VfGH vom 27.09.1986, B265/86

VfGH vom 27.09.1986, B265/86

Sammlungsnummer

10997

Leitsatz

BDG 1979 § 123 Abs 1; Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens - Bescheidcharakter dieses (letztinstanzlichen) Beschlusses; entgegen der in den §§58 Abs 2, 60 AVG 1950 festgelegten Begründungspflicht Unterlassen jeglicher rechtlichen Begründung für die Einleitung des Disziplinarverfahrens; diese krasse Mangelhaftigkeit (die nicht durch eine Begründung in der Gegenschrift nachgeholt werden kann) wiegt nicht weniger schwer als das Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt; Verletzung im Gleichheitsrecht

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 45, hat am 26. Feber 1986 in der Disziplinarsache gegen Revierinspektor F L, Beamter des Referates IV/b beim Landesgendarmeriekommando für NÖ, beschlossen, aufgrund der Disziplinaranzeige des Referates IV/b, die über das Landesgendarmeriekommando vorgelegt wurde, gemäß § 123 Abs 1 BDG 1979 das Disziplinarverfahren gegen den Genannten einzuleiten und die mündliche Verhandlung darüber anzuberaumen. Hiebei wurde festgestellt, der Genannte werde beschuldigt, seine Dienstpflichten hinsichtlich des § 44 Abs 1 BDG iVm. § 14 Abs 1 der Gendarmeriedienstinstruktion schuldhaft verletzt zu haben, weil er sich im Zuge eines dienstbehördlichen Ermittlungsverfahrens in einer Stellungnahme vom einer ungehörigen Schreibweise bedient habe.

In der Begründung dieses Einleitungsbeschlusses wurde wie folgt ausgeführt:

"Der Sachverhalt ergibt sich aus der Disziplinaranzeige des Referates IV/b des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich vom , GZ 6530/335-4/85, samt den dazugehörigen Beilagen.

RevInsp F L wurde mit LGK-Befehl vom , GZ 6221/944-2/84, mit Wirksamkeit vom von Amts wegen von der Verkehrsabteilung - Außenstelle Krems zum Referat IV/b versetzt.

Am legte der Beamte dem Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich eine schriftliche Bitte um Bezug des Trennungszuschusses vor. Am wurde ihm der Bescheid des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich vom , GZ 8114/102-5/85 (ONr 5), zugestellt, mit dem der Bezug des Trennungszuschusses auf die Dauer von 6 Monaten bewilligt wurde.

Gegen diesen Bescheid ergriff der Beschuldigte innerhalb offener Frist, am , das Rechtsmittel der Berufung (ONr 6). Die Berufung richtete sich gegen die Höhe der Fahrtauslagen.

Am wurde das Referat IV/b mittels LGK-Befehl, GZ 8114/102-5/85, aufgefordert, folgende Sachverhalte ergänzend zu erheben und RevInsp L Gelegenheit zu geben, zum Erhebungsergebnis Stellung zu nehmen.

'1. Ob RevInsp F L nur die in seiner Berufung angeführte Zugsverbindung - Abfahrt Bahnhof St Pölten 06.41 Uhr, Ankunft Wien Hütteldorf 07.19 Uhr und Abfahrt Wien Westbahnhof 17.00 Uhr, Ankunft Bahnhof St Pölten 17.41 Uhr - für seine Fahrten vom Wohnort zum Dienstort und zurück zur Verfügung steht.

2. Ob es aufgrund der Dienstplanung RevInsp L möglich ist, auch die nachstehend angeführten Zugsverbindungen zu benutzen:

Abfahrt Bahnhof St Pölten 05.48 Uhr oder 06.02 Uhr

Ankunft Wien Hütteldorf 06.29 Uhr 07.02 Uhr

---------------------------------------------------------------

Abfahrt Wien Hütteldorf 16.23 Uhr 17.15 Uhr 17.38 Uhr

Ankunft Bahnhof St Pölten 17.05 Uhr 17.59 Uhr 18.38 Uhr.

3. Seit wann RevInsp L seine derzeitige Eigentumswohnung in St Pölten, ..., besitzt bzw bewohnt.

4. Ob irgendwelche wirtschaftlichen, persönlichen oder familiären Gründe (zB Heimat- oder Beschäftigungsort der Frau, besonders günstige Wohnung usw.) für die Beibehaltung der Wohnung gegeben sind. Hiezu wird festgestellt, daß RevInsp L mit Bescheid vom , Zl 57.393/10-II/4/82, ein Vorschuß im normalen Ausmaß zum Ankauf eines Jugendzimmers gewährt worden ist. Der Beamte führte in seinem Ansuchen an, daß er die Nachbarwohnung dazugekauft hatte und dadurch seine Barmittel erschöpft seien.

5. Ob der Beamte überhaupt die Absicht hat, mit seiner Familie in den Dienstort zu übersiedeln und welche ernsthaften Schritte er dazu bisher unternommen hat.'

