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OGH vom 30.08.2007, 8Ob144/06v

OGH vom 30.08.2007, 8Ob144/06v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johannes H*****, vertreten durch Dr. Oswin Lukesch ua, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1. Adolf S*****, vertreten durch Gloß Pucher Leitner & Schweinzer, Rechtsanwälte in St. Pölten, und 2. Dipl. Ing. Herbert J*****, vertreten durch Lattenmayer Luks & Enzinger, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 236.000 sA und Feststellung (EUR 20.000), infolge der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 63/06x-50, womit das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom , GZ 3 Cg 222/02v-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit sie die Klage gegen den Erstbeklagten abweisen, sowie in den Kostenentscheidungen aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger führte als Elektrikermeister über Auftrag des Erstbeklagten am Reparaturarbeiten an der elektrischen Steuerung eines Portalkrans im Betrieb des Erstbeklagten durch. Die hiefür vom Erstbeklagten zur Verfügung gestellte Hubarbeitsbühne kippte dabei unvermittelt nach vorne, wodurch der Kläger neben anderen Verletzungen eine komplette Querschnittlähmung erlitt. Der Erstbeklagte hatte die Hubarbeitsbühne gebraucht gekauft und Veränderungen daran durchgeführt, wofür ihm die Ausbildung und Erfahrung fehlte. Die vom Erstbeklagten verwendete Rollenkette sowie das Sicherungsseil wiesen eine deutlich zu geringe Dimensionierung und Bruchkraft auf. Zudem wurde die Kette aus einzelnen Kettenteilen mit Schweißungen unsachgemäß gestückelt. Diese Schweißstellen liegen teilweise auch im sichtbaren Bereich (S 35 des erstgerichtlichen Urteils). Der angebrachte Sicherungsmechanismus war ungeeignet, da nicht ein durchgehendes Drahtseil verwendet wurde, sondern zwei Seilstücke, die im Inneren der Seilrollen lose endeten und sich bei Krafteinwirkung ausfädelten. Aufgrund der Unterdimensionierung von Rollkette und Sicherungsseil sowie den unzulässigen Schweißungen an der Rollkette und dem ungeeigneten Sicherungsmechanismus hätte die Hubarbeitsbühne keinesfalls zur Benützung freigegeben werden dürfen. Der zweitbeklagte Zivilingenieur führte die nach den Umbauarbeiten erforderliche Nachtragsabnahmeprüfung 1997 durch und bestätigte diese aufgrund falscher Berechnungen. Der damalige Stand der Technik für Hubarbeitsbühnen wurde in der sogenannten Unfallverhütungsvorschrift „VBG 14" erfasst. Darin sind im Einzelnen festgestellte Vorgaben für die tragenden Teile und Seile festgehalten, aber auch dass in Abständen von mindestens einem Jahr eine Überprüfung durch einen Sachkundigen zu erfolgen hat. Dies ist im Wesentlichen eine Sicht- und Funktionsprüfung, die sich auf den Zustand der Bauteile und Einrichtungen sowie die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Sicherheitseinrichtungen und des Prüfbuches erstreckt. Der Unfall ereignete sich, weil die Rollkette gerissen ist und das Sicherungsseil aufgrund der falschen Montage versagte. Mögliche Ursachen für den Kettenriss sind der Riss eines Kettengliedes, der Bruch eines Bolzens oder - als wahrscheinlichste Variante - das Sich-Zerlegen der Kette, die auf die zu schwache Dimensionierung und die unzulässigen Schweißungen zurückgeführt werden können. Der Erstbeklagte ging davon aus, dass eine Hubarbeitsbühne grundsätzlich jährlich überprüft werden musste, ließ solche Überprüfungen jedoch aufgrund deren seltener Verwendung nicht durchführen. Ob bei einer jährlichen Überprüfung die schon ursprünglich vorhandenen Mängel (Unterdimensionierung der Kette, Schweißungen an den Bolzen, falsche Führung des Sicherungsseils) aufgefallen wären, kann nicht festgestellt werden.

Der Kläger begehrte den Ersatz seines mit EUR 236.000 bezifferten Schadens (EUR 200.000 Schmerzengeld und EUR 36.000 gem § 1326 ABGB) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige aus dem Unfall resultierende Schäden. Dem Erstbeklagten seien die unzulässigen und unfachmännisch ausgeführten Änderungen bekannt gewesen. Der Erstbeklagte habe seine Verpflichtungen aus dem Vertrag, eine Hebebühne zur Verfügung zu stellen, verletzt. Durch die Verwendung der Hebebühne habe er grob fahrlässig gehandelt. Der Erstbeklagte habe die vorgeschriebenen regelmäßigen Überprüfungen nicht vornehmen lassen. Der Zweitbeklagte hafte, weil er den Umbau niemals genehmigen hätte dürfen, wenn er lege artis gehandelt hätte. Der Erstbeklagte bestritt das Klagebegehren und brachte vor, die Veränderungen seien vor der Abnahmeprüfung durch den Zweitbeklagten erfolgt. Der Erstbeklagte sei aufgrund der technischen Überprüfung durch den Zweitbeklagten der Annahme gewesen, das Gerät in dieser Form verwenden zu dürfen.

