OGH 22.08.2012, 9ObA107/11t
Rechtssatz
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Normen | AZG §19c KollV Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB §3 KollV Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB §4 |
RS0128165 | Legt der Arbeitgeber iSd § 3 der "Betriebsvereinbarung über die Verteilung Plan- und Ablöserschichten (Dummyschichten) innerhalb der Schichtenfolge" (ÖBB) für einen Arbeitnehmer mit dessen Akzeptanz im Schichtplan eine Ablöserschicht fest, ruft aber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bis 72 Stunden vor Beginn der Ablöserschicht nicht ab, so führt dies zu keinem Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgelt für Normalarbeitszeit, wenn der Entfall der Ablöserschicht dem Abbau eines Zeitguthabens diente und dadurch der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers für die Normalarbeitszeit nicht verringert wird. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** H*****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel, Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei ÖBB-Personenverkehr AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 454,64 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 46/11f-17, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 19 Cga 182/10b-13, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Begehren der klagenden Partei, die beklagte Partei sei ihm zur Zahlung von 454,64 EUR samt 8,38 % Zinsen seit verpflichtet, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 327,41 EUR (darin 54,57 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 225,07 EUR (darin 37,51 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit bei der Beklagten als Zugbegleiter für 40 Stunden pro Woche beschäftigt. Auf sein Arbeitsverhältnis finden der Kollektivvertrag zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB (idF: KV), die zwischen der Beklagten und ihrem Zentralbetriebsrat am abgeschlossene Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Plan- und Ablöserschichten (Dummy-Schichten) innerhalb der Schichtenfolge sowie die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) Anwendung.
Der Kläger war für den 10., 11., 12. und für Dummy-Schichten eingeteilt. Bei diesen handelt es sich um Ablöserschichten, mit denen die Mehr- und Minderleistungen der Mitarbeiter ausgeglichen werden sollen. Die genannte Betriebsvereinbarung beinhaltet dementsprechend als ausdrückliches Ziel, Planpersonal und Ablösepersonal in Schichtenfolgen zusammenzuführen, um eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit und damit eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiter sicherzustellen.
Eine Dummy-Schicht unterscheidet sich von einer Normalschicht dadurch, dass bei der Normalschicht eine konkrete Diensteinteilung mit einer für den Arbeitnehmer ersichtlichen konkreten Dienstverwendung vorliegt, während bei einer Dummy-Schicht der Arbeitnehmer zwar Dienstbeginn und -ende kennt, nicht aber, welche Arbeiten er zu verrichten haben wird. Für das Fahrpersonal werden Dummy-Schichten mit 6:40 Stunden im Durchrechnungszeitraum hinterlegt.
Die Planung der Dummy-Schichten erfolgt für einen Zeitraum von acht Wochen. 14 Tage vor Beginn des achtwöchigen Durchrechnungszeitraums erhalten die Arbeitnehmer einen Plan über ihre Verwendung. Wird der Arbeitnehmer während einer Dummy-Schicht zu einer Arbeitsleistung herangezogen und dauert diese länger als 6:40 Stunden, dann wird die Mehrleistung entsprechend abgegolten. Ohne die Dummy-Schichten käme ein Arbeitnehmer in einem Durchrechnungszeitraum von acht Wochen nicht auf die erforderlichen 40 Stunden pro Woche. Zeitguthaben oder Zeitschulden an Normalarbeitszeit können im Ausmaß von 24 Stunden einmalig in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen werden.
