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OGH vom 17.10.1995, 10ObS190/95

OGH vom 17.10.1995, 10ObS190/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Robert Letz und Dr.Monika Angelberger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dkfm.Walter P*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Harald Ofner und Dr.Gabriela Kaiser, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Ruhens der Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 144/94-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cgs 2/94i-10 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Es wird festgestellt, daß ein Rückforderungsanspruch der beklagten Partei gegen den Kläger im Betrag von 86.321 S nicht zu Recht besteht.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen vierzehn Tagen die Alterspension für die Zeit vom bis nachzuzahlen.

Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die Alterspension auch ab weiterzuzahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 27.578,04 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin enthalten 4.596,34 S Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist weiter schuldig, dem Kläger die mit 7.605 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.267,50 S Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom wurde dem am geborenen Kläger die vorzeitige Alterspension gemäß § 130 GSVG zuerkannt. Ab befand sich der Kläger in Untersuchungshaft. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Jahren verurteilt; die Untersuchungshaft vom bis wurde auf diese Strafe angerechnet. Der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wurde nicht Folge gegeben. Das Strafurteil ist seit rechtskräftig.

Mit Bescheid vom sprach die beklagte Partei aus, daß der Leistungsanspruch des Klägers seit zur Gänze ruhe und ein Überbezug von 86.321 S zurückgefordert werde. Da der Kläger eine Freiheitsstrafe verbüße, sei spätestens ab gemäß § 58 GSVG das Ruhen der Pension eingetreten. Der Überbezug sei entstanden, weil der Kläger entgegen der ihn treffenden Verpflichtung die Verbüßung der Freiheitsstrafe nicht gemeldet habe, so daß auch ein Rückforderungstatbestand erfüllt sei.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zu verpflichten, die Pensionsleistung ungeachtet des Geschehens im Strafverfahren weiter zu erbringen und von einer Rückforderung Abstand zu nehmen. Die gesetzlichen Bestimmungen, die das Ruhen von Pensionsleistungen während der Zeit der Verbüßung einer Freiheitsstrafe vorsehen, seien menschenrechtswidrig und wären wegen des Eingriffes in das Eigentumsrecht mit der Verfassung nicht vereinbar. Das Ruhen sei mit dem von der beklagten Partei angenommenen Zeitpunkt nicht eingetreten, weil sich der Kläger damals nicht in Straf- sondern in Untersuchungshaft befunden habe.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage, wobei sie sich im wesentlichen auf die Bescheidbegründung stützte; aus einem Vergleich der Bestimmungen des § 58 Abs 1 Z 1 und § 58 Abs 6 GSVG ergeben sich, daß die Rechtskraft des Strafurteiles nicht Voraussetzung für den Eintritt des Ruhens sei.

Das Erstgericht wies mit Urteil vom das Begehren des Klägers, die beklagte Partei unbeschadet des Geschehens im Strafverfahren zu verpflichten, die Pension zu leisten, ab, sprach aus, daß der Leistungsanspruch des Klägers ab zur Gänze ruhe und verpflichtete den Kläger zur Rückzahlung eines Überbezuges von

86.321 S. Auszugehen sei davon, daß der Kläger eine Freiheitsstrafe verbüße, so daß die Voraussetzungen des § 58 GSVG für das Ruhen des Pensionsanspruches eingetreten seien. Da der Kläger diesen Umstand nicht gemeldet habe, seien auch die Voraussetzungen für die Rückforderung der seit dem Eintritt des Ruhens ausgezahlten Pensionsbeträge erfüllt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es erachtete die verfassungsrechtlichen Bedenken die der Kläger gegen die Regelung des § 58 GSVG ins Treffen führte, nicht für begründet und trat im übrigen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Nach § 58 Abs 1 GSVG (entspricht § 89 Abs 1 ASVG) ruhen die Leistungsansprüche 1. in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, solange der Anspruchsberechtigte oder sein Angehöriger (§ 123), für den die Leistung gewährt wird, eine Freiheitsstrafe verbüßt oder in den Fällen der §§ 21 Abs 2, 22 und 23 StGB in einer der dort genannten Anstalten angehalten wird; 2. in der Krankenversicherung überdies für die Dauer der Untersuchungshaft. Das Ruhen von Renten(Pensions)ansprüchen aus der Unfall bzw Pensionsversicherung nach Abs 1 tritt gemäß Abs 2 nicht ein, wenn die Freiheitsstrafe oder Anhaltung nicht länger als ein Monat währt.

