OGH vom 23.06.2020, 12Os59/20y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Dr. Brenner und Dr. SetzHummel in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Gsellmann in der Strafsache gegen Günther P***** wegen des Vergehens der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1, Abs 3 zweiter Fall und Abs 4 Z 3 lit b StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom , AZ 9 Bl 6/19y, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Beschuldigten und des Verteidigers Dr. Weiler zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom , AZ 9 Bl 6/19y, verletzt § 195 Abs 1 Z 1 und Abs 2 vierter Satz StPO iVm § 196 Abs 2 erster Satz StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der N***** K***** und des T***** K***** auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen Günther P*****, AZ 11 St 142/18i der Staatsanwaltschaft Graz, zurückgewiesen.
Den Fortführungswerbern wird die Bezahlung eines Pauschalkostenbeitrags von 90 Euro aufgetragen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Graz stellte am ein (unter anderem) gegen Günther P***** zu AZ 11 St 142/18i wegen des Verdachts der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1, Abs 3 zweiter Fall und Abs 4 Z 3 lit b StGB und der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB geführtes Ermittlungsverfahren ein (ON 1 S 5). Dem Verfahren lag der Vorwurf zugrunde, der Beschuldigte habe von Dezember 2016 bis Juli 2018 in wiederholten Angriffen pornographische Darstellungen der minderjährigen Kinder seiner Lebensgefährtin, nämlich der am geborenen N***** K***** und des am geborenen T***** K*****, hergestellt, indem er diese heimlich im Badezimmer mit Kameras gefilmt habe, wovon sie jedoch Kenntnis erlangt und in der Folge versucht hätten, dies (bzw zumindest die Aufnahme des Intimbereichs) zu verhindern (ON 2 S 1 f, ON 7 S 7).
Die Einstellung begründete die Staatsanwaltschaft damit (§ 194 Abs 2 zweiter Satz StPO), die Durchsicht des angefertigten Videomaterials habe ergeben, dass es sich bei den Aufnahmen – mangels reißerischer Verzerrung und entsprechender Reduzierung auf die Genitalien und die Schamgegend der Minderjährigen – nicht um nach § 207a Abs 4 Z 3 StGB tatbildliche Darstellungen handle. Ein Tatverdacht nach § 208 StGB sei trotz des Umstands, dass die Kinder Kenntnis vom Vorgehen des Beschuldigten gehabt und sich daher vorsichtig im Badezimmer bewegt hätten, um nicht völlig nackt gefilmt zu werden, nicht mit ausreichender Sicherheit erweislich (ON 13).
Mit am bei der Staatsanwaltschaft eingebrachtem Schriftsatz beantragten die durch ihren Vater vertretenen Minderjährigen (fristgerecht) die Fortführung des Ermittlungsverfahrens. Aus den Angaben der Opfer und des Beschuldigten ergebe sich ein sexualbezogener Hintergrund für die Anfertigung der Aufnahmen der unbekleideten Minderjährigen und deren Geschlechtsteile, weshalb die Tathandlungen geeignet gewesen seien, deren sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung zu gefährden. Zudem habe die Staatsanwaltschaft verabsäumt, sich aus den Angaben der N***** K***** – wonach der Beschuldigte ihr ein Tablet mit diversen Nacktvideos von ihm selbst, pornographischem Material aus dem Internet sowie mit diversen „Erotik-Apps“ überlassen und sie überdies (nach ihrem Empfinden allerdings unabsichtlich) mehrfach bei der Brust oder im Schritt berührt habe – ergebenden weiteren Hinweisen in Richtung der § 207 Abs 1 und 208 Abs 1 StGB nachzugehen (ON 15).
