OGH 28.04.2015, 8ObA23/15p
Rechtssatz
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Normen | KollV für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmungen (EVU) §25 Abs2 KollV für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmungen (EVU) §25 Abs3 |
RS0130122 | Entspricht der konkret ausgestaltete Bereitschaftsdienst weder § 25 Abs 2 noch Abs 3 des Kollektivvertrags, ist zu beurteilen, ob der Bereitschaftsdienst eine größere Nähe zur Ruferreichbarkeit oder zur allgemeinen Erreichbarkeit aufweist. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gemeinsamer Betriebsrat D*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 68/14w-15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cga 27/14h-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass es lautet:
„Es wird gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass die im Betrieb Drau (Kraftwerksgruppe Drau) beschäftigten Angestellten und Arbeiter, die in den Bereitschaftsdienst einbezogen sind, Anspruch auf die Entlohnung der angeordneten Ruferreichbarkeit gemäß § 25 Abs 2 des Kollektivvertrags für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmen Österreichs bzw gemäß Abschnitt XVI Pkt 2 des Kollektivvertrags für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen Österreichs haben.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.282,98 EUR (darin enthalten 713,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 1.846,56 EUR (darin enthalten 307,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.329,84 EUR (darin enthalten 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist der für die Kraftwerksgruppe Drau errichtete gemeinsame Betriebsrat. An der Drau gibt es insgesamt zehn Kraftwerke als Betriebsstandorte. Eine Betriebsvereinbarung über die Abgeltung des Bereitschaftsdienstes wurde nicht abgeschlossen. Für die in den Bereitschaftsdienst einbezogenen Arbeitnehmer der Beklagten gilt eine Arbeitsanweisung, die (in der Fassung aus Februar 2012) die Erreichbarkeit (unter anderem) mittels „Diensthandy“ festlegt, sowie die Veranlassung EB 1/2012. Diese Veranlassung weist folgenden Inhalt auf:
„Mitarbeiter die in einem Bereitschaftsdienst der V***** einbezogen werden, haben folgende Anforderungen und Kriterien zu erfüllen:
1. Wohnort
Wohnort bzw Aufenthaltsort während des Bereitschaftsdienstes darf nicht mehr als 30 Autofahrminuten vom geplanten Einsatzort (i.d.R. das Krafthaus) entfernt sein. Umfasst der Bereitschaftsdienst mehrere Kraftwerke, so muss zur Einleitung von Erstmaßnahmen das nächstgelegene Kraftwerk innerhalb von 30 Autofahrminuten bei normalen Fahrbedingungen erreicht werden können. Die Feststellung der max. 30 Autofahrminuten bei normalen Fahrverhältnissen hat mittels des Routenplaners Google Maps (bei unbekannter Adresse Einsatz eines Alternativroutenplaners) zu erfolgen. Bei entfernten Wohnsitzen kann durch die Bereitstellung eines Dienstzimmers bzw Quartier auf Kosten der V***** im Nahbereich des Einsatzortes dieses Kriterium erfüllt werden. Quartier wird nur dann bereitgestellt, wenn kein geeignetes Dienstzimmer vorhanden ist.
2. Qualifikation:
Der Mitarbeiter muss durch das Ablegen zumindest einer Prüfung nachweislich (schriftlich) die fachliche Qualifikation für den Bereitschaftsdienst erbringen.
3. Organisatorische Erfordernisse:
Der Mitarbeiter muss den Brief der Personalabteilung über die Einbeziehung in den Bereitschaftsdienst unterzeichnet und an die Abteilung EDS retourniert haben.
4. Arbeitsanweisung:
Der Mitarbeiter muss nachweislich die Arbeitsanweisung 'Bereitschaftsdienste' der jeweiligen Werksgruppe zur Kenntnis genommen haben.
Nur wenn Kriterium 1 bis 4 erfüllt sind, kann der Mitarbeiter in den Bereitschaftsdienst einbezogen werden. Zusätzlich muss der Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst die entsprechende körperliche Fitness für diese zusätzlichen Belastungen erbringen.
