OGH vom 28.01.2014, 10ObS190/13h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 62/13d 30, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung können auch in Sozialrechtssachen angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat, im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn das Berufungsgericht wegen unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen hier liegt bereits ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor, der gemäß § 503 Z 2 ZPO bekämpfbar ist (vgl 1 Ob 69/08s mwN) oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat (vgl Klauser/Kodek , ZPO 17 § 503 E 36, 38 und 40 mwN).
2. Der Kläger macht in seiner Zulassungsbeschwerde eine angebliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz im Hinblick auf die vom Erstgericht unterlassene Erörterung des berufskundlichen Gutachtens geltend. Das Berufungsgericht hat zu diesem vom Kläger bereits in seiner Berufung gerügten Verfahrensmangel ausgeführt, es sei dem Verhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die vom Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren beantragte mündliche Erörterung des berufskundlichen Gutachtens unterblieben sei. Es sei aber eine Verlesung des berufskundlichen Gutachtens in der Verhandlung erfolgt, ohne dass sich der Kläger dagegen ausgesprochen oder neuerlich ausdrücklich eine Erörterung dieses Gutachtens beantragt habe. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens in diesem Zusammenhang verneinte das Berufungsgericht mit der Begründung, dass ein Teil der Rechtsprechung eine ausdrückliche Rüge der Unterlassung einer notwendigen Gutachtenserörterung nach § 196 Abs 1 ZPO verlange, welche hier jedoch unbestritten unterblieben ist. Darüber hinaus entspreche es der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 10 ObS 349/91 = RIS Justiz RS0085805), dass dann, wenn ein geladener Sachverständiger nicht zur Verhandlung erscheine und sich die Parteien mit der Verlesung des Gutachtens einverstanden erklärten, anzunehmen sei, dass es einer Gutachtenserörterung offenbar nicht bedürfe.
3. Der Kläger hält dieser Begründung in seiner Zulassungsbeschwerde im Wesentlichen entgegen, dass sich die Rügepflicht nach § 196 Abs 1 ZPO keinesfalls auf materielle Mängel, die die Sammlung des Prozessstoffs betreffen, beziehe und die von ihm beantragte und im sozialgerichtlichen Verfahren auch gesetzlich vorgesehene Gutachtenserörterung (vgl § 75 Abs 2 ASGG) in jedem Fall die Sammlung des Prozessstoffs betreffe und daher schon aus diesem Grund keiner Rüge nach § 196 Abs 1 ZPO bedürfe. Zu der rechtserheblichen Frage, ob das Unterlassen einer Gutachtenserörterung gerügt werden müsse, obwohl die Erörterung bereits beantragt worden sei, liege ebensowenig eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor wie zu der weiteren rechtserheblichen Frage, ob die unterlassene Gutachtenserörterung in einem sozialgerichtlichen Verfahren einen Verfahrensmangel darstelle, wenn eine Erörterung des Gutachtens ausdrücklich beantragt, einer Verlesung des Gutachtens in der Verhandlung jedoch nicht widersprochen worden sei. Im Hinblick auf diese beiden dargestellten Rechtsfragen sei die Revision entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig.
4. Diesen Ausführungen des Klägers ist zunächst insoweit zu folgen, als Mängel, die die Sammlung des Prozessstoffs betreffen, nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keiner Rüge iSd § 196 Abs 1 ZPO bedürfen, um mit einem Rechtsmittel geltend gemacht werden zu können (vgl 1 Ob 69/08s; 7 Ob 53/08g ua; RIS Justiz RS0037041; RS0037055; vgl auch Fucik in Rechberger , ZPO³ § 196 Rz 2 mwN; Pochmarski/Walcher , Zum Umfang der Rügelast nach § 196 ZPO, ÖJZ 2011/5, 18 [19 f] mwN ua). Die Ablehnung der Aufnahme angebotener Beweismittel gehört zu den sogenannten Stoffsammlungsmängeln. Das Berufungsgericht hat daher im Hinblick auf die dargelegte Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu Unrecht eine Verletzung der Rügepflicht durch den Kläger angenommen (vgl 7 Ob 53/08g; 4 Ob 26/07p ua).
