TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 15.02.2017, 15Os82/16x

OGH vom 15.02.2017, 15Os82/16x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Alfons A***** wegen des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB, AZ 38 Hv 32/13s des Landesgerichts Krems an der Donau, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom , GZ 38 Hv 32/13s-20, wurde Dr. Alfons A***** des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB schuldig erkannt. Danach hat er „im Februar 2012 in G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit unbekannten Mittätern dadurch, dass er als Obmann des Vereins 'P*****' und als Obmann der Partei 'C*****' seine Zustimmung gegeben hat, dass dieser Verein und die genannte Partei auf Flugblättern, in denen der Buddhismus als eine menschenverachtende Ideologie bezeichnet wird bzw Angehörige der buddhistischen Religionsgesellschaft als Angehörige einer menschenverachtenden Ideologie hingestellt werden, die sexualmagische Praktiken zur Erleuchtung einsetzen, der Buddhismus als kriegerisch und die Weltherrschaft anstrebend dargestellt und in die Nähe von Pädophilie und des Nationalsozialismus gerückt wird, als unterstützende Organisationen angeführt und diese Flugblätter an 1620 Haushalte verteilt werden, für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine in § 283 Abs 1 StGB genannte Gruppe gehetzt und sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen gesucht.“

Der dagegen vom Angeklagten ergriffenen Berufung (unter anderem) wegen des Ausspruchs über die Schuld gab das Oberlandesgericht Wien – nachdem die Entscheidung dieses Gerichts vom , AZ 18 Bs 318/14t, aufgrund einer aus Anlass eines Erneuerungsantrags des Verurteilten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 14 Os 77/15b, 114/15v, 136/15d, aufgehoben und eine neue Entscheidung aufgetragen worden war – mit Urteil vom , AZ 17 Bs 84/16a, (ON 37 der Hv-Akten) Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte den Angeklagten nach Anhörung der Beteiligten über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt (§ 262 iVm §§ 474, 489 StPO) und nach Ergänzung des Beweisverfahrens des Vergehens der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB schuldig, weil es in den Flugblättern eine gegen den Dalai Lama und die buddhistische Glaubenslehre (und nicht gegen eine Gruppe im Sinn des § 283 Abs 1 StGB) gerichtete Maßnahme erblickte (US 14 f). Danach hat Dr. Alfons A***** „im Februar 2012 in G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit unbekannten Mittätern öffentlich eine Person, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, nämlich den Dalai Lama und die Glaubenslehre einer Kirche und Religionsgesellschaft, nämlich jene des Buddhismus, unter Umständen herabgewürdigt, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, indem er als Obmann des Vereins 'P*****' und Obmann der Partei 'C*****' seine Zustimmung gegeben hat, dass dieser Verein und die genannte Partei auf Flugblättern als unterstützende Organisationen angeführt und diese Flugblätter an 1620 Haushalte verteilt werden, in denen der Buddhismus als eine menschenverachtende Ideologie bezeichnet wird, die sexualmagische Praktiken zur Erleuchtung einsetzt, der Buddhismus als kriegerisch und die Weltherrschaft anstrebend dargestellt und in die Nähe von Pädophilie, Kannibalismus und des Nationalsozialismus gerückt wird und der Dalai Lama als diktatorischer Beherrscher der Welt in einem buddhistischen Gottesstaat bezeichnet wird“.

Dagegen richtet sich der am beim Obersten Gerichtshof eingebrachte Antrag auf Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO per analogiam.

Rechtliche Beurteilung

Ein

Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, hat deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen und seine Argumentation grundsätzlich (soweit nicht Begründungsmängel aufgezeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen geweckt werden) auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung methodengerecht zu entwickeln (RIS-Justiz

RS0124359, RS0128393).

Indem der Antragsteller zunächst einzelne Passagen der Entscheidung des Oberlandesgerichts zitiert und damit deutlich machen will, dass aus seiner Sicht das Berufungsgericht einem „von vornherein feststehenden Schuldspruch“ den „Anschein von Rechtsstaatlichkeit“ geben wollte, wird er diesen Kriterien nicht gerecht.

Ebenfalls nicht prozessförmig zeigt der Erneuerungswerber eine Verletzung des Art 10 MRK mit dem bloßen Hinweis auf, er habe in seiner Berufung „die Frage releviert“, „dass die Anerkennung der Buddhistischen Religionsgesellschaft insbesondere in seiner (gemeint: ihrer) tibetischen Ausprägung in Frage zu stellen und zu überprüfen wäre“.

