OGH vom 27.11.2014, 9ObA107/14x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** G*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, wegen 20.749,01 EUR sA, über den „Rekurs“ (richtig: Revisionsrekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Ra 31/14d 20, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 34 Cga 151/13a 15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.050,30 EUR (darin enthalten 175,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 1.259,64 EUR (darin enthalten 209,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin war von September 1979 bis im Rahmen eines öffentlich rechtlichen Dienstverhältnisses als Leiterin des Referates für Frauen und Gleichbehandlungsfragen (Frauenreferat) beim Land ***** beschäftigt. Aufgrund eines Regierungsbeschlusses vom wurde der beklagte Verein gegründet.
Gründungsmitglieder waren Landesrat Dr. P***** K***** und die Klägerin, die zur Geschäftsführerin des Vereins bestellt wurde. Nach den Vereinssatzungen besteht der Vorstand als Leitungsorgan aus mindestens drei und höchstens fünf Mitgliedern, und zwar der/dem Vorsitzenden, der Geschäftsführerin und weiteren ein bis drei Mitgliedern. Die/Der Vorsitzende des Vorstands ist das für Frauenangelegenheiten zuständige Mitglied der ***** Landesregierung. Die Mitglieder des Vorstands müssen keine Vereinsmitglieder sein. Der Verein verfolgt nach dem satzungsgemäßen Vereinszweck das Ziel, die Gleichstellung von Frauen und Männern flächendeckend zu fördern, zu verbessern und nachhaltig zu sichern.
§ 14 der Vereinsstatuten enthält unter dem Titel „Schiedsgericht“ nähere Bestimmungen über eine „Schlichtungseinrichtung“ im Sinne des Vereins-gesetzes 2002, die ausdrücklich kein Schiedsgericht nach den §§ 577 ff ZPO ist. Die Schlichtungseinrichtung entscheidet in allen aus dem Vereinsverhältnis entstehenden Streitigkeiten.
Am erklärte die Klägerin ihren Rücktritt als Geschäftsführerin.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten für die von ihr im Zeitraum August 2010 bis März 2011 ausgeübten Tätigkeiten im Rahmen eines Dienstverhältnisses ein angemessenes Entgelt in Höhe des Klagsbetrags.
Der beklagte Verein beantragte Klagsabweisung. Er bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und wendete mangelnde Klagbarkeit bzw Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Die Klägerin hätte ihren Anspruch zunächst vor die vereinsinterne Schlichtungsstelle bringen müssen.
Das Erstgericht wies nach abgesonderter Verhandlung den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs bzw der mangelnden Klagbarkeit der Klageforderung zurück. Die Klägerin mache Ansprüche aus einem selbständigen vertraglichen Schuldverhältnis geltend. Die nicht denknotwendig im Vereinsverhältnis wurzelnde Streitigkeit sei keine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis im Sinne des § 8 VerG.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss über Rekurs des Beklagten dahin ab, dass es der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs stattgab, das Verfahren für nichtig erklärte und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückwies. Im Gegensatz zum Erstgericht ging es davon aus, dass die Geschäftstätigkeit der Klägerin mit deren Vereinszugehörigkeit eng (untrennbar) verflochten sei. Die Anrufung der Schlichtungsstelle sei der Klägerin auch nicht unzumutbar gewesen. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete es ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO für zulässig.
Dagegen richtet sich der (unrichtig als „Rekurs“ bezeichnete) Revisionsrekurs der Klägerin, mit dem sie die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses anstrebt.
Der Beklagte beantragt in seiner (unrichtig als „Rekursbeantwortung“ bezeichneten) Revisionsrekurs-beantwortung , dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben, in eventu dieses zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
I. Der Revisionsrekurs ist aus folgenden Überlegungen zulässig:
Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt der „Vollrekurs“ gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO dann nicht in Betracht, wenn die Frage des Vorliegens eines bestimmten Prozesshindernisses bereits Gegenstand des erstgerichtlichen Verfahrens und der erstgerichtlichen Entscheidung war. In diesen Fällen wurde das Gericht zweiter Instanz, das sich mit dem Prozesshindernis befasst hat, funktionell als Rekursgericht tätig. Ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof unterliegt dann den Beschränkungen des § 528 ZPO (RIS-Justiz RS0043861 [T2]; RS0116348).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Richtigerweise hätte das Rekursgericht gemäß § 526 Abs 3 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO aussprechen müssen, ob der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist (vgl 2 Ob 105/11x ua). Dessen ungeachtet ist es aber nicht erforderlich, die Arbeitsrechtssache an das Rekursgericht zur Berichtigung bzw Ergänzung seiner Entscheidung zurückzustellen. Die Revisionsrekurswerberin wurde in ihren Rechtsmittel-möglichkeiten nicht beschränkt, weil sie Gelegenheit hatte, die von ihr als erheblich erachteten Rechtsfragen im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO zu bezeichnen (vgl 9 ObA 267/01g). Die Revisionsrekurswerberin zeigt auch eine erhebliche, die Zulässigkeit des Revisionsrekurses rechtfertigende Fehlbeurteilung der zweiten Instanz auf.