Arbeitnehmer, die zu einer Dummy-Schicht eingeteilt sind, müssen sich bis 72 Stunden vor dieser Schicht erkundigen, welche Arbeit sie auszuführen haben. Wenn es für den zur Dummy-Schicht eingeteilten Arbeitnehmer keine Arbeit gibt, weil niemand abzulösen ist, wird die Schicht „ausgelegt“, dh sie entfällt. Der Arbeitnehmer wird für die ausgelegte Dummy-Schicht nicht bezahlt. Eine Dummy-Schicht kann bis 72 Stunden vor Schichtbeginn ausgelegt werden. Wenn ein Arbeitnehmer an einem Tag, an dem er zu einer Dummy-Schicht eingeteilt ist, freihaben möchte, muss er Urlaub nehmen. Eine Arbeitsleistung, zu der der Arbeitnehmer in kürzerer als der dreitägigen Frist einberufen wird, wird als Überstundenleistung angesehen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bezahlung von 454,64 EUR brutto für die von ihr ohne seine Zustimmung ausgelegten Dummy-Schichten am 10., 11., 12. und . Bei einer Dummy-Schicht handle es sich um Arbeitszeit iSd § 19c AZG, weil sonst die Normalarbeitszeit verkürzt wäre. Für den Entfall der Normalarbeitszeit stehe ihm gemäß § 1155 ABGB ein Entgelt zu, weil er an diesen Tagen arbeitsbereit gewesen sei. Nach § 4 Z 3 und 4 KV iVm § 19c AZG sei eine einseitige Änderung der Lage der Normalarbeitszeit überdies nur ausnahmsweise zulässig, wofür die Voraussetzungen nicht vorlägen.
Die - im erstinstanzlichen Verfahren nicht iSd § 40 ASGG qualifiziert vertretene - Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass es sich bei einer Dummy-Schicht um keine Normalarbeitszeit iSd § 19c AZG handle, weil unter Normalarbeitszeiten nur jene Zeiten zu verstehen seien, in denen ein Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt werde. Auf den Kläger sei weder § 4 Z 4 KV anwendbar, weil er kein Springer oder Ablöser sei, noch § 4 Z 3 KV, weil dieser nur Regelungen für das planmäßig eingesetzte Personal zum Inhalt habe. Es sei ausschließlich die Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Plan- und Ablöseschichten maßgebend. Diese habe zum Ziel, die Mehr- und Minderleistungen der Arbeitnehmer auszugleichen, um eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit sicherzustellen und ordne deshalb an, dass bei der Gestaltung der Schichtenfolge des Fahrpersonals tunlichst Ablöserschichten (Dummy-Schichten) einzuplanen seien. Ein Ausgleich der Mehrleistungen sei nur durch die Auslegung von Dummy-Schichten möglich. Zeitguthaben und Zeitschulden könnten im Ausmaß von 24 Stunden einmalig in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen werden. Konkret sei dem Kläger ein Zeitguthaben im Ausmaß von 24 Stunden in den Durchrechnungszeitraum bis übertragen worden. Gemäß § 3 Z 2 KV gelte dieses Zeitguthaben als Normalarbeitszeit des nachfolgenden Durchrechnungszeitraums. Das Zeitguthaben sei der Anordnung der Betriebsvereinbarung folgend dergestalt ausgeglichen worden, als am Ende des Durchrechnungszeitraums ein Zeitguthaben des Klägers im Ausmaß von 0,4 Stunden bestanden habe. Die Vereinbarung einer Dummy-Schicht mit ihm sei daher gar nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte brachte zur Betriebsvereinbarung weiter vor, sie enthalte keine konkrete Festlegung der Normalarbeitszeit des Arbeitnehmers. Diese geschehe vielmehr dergestalt, dass dem jeweiligen Mitarbeiter zu Beginn eines Durchrechnungszeitraums eine Schichtenfolge - und somit eine konkrete Arbeitsleistung - aus der Betriebsvereinbarung zugewiesen werde. Durch die Annahme dieser Zuweisung gelte die in der Schichtenfolge konkret enthaltene Arbeitsleistung als vereinbart und werde hierdurch die Lage der Normalarbeitszeit sowie die Dauer und Lage der Ruhepausen und Ruhezeiten mit dem Kläger vereinbart. Den in den Betriebsvereinbarungen enthaltenen Dummy-Schichten sei jedoch keine konkrete Arbeitsleistung zugeordnet. Dies sei zu Beginn des Durchrechnungszeitraums naturgemäß auch noch nicht möglich, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar sei, ob ein