VfGH vom 11.10.1983, B254/79

VfGH vom 11.10.1983, B254/79

Sammlungsnummer

9816

Leitsatz

Stmk. Landesabgabenordnung; Stmk. Getränkeabgabegesetz 1950; denkunmögliche und willkürliche Vorgangsweise bei Bemessung der Abgabe im Wege der Schätzung durch Zugrundelegung des gesamten, dh. in- und außerhalb der Gemeinde erfolgten Verkaufes an Letztverbraucher

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Bf. ist Weinhauer und betreibt einen Weinhandel. Auf Veranlassung der Gemeinde S führte die Prüfstelle des Stmk. Gemeindebundes im Herbst 1977 (für den Handelsbetrieb) eine Getränkesteuerprüfung durch und legte dem Bürgermeister den unterschriftsreifen Entwurf eines Abgabenbescheides mit dem Bemerken vor, daß der Bf. die Herausgabe seiner Unterlagen verweigere, sodaß es nur im Rahmen einer Schätzung und unter Heranziehung eines Sicherheitszuschlages möglich gewesen sei, die Umsätze der einzelnen Jahre zu ermitteln, im Falle der Berichtigung oder eines Nachweises über die Verbringung der Getränke außerhalb des Gemeindegebietes im Rechtsmittelverfahren aber eine nochmalige Nachschau erforderlich sein würde.

Am erließ der Bürgermeister den Bescheid über eine Getränkesteuernachzahlung von 52017 S und einen Säumniszuschlag für die Jahre 1974 bis 1976. In der dagegen erhobenen Berufung behauptete der Bf., im Gemeindegebiet S keinen Wein an Letztverbraucher abgegeben zu haben. Der Wein sei an andere Orte verbracht worden. Daraufhin wurden neuerlich Erhebungen gepflogen. Nach dem Bericht der Kontrollorgane las der Bf. aus den Kellerbüchern die Ortsangaben vor, verweigerte jedoch die Ausfolgung zwecks Herausschreibens von Daten mit der Begründung, die Organe seien nicht berechtigt, Kontrollmitteilungen anzufertigen; Lieferungen an andere Gemeinden seien nicht Inhalt der Prüfung der Gemeinde S. Diese Darstellung bestritt der Bf. Am beschloß der Gemeinderat die Abweisung der Berufung und sprach aus, daß der vom Gemeindebund zu erstellende Entwurf der Berufungsentscheidung dem Bf. sofort zugestellt werden solle. Diesem Beschluß kam der Vorsitzende mit Datum vom nach. Im Berufungsbescheid ist ausgeführt, der Nachweis von Weinlieferungen an außerhalb des Gemeindegebietes wohnhafte Letztverbraucher sei nicht erbracht worden.

Die gegen den Berufungsbescheid erhobene Vorstellung blieb erfolglos.

Den Vorstellungsbescheid vom bekämpft die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums gerügt werden.

II. Aus Anlaß dieser Beschwerde sind beim VfGH Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 153 Abs 2 und 3 der Stmk.

Landesabgabenordnung (StLAO) idF vor dem Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 34/1983 entstanden. Mit dem Erk. G27/83 vom hat der VfGH die in Prüfung gezogenen Bestimmungen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig erkannt und ausgesprochen, daß die Gesetzesstellen nicht mehr anzuwenden sind.

Gleichwohl ist der Bf. durch die Anwendung der verfassungswidrigen Vorschriften nicht in seinen Rechten verletzt worden. Es gilt nämlich für den vorliegenden Fall dasselbe, was der VfGH nach Aufhebung der gleichartigen Bestimmung der Wr. Abgabenordnung (VfSlg. 8726/1980) in einem der damaligen Anlaßbeschwerdeverfahren (VfSlg. 8804/1980) erkannt hat:

