VfGH vom 21.06.1996, B2528/94

VfGH vom 21.06.1996, B2528/94

Sammlungsnummer

14534

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Vorschreibung einer Ersatzpflanzung für einen im Zuge von eisenbahnbehördlich genehmigten Bauarbeiten entfernten Baum mangels Ermächtigung der Behörden nach dem Wr BaumschutzG

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei, zu Handen der Finanzprokuratur, die Prozeßkosten in der Höhe von 12.500,-- S zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Über Auftrag der Österreichischen Bundesbahnen - ÖBB (einer Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit - § 1 Abs 1 des Bundesbahngesetzes 1992, BGBl. 825) wurde im Zuge von (eisenbahnrechtlich genehmigten) Bauarbeiten (Zulegung von Gleisen und Errichtung einer Lärmschutzwand) Anfang September 1993 in Wien 20 eine 13 m hohe Weißpappel mit einem Stammumfang von 2 m (gemessen in 1 m Höhe vom Beginn der Wurzelverzweigung) umgeschnitten. Eine Bewilligung nach dem Wiener Baumschutzgesetz, LGBl. 27/1974 idF LGBl. 52/1993, (im folgenden kurz: Wr. BaumSchG), lag nicht vor.

Der Berufungssenat der Stadt Wien schrieb mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom der ÖBB gemäß § 14 Abs 1 iVm § 6 Abs 2 bis 4 Wr. BaumSchG vor, bis April 1995 eine Ersatzpflanzung von 14 Bäumen mit einem Stammumfang von jeweils mindestens 16 - 18 cm (Baumart Ahorn, Linde, Zürgelbaum, Heimische Esche) auf den im beigeschlossenen Plan verzeichneten Standorten (Bahngrund) durchzuführen. Der Berufungssenat bestätigte damit den vom Magistrat der Stadt Wien in erster Instanz erlassenen Bescheid vom .

2. Gegen den Bescheid des Berufungssenates erheben die ÖBB die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Der Berufungssenat der Stadt Wien legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Er begehrt die Beschwerde abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Das Wr. BaumSchG bestimmt in der hier maßgebenden Hinsicht:

"Zweck und Anwendungsbereich

§1. (1) Zur Erhaltung einer gesunden Umwelt für die Wiener Bevölkerung ist der Baumbestand im Gebiete der Stadt Wien nach den Bestimmungen dieses Gesetzes geschützt ohne Rücksicht darauf, ob er sich auf öffentlichem oder privatem Grund befindet. Zum geschützten Baumbestand im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Bäume, das sind Laub- und Nadelhölzer mit einem Stammumfang von mindestens 40 cm, gemessen in 1 m Höhe vom Beginn der Wurzelverzweigung, einschließlich ihres ober- und unterirdischen pflanzlichen Lebensraumes.

(2) Dieses Gesetz findet jedoch keine Anwendung auf

1. Wälder im Sinne der forstrechtlichen Bestimmungen;


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2.
Bäume, die in Baumschulen oder Gärtnereien der Erreichung des Betriebszweckes dienen;


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3. Obstbäume;


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4.
Bäume, die auf Grund von Anordnungen der Wasserrechtsbehörden zur Instandhaltung der Gewässer und des Überschwemmungsgebietes, zum Schutze von Wasserversorgungsanlagen und im Zuge bewilligter Wasserbauvorhaben entfernt werden;


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5.
Bäume, deren Entfernen durch die landwirtschaftlichen Produktionszwecke geboten ist;


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6. Bäume, die in Kleingartenanlagen stocken."

"Bewilligungspflicht

§4. (1) Das Entfernen von Bäumen bedarf einer behördlichen Bewilligung. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn

1. ..."

"Ersatzpflanzung

§6. (1) Wird die Entfernung eines Baumes bewilligt, so ist - ausgenommen im Falle des § 4 Abs 1 Z 2 - nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen eine Ersatzpflanzung durchzuführen.

(2) ..."

"Nachträgliche Vorschreibung der Ersatzpflanzung oder

Ausgleichsabgabe

§14. (1) Hat der Grundeigentümer (Bauberechtigte) oder mit dessen Wissen und Willen ein Dritter ohne behördliche Bewilligung einen Baum entfernt oder die Erhaltungspflicht nach § 2 verletzt, so ist unbeschadet der Strafbarkeit dem Grundeigentümer (Bauberechtigten) eine Ersatzpflanzung oder Ausgleichsabgabe vorzuschreiben.

(2) ..."