Kollege des Klägers ausfalle. Erst während des Durchrechnungszeitraums werde mit dem Kläger im Bedarfsfall eine konkrete Normalarbeitszeit sowie die Dauer und Lage der Ruhepausen und Ruhezeiten vereinbart. Seitens der Beklagten bestehe zu Beginn des Durchrechnungszeitraums auch kein rechtsgeschäftlicher Wille auf Vereinbarung einer konkreten Arbeitsschicht als Äquivalent für eine Dummy-Schicht und könne mangels Kenntnis von sich im Durchrechnungszeitraum ereignenden Verhinderungsfällen auch nicht bestehen. Da der Kläger gegen die seit 2004 bestehende Vorgangsweise in Bezug auf das Auslegen von Dummy-Schichten erstmals mit Schreiben vom Vorbehalte geäußerthabe, sei aufgrund der langen Dauer der vorbehaltlosen und stillschweigenden Einhaltung dieser Vorgangsweise jedenfalls davon auszugehen, dass sich daraus eine betriebliche Übung entwickelt habe. Diese habe durch die schlüssige Zustimmung des Klägers zur inhaltlichen Veränderung seines Einzelarbeitsvertrags iSd § 863 ABGB geführt. Ihr Recht auf einseitiges Auslegen von Dummy-Schichten übe die Beklagte darüber hinaus lediglich insofern aus, als damit keine Unterschreitungen der sich aus § 3 Z 1 und 2 KV ergebenden Normalarbeitszeit (= Normalarbeitszeit +/- Zeitguthaben bzw Zeitschuld) verbunden seien. Selbst im Falle seines Obsiegens stünde dem Kläger lediglich ein Betrag von 314,98 EUR zu, weil er über seinen Wunsch mit dem zuständigen Disponenten vereinbart gehabt habe, dass für den keine konkrete Diensteinteilung stattfinde.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, dass der Kläger am frei haben wollte, was vom Disponenten der Beklagten im Dispoplan mit „mf“ („möchte frei“) vermerkt wurde. Der Kläger hatte am aber nicht frei, vielmehr wurde ihm erst 72 Stunden vor der Schicht, als er sich vorschriftsgemäß erkundigte, ob seine Arbeitsleistung benötigt werde, mitgeteilt, dass die Schicht ausgelegt werde. Der Kläger protestierte gegen die Auslegung von Dummy-Schichten einmal schriftlich und mehrmals mündlich.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass es sich bei den Dummy-Schichten um Normalarbeitszeit iSd § 19c AZG handle, weil ein Arbeitnehmer ohne sie im Durchrechnungszeitraum nicht auf die erforderlichen 40 Stunden pro Woche käme und sich ein Arbeitnehmer an einem Tag, an dem er zu einer Dummy-Schicht eingeteilt sei, auch Urlaub nehmen müsse, wenn er frei haben wolle. Bei der Entscheidung über die Auslegung von Dummy-Schichten komme es auch darauf an, ob Zeitguthaben oder Zeitschulden an Normalarbeitszeit (im Ausmaß von maximal 24 Stunden) in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen worden seien. Da weder die Betriebsvereinbarung noch der Kollektivvertrag als Normen der kollektiven Rechtsgestaltung iSd § 19c Abs 2 AZG eine konkrete Festsetzung der Normalarbeitszeit vorsähen, bedürften Änderungen der Lage der Arbeitszeit und umso mehr der gänzliche Entfall einer Dummy-Schicht einer Vereinbarung gemäß § 19c AZG, die aufgrund des Protests des Klägers gegen die Auslegung der Dummy-Schichten vom 10., 11., 12. und nicht vorliege. Ein einseitiges Auslegen der Dummy-Schichten durch die Beklagte hätte dem Kläger mindestens zwei Wochen vor der Schicht mitgeteilt werden müssen (§ 19c AZG, § 4 Z 3 KV). Da dies nicht erfolgt sei, gebühre dem Kläger für die gegen seinen Willen ausgelegten Dummy-Schichten das geforderte Entgelt. Eine Ergänzung des Einzelarbeitsvertrags zu Lasten des Arbeitnehmers werde von der Rechtsprechung nicht anerkannt. Hier würde eine betriebliche Übung jedenfalls eine Schlechterstellung des Klägers bewirken, weil die Beklagte als Arbeitgeber die Normalarbeitszeit einseitig entgeltfrei entfallen lassen könnte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Durch die Zuweisung einer Schichtenfolge, somit einer konkreten Arbeitsleistung aus der Betriebsvereinbarung und durch deren Annahme komme eine entsprechende Vereinbarung zustande. Strittig sei