Zur Frage, welche Auswirkungen es auf einen Renten(Pensions)anspruch hat, wenn eine Untersuchungshaft nachträglich auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird, war die Rechtsprechung nicht einheitlich (siehe dazu die Zusammenstellung der Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien als bis in Leistungsstreitsachen in letzter Instanz zuständigen Oberlandesgerichtes Wien in der Entscheidung 10 Ob S 24/95).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes stellt die Verhängung der Untersuchungshaft zwar in der Krankenversicherung einen Ruhensgrund dar (§ 58 Abs 1 Z 2 GSVG), nicht jedoch in der Pensionsversicherung.

Daß sich der Kläger im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz - infolge seiner noch nicht erledigten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Strafurteil - noch in Untersuchungshaft befand, ist unbestritten. Daran vermag auch die nachträgliche Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafhaft (§ 38 StGB) nichts zu ändern. Die Untersuchungshaft bildet nämlich auch dann keinen Ruhensgrund, wenn sie nachträglich auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird; in diesem Sinne haben sowohl das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung 16 R 164/66 vom , SVSlg 17.729 als auch der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 75/68 vom , SVSlg 17.730, ÖJZ 1968, 663 = EvBl 1968/422, zur gleichlautenden Bestimmung des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG erkannt.

Der - gegenteiligen - Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien 32 R 303/85 vom , SSV 25/159, wonach die Untersuchungshaft im Ausmaß der Anrechnung als Strafhaft zu werten ist, kann hingegen nicht gefolgt werden. Als Grundlage dieser Entscheidung wird die

599. BlgNR, 7.GP, 40, zu § 89 ASVG (welche Bestimmung in § 58 GSVG übernommen wurde) genannt, wonach "die Untersuchungshaft der Strafhaft hinsichtlich der Rentenansprüche nicht gleichgestellt wird, da sie bloß eine vorläufige Maßnahme darstellt und keinen Strafcharakter hat; es erschiene daher unbillig, Rentenzahlungen schon aus dem Grunde der Untersuchungshaft zu verweigern, doch wird eine solche im Falle der Verurteilung in dem Ausmaße, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet wird, selbst als Strafhaft zu werten sein."

Die Wertung, daß die U-Haft nachträglich durch die Anrechnung gemäß § 38 StGB zur Strafhaft wird, kann allerdings nicht übernommen werden. Schon aus der Gegenüberstellung der Z 1 und 2 des § 58 GSVG ergibt sich, daß die Leistungsansprüche in der Unfall- und in der Pensionsversicherung für die Dauer der Untersuchungshaft (und selbstverständlich auch der Verwahrungshaft) nicht ruhen.

Zu diesem Ergebnis kommt man übrigens auch, wenn man die Z 1 ohne Berücksichtigung der Z 2 auslegt. Verwahrungs- und Untersuchungshaft sind eben keine Freiheitsstrafen. Die Untersuchungshaft ist eine Maßnahme, die den im § 180 Abs 2 StPO bezeichneten Gefahren entgegenwirken soll (§ 184 leg cit). Nach der letztgenannten Gesetzesstelle dürfen den Untersuchungshäftlingen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und der darauf gegründeten Vorschriften nur jene Beschränkungen auferlegt werden, die der Erreichung der Haftzwecke oder der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten dienen. Gemäß § 186 StPO dürfen Untersuchungshäftlinge eigene Kleidung und Leibwäsche tragen, soweit sie über ordentliche Kleidungs- und Wäschestücke verfügen (Abs 2). Bequemlichkeiten und Beschäftigungen dürfen sich Untersuchungshäftlinge auf ihre Kosten verschaffen, insofern sie mit dem Zweck der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung des Hauses stören noch die Sicherheit gefährden. Sie haben das Recht, sich während der in der Tageseinteilung als Arbeitszeit oder Freizeit bestimmten Zeit selbst zu beschäftigen, soweit dadurch nicht die Haftzwecke oder die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet oder Mithäftlinge belästigt werden (Abs 4), Untersuchungshäftlinge sind zur Arbeit nicht verpflichtet (Abs 5).