4.1 Auch Stoffsammlungsmängel müssen aber gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO, um erheblich zu sein, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindern können. Dieser Mangel muss jedenfalls abstrakt geeignet sein, die Unrichtigkeit der Entscheidung herbeizuführen. Der Berufungswerber muss daher in seinem Rechtsmittel die Behauptung aufstellen, dass der geltend gemachte Verfahrensmangel wesentlich, also abstrakt geeignet ist, die Unrichtigkeit der Entscheidung herbeizuführen. Nur dann, wenn die Erheblichkeit des Mangels offenkundig ist, kann ausnahmsweise eine Darlegung der abstrakten Eignung des gerügten Gerichtsfehlers, die erschöpfende und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindert zu haben, unterbleiben. Der Berufungswerber muss also in der Berufung grundsätzlich behaupten, welche für die Entscheidung des Rechtsfalles relevanten Ergebnisse ohne den Mangel hätten erzielt werden können. Hingegen muss der Nachweis, dass im vorliegenden Fall die Unrichtigkeit der Entscheidung gerade auf diesen Mangel zurückzuführen ist, somit der der konkreten Verursachung nicht erbracht werden (vgl Pimmer in Fasching/Konecny ² § 496 Rz 34 ff mwN; Zechner in Fasching/Konecny ² § 503 Rz 123 mwN).
4.2 Der Kläger hat weder in seiner Berufung noch in seinen Ausführungen zur Zulassungsbeschwerde dargelegt, welche Fragen er noch an den berufskundlichen Sachverständigen zu stellen gehabt hätte und inwieweit durch eine mündliche Erörterung ein anderes Verfahrensergebnis herbeigeführt hätte werden können (vgl 10 ObS 370/02p). Er hat auch sonst nicht dargelegt, aus welchen Gründen die unterbliebene Erörterung des berufskundlichen Gutachtens geeignet gewesen wäre, eine unrichtige Entscheidung zu seinen Lasten herbeizuführen. Schon aus diesem Grund liegt der vom Kläger durch die unterlassene Erörterung des berufskundlichen Gutachtens geltend gemachte Verfahrensmangel somit nicht vor.
4.3 Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die vom Kläger ebenfalls als rechtserheblich angesehene Frage, ob die unterlassene Gutachtenserörterung in einem sozialgerichtlichen Verfahren auch dann einen Verfahrensmangel darstelle, wenn eine Erörterung des Gutachtens ausdrücklich beantragt, einer Verlesung des Gutachtens in der Verhandlung jedoch nicht widersprochen worden sei.
5. Der Kläger zeigt auch in seinen weiteren Revisionsausführungen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Eine vom Berufungsgericht verneinte angebliche Nichtigkeit des Ersturteils (§ 477 Abs 1 Z 9 ZPO) kann nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (vgl E. Kodek in Rechberger , ZPO³ § 503 Rz 2 mwN). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass auch in Sozialrechtssachen angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat, im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden können. Die Frage, ob weitere Beweise (hier: Parteienvernehmung des Klägers) aufzunehmen gewesen wären, betrifft grundsätzlich die nicht revisible Frage der Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Soweit der Kläger schließlich noch geltend macht, er könne die im Falle des Bestehens eines Berufsschutzes als Kfz Spengler noch in Betracht kommende Verweisungstätigkeit eines Kundendienstbetreuers in Kfz Karosseriebetrieben aufgrund seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls nicht mehr verrichten, bekämpft er ebenfalls in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen.
Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels Vorliegens einer für die Entscheidung wesentlichen Rechtsfrage iSd § 502 ZPO zurückzuweisen.