lediglich, ob die Beklagte zur einseitigen Auslegung der Dummy-Schichten berechtigt sei. Diese seien als Normalarbeitszeit zu qualifizieren. § 4 Z 3 und 4 KV hätten nur einvernehmliche Änderungen der Normalarbeitszeit zum Gegenstand. Eine allfällige kollektivvertragliche Ermächtigung des Arbeitgebers für einseitige Änderungen der Normalarbeitszeit würde gegen § 19c Abs 2 AZG verstoßen. Eine einseitige Änderung der Lage der Arbeitszeit und umso mehr die Anordnung des gänzlichen Entfalls einer ganzen Schicht durch den Arbeitgeber komme nur nach Maßgabe des § 19c Abs 2 AZG in Betracht. Es müsse daher schon in der Grundvereinbarung über die Lage der Arbeitszeit ein Änderungsvorbehalt enthalten sein. Ob dies auch schlüssig durch eine belastende betriebliche Übung erfolgen könne, könne mangels entsprechender Anhaltspunkte im Sachverhalt dahingestellt bleiben. Es sei kein Gestaltungsvorbehalt vereinbart worden. Das Erfordernis eines „ordnungsgemäßen Protests“ eines Arbeitnehmers als Voraussetzung für die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 1155 ABGB sei gesetzlich nicht vorgesehen. Dass der Kläger an den betreffenden Tagen nicht leistungsbereit gewesen sei, sei eine unzulässige Neuerung. Das gegenteilige Vorbringen des Klägers sei nie substantiiert bestritten worden. Ein Vorbringen dazu, aufgrund welcher vertretbaren Rechtsansicht der Zinssatz des § 49a S 1 ASGG nicht zustehe, sei nicht erstattet worden. Die Revision sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur vorliegenden Rechtsfrage zulässig.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht, in eventu an das Erstgericht.
Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
1. Die Beklagte bringt zum festgestellten Sachverhalt vor, im erstinstanzlichen Verfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen zu sein, sodass das Berufungsgericht ihre Neuerungen im berufungsgerichtlichen Verfahren zu Unrecht als unzulässigen Verstoß gegen das Neuerungsverbot angesehen habe.
Richtig ist, dass nach § 63 Abs 1 ASGG die Bestimmungen über das Neuerungsverbot nach § 482 ZPO in Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 1 ASGG nicht anzuwenden sind. Das Berufungsgericht hat es als unzulässiges neues Vorbringen der Beklagten erachtet, dass der Kläger - der bereits im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich seine Arbeitsbereitschaft an den verfahrensgegenständlichen Tagen vorgebracht hatte - nicht leistungsbereit gewesen sei. Selbst wenn man dieses Vorbringen berücksichtigt, legte die Beklagte aber auch in der Berufung nichts dar, das gegen die vom Erstgericht angenommene Leistungsbereitschaft des Klägers am 10. Februar, 11. Februar und sprechen könnte. Der Wunsch des Klägers, am frei haben zu wollen (mf = „möchte frei“), führte nach den erstgerichtlichen Feststellungen nur zur Auslegung der Schicht, ohne dass Umstände für eine mangelnde Leistungsbereitschaft des Klägers erkennbar wären. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 63 Abs 1 ASGG schadet der Beklagten aber schon aus den nachstehenden Erwägungen nicht.
2. Der Kläger begehrt Entgelt für von der Beklagten einseitig „ausgelegte“ Ablöserschichten und beruft sich dabei ausdrücklich darauf, dass sie als Normalarbeitszeit anzusehen seien, deren Entfall vom Arbeitgeber nicht einseitig angeordnet werden könne. Er will die entsprechenden Zeiten weder als Überstunden noch als Bereitschaftszeit entgolten wissen. Es ist daher zu prüfen, ob eine Konstellation vorliegt, in der der Kläger für vereinbarte Normalarbeitszeit nicht entlohnt wurde.
3. Für das Ausmaß und die Lage der Normalarbeitszeit sehen die §§ 3 und 4 des Kollektivvertrags zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB Folgendes vor:
§ 3 Normalarbeitszeit
1. Die tägliche Normalarbeitszeit darf acht Sunden, die wöchentliche Normalarbeitszeit vierzig Stunden nicht überschreiten, sofern im Folgenden nicht anderes bestimmt wird.
