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VfGH vom 13.06.1995, B2652/94

VfGH vom 13.06.1995, B2652/94

Sammlungsnummer

14119

Leitsatz

Verletzung im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, durch die Feststellung des Nichtvorliegens eines Refoulement-Verbotes für den Beschwerdeführer hinsichtlich Ruanda mangels ausreichender Prüfung der vom Beschwerdeführer behaupteten, ihn im Falle seiner Abschiebung bedrohenden konkreten Gefahren

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist, soweit durch den angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Ruanda im Sinne des § 37 Abs 1 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992, bedroht sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ruanda, reiste nach eigenen Angaben am mit dem Flugzeug in das Bundesgebiet ein. Am selben Tage wurde er gemäß § 85 Abs 2 iVm. § 82 Abs 1 Z 3 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), festgenommen, weil er über kein gültiges Reisedokument verfügte. Mit Bescheid vom wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs 1 iVm. Abs 2 Z 7 FrG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen; zugleich wurde dessen Vollstreckung bis zum aufgeschoben. Mit Bescheid vom stellte die Bundespolizeidirektion Wien über Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 54 FrG fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß er in Ruanda iS des § 37 Abs 1 oder 2 FrG bedroht sei. Der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs 4 AVG bestätigt.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher beantragt wird, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder die Behandlung der Beschwerde gemäß Art 144 Abs 2 B-VG abzulehnen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Ruanda iS des § 37 Abs 1 FrG bedroht sei:

1. Indem die belangte Behörde der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid keine Folge gegeben und diesen Bescheid bestätigt hat, hat sie einen damit übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen (vgl. VfSlg 12670/1991, 12861/1991, ). Sie hat damit ausgesprochen, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Ruanda iS des § 37 Abs 1 oder 2 FrG bedroht sei. Insofern ist also auch die Erledigung des angefochtenen Bescheides teilbar. Da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde insoweit auch zulässig.

2. Das gemäß Art 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wird durch den Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates verletzt, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung desselben nicht wahrnimmt. Ein solcher verfassungswidriger Eingriff liegt aber auch vor, wenn ein Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind ( u.a. Zlen).

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus (vgl. VfSlg. 13314/1992, 13453/1993, , , B1774/93, , B2233/93), daß die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, daß der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (EGM , Soering, EuGRZ 1989, 314 ff. (319); , Cruz Varas u.a., EuGRZ 1991, 203 ff. (211); , Vilvarajah u. a., ÖJZ 1992, 309 ff. (309); vgl. auch die Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte , Memis, EuGRZ 1986, 324 ff. (325); , ÖJZ 1994, 57 ff. (58)).

§ 54 FrG sieht im Zusammenhang mit Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat ("Refoulement-Verbot") iS des § 37 Abs 1 FrG ein besonderes Verfahren vor (vgl. ). Ein Bescheid, mit dem gemäß § 54 FrG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 37 Abs 1 FrG in einen bestimmten Staat festgestellt wird, betrifft - im Gegensatz etwa zu einem Bescheid, mit dem die Erteilung eines Sichtvermerkes versagt wird (VfSlg. 11044/1986), zu einem Bescheid, mit dem einem Antrag auf Asylgewährung nicht stattgegeben wird (VfSlg. 13314/1992), oder zu einem Bescheid, mit dem ein Aufenthaltsverbot verhängt wird () - den Schutzbereich des Art 3 EMRK (, , B986/94 u.a. Zlen).

3. Der angefochtene Bescheid stützt sich insbesondere auf § 37 iVm. § 54 FrG. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (vgl. , , B1117/93, B1119/93, , B1774/93, , B1912/93, , B2233/93, , B986/94 u.a. Zlen).

4. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte dieser das gemäß Art 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nur verletzen, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde bei der nach § 54 iVm. § 37 Abs 1 FrG vorzunehmenden Prognose grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.