§153 StLAO spricht nach Wegfall der Abs 2 und 3 nur aus, daß die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die zugelassene Selbstbemessung festgesetzt gilt. Daneben ist jedoch auch § 150 Abs 1 StLAO zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung hat die Abgabenbehörde die Abgaben durch Abgabenbescheide festzusetzen, soweit die Abgabenvorschriften nichts anderes zulassen. In ihrem Zusammenhalt ergeben diese Vorschriften, daß die Abgabenbehörde die Abgaben durch Bescheid festzusetzen hat, wenn der Abgabepflichtige die zugelassene Selbstbemessung nicht vornimmt und die Einreichung der hiefür erforderlichen Erklärung unterläßt. Daß die unter anderem auch dies ausdrücklich aussprechende (und die Möglichkeit der Bescheiderlassung zugleich unsachlich beschränkende) Bestimmung des § 153 Abs 3 StLAO außer Betracht bleibt, hat auf die Entscheidung des vorliegenden Beschwerdefalles bei sinnvoller Auslegung des verbleibenden Gesetzestextes keinen Einfluß. Man käme sonst zu dem unhaltbaren Ergebnis, daß die Abgabe endgültig in dem Betrag festgesetzt bliebe, mit der sie ein Abgabepflichtiger selbst bemessen hat.

Der Bf. ist also ungeachtet der Verfassungswidrigkeit der angewendeten Vorschrift durch deren Anwendung nicht in seinen Rechten verletzt worden (vgl. auch zur Tir. Abgabenordnung).

III. Im Ergebnis ist die Beschwerde aber dennoch berechtigt.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sieht die Beschwerde deshalb verletzt, weil im Abgabeverfahren die Ermittlungen nicht durch die Gemeindeorgane, sondern durch Bedienstete des Stmk. Gemeindebundes geführt worden seien und diese auch die Bescheide erster und und zweiter Instanz zur bloßen Datierung, Unterfertigung und Zustellung vorbereitet hätten. Es hätte daher weder der Bürgermeister noch der Gemeinderat einen Entscheidungswillen gebildet und folglich nicht selbst entschieden; der Berufungsbescheid sei überhaupt bloß von der "Gemeinde S" ausgegangen. Auf diesen Feststellungen beruhe aber der angefochtete Vorstellungsbescheid.

Zu diesem Vorbringen ist nur zu bemerken, daß der Bescheid erster Instanz vom Bürgermeister und der Bescheid zweiter Instanz (ausweislich der Fertigungsklausel: "Im Auftrag des Gemeinderates" und des Beisatzes: "Der Gemeinderat hat ... darüber hinaus beschlossen, daß der vom Gemeindebund übermittelte Bescheid ... sofort zuzustellen ist ...) vom Gemeinderat erlassen wurde. Es haben daher die zuständigen Behörden entschieden. Auf welche Weise sie ihre Entscheidungen vorbereiten oder ausfertigen ließen, ist unter dem Blickwinkel des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht von Bedeutung. Dieses Recht wäre unter den gegebenen Umständen nur dann verletzt, wenn die Aufsichtsbehörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen oder die Unzuständigkeit der Gemeindeorgane nicht wahrgenommen hätte (zB VfSlg. 9026/1981).

Gleiches gilt für den Vorwurf, es sei denkunmögliche Gesetzesanwendung und ein unsachliches Vorgehen, wenn die Behörde zur Schätzung geschritten sei. Es ist zwar richtig, daß im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen der Abgabenordnungen (hier § 149 Abs 1 StLAO) eine Schätzung die Grundrechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz verletzt, wenn die Abgabenbehörde die Grundlagen der Abgabenerhebung offenkundig ermitteln oder errechnen kann, weil keinerlei Anlaß besteht an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Steuerpflichtigen selbst vorgelegten Unterlagen zu zweifeln. Einen solchen Fall hat der VfGH auf dem Gebiet der Getränkesteuer zB angenommen, wenn alle im Zuge der Erhebungen bei Letztverbrauchern vorgefundenen Rechnungen über Weinverkäufe in den vorgelegten Unterlagen aufscheinen und der "Verdacht" auf ihre Unvollständigkeit einzig und allein auf der Weigerung (eines außerhalb des Gemeindegebietes ansässigen Händlers) gestützt wird, die Aufzeichnungen über alle Getränkeverkäufe vorzulegen (VfSlg. 8099/1977).

Ein solcher Fall liegt nach der Aktenlage hier aber nicht vor. Wenn die Gemeindebehörden - und ihnen folgend die Vorstellungsbehörde - die Behauptung des bf. Weinhändlers, er habe schlechthin allen Wein zum Verbrauch außerhalb der Gemeinde seines Betriebssitzes abgegeben, einer näheren Kontrolle bedürftig erachten und annehmen, der Abgabepflichtige habe diese Kontrolle nicht ermöglicht, so kann ihnen der VfGH nicht entgegentreten. Ob ihre Ansicht im Hinblick auf die Umstände des Falles richtig ist, könnte nur der VwGH entscheiden.