Soweit er in diesem Zusammenhang Art 10 Abs 2 MRK thematisiert und behauptet, bei politischen Äußerungen oder Diskussionen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse bestehe für Einschränkungen der Meinungsfreiheit kaum Spielraum, ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu verweisen, wonach einerseits die an sich weitreichende Privilegierung von kritischen Werturteilen keine schrankenlose Meinungs- und Kritikfreiheit gewährt, sondern auch gegenüber Politikern und in Debatten zu Fragen von öffentlichem Interesse (Un-)Werturteile ohne (einzelfallbezogen) hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse von Art 10 Abs 1 MRK nicht gedeckt sind (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6§ 23 Rz 26 ff, 32 und 35 f; 15 Os 171/08y und 15 Os 52/12d jeweils mwN), und andererseits in Fragen des religiösen Glaubens und im Bereich des Schutzes der religiösen Gefühle anderer dem Staat ein

gewisser Ermessensspielraum eingeräumt wird und ihn eine Verpflichtung zur Unterbindung von kritischen Äußerungen trifft, die von Gläubigen als extrem beleidigend und provokativ erlebt werden (RIS-Justiz RS0124985, RS0129163; EGMR , 17419/90, Wingrove/Vereinigtes Königreich). Aufgrund der zwischen Art 9 MRK und Art 10 MRK bestehenden Wechselwirkung und der jeweils fallbezogen durchzuführenden Interessenabwägung zwischen dem Recht des Angeklagten auf Weitergabe von Ansichten an die Öffentlichkeit und dem Recht anderer auf Achtung ihrer Religionsfreiheit sind die Grenzen kritischer Werturteile enger zu ziehen als in Fallkonstellationen, in denen der Schutzbereich des Art 9 MRK nicht betroffen ist (RIS-Justiz RS0129164). Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die getroffenen Einschränkungen einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprachen und ob sie verhältnismäßig zum gesetzlich verfolgten Ziel waren (EGMR , 11/1993/406/485, Otto-Preminger-Institut/Österreich = ÖJZ 1995/13; EGMR , 42571/98, I. A./Türkei). Zwar muss Kritik an Kirchen und Religionsgemeinschaften zulässig sein, handelt es sich jedoch nicht bloß um Äußerungen oder Ansichten, die als verstörend, schockierend oder provokant aufgefasst werden müssen, sondern um einen ungerechtfertigten und beleidigenden Angriff auf die Glaubenslehre und -inhalte einer Kirche oder Religionsgemeinschaft, ist ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt und eine strafrechtliche Verurteilung als in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme zum Schutz gegen beleidigende Angriffe auf Angelegenheiten anzusehen, die von einem Gläubigen als heilig eingestuft werden (vgl EGMR , 11/1993/406/485, Otto-Preminger-Institut/Österreich; EGMR , 42571/98, I. A./Türkei).

Im Anwendungsbereich des § 188 StGB werden diese Grundsätze insbesondere bei Prüfung der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, berücksichtigt, weshalb die Verwirklichung des objektiven Tatbestands zu verneinen ist, wenn die Meinungsäußerung im Einklang mit den Art 9 und 10 MRK steht (vgl 15 Os 52/12d mwN; RIS-Justiz RS0129165).

Ausgehend von den Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der gegenständlichen Äußerungen (US 13 f), aus dem das Oberlandesgericht den Schluss gezogen hat, dass diesen „Wertungsexzesse ohne hinreichendes Tatsachensubstrat“ (vgl dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6§ 23 Rz 28; RIS-Justiz RS0075706 [T2 bis T 4]) zugrunde lagen, sie „bloß auf das Verächtlichmachen dieser Glaubenslehre und deren Herabwürdigung insgesamt“ abzielten und „keinen kritischen – auch provozierend zulässigen – Beitrag zur Debatte zu Inhalten der Glaubenslehre des Buddhismus leisteten, sondern dass ein beleidigender Angriff auf letztere erfolgte (US 23 f), hat das Berufungsgericht die (Rechts-)Frage ihrer Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, zutreffend bejaht.

Die Argumentation des Erneuerungswerbers, es habe sich bei den gegenständlichen Äußerungen um Tatsachenbehauptungen gehandelt, deren Wahrheitsgehalt überprüft werden hätte können, orientiert sich demnach nicht am festgestellten Bedeutungsinhalt der inkriminierten Textpassagen (RIS-Justiz RS0125393). Durch die – unter Verweis auf mehrere Literaturzitate erfolgte – eigene Interpretation von Teilaspekten der buddhistischen Lehre zeigt der Erneuerungswerber aber weder Begründungsmängel (vgl § 281 Abs 1 Z 5 StPO) auf, noch weckt er erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachenannahmen des Oberlandesgerichts Wien (vgl § 281 Abs 1 Z 5a StPO), sondern versucht, bloß in unzulässiger Weise nachträglich eine hinreichende Sachverhaltsbasis für die inkriminierten Äußerungen zu schaffen (vgl RIS-Justiz RS0125393 [T1]).

