VfGH vom 26.02.2002, B252/99
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal durch Unterlassung der Durchführung einer (volks)öffentlichen Verhandlung im Verfahren vor der Landes-Grundverkehrskommission; Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung wie zB im Fall Ringeisen aufgrund der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 EMRK
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal gemäß Art 6 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Schenkungsvertrag auf den Todesfall vom wurde der geschlossene Hof "Berghof Pfandl" in EZ 90015, GB Ebbs, im Ausmaß von insgesamt 97,6 ha an den nunmehrigen Beschwerdeführer übertragen. Der Geschenkgeber verstarb am . Entsprechend der Bestimmung des § 23 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 (im folgenden: TGVG 1996) wurde das Rechtsgeschäft am der Bezirkshauptmannschaft Kufstein angezeigt.
Mit Bescheid vom erteilte die Bezirks-Grundverkehrskommission Kufstein die grundverkehrsrechtliche Genehmigung und führte begründend aus, der geschlossene Hof "Berghof Pfandl" habe ursprünglich aus einer Gast- und einer Landwirtschaft bestanden. Die Gastwirtschaft sei bereits im Jahr 1977 an den nunmehrigen Beschwerdeführer verkauft worden. Mit dem vorliegenden Vertrag würden Gasthaus, Liegenschaft und Hof wieder in einer Hand vereinigt. Eine sinnvolle Bewirtschaftung des Hofes sei nur in Verbindung mit der Gastwirtschaft möglich; der Beschwerdeführer biete Gewähr dafür, daß der Hof weiterhin ordnungsgemäß bewirtschaftet werde und der Landwirtschaft erhalten bleibe.
2. Der dagegen erhobenen Berufung des Landesgrundverkehrsreferenten gab die Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung (im folgenden: LGVK) mit Bescheid vom Folge und versagte die beantragte Genehmigung. Nach Auffassung der LGVK sind keine Umstände hervorgekommen, die dafür sprechen würden, daß die streitgegenständliche Liegenschaft vom Erwerber selbst bewirtschaftet werden würde. Aus dem Akteninhalt ergebe sich, daß die Liegenschaft im Kaisertal gelegen ist, welches bisher nicht an das Straßennetz angeschlossen und von Kufstein - dem Wohnort des Beschwerdeführers - aus nur über einen verbreiterten Fußweg bzw. eine Materialseilbahn erreichbar sei. Es sei daher für die LGVK nicht einsehbar, inwieweit der Beschwerdeführer, der zudem kein Landwirt sei, ohne ausreichende Verkehrsverbindung von Kufstein aus den Hof selbst bewirtschaften könne.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde. In dieser wird zunächst eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) und auf Freiheit des Liegenschaftserwerbs (Art6 StGG) behauptet; weiters rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren, da trotz seines entsprechenden Antrags keine mündliche Verhandlung vor der LGVK stattgefunden habe.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Bedenken des Beschwerdeführers entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Art 6 Abs 1 EMRK lautet:
"Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß vffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang."
Österreich hat zu dieser Bestimmung einen Vorbehalt gemäß Art 64 EMRK (nunmehr Art 57 EMRK) abgegeben. Dieser Vorbehalt besagt,
"(...) daß (...) die Bestimmungen des Artikels 6 der Konvention mit der Maßgabe angewendet werden, daß die in Artikel 90 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 festgelegten Grundsätze über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beeinträchtigt werden (...)".
Art 90 Abs 1 B-VG lautet:
"Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz."
2. Im Fall Eisenstecken gegen Österreich (Urteil vom , ÖJZ 2001/7) - betreffend ein nach dem AVG durchgeführtes Verfahren zur Erteilung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung - hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - von seiner früheren Rechtsprechung abgehend - den österreichischen Vorbehalt zu Art 6 EMRK ausdrücklich als ungültig angesehen. Dieser enthalte keine "kurze Inhaltsangabe" des Gesetzes, von dem gesagt werde, daß es nicht mit Art 6 EMRK übereinstimme. Ein Vorbehalt, welcher lediglich auf eine ermächtigende, nicht erschöpfend formulierte Bestimmung der Verfassung und nicht auf diejenigen besonderen Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung Bezug nehme, welche öffentliche Verfahren ausschlössen, biete nicht in ausreichendem Maß eine Garantie, daß er nicht über die (von Österreich) ausdrücklich ausgeschlossenen Bestimmungen hinausgehe. Der Vorbehalt entspreche daher nicht den Voraussetzungen des Art 57 Abs 2 EMRK und sei ungültig.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vertrat die Ansicht, daß es irrelevant sei, ob der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren beantragt habe oder nicht, weil mündliche Verhandlungen nach § 40 Abs 1 AVG jedenfalls nicht öffentlich seien. Er sprach aus, daß der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine Verhandlung nach Art 6 Abs 1 EMRK gehabt hätte, weil keine der Ausnahmen, die dort festgelegt worden seien, auf den Fall anwendbar gewesen wäre. Er kam daher zum Schluß, daß durch das Unterlassen der Grundverkehrsbehörden, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden sei.
3. Wie bereits im hg. Erkenntnis vom , B227/99, dargelegt wurde, sieht sich der Verfassungsgerichtshof gehalten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen neuer Bewertung des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK zu folgen.
4.1. Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK hat zur Folge, daß in Verwaltungsverfahren, in welchen über den "Kernbereich" von civil rights abgesprochen wird, eine (volks)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art 6 EMRK dies zuläßt.
4.2. Bei Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften steht außer Zweifel, daß es sich um Verfahren handelt, die civil rights in ihrem "Kernbereich" berühren (vgl. mwN).
5.1. Im Verwaltungsverfahren nach dem AVG - das im grundverkehrsbehördlichen Verfahren anzuwenden ist (ArtII Abs 2 Z 17 EGVG) - können die Verwaltungsbehörden gemäß § 39 Abs 2 AVG eine mündliche Verhandlung anordnen. Nähere Vorschriften über den Ablauf der mündlichen Verhandlung finden sich in den §§40 ff. AVG.
Das TGVG 1996 idF LGBl. 59/1997 enthält keine Bestimmungen bezüglich der Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit der Novelle LGBl. 75/1999 zum TGVG 1996 wurde jedoch Abs 6 in § 28 eingefügt. Nach dieser Bestimmung hat die Landes-Grundverkehrskommission unter bestimmten Voraussetzungen eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen. Die Novelle, welche am in Kraft trat, ist für den vorliegenden Fall nicht relevant.
5.2. Der Verfassungsgerichtshof ging bisher davon aus, daß das AVG (abgesehen von § 67 d AVG) keine (volks)öffentlichen Verhandlungen kenne und für die mündlichen Verhandlungen (nur) Parteiöffentlichkeit vorsehe (VfSlg. 6808/1972). Das AVG enthält jedoch keine Bestimmung, die es ausschlösse, in den von Art 6 EMRK geforderten Fällen eine (volks)öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
5.3. Angesichts dessen war daher gemäß Art 6 Abs 1 EMRK eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Für diese hat - abgesehen von den nach Art 6 Abs 1 EMRK zulässigen Ausnahmen - der Grundsatz der Volksöffentlichkeit zu gelten.
Da es die LGVK unterlassen hat, eine (volks)öffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- sowie die entrichtete Eingabegebühr im Betrag von € 181,68 enthalten.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.