VfGH vom 12.03.2014, B258/2013
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verpflichtung zur Leistung eines Studienbeitrags für das Wintersemester 2012/13 wegen objektiver Willkür infolge rückwirkender Änderung der Satzung der Wirtschaftsuniversität Wien
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden. Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Die Wirtschaftsuniversität Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856, – bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist seit zum Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien zugelassen. Die Wirtschaftsuniversität Wien zählt zu jenen Universitäten, die – nachdem der Verfassungsgerichtshof mit VfSlg 19.448/2011 unter anderem § 91 Abs 1 bis 3 und Abs 8 des Bundesgesetzes über die Organisation der Universitäten und ihre Studien (Universitätsgesetz 2002 – UG 2002), BGBl I 120/2002 idF BGBl I 134/2008, als verfassungswidrig aufgehoben und der Gesetzgeber bis zum Ablauf der vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist für das Außerkrafttreten am keine Ersatzregelungen getroffen hatte – ihre Satzungen dahingehend änderten bzw. ergänzten, dass Bestimmungen eingeführt wurden, die mit Wirksamkeit ab dem Wintersemester 2012/13 eine Studienbeitragspflicht für Studierende vorsahen, die bestimmte, in den jeweiligen Satzungen (über weite Strecken gleichartig) geregelte Voraussetzungen erfüllen.
2. Gestützt auf § 29a Abs 1 und 4 der Satzung der Wirtschaftsuniversität Wien, Mitteilungsblatt der Wirtschaftsuniversität Wien vom , 8. Stück, Nr 59 in der Fassung Mitteilungsblatt vom , 33. Stück, Nr 208, stellte die Vizerektorin für Lehre der Wirtschaftsuniversität Wien auf Antrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom fest, dass diese verpflichtet sei, für das Wintersemester 2012/13 einen Studienbeitrag in der Höhe von € 363,36 zu entrichten, weil sie als ordentliche Studierende die vorgesehene Studienzeit zuzüglich zwei Toleranzsemester überschritten habe. Die gegen diesen erstinstanzlichen Feststellungsbescheid erhobene Berufung wies die Rechtsmittelkommission in Studienangelegenheiten des Senats der Wirtschaftsuniversität Wien mit Bescheid vom als unbegründet ab.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und insbesondere die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, in concreto der eine Studienbeitragspflicht vorsehenden Bestimmungen der Satzung der Wirtschaftsuniversität Wien, behauptet wird.
4. Die Rechtsmittelkommission in Studienangelegenheiten des Senats der Wirtschaftsuniversität Wien legte die Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung übermittelte – unter Hinweis auf die gleiche Sach- und Rechtslage –jene Äußerung, die bereits auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes zu einem gleichgelagerten Verfahren betreffend die Universität Wien (protokolliert zu B878/2012) erstattet worden war.
5. Aus Anlass der Beschwerde in dem zu B878/2012 protokollierten Verfahren leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom gemäß Art 139 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der §§23, 23a und 27 Abs 6 des studienrechtlichen Teils der Satzung der Universität Wien idF Mitteilungsblatt der Universität Wien vom , 22. Stück, Nr 129, ein. Nachdem der Verfassungsgerichtshof in diesem Prüfungsbeschluss Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit von Studienbeitragsregelungen, die ohne entsprechende gesetzliche Grundlage als Teil von im Verordnungsrang stehenden Satzungen öffentlicher Universitäten erlassen wurden, geäußert hatte, wurde am das Bundesgesetz, mit dem das Universitätsgesetz 2002 und das Studienförderungsgesetz 1992 geändert werden, im BGBl I 18/2013 kundgemacht. Der durch dieses Bundesgesetz eingeführte § 143 Abs 30 Satz 3 UG 2002 ordnete an, dass die in den Ziffern 1 bis 9 genannten "Regelungen über Studienbeiträge in Satzungen von Universitäten […] vom bis zum Wirksamwerden des § 91 Abs 1 bis 3 in der Fassung BGBl I Nr 18/2013 als Bundesgesetze" gelten. Zu diesen Regelungen zählten gemäß Ziffer 1 auch die erwähnten §§23 und 23a des studienrechtlichen Teils der Satzung der Universität Wien idF Mitteilungsblatt der Universität Wien vom , 22. Stück, Nr 129. Ob der Verfassungsmäßigkeit dieses, u.a. auch die den angefochtenen Bescheid tragende Studienbeitragsregelung der Satzung der Universität Wien in Gesetzesrang hebenden, § 143 Abs 30 Satz 3 UG 2002 idF BGBl I 18/2013 entstanden beim Verfassungsgerichtshof u.a. bei der Behandlung des (durch den aus Anlass der Beschwerde in dem zu B878/2012 protokollierten Verfahren gefassten Prüfungsbeschluss vom eingeleiteten) zu V71/2012 geführten amtswegigen Verordnungsprüfungsverfahrens Bedenken. Daher beschloss der Verfassungsgerichtshof am u.a., die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung von Amts wegen zu prüfen ( ua.).
