OGH vom 02.06.1999, 9ObA118/99i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hans Lahner und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat der E***** AG, ***** vertreten durch Mag. Daniel Schöpf und Mag. Christian Maurer, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei E***** AG, ***** vertreten durch Lirk - Ramsauer - Perner & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert S 300.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 308/98w-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 17 Cga 8/98-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der klagende Angestelltenbetriebsrat begehrt, die von der beklagten Partei ausgesprochene, dem Jürgen S***** am zugegangene Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Jürgen S***** sei vom bis Jugendvertrauensratsvorsitzender gewesen. Der Kündigungsschutz gemäß § 130 ArbVG iVm § 120 Abs 3 ArbVG habe somit per geendet. Bereits bei den am stattgefundenen Neuwahlen sei er als Ersatzmitglied in den Jugendvertrauensrat gewählt worden. Fünf Tage nach Ende des Kündigungsschutzes sei der Betriebsrat von der beabsichtigten Kündigung des Jürgen S***** verständigt worden. Der Grund für die Kündigung liege in einem verpönten Motiv, nämlich in der früheren Tätigkeit des Jürgen S***** als Jugendvertrauensratsvorsitzender (§ 130 Abs 4 Z 1 ArbVG). Hilfsweise werde die Kündigung auch gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit a und b angefochten, weil ein Motiv für die Kündigung auch in der Tätigkeit bzw Mitgliedschaft des Jürgen S***** in der Gewerkschaft liege. Unrichtig sei, daß die Kündigung in betrieblichen Erfordernissen, insbesondere in der notwendigen Bereitstellung eines Ausbildungsplatzes für einen weiteren Lehrling, gelegen sei.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Kündigung des Jürgen S***** stehe weder im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit als Jugendvertreter, noch mit seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft. Die Kündigung sei sachlich berechtigt, weil Jürgen S***** schon von Anfang an bekannt gewesen sei, daß er nur auf die Dauer seiner Ausbildung bzw der daran anschließenden Behaltefrist beschäftigt werden könne. Eine frühere Beendigung des Dienstverhältnisses durch Kündigung sei im Hinblick auf seine Funktion als Jugendvertrauensratsvorsitzenden nicht möglich gewesen. Tatsächlich sei nach Beendigung des Dienstverhältnisses mit Jürgen S***** auch ein neuer Lehrling auf die freiwerdende Stelle nachgerückt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende wesentlichen Feststellungen:
Jürgen S***** begann am eine kaufmännische Lehre bei der Beklagten. Das Lehrverhältnis endete im August 1996 durch erfolgreiche Ablegung der Lehrabschlußprüfung. Am schloß er mit der Beklagten einen unbefristeten Angestelltenvertrag. Dies geschah unter Bezugnahme auf seine schon seit ausgeübte Funktion als betrieblicher Jugendvertreter. Diese Funktionsperiode endete am . Bei den am abgehaltenen Neuwahlen wurde er zum Ersatzmitglied des Jugendvertrauensrates gewählt. Zum Jugendvertreter wurde ein Lehrling im dritten Lehrjahr gewählt, dessen Lehrzeit im April 1998 enden sollte. Man rechnete damit, daß dieser danach zum Präsenzdienst eingezogen würde, was mit auch geschah. Zwischen ihm, dem Angestelltenbetriebsrat und Jürgen S***** war schon vor der Wahl besprochen worden, daß S***** in die Funktion als Jugendvertreter nachrücken solle, wenn der gewählte Vertreter einrücken müsse. Jürgen S***** ist seit dreieinhalb Jahren in der Gewerkschaft der Privatangestellten tätig. Seit einem Jahr ist er Landesjugendvorsitzender für Salzburg und seit einem halben Jahr Bundesvorsitzender der jungen Angestellten. In der Beweiswürdigung des Erstgerichtes findet sich noch die Feststellung, daß der Vorstand der Beklagten vom Angestelltenbetriebsrat über das bevorstehende Nachrücken von S***** in den Jugendvertrauensrat informiert wurde. Hingegen erachtete es das Erstgericht nicht für erwiesen, daß die Kündigung ein Akt der Vergeltung für die vorangegangene Funktionsperiode des Jürgen S***** als Jugendvertreter war oder im Zusammenhang mit gewerkschaftlicher Tätigkeit stand (AS 87). Die Kündigung des Dienstverhältnisses des Jürgen S***** habe den wesentlichen Hauptzweck verfolgt, sein Nachrücken in die Funktion des Jugendvertreters zu verhindern. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, daß der Hauptzweck der Kündigung darin lag, einem Lehrling das Nachrücken auf einen freiwerdenden Ausbildungsplatz zu ermöglichen. Das Erstgericht sah darin eine verpönte Motivkündigung im Sinn des § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es erachtete eine von der beklagten Partei erhobene Beweis- und Mängelrüge aus rechtlichen Gründen für unerheblich. Das Erstgericht habe sämtliche in der Klage geltend gemachten Anfechtungsgründe verneint und den Anfechtungsgrund nach § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG ohne entsprechendes Sach- und Beweisvorbringen des klagenden Betriebsrates von Amts wegen herangezogen. Darin liege ein offenkundiger Verstoß gegen § 405 ZPO, welcher vom Berufungsgericht in allseitiger Überprüfung des angefochtenen Urteils aus Anlaß der ordnungsgemäß ausgeführten Rechtsrüge von Amts wegen aufzugreifen sei. Die Verhinderung des Nachrückens in ein bestimmtes Belegschaftsorgan könne unter gewissen Umständen wohl im Sinne des § 879 ABGB sittenwidrig sein, erfülle aber nicht den Anfechtungstatbestand des § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG. Mit dieser Schutzklausel sollten nach bisher einhelligem Verständnis im wesentlichen Aktivitäten im Vorfeld einer Wahl bis zum Wirksamwerden des Kündigungsschutzes mit der Aufnahme in den Vertretungskörper geschützt werden. Wohl könne diese Bestimmung ausnahmsweise auch dann zum Tragen kommen, wenn der Arbeitnehmer ein Mandat nicht erlangt habe und wegen seiner Bewerbung um das Mandat nach Ende der Wahlanfechtungsfrist gekündigt werde, doch finde sich für diesen Anwendungsfall im Vorbringen kein "Bescheinigungssubstrat".
