a. gegen Österreich vom , Serie A, Nr. 276 (vgl. auch Medien und Recht 1993, 239 ff. und ÖJZ 1994, 32 ff.)) die Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens und die Versagungsgründe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.

ArtI des BVG-Rundfunk bestimmt zunächst, daß unter Rundfunk die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw. längs oder mittels eines Leiters sowie der Betrieb von technischen Einrichtungen, die diesem Zweck dienen, zu verstehen ist (Abs1).

...

In Abs 2 sieht ArtI des BVG-Rundfunk vor, daß die näheren Bestimmungen für den Rundfunk und seine Organisation bundesgesetzlich festzulegen sind. Ein solches Bundesgesetz hat insbesondere Bestimmungen zu enthalten, die die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind, gewährleisten."

Aufgrund dieser Verfassungsrechtslage hat der Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg. 9909/1983 den Standpunkt eingenommen, daß die Regelung des ArtI BVG-Rundfunk bewirkt, daß ein Gesetz nicht Schranke, sondern Bedingung der Zulässigkeit der Veranstaltung von Rundfunk ist, daß also Rundfunk nur aufgrund einer bundesgesetzlichen Ermächtigung betrieben werden darf. Im zitierten Erkenntnis vom hat er diese Auffassung mit subjektiv-historischen Argumenten bekräftigt. Er bleibt bei dieser Auffassung:

Der Wille des Verfassungsgesetzgebers war es, die Veranstaltung von Rundfunk einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen und den einfachen Gesetzgeber zu einer bestimmten Ausgestaltung zu verpflichten. Dies wird durch Art 10 Abs 1 EMRK ermöglicht; insoweit steht ArtI BVG-Rundfunk in der Bedeutung, die der Verfassungsgerichtshof dieser Bestimmung in den beiden zitierten Entscheidungen gegeben hat, in keinem Widerspruch zur konventionsrechtlichen Garantie der Rundfunkfreiheit. In ein Spannungsverhältnis zu dieser gelangt allenfalls erst die Untätigkeit des Gesetzgebers, doch verbietet es sich, den Gehalt der maßgeblichen rundfunkverfassungsrechtlichen Bestimmungen im Hinblick darauf in einen bloßen Eingriffsvorbehalt "umzudeuten".

b) Die notwendigen bundesgesetzlichen Ermächtigungen zur Veranstaltung von Rundfunk bestehen derzeit für die Veranstaltung von Hörfunk und Fernsehen durch den ORF in Form des RFG und für die Verbreitung von Hörfunkprogrammen auf terrestrischem Weg durch andere Programmveranstalter in Form des RRG. Für passiven und (nach dem Erkenntnis vom , G 1256-1264/95, ab auch für) aktiven Kabelrundfunk (in der Form von Hörfunk und Fernsehen) enthält die im Range eines Bundesgesetzes stehende (ArtI Abs 1 Z 7 des Bundesgesetzes BGBl. 267/1972) Rundfunkverordnung, BGBl. 333/1965 idF BGBl. 701/1995, eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung. Eine gesetzliche Ermächtigung für die Verbreitung von terrestrischem Fernsehen besteht - sieht man von der Ermächtigung an den ORF durch das RFG ab - derzeit nicht.

2. Aus dieser rechtlichen Situation ergibt sich - angesichts des oben (vgl. Pkt. II.1.a)) skizzierten Gehalts des ArtI Abs 1 und 2 BVG-Rundfunk - die rechtliche Unzulässigkeit der Veranstaltung von terrestrischem Fernsehen für andere Veranstalter als den ORF. Dies hält die beschwerdeführende Gesellschaft als in Widerspruch zu Art 10 EMRK stehend für verfassungswidrig.

Die Besonderheit der hier zu beurteilenden Situation liegt nun zum einen darin, daß das System, demzufolge für die Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen eine spezifische bundesgesetzliche Bewilligung oder Ermächtigung vorliegen muß, verfassungsrechtlich grundgelegt und damit einer Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen ist, und zum anderen darin, daß die Unzulässigkeit der Verbreitung von terrestrischem Fernsehen (für andere Veranstalter als den ORF) auf die Untätigkeit des Gesetzgebers zurückgeht.