Soweit der Antragsteller Feststellungen zur Gefährdung des religiösen Friedens durch die inkriminierten Äußerungen vermisst, genügt der Hinweis, dass der religiöse Friede (als Teil des öffentlichen Friedens) das durch § 188 StGB geschützte Rechtsgut ist, die Eignung der Verletzung des religiösen Friedens jedoch kein Tatbestandsmerkmal ist (RIS-Justiz RS0129166; E. Mayer/Tipold, SbgK § 188 Rz 6, 9).

Dass durch die Verteilung des eine religiöse Lehre herabwürdigenden Flugblatts eine demokratische Abstimmung beeinflusst werden sollte, hat das Berufungsgericht – dem Erneuerungsantrag zuwider – nicht als „tatbestandsbegründend“ angesehen, sondern (zulässigerweise nur) bei der Strafzumessung nach § 32 StGB berücksichtigt (US 27).

Unter dem Titel „Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 4 StPO“ kritisiert der Erneuerungswerber „die Umgangsweise mit den Beweisanträgen“, weil die Vernehmung des Zeugen Bruno W***** abgelehnt worden sei. Soweit er damit der Sache nach eine Verletzung von Art 6 Abs 1 iVm Abs 3 lit d MRK reklamiert, vernachlässigt er, dass er einen Antrag auf Vernehmung dieses Zeugen vor dem Berufungsgericht trotz Information über die (mit Urteilskassation verbundene) abweichende rechtliche Beurteilung und Ergänzung des Beweisverfahrens nicht gestellt hat (vgl ON 36; zur Stellung von Beweisanträgen im Rahmen des § 476 StPO s Ratz, WK-StPO § 473 Rz 13).

Entgegen dem Erneuerungsantrag wurde im Berufungsverfahren durch die Ablehnung der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art 267 AEUV zur Frage, ob wahrheitsgemäße Tatsachenbehauptungen und Werturteile, die auf wahren Tatsachenbehauptungen beruhen, im Licht der Art 10, 11 und 13 GRC die Tatbestände des § 188 und des § 283 StGB erfüllen, nicht gegen den (der Sache nach angesprochenen) Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 MRK verstoßen. Denn das Oberlandesgericht Wien hat ausführlich begründet (US 27 f), warum die zuvor zitierte Frage nicht für eine Vorlage nach Art 267 AEUV geeignet ist und gegenständlich keine in einem (gegebenenfalls von Amts wegen zu veranlassenden) Vorabentscheidungsverfahren klärbare Auslegungsfrage ersichtlich ist, weshalb ein willkürliches Vorgehen zu verneinen ist (vgl dazu

Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 6 Rz 72; EGMR , 54193/07, Herma/Deutschland mwN).

Zusammenfassend ergibt sich, dass das Oberlandesgericht eine Deckung der inkriminierten Äußerungen, die im Kontext zu einer öffentlichen Debatte über die Religionsausübung von Buddhisten standen, durch das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 MRK – unter Berücksichtigung des im vorliegenden Fall ebenfalls berührten Rechts auf Glaubensfreiheit nach Art 9 MRK – zu Recht verneint hat. Die gegenständliche Verurteilung des Erneuerungswerbers stellt zwar einen Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit dar, diente aber dem Schutz des religiösen Friedens und der religiösen Gefühle anderer und war in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Sie war auch unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Religionsfreiheit verhältnismäßig, denn der Antragsteller wurde nicht zu einer (alternativ möglichen) Freiheitsstrafe, sondern lediglich zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen (zu jeweils 30 Euro) verurteilt, womit das Berufungsgericht lediglich ein Viertel des zur Verfügung stehenden Rahmens (von 360 Tagessätzen) ausgeschöpft hat (vgl EGMR , 42571/98, I. A./Türkei).

Soweit der Erneuerungswerber in einer ergänzenden Eingabe (vgl jedoch zur Einmaligkeit des

Erneuerungsantrags RIS-Justiz RS0123231) die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Obersten Gerichtshof zur bereits oben zitierten Frage beantragt, genügt der Hinweis, dass einer Prozesspartei kein diesbezügliches Antragsrecht zukommt (RIS-Justiz RS0058452). Im Übrigen würde sich die vom Erneuerungswerber gewünschte Fragestellung an den Gerichtshof der Europäischen Union von vornherein auf keinen präjudiziellen Umstand beziehen, sind doch wahrheitsgemäße Tatsachenbehauptungen und Werturteile, die auf wahren Tatsachenbehauptungen beruhen, nach den Konstatierungen des Berufungsgerichts gar nicht verfahrensgegenständlich.

Der Erneuerungsantrag war daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00082.16X.0215.000
Schlagworte:
Strafrecht

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.