Denkunmöglich und ein Akt der Willkür ist es aber, wie die Schätzung vorgenommen wurde. Die Gemeindebehörden haben der Abgabebemessung nämlich alle Bar- und Kleinverkäufe des Bf. zugrunde gelegt. Sie stützen sich dabei - wie übrigens auch die Vorstellungsbehörde - auf jenen Teil des Erk. VfSlg. 5088/1965, worin der VfGH aussprach es sei

"sachlich nichts dagegen einzuwenden, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, daß die entgeltliche Abgabe von Getränken in der Regel zum Verbrauch innerhalb der Grenzen des Landes geschieht, und daß er die Pflicht zur Führung eines einwandfreien Gegenbeweises der betroffenen Partei selbst überläßt. Wenn aber die Partei den eindeutigen Nachweis liefert, daß die Getränke nicht innerhalb der Grenzen des Landes, sondern in einem anderen Land oder außerhalb der Grenzen des Bundesgebietes dem Konsum zugeführt werden sollen, dann darf die entgeltliche Abgabe nicht von der Getränkesteuer betroffen werden, denn andernfalls würde es sich in Wahrheit um eine Steuer von der Produktion oder dem Handelsverkehr, nicht aber um eine Verbrauchssteuer handeln, welch letztere allein § 9 Abs 1 Z 8 des geltenden Finanzausgleichsgesetzes zur ausschließlichen Landesabgabe erklärt hat",

und verstehen diese Aussage so, daß die Abgabe an Letztverbraucher immer dann zum Verbrauch in der Gemeinde des Betriebssitzes bestimmt sei, wenn nicht Aufzeichnungen über Name und Anschrift des (auswärtigen) Letztverbrauchers, Gattung und Menge des Getränks sowie Preis und Zeitpunkt der Lieferung vorgelegt werden.

Es ist aber offenkundig, daß im Wege der Schätzung nicht immer so verfahren werden darf. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens ist es nahezu ausgeschlossen, daß ein Weinhändler, der seinen Sitz in einer kleineren Gemeinde in einem Weinbaugebiet hat, seine Ware nur an Letztverbraucher aus der betreffenden Gemeinde abgibt; deckt deren Bevölkerung doch ihren Bedarf regelmäßig unmittelbar bei den örtlichen Hauern und kaum im Handel. Eine solche Vorgangsweise läuft darauf hinaus, den Abgabepflichtigen durch eine höhere Steuerbelastung dafür zu bestrafen, daß er der Gemeinde seines Betriebssitzes die Abgabe zum Verbrauch in anderen Gemeinden nicht offenlegt (und dadurch vielleicht die Feststellung der Getränkesteuerpflicht in anderen Gemeinden vermeidet). Die Interessen anderer Gemeinden zu wahren, kann aber nicht Aufgabe des gemeindlichen Abgabeverfahrens sein. Zwar wird die unzureichende Offenlegung unter Umständen die Kontrolle der Getränkeabgabe in der betroffenen Gemeinde erschweren und daher eine Schätzung - gegebenenfalls mit einem Sicherheitszuschlag zum Nachteil des Abgabepflichtigen - rechtfertigen können. Aber sie ermächtigt die Behörde nicht, die für die Getränkeabgabepflicht bedeutsamen Umstände völlig außer Betracht zu lassen. Die Auffassung der hier eingeschrittenen Behörden unterstellt dem Gesetz einen Inhalt, den es keinesfalls haben kann, weil die Getränkeabgabe keine Umsatzsteuer, sondern ein Abgabe vom Verbrauch von Getränken ist (vgl. für den maßgeblichen Zeitraum § 13 Abs 1 Z 8 FAG 1973). Indem die Behörden der Bemessung der Abgabe und der Entscheidung über die Vorstellung den gesamten Verkauf an Letztverbraucher zugrunde gelegt haben, haben sie folglich denkunmöglich das Gesetz angewendet und darüber hinaus im Ergebnis Willkür geübt und den Bf. in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid ist demnach aufzuheben.