"Unberührt bleibende Vorschriften

§ 18. Durch dieses Gesetz werden bundesgesetzliche Vorschriften, insbesondere auf dem Gebiete des Forstwesens, des Wasserrechtes, und nachstehende landesgesetzliche Vorschriften ... nicht berührt:

..."

b) Das Eisenbahngesetz 1957, BGBl. 60, regelt die Frage der Vornahme von Ersatzpflanzungen bei Baumfällungen, die im Zuge von Eisenbahnbauvorhaben erfolgten, nicht ausdrücklich. Jedoch sind im gegebenen Zusammenhang insbesondere die nachstehenden Vorschriften von Belang:

aa) § 18 Abs 5:

"Das Eisenbahnunternehmen ist berechtigt, die für den Bau, Betrieb und Verkehr der Eisenbahn erforderlichen Hilfseinrichtungen selbst zu errichten und zu betreiben sowie alle Arbeiten, die dem Bau, Betrieb und Verkehr der Eisenbahn dienen, vorzunehmen."

bb) § 41 Abs 2:

"Die innerhalb des Gefährdungsbereiches durch Naturereignisse (wie Lawinen, Erdrutsch, natürlicher Pflanzenwuchs) eingetretenen Gefährdungen der Eisenbahn (§39 Abs 1) sind vom Eisenbahnunternehmen zu beseitigen. ..."

2.a) Die beschwerdeführende (bf.) Partei begründet ihre Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, damit, daß der Berufungssenat der Stadt Wien unzuständig gewesen sei, ihr einen Auftrag zur Vornahme von Ersatzpflanzungen zu erteilen; dies deshalb, weil für Eisenbahnanlagen in Gesetzgebung und Vollziehung allein der Bund zuständig sei (Art10 Abs 1 Z 9 B-VG). Auch für Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen in bezug auf Eisenbahnanlagen sei ausschließlich der Bund kompetent. Das EisenbahnG kenne keine Verpflichtung zur Ersatzpflanzung von Bäumen. Aus § 18 des Wr. BaumSchG ergebe sich, daß dieses Landesgesetz für Eisenbahnanlagen nicht gelte.

b) Der Berufungssenat vertritt die Meinung, daß er zuständig gewesen sei, den angefochtenen Bescheid zu erlassen. Die Kompetenz des Landes ergebe sich aus Art 15 Abs 1 B-VG.

3.a) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 10374/1985, 12172/1989, 12710/1991, 13381/1993, 13656/1993).

Zu untersuchen ist daher, ob die Behörden vom Wiener Baumschutzgesetz ermächtigt werden, Ersatzpflanzungen auch dann vorzuschreiben, wenn der Baum im Zuge von eisenbahnbehördlich genehmigten Bauarbeiten entfernt wurde.

Das ist nicht der Fall:

§ 14 Abs 1 Wr. BaumSchG ermächtigt die Behörde dazu, Ersatzpflanzungen (auch) dann vorzuschreiben, wenn ein Baum "ohne behördliche Bewilligung ... entfernt" wurde. Aus dem Sinn des Gesetzes ergibt sich (wie dies auch aus den Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf des Wr. BaumSchG hervorgeht ("Diese Bestimmung (§14) ist notwendig, um zu erreichen, daß derjenige, der einen Baum ohne Bewilligung entfernt ..., ebenfalls zu einer Ersatzpflanzung ... verhalten werden kann")), daß § 14 Abs 1 nur für die Fälle anzuwenden ist, in denen das Gesetz die Verpflichtung normiert, zum Entfernen eines Baumes eine baumschutzbehördliche Bewilligung einzuholen.

Nun ist es offenkundig, daß im Zuge des Baues und der Erhaltung von Eisenbahnanlagen anfallende Maßnahmen (hier: Zulegung von Gleisen und Errichtung einer Lärmschutzwand) auch das Entfernen von Bäumen zwingend erfordern können. Die eisenbahnbehördliche Bewilligung zur Vornahme derartiger Maßnahmen schließt damit auch die Bewilligung zum Entfernen der Bäume ein. Das wiederum bedeutet, daß in solchen Fällen die im § 18 Wr. BaumSchG enthaltene Ausnahmeregelung ("Durch dieses Gesetz werden bundesgesetzliche Vorschriften, insbesondere ..., nicht berührt") zum Tragen kommt, ist doch die Aufzählung der in Betracht kommenden bundesgesetzlichen Vorschriften nicht taxativ.

Gegen diese Ausnahmebestimmung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken: Der Verfassungsgerichtshof brauchte sich nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Kompetenznorm des Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG ("Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen") erlaubt oder verbietet, daß für Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Bau von Eisenbahnanlagen stehen, vom Landesgesetzgeber (auch) natur- oder umweltschutzrechtliche Genehmigungspflichten oder sonstige Gebote oder Verbote vorgesehen werden; es bestehen nämlich keine verfassungsrechtlichen Einwände dagegen, daß der Landesgesetzgeber von der Normierung solcher Pflichten ausnahmsweise Abstand nimmt, wenn eine vom Bundesgesetzgeber - hier dem Eisenbahngesetzgeber - getroffene Regelung ausreicht (vgl. VfSlg. 10635/1985, S 464).

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß im vorliegenden Fall das Wiener Baumschutzgesetz nicht anzuwenden ist. Demnach war die Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zuständig.

b) Die beschwerdeführende Partei ÖBB wurde also durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der Bescheid war infolgedessen aufzuheben.

4. Den - durch die Finanzprokuratur vertretenen (vgl. § 19 Abs 6 des BundesbahnG 1992) - obsiegenden ÖBB waren gemäß § 88 VerfGG die begehrten Kosten in der Höhe von 12.500,-- S zuzusprechen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.