VfGH vom 01.03.1996, B2579/95

VfGH vom 01.03.1996, B2579/95

Sammlungsnummer

14443

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht und im Gleichheitsrecht durch denkunmögliche und willkürliche Gesetzesanwendung bei Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen auf Basis des lohnsteuerrechtlichen Sachbezugswertes für die Zurverfügungstellung des Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom wurden dem Beschwerdeführer Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 5.991,50 zur Zahlung vorgeschrieben. Zusätzlich wurde ihm gemäß § 113 Abs 1 ASVG ein Beitragszuschlag in Höhe von S 900,-- angelastet.

1.2. Dem vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einspruch wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom keine Folge gegeben. Die belangte Behörde stützte sich in ihrer Entscheidungsbegründung im wesentlichen auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes VwSlg. 13891 A/1993.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie in eventu die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und den Antrag stellt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge zur Sozialversicherung ist für Pflichtversicherte nach § 44 Abs 1 ASVG - d.s. unselbständig Erwerbstätige - regelmäßig der Arbeitsverdienst, das ist nach Z 1 bei Dienstnehmern (und Lehrlingen) das Entgelt im Sinne des § 49 Abs 1, 3, 4 und 6. Unter Entgelt sind nach § 49 Abs 1 die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält. Als Entgelt gelten nach § 49 Abs 3 Z 20 zweiter und dritter Fall unter anderem nicht "... die Beförderung der Dienstnehmer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf Kosten des Dienstgebers sowie der Ersatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten des Dienstnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit Massenbeförderungsmitteln".

Nach § 50 ASVG gilt für die Bewertung der Sachbezüge die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof ist bereits einmal mit einem gleichgelagerten Sachverhalt befaßt worden. Im Erkenntnis VfSlg. 13093/1992 führte der Gerichtshof aus:

"Nach § 49 Abs 3 Z 20 ASVG gilt unter anderem die Beförderung der Dienstnehmer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf Kosten des Dienstgebers sowie der Ersatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten des Dienstnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit Massenbeförderungsmitteln nicht als Entgelt. Der Bf. will die Überlassung eines Kraftfahrzeuges des Arbeitgebers für Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte dem ersten dieser beiden Tatbestände zuordnen. Ob diese Auffassung richtig ist, kann der VfGH dahingestellt sein lassen. Denn es wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber in allen Fällen, in denen die Beförderung der Arbeitnehmer nicht vom Arbeitgeber selbst besorgt wird, mit Rücksicht auf die Schwierigkeit von Feststellungen über die tatsächliche Verwendung eines Dienstfahrzeuges und im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung nur die Kosten des Massenbeförderungsmittels für den Weg zur Arbeitsstätte berücksichtigt.

Nun ist freilich die Überlassung eines Kraftfahrzeuges für den Weg zur Arbeitsstätte auch nicht 'Ersatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten ... mit Massenbeförderungsmitteln' im buchstäblichen Sinn. Da sie aber dem Arbeitnehmer solche Kosten erspart, ist sie in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung dem Ersatz solcher Kosten gleichzuhalten. Jedenfalls ist kein Grund ersichtlich - und auch von der bel. Beh. garnicht behauptet -, der es rechtfertigen könnte, zwar den Ersatz der Kosten eines t a t s ä c h l i c h b e n u t z t e n Massenbeförderungsmittels beitragsfrei zu stellen, die t a t s ä c h l i c h e Ü b e r l a s s u n g eines Kraftfahrzeuges des Arbeitgebers hingegen voll als Sachbezug zu werten. Eine solche Regelung würde eine unsachliche Differenzierung zwischen Personen, die ein Massenbeförderungsmittel benützen (können) und jenen bewirken, die ein Privatfahrzeug verwenden (müssen); sie verstieße daher gegen den Gleichheitssatz.

Der Fall der Überlassung eines Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist im Gesetz aber offenkundig überhaupt nicht geregelt. Daß § 49 Abs 3 Z 20 lückenhaft ist und verständiger Auslegung bedarf, ergeben schon die bei Gehrmann/Rudolph/Teschner/Fürböck, ASVG, 51. ErgLfg, 376, mitgeteilten Überlegungen der Rubrik 'Aus der Praxis', SoSi 1968, 33:

'Die Einschränkung auf Fahrten mit Massenbeförderungsmitteln muß so verstanden werden, daß der Ersatz von Fahrtkosten insoweit beitragsfrei ist, als er die Kosten, die bei Benützung eines Massenbeförderungsmittels erwachsen wären, nicht übersteigt. Die Beitragsfreiheit müßte jedoch an sich unabhängig davon anerkannt werden, ob der Dienstnehmer tatsächlich ein Massenbeförderungsmittel benützt oder ob er mit einem eigenen Kraftfahrzeug zur Arbeitsstätte fährt. In manchen Gegenden stehen Massenbeförderungsmittel nicht zur Verfügung. Der Versicherte ist dann darauf angewiesen, sein eigenes Fahrzeug zu benützen. Unter diesen Voraussetzungen kommt im Hinblick auf den G.-Wortlaut nur die Möglichkeit in Betracht, unter Bedachtnahme auf die Entfernung einen fiktiven Autobustarif als Maßstab für die beitragsrechtliche Beurteilung von Kostenvergütung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte heranzuziehen.