6. Nachdem mit (Teil-)Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom zunächst § 143 Abs 30 Satz 3 UG 2002 idF BGBl I 18/2013 als verfassungswidrig aufgehoben wurde (, V32-36/2013-18), hob der Verfassungsgerichtshof schließlich mit Erkenntnis vom (, V32-36/2013-22, V71/2012-18) u.a. die §§23 und 23a des studienrechtlichen Teils der Satzung der Universität Wien, idF Mitteilungsblatt der Universität Wien vom , 22. Stück, Nr 129, als verfassungswidrig auf. Gleichzeitig sah sich der Verfassungsgerichtshof in letztgenanntem Erkenntnis veranlasst, "darauf hinzuweisen, dass […] die Gründe, die […] zur Aufhebung der in Prüfung gezogenen Satzungsregelungen der Universitäten Wien, Linz, Graz, Innsbruck und der Technischen Universität Graz geführt haben, auch auf die in der genannten aufgehobenen Gesetzesbestimmung des § 143 Abs 30 Satz 3 UG 2002 verwiesenen Satzungsbestimmungen […] der Wirtschaftsuniversität Wien […] zutreffen dürften" und es den zuständigen Organen frei stehe, "diese Satzungsbestimmungen aufzuheben und daran anknüpfend weitere Veranlassungen im Hinblick auf die für das Wintersemester 2012/13 eingehobenen Studienbeiträge zu treffen."
7. In weiterer Folge übermittelte die Rechtsmittelkommission in Studienangelegenheiten des Senats der Wirtschaftsuniversität Wien mit Schreiben vom die im Mitteilungsblatt vom , 11. Stück, Nr 64 veröffentlichte Änderung der Satzung der Wirtschaftsuniversität Wien, wonach "§§29a und 29b entfallen (rückwirkend aufgehoben für den Zeitraum bis )."
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. In Beschwerdeverfahren gemäß Art 144 B-VG ist von jener Rechtslage auszugehen, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bestanden hat (vgl. zB VfSlg 2009/1950), es sei denn, die Rechtslage wird rückwirkend auf einen vor Erlassung des Bescheides liegenden Zeitpunkt geändert; in diesem Fall ist der angefochtene Bescheid an der rückwirkend geschaffenen Rechtslage zu messen (vgl. VfSlg 17.066/2003 mwH).
Gemessen an der neuen, rückwirkend hergestellten Rechtslage mangelt es dem angefochtenen Bescheid an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Der belangten Behörde ist die sonach gegebene Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Bescheides zwar schon deshalb nicht vorwerfbar, weil die Aufhebung der §§29a und 29b der Satzung der Wirtschaftsuniversität Wien rückwirkend in Kraft getreten ist. Dessen ungeachtet obliegt es dem Verfassungsgerichtshof, den durch die rückwirkende Satzungsänderung eingetretenen, objektiver Willkür gleichzuhaltenden Widerspruch des angefochtenen Bescheides zur maßgeblichen Rechtslage aufzugreifen (vgl. dazu etwa VfSlg 17.930/2006 mwN).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Der Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Die Verpflichtung der Wirtschaftsuniversität Wien zum Ersatz der Prozesskosten ergibt sich aus den §§4 und 5 UG 2002 iVm Art 81c B-VG (vgl. ; , B1852/02; , B1088/06; , B878/2012). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.