4.1. Die belangte Behörde stützt die Abweisung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung darauf, daß der Beschwerdeführer eine persönliche Bedrohung iS des § 37 FrG nicht darlegen konnte. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, die in Bürgerkriegshandlungen verwickelt sei, vermöge alleine nicht das Vorliegen von Gefahren iS des § 37 leg.cit. darzutun, da die Auswirkungen einer Bürgerkriegssituation für alle Angehörigen der jeweiligen Streitparteien im gleichen Ausmaß gegeben seien und daher keine konkrete persönliche Bedrohung des Beschwerdeführers darstellten. Verfolgungshandlungen, die gegen ihn persönlich gerichtet gewesen seien, habe der Beschwerdeführer aber nicht behauptet. Er habe selbst ausgeführt, an keinerlei Kampfhandlungen teilgenommen und in seinem Heimatland keiner politischen Partei angehört zu haben. Die bloße Behauptung des Beschwerdeführers, sein Vater sei Mitglied einer politischen Partei gewesen, sei ebenfalls nicht geeignet, eine persönliche Bedrohung iS des § 37 FrG glaubhaft zu machen. Abgesehen davon sei darauf hinzuweisen, daß sich der Beschwerdeführer im Laufe des fremdenpolizeilichen Verfahrens in Widersprüche verwickelt habe.

4.2. Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren beigebrachten Informationen betreffend die allgemeine politische und menschenrechtliche Lage in Ruanda gänzlich unberücksichtigt gelassen. In Ruanda herrsche nicht nur Bürgerkrieg, es finde vielmehr ein offensichtlich geplanter und organisierter Völkermord statt, in dessen Verlauf innerhalb weniger Wochen mindestens eine halbe Million Menschen, insbesondere Angehörige der Volksgruppe des Beschwerdeführers, getötet worden seien. Wenn die belangte Behörde vermeine, der Beschwerdeführer hätte Verfolgungshandlungen, die gegen ihn persönlich gerichtet gewesen seien, nicht behauptet, sei ihr entgegenzuhalten, daß bereits aufgrund des oben geschilderten Sachverhaltes für den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Ruanda die Gefahr bestehe, unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

4.3. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht:

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides insofern ein grober Verfahrensfehler unterlaufen ist, als sie ihre Entscheidung - der Begründung des angefochtenen Bescheides zufolge - ausschließlich auf das Vorbringen des Beschwerdeführers anläßlich seiner mündlichen Einvernahmen stützte. Sie hat es jedoch unterlassen, sich mit den vom Beschwerdeführer im fremdenpolizeilichen Verfahren, namentlich in seiner Berufung gegen das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot, auf welche er in seiner Berufung gegen den gemäß § 54 FrG ergangenen Bescheid verwies, detailliert genannten Quellen betreffend die politische und menschenrechtliche Lage in Ruanda auseinanderzusetzen oder ihrer Entscheidung andere geeignete Erkenntnisquellen zugrundezulegen, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer bei einer Abschiebung nach Ruanda konkret Gefahr liefe, dort iS des § 37 Abs 1 FrG bedroht zu sein (vgl. in ähnlichem Zusammenhang ). Ungeachtet dessen, daß das Vorliegen solcher konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen ist, ist für diese Beurteilung nämlich nicht unmaßgeblich, ob bislang gehäufte Verstöße der umschriebenen Art gegen Art 3 EMRK (vgl. Art 3 Abs 2 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl. 492/1987, wonach bei der Feststellung, ob stichhaltige Gründe für die Annahme drohender Folter vorliegen, auch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß im betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht) durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. u.a. Zlen).

4.4. Der Beschwerdeführer wurde daher durch die Feststellung des angefochtenen Bescheides, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Ruanda iS des § 37 Abs 1 FrG bedroht sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Der Bescheid war daher insoweit aufzuheben.

5. Der Kostenausspruch stützt sich auf § 88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 3.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

B. Zur Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Ruanda iS des § 37 Abs 2 FrG bedroht sei:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Nach den Beschwerdebehauptungen wäre die behauptete Rechtsverletzung (s. oben Pkt. I.2.) insoweit zum erheblichen Teil nur die Folge einer unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen tatsächlich berührt, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ( u.a. Zlen) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 VerfGG 1953).