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OGH vom 31.07.2003, 12Os62/03

OGH vom 31.07.2003, 12Os62/03

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Habl, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dokalik als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO) Berufung der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Ried im Innkreis vom , GZ 10 Hv 47/02z-24, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, und der Privatbeteiligtenvertreterin Dr. Birnbaum zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang gemäß § 288 Abs 2 Z 3 Satz 1 StPO in der Sache selbst entschieden:

Alfred S***** wird für die ihm zur Last liegenden strafbaren Handlungen nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 3 erster Strafsatz StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 Abs 1, 40 StGB auf die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Schärding vom , GZ 1 U 408/97d-11, zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von 7 (sieben) Jahren verurteilt. Die beiderseitigen Berufungen wegen des Ausspruches über die Strafe werden auf diese Sanktionsneubemessung verwiesen.

Der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Aussprüche wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Alfred S***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 aF StGB (1.), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB

(2.) und des Vergehens des Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (3.) schuldig erkannt.

Danach hat er

1. zwischen 12. und in Schärding eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er die am geborene Eveline P***** wiederholt an der Brust und im Geschlechtsbereich streichelte und einen Finger in deren Geschlechtsteil einführte;

2. zwischen und in Schärding mit einer unmündigen Person den Beischlaf unternommen, indem er mit der am geborenen Eveline P***** in zahlreichen Angriffen den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog, wodurch diese eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung, sohin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) erlitt;

3. unter Ausnützung seiner Stellung eine seiner Erziehung, Ausbildung und Aufsicht unterstehende minderjährige Person zur Unzucht missbraucht, nämlich als Lebensgefährte der Sieglinde P***** deren am geborenen Tochter Eveline P*****

a) zwischen 12. und in Schärding durch die unter 1. geschilderten Tathandlungen,

b) zwischen und in Schärding durch die unter 2. geschilderten Tathandlungen,

c) in der Zeit von bis Ende Sommer 1995 in Schärding und Andorf in zahlreichen Angriffen durch Vollzug des vaginalen Geschlechtsverkehrs,

d) im Sommer 1996 am Holzöstersee in drei Angriffen durch Vollzug des vaginalen Geschlechtsverkehrs.

Er wurde unter Anwendung von § 28 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 206 Abs 3 StGB zu einer 7-jährigen Freiheitsstrafe sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Bezahlung eines Teilschmerzengeldbetrages von 3.000,- EUR an die Privatbeteiligte Eveline P***** verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Die zu Gunsten des Angeklagten gegen den Strafausspruch aus § 345 Abs 1 Z 13 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zeigt im Ergebnis zutreffend eine Überschreitung der Strafbefugnis durch das Geschworenengericht auf.

Dieses merkte in den Entscheidungsgründen nämlich die mangelnde Berücksichtigung "des Urteiles" des Bezirksgerichtes Schärding vom , GZ 1 U 408/97d-11, an, mit dem der Angeklagte wegen des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen [im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe] verurteilt worden war.

Gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 StGB ist eine Zusatzstrafe zu verhängen, wenn jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Satz 2 und Satz 3 leg cit legen den Strafrahmen (Ratz in WK2 § 40 Rz 1) für diese Konstellation spezifisch fest: die Grenze des zweiten Satzes erfährt jeweils fallbezogen eine Einschränkung durch die Anordnung des dritten Satzes, wonach der Sanktionsrahmen der nunmehr begründeten strafbaren Handlung durch die (aktuelle) Unrechtsfolge des Vor-Urteils reduziert wird. Dies stellt dann die Basis für die konkrete Strafbemessung nach § 40 StGB dar (vgl zur Gesetzessystematik dessen Überschrift sowie die Abschnittstitel vor § 18 StGB und vor § 32 StGB).

Geht ein Gericht - bei in der Hauptverhandlung vorgekommenem (§ 258 Abs 1 StPO) Vor-Urteil - entgegen § 31 Abs 1 StGB von einem zu weiten Strafrahmen aus (also etwa ohne die durch Satz 3 leg cit gebotene Verminderung zu bedenken), ist der Strafausspruch wegen Überschreitung der Strafbefugnis selbst dann mit Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 (§ 345 Abs 1 Z 13) erster Fall StPO behaftet, wenn die ausgemessene Sanktion innerhalb des richtigen Rahmens liegt (Ratz aaO § 31 Rz 14, 15; zum dogmatisch identen Fall des § 5 Z 4 JGG vgl die Judikaturzitate bei Mayrhofer StPO4 § 281 Z 11 E 36b, 36c, 36d; überdies 9 Os 128/85 mit Rechtssatz in Mayrhofer StGB5 § 31 E 82). Die zwischenweilige Tilgung der Vorstrafe (am ) steht deren Berücksichtigung im dargelegten Sinn nach Lage des Falles nicht entgegen, weil § 1 Abs 2 TilgG nur das Erlöschen der nachteiligen Folgen aus einer Verurteilung anordnet, nicht aber die Berücksichtigung eines reduzierten Strafrahmens hindert. Es war daher mit Aufhebung des nichtigen Strafausspruches vorzugehen. Bei der nunmehr unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf die erwähnte frühere Verurteilung vorgenommenen Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit zwei Vergehen, die Vielzahl der Angriffe über einen Zeitraum von 4 Jahren, die besondere Verwerflichkeit (Ebner in WK2 § 33 Rz 17) des Ausnützens der Hilflosigkeit (Ebner aaO 23) des auf den Angeklagten besonders angewiesenen Opfers (vgl 56, 65) sowie die Heimtücke (Ebner aaO 20) bei Schuldspruchfaktum 3d (S 180: Vortäuschung eines Familienurlaubes), als mildernd hingegen den ordentlichen Lebenswandel vor 1992 und das Wohlverhalten seit 1996, diverse Leistungen für die Lebensführung des Opfers und das umfassende, reumütige Geständnis. Für eine Anwendung von § 35 StGB mangelt es an zureichenden faktischen (führte doch der überdies durchgängig berufstätige Angeklagte selbst seine Taten nur teilweise auf seine Trunksucht zurück, vgl S 170, 173, 175) und zufolge Vorwerfbarkeit des Alkoholmissbrauches auch rechtlichen Anknüpfungspunkten.

Sieben Jahre Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe (vgl Mayrhofer StPO4 § 293 E 41) entsprechen - in den von §§ 295 Abs 2 Satz 1, 296 StPO gezogenen Grenzen - dem Unrechtsgehalt der Taten sowie dem Schuldvorwurf gegen den Täter und nehmen im Hinblick auf den jahrelangen rücksichtslosen Missbrauch einer Jugendlichen mit verheerenden Folgen für deren Leben auch hinreichend Bedacht auf die Auswirkungen der Sanktion und anderer zu erwartender Folgen auf das künftige Leben des Verurteilten in der Gesellschaft. Die beiderseitigen Berufungen wegen des Ausspruches über die Strafe waren auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Nicht im Recht ist schließlich die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche: seine bisherigen (Geld-)Leistungen an die Privatbeteiligte wurden nicht als Schmerzengeld gewidmet (S 75, 172, 182; 63); der Betrag von 3.000,- EUR erweist sich unter Zugrundelegung der psychiatrischen Expertisen (ON 16; S 184) selbst bei Berücksichtigung anderer Mitursachen für die Leiden des Opfers als nicht überhöht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.