Diese Rechtsauffassung hält der Hv., wie er mit Rundbrief an alle SV-Träger v. , 26-37.15:37.25:37/72P/Sa, mitgeteilt hat, weiter aufrecht, weil weder durch die 29. Nov. zum ASVG noch durch das EinkommenssteuerG. 1972 eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist. Ergänzend wird noch ausgeführt: Da der Fahrtkostenzuschuß gem. §§58a DO.A, 50a DO.B und 46a DO.C auch bei Benützung des eigenen Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unter Zugrundelegung jener Kosten zu bemessen ist, die bei Benützung eines öffentlichen Beförderungsmittels erwachsen wären, ist er nicht als Entgelt iS. des § 49 Abs 1 ASVG anzusehen und daher beitragsfrei zu behandeln.'

Nimmt man im Einklang mit dieser - offenbar ständig gehandhabten - Praxis an, daß das Gesetz unter tatsächlichen Kosten eines Massenbeförderungsmittels t a t s ä c h l i c h a u f g e l a u f e n e Kosten bis zur Höhe der Kosten eines Massenbeförderungsmittels versteht, so kann auch die vorliegende Frage ohne Schwierigkeiten verfassungskonform gelöst werden:

Sollte die Überlassung des Fahrzeuges nicht ohnedies einer Beförderung durch den Arbeitgeber gleichzuhalten sein, so stellt sie eben einen - wie immer zu bewertenden - Sachbezug dar, der Kosten eines Massenbeförderungsmittels gar nicht erst entstehen läßt, weshalb der Wert dieses Sachbezuges dem Ersatz t a t s ä c h l i c h erwachsener Kosten der Fortbewegung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entspricht, die b i s z u r

H ö h e der (fiktiven) Kosten eines

M a s s e n b e f ö r d e r u n g s m i t t e l s beitragsfrei zu belassen sind."

2.3. Der Beschwerdeführer beruft sich in seiner Beschwerde ausdrücklich auf dieses Verfassungsgerichtshoferkenntnis.

2.4. Die belangte Behörde beruft sich zur Stützung ihrer Rechtsansicht auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes VwSlg. 13891 A/1993. In diesem Erkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof unter anderem aus:

"Zwar sind die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Befreiungstatbestände einer gesonderten Überprüfung zu unterziehen, doch ist eine dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung tragende konforme Interpretation dort geboten, wo der Wille des Gesetzgebers nach gleicher Behandlung gleich gelagerter Sachverhalte erkennbar wird. Sowohl steuerrechtlich als auch sozialversicherungsrechtlich weiterhin begünstigt ist nur die 'Beförderung' des Dienstnehmers durch den Dienstgeber in einer im Gesetz jeweils näher geregelten, auf Massenbeförderungsmittel bezug nehmenden Art und Weise. Die Zurverfügungstellung eines firmeneigenen PKWs geht aber über die bloße 'Beförderung' hinaus, weil nicht nur dem dadurch begünstigten Dienstnehmer weitaus umfangreichere Gebrauchsmöglichkeiten eingeräumt werden, sondern ihm auch vom Dienstgeber getätigte Aufwendungen im Zusammenhang mit der Erhaltung des Fahrzeuges (Versicherungsprämien, Kfz-Steuer, Serviceleistungen, etc.) zugute kommen, die über die reinen Kosten der Beförderung hinausgehen und daher der Ausnahmeregelung des § 49 Abs 3 Z 20 ASVG nicht mehr unterfallen, sondern als Entgelt im Sinne der §§44 Abs 1 und 49 Abs 1 ASVG nach § 50 ASVG zu bewerten sind.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt allerdings nicht die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ... wonach vom beitragspflichtigen Sachbezugswert für die Zurverfügungstellung eines Kraftfahrzeuges durch den Dienstgeber die fiktiven Kosten der Beförderung durch ein Massenbeförderungsmittel in Abzug zu bringen wären. Zum einen hält der erkennende Senat eine Differenzierung hinsichtlich der Beitragspflicht von Geld- oder Sachbezügen dahin, daß der Ersatz tatsächlich entstandener Kosten eines Massenbeförderungsmittels begünstigt wird, nicht für verfassungsrechtlich bedenklich, weil die damit verbundene Besserstellung des Dienstnehmers, der ein öffentliches Verkehrsmittel tatsächlich benützt, gegenüber jenem Dienstnehmer, der den Individualverkehr bevorzugt, im Sinne einer Förderung des öffentlichen zulasten des Individualverkehrs einen sachlichen Grund für diese Differenzierung darstellt. Darüberhinaus sind fiktive Kosten eines Massenbeförderungsmittels dort nicht ermittelbar, wo es an einem solchen Beförderungsmittel fehlt; es käme daher zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen jenen Dienstnehmern, denen ein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung steht, im Verhältnis zu jenen, die auf die Verwendung eines Kraftfahrzeuges mangels Vorhandenseins eines öffentlichen Verkehrsmittels angewiesen sind. Drittens übersieht der Verfassungsgerichtshof, daß eine Differenzierung zwischen verschiedenen Entgeltteilen dahin, daß die Belassung fiktiver Beförderungskosten als beitragsfrei unter der Voraussetzung der Gewährung eines bestimmten Sachbezuges zu bejahen, im übrigen aber zu verneinen ist, aus dem Gesetz nicht begründet werden kann. Es wäre nicht einzusehen, aus welchem Grund zwar der Sachbezugswert, nicht aber auch ein vom Dienstgeber im Hinblick auf die Entfernung des Wohnortes des Dienstnehmers vom Arbeitsort gewährtes zusätzliches Entgelt im Ausmaß der fiktiven Kosten eines Massenbeförderungsmittels beitragsfrei zu belassen wäre. Schließlich hält der Verwaltungsgerichtshof die Gleichsetzung fiktiver mit den (im Gesetz ausdrücklich so bezeichneten) tatsächlichen Kosten für unvertretbar, weil dies den äußerst denkbaren Wortsinn des § 49 Abs 2 Z 20 ASVG überschreitet."