In ihrer nach § 195 Abs 3 zweiter Satz StPO übermittelten Stellungnahme verwies die Staatsanwaltschaft abermals auf die fehlende Tatbildlichkeit der angefertigten Aufnahmen nach § 207a Abs 4 Z 3 StGB. Es könne nicht mit ausreichender Sicherheit angenommen werden, dass das bloße Filmen der unbekleideten Kinder eine vor ihnen vorgenommene, ihre sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung gefährdende Handlung nach § 208 Abs 1 StGB sei. Ausreichende Hinweise für die vorsätzliche Vornahme einer solchen Handlung seien auch durch das Überlassen des Tablets an N***** K***** nicht indiziert. Gleiches gelte für die von ihr erwähnten – als unabsichtlich erachteten – Berührungen durch den Beschuldigten, wobei auch nicht zu ersehen sei, weshalb sich aus ihrer ergänzenden Befragung anderes ergeben solle (ON 16).
Mit Beschluss vom , AZ 9 Bl 6/19y (ON 17), gab das Landesgericht für Strafsachen Graz dem Fortführungsantrag statt. Begründend führte es aus, dass zwar die zur Einstellung des Verfahrens führende Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden sei, diese aber bei der Prüfung der Strafbarkeit der dem Beschuldigten zur Last liegenden Handlungen nicht von Amts wegen alle möglicherweise vorliegenden Tatbestände geprüft habe. Aus den Vernehmungen der Opfer und des Beschuldigten sowie aus der Sichtung der von ihm angefertigten Aufnahmen sei der Verdacht abzuleiten, dass der Beschuldigte den Tatbestand der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach § 63 DSG verwirklicht habe. Damit liege der Einstellungsentscheidung aber eine erhebliche Fehlentscheidung bei der rechtlichen Beurteilung zugrunde, aufgrund welcher die Fortführung des Verfahrens wegen des Verdachts des Vergehens der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach § 63 DSG anzuordnen sei (BS 5).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach § 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zugrunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).
Gemäß § 195 Abs 2 vierter Satz StPO muss der Antrag (oder die Äußerung [nach § 196 Abs 1 StPO]) die Gründe einzeln und bestimmt bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder die erheblichen Bedenken abzuleiten sind, wobei diese Pflicht des Fortführungswerbers mit einer ebensolchen Begründungspflicht des Gerichts korreliert (vgl RISJustiz RS0126210 [T2]; Nordmeyer, WKStPO § 195 Rz 29). Diesem am für Nichtigkeitsbeschwerden geltenden Standard orientierten Begründungserfordernis für Fortführungswerber entspricht eine Antragsbindung des Gerichts, das nicht befugt ist, von diesen nicht (gesetzmäßig) geltend gemachte Argumente gegen die Einstellung, die sich (nach Ansicht des Gerichts) etwa aus dem Akt ergeben, (zum Nachteil des Beschuldigten) aufzugreifen (RISJustiz RS0126210 [T1], vgl auch RS0126211; Nordmeyer, WKStPO § 195 Rz 30 und § 196 Rz 13; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.1114).
Das Landesgericht für Strafsachen Graz gab dem Fortführungsantrag statt, weil es (im Übrigen bloß pauschal auf die „Vernehmungen der Opfer, des Beschuldigten, sowie [die] Sichtung des beschlagnahmten Videomaterials“ gestützt) eine amtswegige – von den Fortführungswerbern indes nicht geltend gemachte (zum insoweit gleichgelagerten Beurteilungsmaßstab nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO siehe RIS-Justiz RS0099938, RS0099984, RS0118415; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 644) – Prüfung des angezeigten Sachverhalts (einschließlich dessen weiterer Aufklärung [vgl Nordmeyer, WK-StPO § 195 Rz 15 und § 196 Rz 12 und 21]) unter dem Aspekt des Vergehens der Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht nach § 63 DSG vermisste. Damit verletzt der Beschluss § 195 Abs 1 Z 1 und Abs 2 vierter Satz StPO iVm § 196 Abs 2 erster Satz StPO.
Diese Gesetzesverletzung wirkte sich zum Nachteil des Beschuldigten aus. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher bestimmt, ihrer Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise konkrete Wirkung zuzuerkennen (§ 292 letzter Satz StPO).
Der Auftrag zur Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags beruht auf § 196 Abs 2 zweiter Satz StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00059.20Y.0623.000 |
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