OGH vom 21.01.2011, 9ObA107/10s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon. Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Georg Eberl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard L*****, vertreten durch Dr. KH Plankel, Dr. H. Mayrhofer, Mag. S. Ganahl, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei A*****, vertreten durch Kraft Winternitz, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rechnungslegung und Leistung (Revisionsinteresse 19.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 68/10b 13, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 45 Cga 8/10k 9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.189,44 EUR (darin enthalten 198,24 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend die Beklagte verpflichtet, dem Kläger über die ihm zustehende „Mandanten Bonifikation“ für das Jahr 2008 Rechnung zu legen. Das Berufungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass bei dem als arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter arbeitenden Kläger die Klausel, wonach ihm die Mandanten Bonifikationen für das Jahr 2008 nur zusteht, wenn er sich auch noch am in einem aufrechten und ungekündigten Vertragsverhältnis zur Beklagten befindet, wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist. Diese Begründung des Berufungsgerichts ist im Ergebnis zutreffend. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
Ergänzend ist noch Folgendes zu präzisieren:
II.1. Die Vorinstanzen haben zutreffend aufgezeigt, dass im Rahmen der Prüfung einer vertraglichen Regelung unter dem Aspekt eines sittenwidrigen massiven Missverhältnisses der Berücksichtigung der Interessen iSd § 879 Abs 1 ABGB auch auf die Ausgestaltung durch das dispositive Recht Bedacht genommen wird (vgl dazu etwa RIS Justiz RS0016591 oder etwa Apathy/Riedler in Schwimann 3 § 879 Rz 9).
II.2. In Vorentscheidungen zu grundsätzlich vom vorliegenden wenngleich arbeitnehmerähnlichen Handelsvertretervertrag zu unterscheidenden Arbeitsvertragsverhältnissen hat der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeit von ähnlichen Vereinbarungen angenommen. Er ist dabei davon ausgegangen, dass diese Vereinbarungen im Wesentlichen darauf hinausgelaufen sind, dass bereits „erdientes“ Entgelt im Falle der Beendigung damals durch den Arbeitnehmer wieder wegfällt und damit letztlich der Grundsatz des Gebots der Fristengleichheit bei den Auflösungsmodalitäten nach § 1159c ABGB bzw § 20 Abs 4 AngG verletzt wird (RIS Justiz RS0028260 mwN insb 9 ObA 142/92; ferner zum Verbot der überlangen Bindung Krejci in Rummel ABGB 3 § 879 Rz 81 b).
II.3. Auch das Handelsvertretergesetz sieht in § 21 Abs 3 HVertrG vor, dass die vom Unternehmer einzuhaltenden Fristen bei der Kündigung nicht kürzer sein dürfen als die vom Handelsvertreter einzuhaltenden Fristen. Dies rechtfertigt es aber auch, die Rechtsprechung zum Arbeitsverhältnis mit ins Kalkül zu ziehen.
II.4. Eine der Vorgabe des § 21 Abs 3 HVertrG gegenteilige Vereinbarung wurde hier - so wie bei den Fällen im Arbeitnehmerbereich - nicht ausdrücklich angeordnet. Auch ergibt sich der Entfall der Ansprüche auf die Mandanten Bonifikationen unabhängig davon, ob die Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses durch den Unternehmer oder den Handelsvertreter erfolgt. Allerdings stellt damit im Ergebnis die Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses für den Unternehmer immer einen Vorteil dar, während sie für den Handelsvertreter stets nachteilig ist.
II.5. Weiters ist beachtenswert, dass das HVertrG zur Frage der Vergütung, und zwar hinsichtlich der Provision, verschiedene - teilweise auch zwingende - Regelungen vorgibt. Auch wenn man davon ausgeht, dass für die „Mandanten Bonifikation“ als „anderes“ Entgelt die teilweise zwingenden Regelungen für Provisionen (vgl insbes § 9 Abs 2 und 3 HVertrG iVm § 27 HVertrG) nicht anwendbar sind, zeigen sie doch, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass die Vergütung (§ 8 HVertrG Provisionen und sonstige Entgelte) des Handelsvertreters in einem Zusammenhang mit dem dem Unternehmer zugekommenen Vorteil aus der Tätigkeit des Handelsvertreters steht. Es soll grundsätzlich dessen „verdienstliche“ Tätigkeit nach deren Erbringung vergütet werden (zur Möglichkeit, die Schwelle der „Verdienstlichkeit“ zu gestalten RIS Justiz RS0106002 mwN). Davon sind im Hinblick auf die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit der Regelungen über die Provisionen für sonstige Entgelte, bei denen es auch typischerweise am unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geschäftsabschluss mangelt (vgl etwa Nocker , HVertrG § 8 Rz 32), naturgemäß abweichende Gestaltungen zulässig.
II.6. Selbst wenn man nun die vorliegende vertragliche Ausgestaltung nicht unmittelbar als eine Umgehung des § 21 Abs 3 HVertrG qualifiziert und diese Vereinbarung schon deshalb als nach § 879 ABGB unzulässig ansieht, weil sie den gleichen Zweck verfolgt (RIS Justiz RS0038675; etwa zum Betriebspensionsrecht RIS Justiz RS0033390 oder zum Betriebsübergangsrecht RIS Justiz RS0108456), so ist der in § 21 Abs 3 HVertrG zum Ausdruck kommende Gedanke des Verbots der Benachteiligung des Handelsvertreters bei den Beendigungsmöglichkeiten (Fristen) ebenso beachtlich wie jener des Vergütungsanspruchs nach Abschluss der „verdienstlichen“ Tätigkeit.
Bei der Gesamtbeurteilung stützt dies das von den Vorinstanzen erzielte Ergebnis, wonach die hier vorliegende Klausel gegen § 879 ABGB verstößt. Letztlich läuft diese Vertragsgestaltung darauf hinaus, dass der Handelsvertreter im Falle der Auflösung des Handelsvertreterverhältnisses vor dem 31. 8. des Folgejahres nicht nur den Anspruch auf die Mandanten Bonifikation für das laufende Jahr, sondern auch für das abgelaufene Jahr verliert und damit erheblich in seinen Möglichkeiten, von sich aus das Handelsvertreterverhältnis zu beenden, beeinträchtigt wird. Die Vorentscheidung zu 9 ObA 20/10x betraf nur die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision, bei der mangels entsprechenden Vorbringens auf die hier relevanten Fragen nicht einzugehen war.
III. Insgesamt war daher der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 2 ASGG,§§ 50 und 41 ZPO.