2.5. Der Verfassungsgerichtshof vermag sich diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht anzuschließen:

2.5.1. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet zunächst eine Differenzierung hinsichtlich der Beitragspflicht von Geld- oder Sachbezügen dahin, daß der Ersatz tatsächlich entstandener Kosten eines Massenbeförderungsmittels begünstigt wird, nicht für verfassungsrechtlich bedenklich. Die damit verbundene Besserstellung des Dienstnehmers, der ein öffentliches Verkehrsmittel benützt, gegenüber jenem Dienstnehmer, der den Individualverkehr bevorzugt, könne unter dem Aspekt der Förderung des öffentlichen Verkehrs sachlich gerechtfertigt werden. Der Verfassungsgerichtshof zweifelt keineswegs daran, daß die Förderung öffentlicher Verkehrsmittel im öffentlichen Interesse liegt. Dies kann jedoch nichts daran ändern, daß die Auslegung des Verwaltungsgerichtshofes § 49 Abs 3 Z 20 ASVG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, da sie jene (nicht geringe Zahl von) Personen in unsachlicher Weise benachteiligt, die ein Privatfahrzeug benützen müssen, weil ihnen ein Massenbeförderungsmittel nicht zur Verfügung steht.

2.5.2. Auch das Argument des Verwaltungsgerichtshofes, daß die fiktiven Kosten eines Massenbeförderungsmittels dort nicht ermittelbar seien, wo es an einem solchen Beförderungsmittel fehle, erscheint nicht stichhaltig. In solchen Fällen ist nämlich, wie im Erkenntnis VfSlg. 13093/1992 (S. 672) dargetan wird, unter Bedachtnahme auf die Entfernung ein fiktiver Autobustarif als Maßstab für die beitragsrechtliche Beurteilung von Kostenvergütungen von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte heranzuziehen.

2.5.3. Der Verfassungsgerichtshof ist auch nicht der Auffassung, daß die Gleichsetzung fiktiver mit den tatsächlichen Kosten unvertretbar ist, zumal nur dann, wenn dies geschieht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 49 Abs 3 Z 20 ASVG bestehen.

2.5.4. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen sieht sich der Verfassungsgerichtshof durch die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht veranlaßt, von seiner im Erkenntnis VfSlg. 13093/1992 vertretenen Rechtsauffassung abzurücken.

2.6. Angesichts dessen erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen auf Basis des lohnsteuerrechtlichen Sachbezugwertes für die Zurverfügungstellung des Kraftfahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unterstellt dem Gesetz nämlich, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 13093/1992 bereits ausgesprochen hat, einen gleichheitswidrigen Inhalt. Sie stellt eine denkunmögliche und willkürliche Gesetzesanwendung dar und verletzt den Beschwerdeführer somit in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

2.7. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

2.8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 3.000,-- enthalten.