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Dem Berufungsgericht ist vorerst darin beizupflichten, daß dem Erstgericht durch das Heranziehen des Anfechtungstatbestandes nach § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG, welcher im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht wurde, ein Verstoß gegen § 405 ZPO widerfahren ist; dennoch durfte das Berufungsgericht einen solchen Verstoß ohne Rüge nicht aufgreifen (9 ObA 156/89 ua in RIS-Justiz RS0041240). Die Berufungswerberin hat einen solchen Verstoß nicht nur nicht aufgezeigt, sondern stellte mit ihrer Beweisrüge und der Rüge eines sekundären Verfahrensmangels ausdrücklich auf Feststellungen ab, die das Erstgericht zur Begründung des Anfechtungstatbestandes nach § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG herangezogen hat. Damit ist dieser Anfechtungstatbestand aber so zu werten, als ob er bereits im Verfahren 1. Instanz geltend gemacht worden wäre und einer materiellrechtlichen Beurteilung zu unterziehen.
Dem Berufungsgericht kann nicht beigepflichtet werden, daß die - noch ungeprüften - Feststellungen des Erstgerichtes an sich nicht geeignet seien, als Grundlage für den Anfechtungstatbestand nach § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG zu dienen. Wohl zielt der Schutzzweck dieser Norm in erster Linie darauf ab, die Koalitionsfreiheit der Belegschaft zu sichern und sie vor Maßregelungen durch den Dienstgeber zu schützen (Tomandl aaO 205 zur vergleichbaren Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 1 lit e ArbVG), doch hat die Rechtsprechung bereits erkannt, daß es keine zeitliche Schranke des Motivkündigungsschutzes, sondern insoweit nur eine faktische Schranke gibt, als bei einem weit zurückliegenden Anlaß dem Arbeitnehmer die Glaubhaftmachung des Zusammenhanges zwischen diesem verpönten Anlaß und der Kündigung schwer gelingen wird (9 ObA 198/94, 8 Ob 62/98w in RIS-Justiz RS0051664).
Wenngleich Ersatzmitglieder nur in Ausnahmefällen besonderen Kündigungsschutz genießen (§ 130 Abs 1 iVm § 120 Abs 4 ArbVG), kann dennoch eine Kündigungs- bzw Entlassungsanfechtung möglich sein (Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz Arbeitsverfassungsrecht Erl 7 zu § 120 ArbVG), was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn das Kündigungsmotiv die Eigenschaft des Arbeitnehmers, Ersatzmitglied zu sein oder gewesen zu sein, betrifft, weil auch durch die Ersatzmitgliedschaft der Tatbestand der "Bewerbung um eine Mitgliedschaft" zum Betriebsrat oder Jugendvertrauensrat erfüllt wird (Floretta in Floretta/Strasser ArbVG 635 f). Aus den Feststellungen des Erstgerichtes leuchtet ein solches Motiv insoweit hervor, als eine Verhinderung des Jugendvertreters und somit ein Nachrücken des Ersatzmitgliedes S***** absehbar war, was durch die Kündigung gerade verhindert werden sollte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes rechtfertigt diese Feststellung nicht nur einen Verweis auf § 879 ABGB (- ein nur auf Sittenwidrigkeit gegründeter Verstoß würde dem Betriebsrat keine Anfechtungslegitimation zukommen lassen -), sondern würde auch den nach § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG geforderten Zusammenhang mit der Bewerbung um die Bestellung zum Mitglied des Jugendvertrauensrates herstellen, weil ja einzig die Bewerbung um das Mandat zur Ersatzmitgliedsfunktion führen konnte.
Davon ausgehend erweist sich das Berufungsverfahren als mangelhaft, weil die Beweisrüge und die Rüge eines sekundären Feststellungsmangels nicht erledigt wurden. Diese enthalten nämlich Argumente, welche sich gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen richten, aus denen auf das Vorliegen des Anfechtungstatbestandes nach § 130 Abs 4 Z 2 ArbVG geschlossen wurde.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.