Der Zweitbeklagte bestritt das Klagebegehren und brachte vor, die unzulässigen Veränderungen seien nach seiner Überprüfung durchgeführt worden. Den Kläger treffe ein Mitverschulden, weil er keinen Sicherheitsgurt angelegt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren bezüglich des Erstbeklagten ab, gab der Klage bezüglich des Zweitbeklagten mit EUR 198.000 sowie dem Feststellungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren von EUR 38.000 ab. Es verneinte in rechtlicher Hinsicht eine Haftung des Erstbeklagten, da nach § 1298 ABGB die Beweislastumkehr nur hinsichtlich des Verschuldens, nicht aber der Kausalität bestehe. Die Bestimmungen des ASchG und der AAV bezüglich der Wartung und Überprüfung einer Hebebühne seien zwar Schutznormen, der geschützte Personenkreis seien aber nur Arbeitnehmer, weshalb es auch hier zu keiner Beweislastverschiebung komme. Bei einem über den Arbeitnehmerschutz hinausgehenden Sachverhalt könne ein von der Nutzungsintensität abhängiges Prüfungsintervall sorgfaltskonform sein und sei dies hier vertretbar. Außerdem sollten die wiederkehrenden Überprüfungen dafür Sorge tragen, dass keine gefährlichen Verschlechterungen des bei der Abnahmeprüfung erhobenen Zustandes eintrete. Es fehle daher auch am Rechtswidrigkeitszusammenhang. Das Berufungsgericht bestätigte das klagsabweisende Urteil gegen den Erstbeklagten und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und verneinte wie das Erstgericht eine vertragliche Haftung des Erstbeklagten. Dem Erstbeklagten sei zwar grundsätzlich vorzuwerfen, dass er die jährliche Kontrolle nicht durchgeführt habe. Da aber die Abnahmeprüfung dazu diene, Schäden durch Konstruktionsmängel zu verhindern, und jährlich wiederkehrende Prüfungen dazu dienten, seit der Abnahme eingetretene Verschlechterungen des Zustandes aufzudecken, sei der Schaden, der auf Konstruktionsmängel zurückzuführen sei, nicht dem Unterbleiben der jährlichen Überprüfung zuzurechnen. Es greife keine Umkehr der Beweislast bezüglich der Kausalität.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers. Sie ist zulässig, weil sie zutreffend aufzeigt, dass das Berufungsgericht bei der Frage der Beweislast hinsichtlich der Kausalität einer Unterlassung und des Schutzzweckes der verletzten Norm nicht ausreichend auf die verschiedenen Grundlagen für den Riss der Rollkette eingegangen ist.

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, dass sich der Kläger bei der mobilen Hubbühne nicht auf die Haftung für „Gebäude" und auf „Grundstücken aufgeführte Werke" nach § 1319 ABGB stützen kann, weil die Hubbühne keinerlei spezifische Verbindung zu irgendeinem Grundstück hat (vgl Harrer in Schwimann ABGB3 § 1319 Rz 4 ff). Die im Wesentlichen unstrittige Grundlage für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche ist der hier zwischen den Streitteilen geschlossene Werkvertrag. Im Rahmen dieses Werkvertrages hat der Erstbeklagte dem Kläger die Hubbühne zur Verfügung gestellt. Nach § 1169 iVm § 1157 ABGB ist der Besteller ua verpflichtet dafür zu sorgen, dass der Unternehmer und seine Leute nicht durch vom Besteller beigestellte Gerätschaften verletzt wird (vgl Krejci in Rummel ABGB3 § 1169 Rz 6, Rebhahn in Schwimann ABGB3 § 1169 Rz 4; M. Bydlinski in KBB2 § 1169 Rz 1; zur Vergleichbarkeit mit der Fürsorgepflicht des Dienstgebers RIS-Justiz RS0021602 mwN). Die Fürsorgepflicht nach den §§ 1157, 1169 ABGB umfasst allerdings nicht mit dem auszuführenden Werk unmittelbar verbundenen, aber für den Unternehmer erkennbare Gefahren (RIS-Justiz RS0021808 mwN Krejci in Rummel ABGB3 § 1169 Rz 6, Rebhahn in Schwimann ABGB3 § 1169 Rz 8). Die Erkennbarkeit der Gefahr war für den Kläger hier nicht gegeben. Der Erstbeklagte hat seine Verpflichtung aus dem Werkvertrag durch Beistellung der mangelhaft konstruierten Hubbühne verletzt, jedoch haben die Vorinstanzen - insoweit in der Revision auch nicht weiter bekämpft - angenommen, dass er den Nachweis seines mangelnden Verschuldens daran erbringen konnte.