Sonstige Festlegungen für Mitarbeiter im Bereitschaftsdienst der V*****:
Ist für die Abwicklung des Bereitschaftsdienstes die Benützung eines Privat-Pkw erforderlich, so gebührt für die dienstlich gefahrenen Kilometer grundsätzlich das amtliche Kilometergeld. Die Benützung des Privat-Pkw im Bereitschaftsdienst ist vorab durch den zuständigen OE-Leiter zu genehmigen.
Wird für den Bereitschaftsdienst ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt, so kann dieses Dienstauto im Sinne der allgemeinen Erreichbarkeit auch für allgemeine Fahrten eingesetzt werden.
Wenn entsprechend Punkt 1 die Benutzung eines bereitgestellten Dienstzimmers oder Quartier erforderlich ist, dann gebührt dem Mitarbeiter zur Abdeckung der Mehrkosten pauschal je Übernachtung der halbe amtliche Taggeldsatz.“
Jeder in den Bereitschaftsdienst einbezogene Mitarbeiter der Beklagten erhält für diesen Dienst ein „Diensthandy“ sowie ein Dienstfahrzeug, das mit einem Betriebsfunk ausgestattet ist, zur Verfügung gestellt. Vom zugrunde liegenden Feststellungsbegehren sind mehr als drei Mitarbeiter der Beklagten betroffen.
Der Kollektivvertrag für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmen Österreichs (§ 25) sowie der Kollektivvertrag für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen Österreichs (Abschnitt XVI) enthalten im gegebenen Zusammenhang folgende Regelungen:
„(1) Anwesenheit
Anwesenheit liegt vor, wenn ein Angestellter nach Absolvierung seiner normalen, für den betreffenden Tag vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit auf Anordnung des Arbeitgebers oder dessen Bevollmächtigten zwar sich jederzeit an der Arbeitsstätte zur Arbeit bereithalten muss, jedoch keine wirkliche oder kontinuierliche Arbeit zu leisten hat, sondern vielmehr ein Zustand zwischen Arbeitsruhe und Arbeitstätigkeit besteht.
Wenn nach Absolvierung der normalen, für den betreffenden Tag vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit Anwesenheitsdienst geleistet wird, kann die wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Anwesenheitszeit bis zu 60 Stunden ausgedehnt werden. Für jede Anwesenheitsstunde gebührt die Vergütung laut Absatz 5.
Wird der Angestellte während der Anwesenheit zu einer tatsächlichen Arbeitsleistung herangezogen, so gilt diese als Überstundenleistung.
(2) Ruferreichbarkeit
Ruferreichbarkeit liegt vor, wenn ein Angestellter außerhalb seiner normalen, für den betreffenden Tag vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit auf Anordnung des Arbeitgebers oder dessen Bevollmächtigten in seiner Wohnung jederzeit für allfällige Arbeitsleistungen erreichbar sein muss. Für jede Ruferreichbarkeitsstunde gebühren,
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sofern die Erreichbarkeit an Wochen-, Sonn- oder Feiertagen in die Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr fällt | 45 % |
sofern sie an Wochen-, Sonn- oder Feiertagen in die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt | 15 % |
der Vergütung nach Abs 5.
Wird der Angestellte während der Ruferreichbarkeit zu einer tatsächlichen Arbeitsleistung herangezogen, so gilt diese als Überstundenleistung.
(3) Allgemeine Erreichbarkeit
Allgemeine Erreichbarkeit liegt vor, wenn ein Angestellter außerhalb seiner normalen, für den betreffenden Tag vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit auf Anordnung des Arbeitgebers oder dessen Bevollmächtigten innerhalb einer Entfernung von 4 Wegkilometern - von seiner Wohnung aus gerechnet - für allfällige Dienstleistungen erreichbar ist.
Er ist verpflichtet, seinen jeweiligen Aufenthaltsort in der vom Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten vorgeschriebenen Weise bekannt zu geben.
Wenn er aber mit einer drahtlosen Rufeinrichtung ausgestattet ist, entfällt die Verpflichtung den jeweiligen Aufenthaltsort bekannt zu geben, und kann er sich bis zu 6 Wegkilometer von seiner Wohnung entfernen. Er hat sich jedoch über Anruf des Arbeitgebers oder dessen Bevollmächtigten unmittelbar zu melden. Wenn es sich arbeitsorganisatorisch als zweckmäßig erweist, anstelle der 6 Wegkilometer eine Zeitspanne zu setzen, ist hierüber eine Betriebsvereinbarung abzuschließen.