II. Der somit zulässige Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
1. Nach § 8 Abs 1 VerG 2002 haben die Statuten vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen. Wird eine Klage in einer Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis vor Ablauf von sechs Monaten seit Anrufung der vereinsinternen Schlichtungseinrichtung eingebracht, so steht ihr, sofern das Schlichtungsverfahren nicht früher beendet ist, das gemäß § 42 Abs 1 JN in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmende Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (RIS Justiz RS0122426).
2. Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis nach § 8 Abs 1 VerG sind nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs solche privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein oder Vereinsmitgliedern untereinander, die mit dem Vereinsverhältnis „im Zusammenhang stehen“ (6 Ob 219/04f; 4 Ob 73/09b; 7 Ob 172/11m ua), „typischerweise ohne Verbundenheit der Klägerin mit dem beklagten Verein nicht denkbar wären“ (5 Ob 60/05t; 4 Ob 73/09b; 7 Ob 172/11m ua) oder „in der Vereinsmitgliedschaft wurzeln“ (8 Ob 66/11f; 2 Ob 105/11x; 7 Ob 172/11m; RIS Justiz RS0122425). Trotz des grundsätzlich weiten Verständnisses des Begriffs der „Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis“ im Sinne des § 8 Abs 1 VerG 2002 (RIS Justiz RS0119982) sind aber nicht schlechthin alle privatrechtlichen Ansprüche eines Vereinsmitglieds gegen den Verein (und umgekehrt) oder ein anderes Vereinsmitglied erfasst. Beruht nämlich der verfolgte Anspruch auf einem selbständigen (im konkreten Fall vertraglich begründeten) Schuldverhältnis, für dessen Zustandekommen das Vereinsverhältnis nicht denknotwendige Voraussetzung ist, liegt seine Grundlage nicht im Vereinsverhältnis, sondern in dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrag (2 Ob 273/06w = EvBl 2008/34; 6 Ob 117/09p = RIS Justiz RS0122425 [T9]; 4 Ob 73/09b; 8 Ob 66/11f; 2 Ob 105/11x; 4 Ob 99/11d).
3. Für die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs sind ausschließlich die Klagsbehauptungen maßgeblich (2 Ob 105/11x; 4 Ob 99/11d; RIS Justiz RS0005896). Es kommt auf die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Ohne Einfluss ist es, was der Beklagte einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist (RIS Justiz RS0045584; 4 Ob 73/09b mwN).
4. Die Klägerin stützt nun ihre Ansprüche ausdrücklich auf ein angemessenes Entgelt gemäß § 1152 ABGB aus einem Dienstverhältnis gemäß § 1151 Abs 1 ABGB zum beklagten Verein. Sie stützt ihren Anspruch nicht auf ihre im Revisionsrekursverfahren von ihr bestrittene - Vereinsmitgliedschaft. Ihr geltend gemachter (arbeits )vertraglicher Anspruch wurzelt auch nicht denknotwendig in der Vereinszugehörigkeit, zumal nach § 12 Abs 2 der Statuten auch eine nicht dem Verein als Mitglied angehörige Person die Geschäftsführertätigkeit ausüben könnte. Sowohl der in der Revisionsrekursbeantwortung erhobene Einwand, die Klägerin habe ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausgeübt als auch die darin aufgezeigte Problematik des Insichgeschäfts (§ 6 Abs 4 VerG) sind für die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs ohne Bedeutung, werden aber im fortgesetzten Verfahren über den Grund des Anspruchs zu prüfen sein.
5. Die Entscheidung 6 Ob 280/08g, in der der Streit über die Berechtigung der von einem Kassier dem Verein in Rechnung gestellten Steuerberatungsleistungen als von § 8 Abs 1 VerG umfasste Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis angesehen wurde und auf die das Rekursgericht seine abändernde Entscheidung stützt, ist von seinem Sachverhalt her mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Maßgeblich für diese Entscheidung war, dass der dortige Kläger seine Leistungen nur unter der Bedingung und nur deshalb erbrachte, weil er in den Vorstand kooptiert wurde. Ein vergleichbarer enger Zusammenhang mit dem Vereinsverhältnis liegt nach den maßgebenden Klagsbehauptungen hier nicht vor. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 66/11f die Streitigkeit über die Rückzahlung eines von einem Vereinsmitglied (Sektionsleiter) dem Verein gewährten Darlehens nicht dem § 8 Abs 1 VerG unterstellt, weil der Darlehensvertrag in ähnlicher Form auch mit einem nicht dem Verein angehörenden, sondern nur an der Förderung seiner Zwecke interessierten Sponsor abgeschlossen werden hätte können.
6. Das vorliegende Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Schrifttum. So sprechen Höhne/Jöchl / Lummerstorfer (Das Recht der Vereine 4 , 110) davon, dass dann, wenn ein Mitglied des Leitungsorgans dem Verein mit einem gesonderten Vertrag (zB Dienstvertrag) verbunden sei, das Rechtsverhältnis dieses Organwalters in erster Linie durch diesen Vertrag bestimmt werde. Im Handbuch für Vereinsfunktionäre von Kossak/Hargassner (115 [FN 143] und 193) wird der Dienstvertrag sogar als klassische Ausnahme von § 8 Abs 1 VerG 2002 angesehen.
Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00107.14X.1127.000