Anders stellt sich die Frage bei der nach den einschlägigen festgestellten technischen Standards vorgesehenen jährlichen Überprüfung dar (vgl im Übrigen nunmehr die Arbeitsmittelverordnung BGBl II 164/2000; RIS-Justiz RS0020749 zur Heranziehung als Mindeststandard bei gewerblicher Nutzung; zum Schutz solcher Personen, die befugterweise in den Gefahrenbereich gelangen SZ 43/132; SZ 63/38; 7 Ob 2377/96a; 2 Ob 174/05k).

Hier wurde im Rahmen eines Werkvertrages von einem bestellenden Unternehmen ein Gerät zur Verfügung gestellt, dessen Gebrauch in den eigenen Unternehmensbereich fällt. Dann sind aber auch die hier festgestellten einschlägigen technischen Standards für die Überprüfung dieses Geräts auf Sicherheitsmängel heranzuziehen (vgl etwa zur Verpflichtung zur Überprüfung RIS-Justiz RS0025458; RIS-Justiz RS0021591 mwN; zur Verpflichtung zur Absicherung der Arbeitsstätte RIS-Justiz RS0021480). Dass diese dem Erstbeklagten auch bewusst waren, ist festgestellt.

Entscheidend ist nunmehr die Frage der Kausalität der Unterlassung der entsprechenden Überprüfungen. Konnte das Erstgericht doch nicht feststellen, ob bei einer jährlichen Überprüfung im Sinne dieser Standards die vorhandenen Mängel aufgefallen wären und somit der Schaden nicht eingetreten wäre.

§ 1157 iVm § 1168 ABGB und die technischen Standards sind als „Schutzgesetze" zu qualifizieren. Bei Verletzung eines Schutzgesetzes durch einen Schädiger wird dem Geschädigten jedoch regelmäßig hinsichtlich des Nachweises der Kausalität der Schutzgesetzverletzung für den Schaden zumindest eine Beweiserleichterung im Sinne des Ausreichens eines prima facies Beweises zugebilligt, wenn der Schaden eingetreten ist, den das Schutzgesetz verhindern wollte (Harrer in Schwimann ABGB3 § 1311 Rz 35; Karner in KBB2 § 1311 Rz 6; RIS-Justiz RS0027517 mwN). Die jährliche Überprüfung erstreckt sich nach den Feststellungen auf eine Sicht- und Funktionsprüfung des Zustandes der Bauteile und Einrichtungen sowie die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Sicherheitseinrichtungen und des Prüfbuches. Die Prüfung der Vollständigkeit und Wirksamkeit der Sicherheitseinrichtungen bezweckt aber offensichtlich gerade die Verhinderung von Verletzungen, die aus Mängeln in diesem Bereich herrühren. Wenn die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass vom Zweck einer Sicht- und Funktionsprüfung Konstruktionsmängel - soweit diese nicht bei der Funktionsprüfung zutage treten (insoweit wurde ein konkretes Vorbringen nicht erstattet) - nicht erfasst sind, so ist dem nicht entgegenzutreten. Dies gilt aber jedenfalls nicht hinsichtlich der Schweißstellen. Dem ersten Anschein nach ist daher davon auszugehen, dass die Mängel an der Kette, insbesondere die Schweißungen, offenkundig waren, zumal die Kette in kurzen Abschnitten sichtbar verlegt war. Warum im konkreten Fall diese Mängel trotz jährlicher Überprüfung nicht aufgefallen wären, hat der Schädiger zu behaupten und zu beweisen. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang ist im vorliegenden Fall gegeben. Zwar liegt das Hauptaugenmerk bei den jährlich vorgeschriebenen Überprüfungen auf der Ortung betriebsbedingter Verschleißerscheinungen, doch sind dabei jedenfalls auch Mängel wie unzulässige Schweißstellen, die ja erheblichen Einfluss auf den Verschleiß haben können, zu beanstanden.

Insoweit ist also davon auszugehen, dass der Kläger den Anscheinsbeweis erbracht hat, dass bei einer jährlichen Überprüfung die Schweißstellen aufgefallen wären und diese Mängel beseitigt worden wären.

Ob nun die Kette aber tatsächlich in dem geschweißten Bereich gerissen ist, wurde nicht festgestellt. Daher war das Verfahren zur Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.