Für jede allgemeine Erreichbarkeitsstunde gebühren,
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sofern die Erreichbarkeit an Wochen-, Sonn- oder Feiertagen in die Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr fällt | 30 % |
sofern sie an Wochen-, Sonn- oder Feiertagen in die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr fällt | 10 % |
der Vergütung nach Abs 5.
Wird der Angestellte während der allgemeinen Erreichbarkeit zu einer tatsächlichen Arbeitsleistung herangezogen, so gilt diese als Überstundenleistung.“
Der Kläger begehrte die Feststellung, dass die in den Bereitschaftsdienst einbezogenen Mitarbeiter Anspruch auf Entlohnung für die Ruferreichbarkeit (und nicht für die allgemeine Erreichbarkeit) laut Kollektivvertrag haben. Die Gestaltung der Rufbereitschaft entspreche der kollektivvertraglichen Ruferreichbarkeit. Entferne sich der Mitarbeiter bis zu 6 Kilometer zu Fuß von seiner Wohnung, so sei es ihm nicht möglich, innerhalb von 30 Autofahrminuten beim Einsatzort einzutreffen. Nach dem Kollektivvertrag müsste für die Regelung des Bereitschaftsdienstes eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden; eine solche liege nicht vor.
Die Beklagte entgegnete, dass der Bereitschaftsdienst als allgemeine Erreichbarkeit ausgestaltet sei. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung sei daher nicht erforderlich gewesen. Der Kollektivvertrag normiere für den Arbeitgeber keine Beschränkung, zusätzlich zur räumlichen Entfernung nach § 25 Abs 3 leg cit auch eine zeitliche Vorgabe anzuordnen.
Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Die angeordnete Zeitspanne von 30 Minuten sei nicht mit einem verpflichtenden Aufenthalt des Mitarbeiters in der Wohnung vergleichbar, sondern deutlich großzügiger bemessen. In Wirklichkeit sei ein auch längeres Verlassen der Wohnung problemlos möglich, zumal der Mitarbeiter nicht nur ein „Diensthandy“, sondern auch einen Dienst-Pkw zur Verfügung habe. Eine derartige Bewegungsfreiheit sei einem Mitarbeiter, der verpflichtend in der Wohnung anwesend sein müsse, verwehrt. Der Bereitschaftsdienst bei der Beklagten sei daher als allgemeine Erreichbarkeit und nicht als Ruferreichbarkeit ausgestaltet.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach dem System des Kollektivvertrags falle die Entlohnung umso höher aus, je stärker der Arbeitnehmer in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt sei. Nach der Regelung des Bereitschaftsdienstes laut Veranlassung EB 1/2012 sei die Bewegungsfreiheit der betroffenen Mitarbeiter in einem wesentlich größeren Ausmaß gegeben, als dies für die Ruferreichbarkeit nach § 25 Abs 2 des Kollektivvertrags der Fall wäre. Die vom Kläger angestrebte Abgeltung der Bereitschaftszeiten als Ruferreichbarkeit scheitere auch schon daran, dass die betroffenen Mitarbeiter nicht in ihren Wohnungen erreichbar sein müssten. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Dienstfahrzeuge seien die in Frage stehenden Regelungen sogar günstiger als jene für die allgemeine Erreichbarkeit nach § 25 Abs 3 des Kollektivvertrags. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit den zugrunde liegenden Kollektivvertragsbestimmungen noch nicht befasst habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Feststellungsbegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts zur rechtlichen Konsequenz des Fehlens einer Betriebsvereinbarung im Sinn des § 25 Abs 3 (bzw des Abschnitts XVI Pkt 3) des zugrunde liegenden Kollektivvertrags als korrekturbedürftig erweist. Sie ist dementsprechend auch berechtigt.