Für Mitarbeiter, die planmäßig auch an Sonn- und Feiertagen zu einer Dienstleistung herangezogen werden, ist die Normalarbeitszeit für jeden Feiertag an Werktagen im Durchrechnungszeitraum um 6 Stunden und 40 Minuten zu reduzieren.
2. Die wöchentliche Normalarbeitzeit kann in einzelnen Wochen
- bei einem Durchrechnungszeitraum von bis zu acht Wochen auf höchstens 50 Stunden,
- bei einem längeren Durchrechnungszeitraum auf höchstens 48 Stunden ausgedehnt werden, wenn sie innerhalb dieses Zeitraumes im Durchschnitt 40 Stunden nicht überschreiten.
Die Durchrechnung der Normalarbeitszeit ist über einen Zeitraum von höchstens 13 Wochen zulässig.
Für Saisonbetriebe …
Zeitguthaben oder Zeitschulden an Normalarbeitszeit können im Ausmaß von 24 Stunden einmalig in den nächsten Durchrechnungszeitraum übertragen werden.
Darüber hinausgehende Zeitguthaben werden zu Überstunden, darüber hinausgehende Zeitschulden verfallen am Ende des Durchrechnungszeitraumes.
Übertragene Zeitguthaben oder Zeitschulden, die im folgenden Durchrechnungszeitraum nicht ausgeglichen werden, werden zu Überstunden oder verfallen.
Besteht im Zeitpunkt der Beendigung eines Durchrechnungszeitraumes ein Guthaben an Normalarbeitszeit, so gebühren für jene Zeiten, die nicht in einen anderen Durchrechnungszeitraum übertragen werden können, folgende Zuschläge: …
3. - 8. ...
§ 4 Lage der Normalarbeitszeit
1. Im Zusammenwirken mit den Bestimmungen des ArbVG ist die für einen Betrieb oder für bestimmte Betriebsteile geltende Lage der Normalarbeitszeit sowie die Festsetzung von Beginn und Ende der täglichen Normalarbeitszeit zu vereinbaren.
Die der vereinbarten Arbeitszeit zugrundeliegende Fahrleistung ist im Dienstplan informativ aufzuzeigen.
2. Die Diensteinteilung-[en] - die für den jeweiligen Durchrechnungszeitraum (bis zu dreizehn Wochen) zu erstellen sind - sind spätestens 14 Tage vor Planbeginn zu vereinbaren und bekannt zu geben.
3. Änderungen bei der Lage der Normalarbeitszeit sind dem planmäßig eingesetzten Personal mindestens zwei Wochen im Vorhinein mitzuteilen; andernfalls gilt für die Bewertung von Abwesenheiten (Urlaub, Krankenstand etc) und für die Ermittlung von Überstunden die ursprünglich vereinbarte Lage der Normalarbeitszeit (fiktive Normalarbeitszeit).
4. Für das nicht dienstplanmäßig eingesetzte Personal (zB Ablöser, Springer) ist die Lage der Normalarbeitszeit auf Basis einer fiktiven Diensteinteilung mit entsprechenden Ruhetagen festzusetzen. Änderungen bei der Lage der Normalarbeitszeit - dh die konkrete Diensteinteilung -, die die fiktive Diensteinteilung verändert - haben mindestens drei Tage im Vorhinein zu erfolgen, eine Veränderung der wöchentlichen Ruhezeit hat mindestens zwei Wochen im Vorhinein zu erfolgen. Andernfalls gilt für die Bewertung von Abwesenheiten (Urlaub, Krankenstand etc) und für die Ermittlung von Überstunden die ursprünglich vereinbarte Lage der Normalarbeitszeit. …
5. Wird die tägliche Arbeitszeit innerhalb der 14- bzw 3-tägigen Ankündigungsfrist in ihrer Lage verändert, so gebührt für den Zeitraum, der sich nicht mit der ursprünglichen Lage deckt, der jeweilige Überstundenzuschlag. ...