Am gab RevInsp L zu den einzelnen zu erhebenden Punkten die nachstehende Stellungnahme ab (ONr 8).

'zu Punkt 1

Bei genauerer Durchsicht des Einspruches wäre ersichtlich gewesen, daß die erste Fahrt um 06.20 Uhr stattfindet. Die letzte Fahrt ab Bahnhof zur Wohnung ist um 18.20 Uhr. Nur innerhalb dieser Zeiten ist es möglich, die Wohnung mittels öffentlichen Verkehrsmittel zu erreichen. Außerdem wäre es bei Einholung der Auskunft leicht möglich gewesen, die Abfahrts- sowie die Ankunftszeiten festzustellen.

zu Punkt 2

Kann keine Auskunft erteilt werden, da die Planung bzw die Diensteinteilung dem Referatsleiter obliegt.

zu Punkt 3

Hätte man im Grundbuch bzw bei der Standesführung hinsichtlich Wohnadresse nachgesehen, wäre die Fragestellung bezüglich Wohnadresse nicht erfolgt.

Außerdem habe ich seit der Aufnahme im Bundesdienst (1972) meine Wohnadresse nicht geändert.

Sie lautet daher St Pölten, ...

zu Punkt 4

Die im Punkt 4 angeführten Fragestellungen sind rein privater bzw persönlicher Natur und dazu wird von mir keine Stellungnahme abgegeben.

Es wurde mir unter Vorlage von Rechnungen und Kostenvoranschlägen vom Bundesministerium für Inneres ein Gehaltsvorschuß gewährt. Die Rückzahlung erfolgte pünktlich und die Laufzeit ist auf 48 Monate begrenzt worden. Von diesen 48 Monaten wurden in 36 Monaten derzeit ca 26.000,- Schilling zurückbezahlt.

zu Punkt 5

Bei genauerer Betrachtung meines Ansuchens über einen Trennungszuschuß mußte aufgefallen sein, daß vom Magistrat der Stadt Wien eine Bestätigung beiliegt, daß eine geeignete Wohnung nicht vorhanden sei.'

Mit LGK-Befehl vom , GZ 6530/361-2/85, (ONr 14, BlZl 21) wurde die Referatsgruppe IV angewiesen, gegen RevInsp L wegen ungehöriger Schreibweise die Disziplinaranzeige zu erstatten."

2. Gegen diesen Einleitungsbeschluß richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde des F L an den VfGH, in der dieser die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend macht, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

3. Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 45, erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Beschlüssen auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach dem BDG 1979 kommt Bescheidcharakter zu. Sie sind letztinstanzlich (VfSlg. 10086/1984). Die Beschwerde ist zulässig.

2. Eine Verletzung des vom Bf. geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH zB VfSlg. 9726/1983) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm. einem Ignorieren des Parteivorbringens (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung, 9600/1983).

3. Daß die von der bel. Beh. bei der Erlassung des angefochtenen Einleitungsbeschlusses angewendeten Rechtsvorschriften verfassungswidrig wären oder in verfassungswidriger Weise angewendet worden wären, behauptet der Bf. nicht. Solches ist im verfassungsgerichtlichen Verfahren auch nicht hervorgekommen.

Im Hinblick auf die in den §§58 Abs 2, 60 AVG 1950 festgelegte Begründungspflicht wäre die bel. Beh. gehalten gewesen, den Grund für die Einleitung des Disziplinarverfahrens in der Bescheidbegründung sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch in rechtlicher Hinsicht darzulegen. Während die bel. Beh. den dem Einleitungsbeschluß zugrunde liegenden Sachverhalt ausführlich darlegte, unterließ sie jede rechtliche Begründung, ja jede diesbezügliche Andeutung. Diese eben aufgezeigte krasse Mangelhaftigkeit der Bescheidbegründung kann nicht dadurch beseitigt werden, daß die bel. Beh. eine - allerdings unzulängliche - Begründung in der Gegenschrift nachholte.

Im Erk. VfSlg. 10057/1984 nahm der VfGH mit Beziehung auf seine Rechtsprechung unter dem Aspekt der Gleichheitsverletzung infolge Willkür der entscheidenden Behörde den Standpunkt ein, daß eine in die Verfassungssphäre reichende Mangelhaftigkeit dann vorliegt, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen kein Begründungswert zukommt. Nach Ansicht des Gerichtshofes, der auf diesem Standpunkt bleibt, gilt dies umsomehr im hier gegebenen Fall, in dem die Behörde den gesamten Bescheid, zwar unter Darstellung des Sachverhaltes, aber völlig ohne jede rechtliche Begründung erließ. Ein solcher Fehler wiegt nicht weniger schwer als das vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Gleichheitsgebot (zB VfSlg. 9660/1983) als gravierend gewertete Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt (VfGH 28. Feber 1986, B683/83).

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des Gleichheitsrechtes aufzuheben.