1. Zu klären ist die Frage der Entlohnung für die nach Maßgabe der Veranlassung EB 1/2012 „in den Bereitschaftsdienst einbezogenen Mitarbeiter“ der Beklagten. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, die Entlohnung des Bereitschaftsdienstes erfolge zu Recht nach § 25 Abs 3 (bzw Abschnitt XVI Pkt 3) des Kollektivvertrags. Dieser sei tatsächlich als „allgemeine Erreichbarkeit“ und nicht als „Ruferreichbarkeit“ gestaltet.
2. Das vereinbarte Arbeitsentgelt gebührt für die Arbeitszeit. Die Arbeitszeit beginnt mit der Aufnahme der vereinbarten Arbeit bzw mit dem Zeitpunkt, ab dem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht.
Für Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft bestehen besondere Regelungen. Auch für diese Zeit ist charakteristisch, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht. Für die Arbeitsbereitschaft, die zur Arbeitszeit zählt, ist maßgebend, dass sich der Arbeitnehmer in der Regel an der Arbeitsstätte oder in deren unmittelbarer Umgebung (vgl 9 ObA 53/92) aufzuhalten hat, um im Bedarfsfall jederzeit die Arbeitsleistung aufnehmen zu können. Die Rufbereitschaft, die nicht zur Arbeitszeit im engeren Sinn gehört, ist dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort grundsätzlich selbst wählen kann, dort aber jederzeit erreichbar sein muss, damit er in kurzer Zeit seine dienstlichen Tätigkeiten aufnehmen kann (8 ObA 61/13y).
Das Arbeitszeitgesetz regelt nicht, welches Entgelt dem Arbeitnehmer für die verschiedenen Formen der Inanspruchnahme der Arbeitskraft zusteht. Dies ist in erster Linie Sache des Kollektivvertrags und - im Rahmen des Günstigkeitsprinzips - der individuellen Vereinbarung. Mangels Vereinbarung gebührt ein ortsübliches bzw angemessenes Entgelt (8 ObA 321/01s; 8 ObA 61/13y).
3. Die Parteien gehen im Anlassfall davon aus, dass der Bereitschaftsdienst als Rufbereitschaft (Erreichbarkeit über „Diensthandy“) geregelt ist. Strittig ist, ob dafür die Entlohnung nach § 25 Abs 2 (Ruferreichbarkeit) oder nach Abs 3 (allgemeine Erreichbarkeit) des Kollektivvertrags gebührt.
Einigkeit besteht darüber, dass die Regelung des Bereitschaftsdienstes laut Veranlassung EB 1/2012 eine Entfernung des Mitarbeiters von seiner Wohnung zulässt, dabei aber nicht an eine Entfernung von 6 Wegkilometer (aufgrund der „Diensthandy-Ausstattung“) von seiner Wohnung anknüpft, sondern stattdessen eine Zeitspanne von 30 Autofahrminuten vom Aufenthaltsort bis zum Einsatzort (nächstgelegenes Kraftwerk) vorsieht und dafür eine Betriebsvereinbarung nicht besteht.
Damit verstößt die Regelung des Bereitschaftsdienstes nach der Veranlassung EB 1/2012 gegen die Anordnung in § 25 Abs 3 des Kollektivvertrags, wonach für eine derartige Abweichung eine Betriebsvereinbarung abzuschließen ist.
4.1 Mit den rechtlichen Konsequenzen exakt dieses Verstoßes hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 8 ObA 321/01s befasst. Dazu wurde zusammengefasst ausgeführt:
„Nach dem insoweit völlig eindeutigen Text des Kollektivvertrags ist im Fall der Ausstattung von Angestellten mit drahtlosen Rufeinrichtungen zwecks Ermöglichung der Kontaktaufnahme zwingend eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, in der unter anderem auch die Frage der Entgeltlichkeit zu Regeln ist. Diese Anordnung ist nicht als bloße Ordnungsvorschrift zu verstehen, kann doch nur durch eine derartige Vorgangsweise eine den Bedürfnissen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgewogen Rechnung tragende Regelung gefunden werden. Diese Bestimmung kann vom Arbeitgeber nicht einseitig umgangen werden, sondern hat er vielmehr das Einvernehmen mit der Belegschaftsvertretung herzustellen. Tut er dies nicht, kann dies nicht zum Nachteil des einzelnen Arbeitnehmers dahin ausschlagen, dass man ihm die Entlohnung schon mangels Vorliegens einer Anspruchsgrundlage verwehrt. Vielmehr ist - regelt der Kollektivvertrag die Entlohnung für im Wesentlichen vergleichbare Tätigkeiten - auf diese Ansätze zurückzugreifen.“
4.2 Da (auch) im Anlassfall der von der Beklagten konkret ausgestaltete Bereitschaftsdienst weder § 25 Abs 2 noch Abs 3 des zugrunde liegenden Kollektivvertrags entspricht, ist somit zu beurteilen, ob der Bereitschaftsdienst laut Veranlassung EB 1/2012 eine größere Nähe zur Ruferreichbarkeit oder zur allgemeinen Erreichbarkeit aufweist.