Schließlich enthält die zwischen der ÖBB-Personenverkehr AG und deren Zentralbetriebsrat abgeschlossene „Betriebsvereinbarung über die Verteilung Plan- und Ablöserschichten (Dummy-Schichten) innerhalb der Schichtenfolge“ folgende Regelung:
§ 3 Verteilung der Plan- und Ablöserschichten (Dummy-Schichten)
…
Für die Ablöserschichten (Dummy-Schichten) ist hinsichtlich der Ankündigungsfrist der § 4 Z 4 des ÖBBAZ-KV anzuwenden. Eine Verständigung über die Änderung der Lage der Arbeitszeit gilt als rechtzeitig, wenn diese 72 Stunden vor dem Zeitpunkt erfolgt, ab dem die ursprünglich eingeplante Dienstschicht begonnen hätte.
4. Allen weiteren Erwägungen ist voranzustellen, dass hier nicht die Zulässigkeit eines vom Arbeitgeber angeordneten Entfalls der Ablöserschichten an sich, sondern für die konkreten Umstände im Fall des Klägers zu prüfen ist. Diese liegen darin, dass der Kläger im vor dem liegenden Durchrechnungszeitraum ein Zeitguthaben von 24 Stunden erworben hatte, das gemäß § 3 Z 2 KV in den revisionsgegenständlichen Durchrechnungszeitraum bis übertragen wurde und das die Beklagte durch das Nichtabrufen von Arbeit in vorweg festgelegten Zeiträumen (Ablöserschichten) abzubauen suchte.
5. Über die Art und Weise, wie ein von einem Arbeitnehmer erwirtschaftetes Zeitguthaben abzubauen ist, enthalten weder der Kollektivvertrag noch die Betriebsvereinbarung Regelungen, sodass es hierfür einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedarf. Redlichen Vertragspartnern ist dabei grundsätzlich ein Bemühen um einen revolvierenden Verbrauch von Zeitguthaben zu unterstellen, weil einer Kumulierung von die Normalarbeitszeit überschreitenden Zeitguthaben bei objektiver Betrachtung prinzipiell kein gerechtfertigtes Interesse gegenübersteht (aus Arbeitnehmersicht: fehlende Erholungsmöglichkeit; aus Arbeitgebersicht: Mehrkosten; aus volkswirtschaftlicher Sicht: fehlende Arbeitsplätze).
6. Die Zuweisung der Schichtenfolge mit Plan- und Ablöserschichten an den Kläger und ihre Akzeptanz durch ihn wird von den Streitteilen nicht in Frage gestellt. Beiden Streitteilen musste dabei bewusst sein, dass es die Einteilung eines Arbeitnehmers zu den Ablöserschichten im Falle eines vorhandenen Zeitguthabens ermöglicht, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in diesen Zeitfenstern grundsätzlich nicht abzurufen, damit es zu einem Abbau des Zeitguthabens und zu einer „gleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit“ (§ 1 BV) kommt, sofern der Arbeitgeber die Arbeit des Arbeitnehmers nicht bis 72 Stunden vor Beginn der Ablöserschicht bei Bedarf doch benötigt und abruft. Auch aus der Sicht des Arbeitnehmers kann die Arbeitseinteilung im Schichtplan daher nur so verstanden werden, dass er an den Tagen einer Planschicht zu arbeiten hat, an den Tagen einer Ablöserschicht jedoch nur unter der Voraussetzung zum Dienst kommen muss, dass ihn der Arbeitgeber bis zu 72 Stunden vor Beginn einer solchen Schicht zur Arbeitsleistung auffordert.
Wird die Leistung eines Arbeitnehmers für eine Ablöserschicht nicht angefordert, so führt dies dennoch nicht dazu, dass der Arbeitnehmer Normalarbeitszeit verliert; vielmehr liegt die Leistung der Normalarbeitszeit dann in der „Gegenverrechnung“ mit dem Zeitguthaben. Wird seine Leistung angefordert, so leistet der Arbeitnehmer damit Arbeit im Rahmen der Normalarbeitszeit, baut dadurch aber sein Zeitguthaben nicht ab; dieses ist ihm vielmehr am Ende des Durchrechnungszeitraums in Form von Überstunden (§ 3 Z 2 KV) abzugelten.