Eine Untätigkeit des Gesetzgebers kann vom Verfassungsgerichtshof dann auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden, wenn es sich bloß um ein partielles Unterlassen handelt, wenn also ein Zusammenhang zu einer bestehenden Norm gegeben ist, der es erlaubt, diese als Bezugspunkt für die Auswirkungen anzusehen, die das gesetzgeberische Unterlassen nach sich zieht (vgl. Oberndorfer, EuGRZ 1988, 193 ff., hic: 196 f.; Holoubek, Rundfunkfreiheit und Rundfunkmonopol, 1990, 197 bis 201; beide mit Judikaturhinweisen).

Während in dem (mit Erkenntnis vom , G 1256-1264/95, entschiedenen) Fall des Kabelrundfunks die Veranstalter zu einer - freilich bloß sehr eingeschränkten - Veranstaltung von Kabelrundfunksendungen ermächtigt waren (und der Verfassungsgerichtshof daher durch Beseitigung der Einschränkung eine der Rundfunkfreiheit entsprechende Regelung auf diesem Gebiet bewirken konnte), ist die Veranstaltung von terrestrischem Fernsehen durch andere als den ORF gänzlich ausgeschlossen. Es liegt also kein bloß partielles Unterlassen, sondern eine gänzliche Untätigkeit des Gesetzgebers vor.

Die beschwerdeführende Gesellschaft sieht den Bezugspunkt für die behauptete Verfassungswidrigkeit im RFG und im RRG. Diese Gesetze ermächtigen den ORF und unter bestimmten Voraussetzungen regionale und lokale Hörfunkveranstalter zur Verbreitung von Rundfunk auf terrestrischem Wege. Mit diesen Regelungen ist aber weder die Intention verbunden, ein Verbot für Rundfunkdarbietungen durch andere Veranstalter auszusprechen, noch ist dies dem Gesetzgeber objektiv zusinnbar. Der Regelungsgehalt dieser beiden Gesetze besteht in der - konventionsrechtlich unbedenklichen - Ermächtigung zur Veranstaltung von Rundfunk durch den ORF bzw. zur Konzessionierung regionaler und lokaler Hörfunkveranstalter. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Tatsache, daß es ansonsten keine gesetzliche Ermächtigung zur Veranstaltung von terrestrischem Rundfunk gibt, die von der beschwerdeführenden Gesellschaft inkriminierte Folge der Unzulässigkeit der Erteilung von angestrebten Bewilligungen zur Errichtung und zum Betrieb einer Fernsehanlage hat; dies bewirkt aber nicht, daß ein solches Verbot normativer Gehalt dieser Gesetze wäre. Die belangte Behörde hatte daher bei Erlassung des bekämpften Bescheides weder Vorschriften des RFG noch solche des RRG anzuwenden, und auch für den Verfassungsgerichtshof sind sie in diesem Verfahren nicht präjudiziell.

Ein nicht bloß partielles Unterlassen, sondern ein gänzliches Untätigbleiben des Gesetzgebers kann jedoch vom Verfassungsgerichtshof nicht aufgegriffen werden: Weder Art 140 B-VG noch eine andere Bestimmung der Bundesverfassung ermächtigt den Gerichtshof, den Gesetzgeber zu einem Gesetzgebungsakt zu verpflichten. Sollte die in der Beschwerde angenommene Verfassungswidrigkeit der Unzulässigkeit der Veranstaltung terrestrischen Fernsehens durch andere Veranstalter als den ORF - eine Konsequenz, die sich möglicherweise aus der schon zitierten Entscheidung des EGMR Informationsverein Lentia u.a. gegen Österreich ergeben könnte - tatsächlich konventionswidrig sein, kann angesichts dieser Konstellation nur eine Entscheidung des EGMR Abhilfe bewirken; nur dieser ist daher zuständig, die Frage des Vorliegens einer solchen Konventionswidrigkeit mit verbindlicher Wirkung zu klären.

3. Der Beschwerde war daher der Erfolg versagt.