Das Argument des Klägers ist stichhaltig, dass sich der Arbeitnehmer nach § 25 Abs 3 des Kollektivvertrags auch zu Fuß 6 Wegkilometer von seiner Wohnung entfernen darf und in einem solchen Fall die Zeitspanne nach der Veranlassung EB 1/2012 im Allgemeinen nicht einhalten kann. Noch mehr fällt ins Gewicht, dass der Arbeitnehmer laut Veranlassung EB 1/2012 sicherstellen muss, dass er innerhalb der Zeitspanne von 30 Autofahrminuten am Einsatzort eintrifft. Diese Regelung gibt in Wirklichkeit den Aufenthaltsort vor. Dementsprechend bestimmt die Veranlassung EB 1/2012 weiters, dass bei entfernteren Wohnsitzen die Einhaltung der Zeitspanne durch die Bereitstellung eines Dienstzimmers bzw Quartiers erfüllt werden kann. Ist also der Wohnort außerhalb der vorgegebenen Zeitspanne gelegen, so kann sich der Arbeitnehmer nicht einmal in seiner Wohnung aufhalten. Diese Regelung ist sogar ungünstiger als jene der Ruferreichbarkeit nach § 25 Abs 2 des Kollektivvertrags.
Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und des Aktionsradius des Arbeitnehmers durch die Regelung des Bereitschaftsdienstes in der Veranlassung EB 1/2012 ist damit als gravierend zu beurteilen und nicht mit den Vorgaben für die allgemeine Erreichbarkeit nach § 25 Abs 3 des Kollektivvertrags vergleichbar. Vielmehr weist diese Regelung eine größere Nähe zu § 25 Abs 2 des Kollektivvertrags auf.
4.3 In der zitierten Entscheidung 8 ObA 321/01s war die Entlohnung eines Mitarbeiters für die Tätigkeit als Talsperrenveranwortlicher gemäß § 23a WRG zu beurteilen. Die beklagte Arbeitgeberin hat dem dortigen Kläger im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit als Talsperrenverantwortlicher keine Anweisung gegeben, in seiner Wohnung erreichbar zu sein oder sich nicht weiter als bis zu 6 Kilometer von dieser zu entfernen. Ihm wurde nur ein „Talsperren-Handy“ zur Verfügung gestellt, damit er im Sinn der gesetzlichen Vorgaben des § 23a WRG in angemessener Frist erreicht werden konnte. Davon ausgehend wurde beurteilt, dass dem dortigen Kläger die Entlohnung nach § 25 Abs 3 des Kollektivvertrags gebührt.
Der Sachverhalt dieses Vergleichsfalls ist mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, zumal durch die Veranlassung EB 1/2012 konkrete Anordnungen des Arbeitgebers zur zeitmäßigen Entfernung des jeweiligen Aufenthaltsorts des Arbeitnehmers zum Einsatzort bestehen.
5. Insgesamt ergibt sich, dass die laut Veranlassung EB 1/2012 in den Bereitschaftsdienst einbezogenen Mitarbeiter der Beklagten nach § 25 Abs 2 (bzw Abschnitt XVI Pkt 2) des zugrunde liegenden Kollektivvertrags zu entlohnen sind. Das Feststellungsbegehren des Klägers erweist sich demnach als berechtigt. Damit hält die Beurteilung des Berufungsgerichts der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand, weshalb das angefochtene Urteil in Stattgebung der Revision entsprechend abzuändern war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Arbeitsrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00023.15P.0428.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAD-93003