7. Daraus ergibt sich zweierlei:
7.1. Wenn die Vorinstanzen ausführten, dass der Kläger ohne Berücksichtigung der Ablöserschichten nicht die 40-Stunden-Woche erreicht, so ist dies insofern richtig, als ihm Zeiten dieser Schichten auf die Normalarbeitszeit anzurechnen sind. Im Falle der Nichtleistung von Arbeit in diesen Zeiträumen erreicht ein Arbeitnehmer durch die Anrechnung des Zeitguthabens (das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe ein solches im Ausmaß von 24 Stunden im vorhergehenden Durchschnittszeitraum erworben, blieb unbestritten) die Normalarbeitszeit und damit auch einen entsprechenden Entgeltanspruch für die Normalarbeitszeit. Dass der Kläger nicht auf Basis einer 40-Stunden-Woche, bezogen auf den Durchrechnungszeitraum bis , entlohnt worden wäre, behauptet er nicht, sodass hier nur der Schluss gezogen werden kann, dass er die Normalarbeitszeit sowohl im vorigen als auch im revisionsgegenständlichen Durchrechnungszeitraum zur Gänze entgolten erhielt (Leistung im vorigen Durchrechnungszeitraum: NAZ plus 24 Stunden; im revisionsgegenständlichen Durchrechnungszeitraum: NAZ minus 24 Stunden; in jedem Durchrechnungszeitraum: Entlohnung der NAZ). Sein Begehren ist offenkundig darauf gerichtet, zusätzlich zum Entgelt für eine 40-Stunden-Woche, wieder bezogen auf den Durchrechnungszeitraum, für weitere vier Tage Normalarbeitszeit entlohnt zu werden. Das liegt jedoch nicht in ihrem möglichen Rahmen. Mit anderen Worten: Es besteht kein Anspruch auf Leistung von Entgelt für Normalarbeitszeit, wenn sie die Grenzen der Normalarbeitszeit übersteigt. Anderes als Normalarbeitszeit hat der Kläger nicht geltend gemacht.
7.2. Durch den Nichtabruf der Leistung des Klägers für die Tage der Ablöserschichten hat die Beklagte nicht die Lage seiner Normalarbeitszeit verändert. Die Normalarbeitszeit bleibt vielmehr unabhängig davon, ob die Arbeit des Klägers für diese Zeiten abgerufen wird, in ihrer Lage gleich: bei Nicht-Abruf durch Gegenverrechnung mit dem Zeitguthaben; bei Abruf durch Leistung in einem bereits mit dem Schichtplan bekannt gegebenen Zeitraum (dann freilich bei weiterhin aufrechtem Zeitguthaben). Auf die Erwägungen zu den Möglichkeiten der einseitigen Änderungen der Lage der Normalarbeitszeit iSd § 19c Abs 2 und 3 AZG muss daher nicht eingegangen werden.
8. Insgesamt ist es dem Kläger damit nicht gelungen, einen Sachverhalt darzulegen, aus dem er gegen die Beklagte noch offene Entgeltansprüche für Normalarbeitszeit ableiten könnte. Einer weiteren Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit sich die Beklagte für ihr Vorgehen auf eine betriebliche Übung berufen kann, bedarf es daneben nicht mehr.
9. Zur Abgrenzung ist schließlich festzuhalten: Ein zu Gunsten des Arbeitgebers vertraglich vereinbarter Änderungsvorbehalt zum Ausmaß der Arbeitszeit, der als unzulässig erachtet wird, weil der Arbeitgeber damit das Entgelt einseitig reduzieren würde (vgl 8 ObA 116/04y; Felten aaO§ 19c Rz 7; Mosler in ZellKomm II2 AZG § 19c Rz 3) und der Arbeitnehmer dadurch nicht mehr mit dem Entgelt für eine in ihrem Umfang einmal festgelegte Arbeitszeit rechnen könnte, liegt hier nicht vor: Die Normalarbeitszeit des Klägers wurde stets abgegolten. Angesichts des abzubauenden Zeitguthabens lagen auch keine Umstände vor, aufgrund derer er mit einem darüber hinausgehenden Entgelt rechnen durfte.
10. Nach all dem ist der Revision Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, wobei zu berücksichtigen war, dass für die Berufung nur der dreifache Einheitssatz gebührt (§ 23 Abs 9 RATG), die Berufung gebührenfrei ist (Anm 5 zu TP 2 GGG) und der ERV-Zuschlag im Berufungs- und Revisionsverfahren jeweils 1,80 EUR beträgt (§ 23a RATG).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Arbeitsrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2012:009OBA00107.11T.0822.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAD-93244