Daß der Untersuchungshäftling zB für die während der Haft erlaubten Bequemlichkeiten, aber auch für die Kosten seiner Verteidigung während des Vorverfahrens, in der Hauptverhandlung und während des Rechtsmittelverfahrens Geldmittel zur Verfügung haben soll, sind gerechtfertigte Gründe, Leistungsansprüche aus der Unfall- und der Pensionsversicherung für die Dauer der Untersuchungshaft nicht ruhen zu lassen. Würden Renten und Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung schon für die Dauer der Untersuchungshaft ruhen, stünden sie Untersuchungshäftlingen auch nicht mehr zur Befriedigung von Forderungen Dritter zur Verfügung, etwa zur Schadensgutmachung, wodurch ihnen ein wichtiger Milderungsgrund verloren ginge. Der Untersuchungshäftling könnte seinen Anspruch auf Geldleistungen zu diesem Zweck auch mit Zustimmung des Versicherungsträgers nicht mehr übetragen oder verpfänden (§ 65 GSVG). Diese ohnehin nur beschränkt pfändbaren Forderungen könnten auch nicht mehr nach Maßgabe des § 291 a EO, ja nicht einmal zur Hereinbringung von Unterhaltsansprüchen nach Maßgabe des § 291 b leg cit gepfändet werden. (Allerdings würde den sich im Inland aufhaltenden Angehörigen des Versicherten, die im Falle seines Todes Anspruch auf Hinterbliebenenpension haben, nach § 58 Abs 5 ASVG eine Pension in der Höhe der halben ruhenden Pension gebühren).

Da es sich bei § 58 GSVG um eine Bestimmung handelt, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruches anordnet, verbietet sich eine ausdehnende Auslegung. Eine solche läge aber in der Berücksichtigung der in der RV zur Stammfassung des ASVG vertretenen Meinung, eine Untersuchungshaft wäre im Falle der Verurteilung in dem Ausmaß, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet werde, selbst als Strafhaft zu werten. Diese Auffassung der Materialien steht nicht nur mit deren Ausführungen in einem gewissen Widerspruch, daß die Untersuchungshaft der Strafhaft (Anhaltung) hinsichtlich der Rentenansprüche nicht gleichgestellt werde, da sie bloß eine vorläufige Maßnahme darstelle und keinen Strafcharakter habe, so daß es unbillig erschiene, Rentenzahlungen schon aus dem Grunde der Untersuchungshaft zu verweigern. Sie fand auch - wie schon dargelegt - im Wortlaut des § 58 GSVG keinen Niederschlag.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem die Anrechnung der Vorhaft auf die Freiheits- und Geldstrafen anordnenden § 38 StGB um eine strafrechtliche Bestimmung handelt, durch die die Dauer der zu verbüßenden Freiheitsstrafe oder die verhängte Geldstrafe vermindert wird. Ob die (auf eine unbedingte Freiheitsstrafe) angerechnete Vorhaft strafrechtlich zu einer Strafhaft wird, kann hier dahingestellt bleiben. Diese strafrechtliche Anrechnungsbestimmung hat aber keinerlei Auswirkung auf die Auslegung der Wortfolge "solange der Anspruchsberechtigte .... eine Freiheitsstrafe verbüßt" im § 58 Abs 1 Z 1 GSVG, bei der es sich um eine Norm des Sozialversicherungsrechtes handelt. Solange sich der Anspruchsberechtigte in Verwahrungs- oder in Untersuchungshaft befindet, verbüßt er keine Freiheitsstrafe.

Da sich der Kläger bis zum (Tag der Rechtskraft des Strafurteiles) unstrittig in Untersuchungshaft befand, ruhte seine Alterspension ab bis zu diesem Tag daher nicht. Das Begehren des Klägers erweist sich daher für diese Zeit als berechtigt. Damit fehlt auch eine Grundlage für den Rückforderungsanspruch.

Ab dem ist das Leistungsbegehren nicht berechtigt, weil der Anspruch auf Alterspension seither nach § 58 Abs 1 Z 1 GVG ruhte. Aus dem Akt ergibt sich, daß der Kläger am aus der Strafhaft entlassen wurde; da dieser Tag nach dem Schluß der Verhandlung erster Instanz liegt, war diese Tatsachenänderung bei der Entscheidung nicht zu berücksichtigen.

Die vom Kläger gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ruhensbestimmung des § 58 Abs 1 Z 1 GSVG vorgetragenen Bedenken vermögen nicht zu überzeugen. Es kann diesbezüglich auf die Begründung des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 48 ASGG). Es darf nicht übersehen werden, daß die Finanzierung der Pensionsleistungen nicht ausschließlich über Beiträge erfolgt, sondern zu einem maßgeblichen Teil aus öffentlichen Steuermitteln. Der Gesetzgeber überschreitet den ihm eingeräumten Gestaltungsraum nicht, wenn er für eine Zeit, für die für die Versorgung des Pensionisten während seiner Unterbringung in Strafhaft aus öffentlichen Mitteln in anderer Weise vorgesorgt wird, die Pensionsleistung sistiert. Für die Bedürfnisse der Angehörigen wurde in entsprechender Weise Vorsorge getroffen. Ein der Verfassung widersprechender Eingriff in das Eigentumsrecht ist bei dieser Sachlage nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 2 Z 1 lit a ASGG.