OGH vom 14.07.1994, 8ObA229/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer sowie die fachkundigen Laienrichter RegRat Theodor Kubak und Mag.Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Andrea B*****, geboren am , Schülerin, ***** vertreten durch die Mutter Ulrike B*****, Angestellte, ebendort, diese vertreten durch Dr.Herwig Grosch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei D***** Allgemeine Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Johann Paul Cammerlander und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert 100.000 S), infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Ra 256/93-11, womit infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 43 Cga 174/93d-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.433,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 905,60 S Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist die eheliche Tochter des am ***** verstorbenen Dr.Peter B*****, der Angestellter im Außendienst bei der beklagten Partei war. Die beklagte Partei gehört dem Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs an und hat eine Betriebsstätte in Innsbruck. Das Dienstverhältnis, das mehr als drei Jahre ununterbrochen gedauert hatte, endete durch den Tod des Dienstnehmers. Zum Zeitpunkt des Todes des Vaters der Klägerin war dessen Ehe mit der Mutter der Klägerin rechtskräftig geschieden. Der Verstorbene hatte auf Grund des Vergleiches vom an die Klägerin einen monatlichen Unterhalt von 2.000 S zu leisten.
Der auf das Dienstverhältnis des inzwischen verstorbenen Vaters der Klägerin anzuwendende Kollektivvertrag für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen (im folgenden: KV) enthält unter anderem folgende Bestimmung:
"§ 6
Provisionszahlung nach Auflösung des Dienstverhältnisses.
(1) Die vereinbarte Folgeprovision bleibt dem Angestellten unter der Bedingung einer ununterbrochenen Dauer des Dienstverhältnisses bei dem gleichen Dienstgeber durch mindestens drei Jahre gemäß den folgenden Bestimmungen gewahrt, längstens jedoch bis zum Ablauf der ursprünglich vereinbarten Dauer der von ihm selbständig und auf Grund eigenen Werbematerials vermittelten Versicherungsverträge nach Maßgabe des Prämieneinganges; dabei werden nach Beendigung des Dienstverhältnisses eingetretene Prämienzuwächse nicht berücksichtigt. Keineswegs gebührt Folgeprovision, und zwar auch nicht zum Teile, für Versicherungen, die dem Angestellten zur Betreuung und Bearbeitung zugewiesen worden sind.
(2) Insoweit dem Angestellten eine Folgeprovision unter Berücksichtigung des Absatz 1 zusteht, beträgt diese nach Beendigung des Dienstverhältnisses, längstens bis zu seinem Tode, 50 % jener Folgeprovision, auf die der Angestellte Anspruch hätte, wenn noch ein Dienstverhältnis bestünde.
Besteht bei Beendigung des Dienstverhältnisses ein Anspruch auf eine Alters- oder Berufsunfähigkeitspension aus der Sozialversicherung, so erhöht sich der Prozentsatz auf 60 %. Dasselbe gilt bei Beendigung des Dienstverhältnisses infolge Krankheit oder Unglücksfall des Angestellten nach Ablauf des Zeitraumes, für den ein Entgeltanspruch gemäß § 8 AngG besteht.
(3) Endigt das Dienstverhältnis durch Tod oder stirbt der Angestellte nach Übertritt in den Ruhestand, bleibt der Witwe nach dem Tod des Angestellten bzw. Pensionisten und bei ihrem Ableben den minderjährigen gesetzlich unterhaltsberechtigten Waisen der Anspruch auf Folgeprovisionen der Dauer nach im Sinne des Abs 1 und in der Höhe von 50 % jener Folgeprovisionen, auf die der Angestellte Anspruch hätte, wenn noch ein Dienstverhältnis bestünde, gewahrt.
Als Witwe gilt nur die mit dem Angestellten bzw. Pensionisten im Zeitpunkt des Todes in aufrechter Ehegemeinschaft lebende Ehegattin.
Diese Folgeprovisionen gebühren der Witwe jedoch nicht - es sei denn, es entstammen Kinder aus der Ehe mit dem Angestellten bzw Pensionisten oder die Witwe hatte auf solche Folgeprovisionen bereits vor dem Anspruch gehabt -
1. wenn ihre Ehe in einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem der Angestellte bereits Anspruch gemäß dem ASVG auf eine Rente aus dem Versicherungsfall des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit hatte,
2. wenn die Ehe in einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem der Angestellte bereits das 65.Lebensjahr überschritten und keinen Anspruch auf eine in Z 1 bezeichnete Rente hatte,
3. wenn der Angestellte nach Vollendung des 55.Lebensjahres geheiratet hat und der Altersunterschied zwischen ihm und seiner Ehegattin größer als 15 Jahre gewesen ist.
......"
Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß sie gegen die beklagte Partei Anspruch auf Folgeprovisionen der Dauer nach im Sinne des Abs 1 des § 6 KV in der Höhe von 50 % jener Folgeprovisionen habe, auf die der am ***** verstorbene Vater Anspruch gehabt hätte, wenn noch ein Dienstverhältnis bestünde. In eventu begehrt die Klägerin von der beklagten Partei Rechnungslegung über diese Folgeprovisionen und Zahlung von 50 % des sich daraus ergebenden Provisionsanspruches ihres Vaters. Die Klägerin habe nach § 6 Abs 3 KV Anspruch auf diese Folgeprovisionen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Folgeprovisionen weder der Witwe noch den minderjährigen Waisen zustünden, wenn im Zeitpunkt des Todes die Ehe bereits geschieden sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, nach dem KV hätten minderjährige, gesetzlich unterhaltsberechtigte Waisen nur dann Anspruch auf Folgeprovisionen, wenn nach dem Tod des Vaters auch die Mutter, die zum Zeitpunkt des Todes mit dem Vater in aufrechter Ehegemeinschaft gelebt habe, versterbe. Den Fall, daß minderjährige gesetzlich unterhaltsberechtigte Waisen auch dann Anspruch auf Folgeprovision hätten, wenn zwar der Vater verstorben sei, nicht aber die Mutter, sehe der KV nicht vor.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Es hielt die Einschränkung des Anspruches der minderjährigen, gesetzlich unterhaltsberechtigten Waisen auf Folgeprovisionen nur auf den Fall, daß auch ihre Mutter verstorben sei, für sachlich gerechtfertigt. Nach dem Tode des Vaters gehe die Alimentationspflicht zur Gänze auf die überlebende Mutter über. Falle durch ihren Tod auch diese Alimentationspflicht weg, hätten die Minderjährigen selbst Anspruch auf die Provision. Da die Ehe der Eltern der Klägerin vor dem Tod des Vaters geschieden worden sei, sei die Mutter der Klägerin nicht als Witwe anzusehen. Ihre Unterhaltspflicht bestehe fort, sodaß die Klägerin unhaltsrechtlich besser gestellt sei, als eine Minderjährige, deren beide Elternteile verstorben seien. Würde man unterhaltsberechtigten Minderjährigen die Folgeprovisionen bei Lebzeiten ihrer Mutter zuerkennen, komme es zu einer sachlich nicht gerechtfertigen Ungleichbehandlung von Kindern aus geschiedenen und aus aufrechten Ehen. Ob eine Differenzierung der Ansprüche nach dem Tod der Mutter bei außerehelichen Kindern, Kindern aus geschiedenen Ehen bzw. aus aufrechter Ehe sachlich gerechtfertigt sei, müsse dahingestellt bleiben, da die Mutter der Klägerin noch lebe.
Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Da die Begründung des angefochtenen Urteils zutrifft, genügt es, auf ihre Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG).
Darüberhinaus ist den Ausführungen der Revisionswerberin noch folgendes zu erwidern:
Der normative Teil eines Kollektivvertrages ist nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen; hiebei ist den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (siehe 9 Ob A 269/90; 9 Ob A 601/92).
Nach dem Wortlaut der Regelung gebührt die Folgeprovision der Witwe des Angestellten und nach ihrem Tod den minderjährigen, gesetzlich unterhaltsberechtigten Waisen. Dieser primär auf die überlebende Ehegattin und die aus der Ehe mit ihr entstammenden Kinder abstellenden Regelung ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, die Absicht der Kollektivvertragsparteien zu entnehmen, den aus der durch den Tod des Angestellten aufgelösten Ehe stammenden Kindern diese Zuwendung nur dann zu gewähren, wenn auch die Mutter verstorben ist, sie also Vollwaisen sind. Zieht man den Unterhaltscharakter der Regelung in Betracht, wäre es sachlich nicht gerechtfertigt, minderjährigen Kindern des Angestellten, die infolge Vorversterbens ihrer Mutter durch den Tod des Angestellten Vollwaisen wurden, den Anspruch auf Folgeprovision zu verweigern; dabei wird nicht verkannt, daß sich weitere Probleme dann ergeben, wenn - anders als im vorliegenden Fall - die Ansprüche einer Witwe mit denen von - sei es außerehelichen oder aus einer früheren Ehe entstammenden - Kindern konkurrieren. Soweit die Revisionswerberin damit argumentiert, durch die Ehescheidung sei die Mutter der Klägerin als anspruchsberechtigte Witwe weggefallen, der Folgeprovisionsanspruch gehe daher auf die Klägerin über, nimmt sie nicht auf den auf die besondere Unterhaltsbedürftigkeit doppelt verwaister Kinder - ebenso wie der Gesetzgeber etwa im § 266 ASVG - als sachlich gerechtfertigtem Differenzierungsanlass (vgl. Strasser, Betriebspension und Gleichbehandlung 30 ff) abstellenden Unterhaltscharakter der kollektivvertraglichen Regelung Bedacht.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.