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VfGH vom 07.03.1986, B251/80

VfGH vom 07.03.1986, B251/80

Sammlungsnummer

10807

Leitsatz

GrEStG 1955; Vorschreibung von Grunderwerbsteuer für Nutzungsverträge mit einem Bauberechtigten (Baurechtsinhaber) über diesem im Baurecht überlassene Grundstücksflächen zu bestimmter Nutzung; denkunmögliche Anwendung des § 1 Abs 2 dahin gehend, daß diese Nutzungsverträge als Einräumung einer rechtlichen oder wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit behandelt werden; Verletzung im Eigentumsrecht

Spruch

Die bf. Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Die Stadt Linz hat in den Jahren 1965 und 1971 zum Zweck der Errichtung bestimmter Hallen im Gewerbehof Urfahr mit dem "Bauverband ..." in Wien (im folgenden: Bauverband) Baurechtsverträge abgeschlossen; hiefür wurde gemäß § 2 Abs 2 Z 1 GrEStG Grunderwerbsteuer entrichtet.

Aufbauend auf diesen Baurechtsverträgen hat die Bf. mit dem Bauverband in den Jahren 1965 und 1971 Nutzungsverträge abgeschlossen, wodurch ihr die für die Errichtung zweier Hallen im Gewerbehof erforderlichen Grundstücksflächen auf unbestimmte Zeit, längstens auf Dauer des Baurechtes in Nutzung gegeben wurden. Diese Nutzungsverträge wurden beim Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien angezeigt, das entsprechende Gebührenbescheide erlassen hat.

b) Das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Linz hat mit Bescheid vom 5. Feber 1979 der bf. Gesellschaft Grunderwerbsteuer in der Höhe von 174628 S vorgeschrieben. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung gab die Finanzlandesdirektion für OÖ mit Bescheid vom keine Folge.

2. Gegen diesen Bescheid der Finanzlandesdirektion richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, insbesondere des Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, "auf Einhaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben" sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Finanzlandesdirektion für OÖ hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 9014/1981, 9726/1983) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

2. Die bel. Beh. hat Grunderwerbsteuer für einen Nutzungsvertrag zwischen der Bf. und dem Bauverband vorgeschrieben, mit dem dieser ihm im Baurecht überlassene Grundstücke der Bf. zu bestimmter Nutzung übertragen hat. Sie hat ihre Entscheidung auf § 1 Abs 2 GrEStG gegründet.

Diese Bestimmung lautet:

"Der Grunderwerbsteuer unterliegen auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruches auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten."

Die bel. Beh. begründet ihre Auffassung im bekämpften Bescheid wie folgt:

"Die Vorschreibung des Finanzamtes stützt sich auf § 1 Abs 2 GrEStG. Darnach unterliegen der Steuer auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruches auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten.

Nach § 2 GrEStG sind Baurechte den Grundstücken gleichgesetzt. Durch die Nutzungsverträge wurden der Berufungswerberin über das gegenständliche Baurecht derartig weitreichende Befugnisse eingeräumt, daß man zumindest von einer wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit im Sinne obiger Gesetzesstelle sprechen kann. Dieser Umstand reicht aus, um die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 1 Abs 2 GrEStG zu bejahen."

3. Damit hat die bel. Beh. ohne nähere Begründung angenommen, daß der abgeschlossene Nutzungsvertrag der bf. Gesellschaft wesentliche Befugnisse einräume, was eine "wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit" und damit die Grunderwerbsteuerpflicht bewirke. Der VfGH hält es jedoch für denkunmöglich, anzunehmen, daß ein für einen bestimmten Verwendungszweck (der Errichtung einer Halle in einem Gewerbehof auf unbestimmte Zeit, längstens aber auf Baurechtsdauer) abgeschlossenen Nutzungsvertrag zwischen einem Bauberechtigten und einem Nutzungsberechtigten als Einräumung einer rechtlichen oder wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit behandelt wird.

Die bel. Beh. nimmt offensichtlich an, weitgehende Nutzungsrechte begründeten eo ipso eine Verwertungsmöglichkeit iS des § 1 Abs 2 GrEStG. Dies wird insbesondere aus der Gegenschrift der bel. Beh. deutlich, in der es dazu heißt:

"Aufbauend auf den Baurechtsverträgen vom 14. 1. bzw. und 24. 6. bzw. wurden mit der Beschwerdeführerin Nutzungsverträge abgeschlossen. Diese Verträge berechtigen die Beschwerdeführerin zur Gebäudeerrichtung auf Flächen und Teilen des für den Bauverband bücherlich einverleibten Baurechtes.

Da die Befugnisse des Bauberechtigten denen eines Eigentümers wirtschaftlich nahekomme, ist im Grunderwerbsteuerrecht das Baurecht den Grundstücken gleichgestellt (§2 Absatz 2 Ziffer 1 GrEStG). Die 'Weiterübertragung' eines bereits bestehenden Baurechtes ist daher ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstückes im Sinne des Grunderwerbsteuerrechtes begründet (vgl. Kommentar Czurda, TZ 299 zu § 1).

Die Einräumung eines Rechtes, auf einem 'Baurechtsgrundstück' ein Gebäude zu errichten, ist umfänglich derartig weitreichend, daß es der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit eines inländischen Grundstückes im Sinne des § 1 Absatz 2 GrEStG gleichzusetzen ist.

Welche Befugnisse in ihrer Gesamtheit die 'Verwertungsbefugnis' ausmachen, bestimmt das Gesetz nicht. Durch die Bestimmung des § 1 Absatz 2 GrEStG sollen Fälle erfaßt werden, in denen der Veräußerer dem Erwerber in Bezug auf das Grundstück bzw. Baurecht Einwirkungsmöglichkeiten gewährt, die über die Einwirkungsmöglichkeiten eines Pächters hinausgehen.

Die Verfügungsgewalt kann in einer nahezu unbeschränkten Nutzungsmöglichkeit oder in einer Verwertungsmöglichkeit liegen.

Bei Beurteilung des Sachverhaltes ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sehr wohl die wirtschaftliche Betrachtungsweise anzuwenden (vgl. BFH vom II 186/53 BSD.Bl. III S. 176). Es ist nicht erforderlich, daß die Beschwerdeführerin mit dem Grundstück wie ein Eigentümer verfahren darf. Würde sie die Befugnis erreichen, die dem Eigentümer zustehen, wäre der Tatbestand nach § 1 Absatz 1 GrEStG gegeben.

Da es hinreichend ist, wenn dem Erwerber ein nahezu unbeschränktes Nutzungsrecht eingeräumt wird, ist der Einwand, daß der Beschwerdeführerin eine 'Verwertungsmöglichkeit auf eigene Rechnung' nicht eingeräumt wurde, in keiner Weise zielführend.

Der Versuch der Beschwerdeführerin, das 'Nutzungsrecht' in der Darstellung durch die Worte, 'daß lediglich die Möglichkeit eingeräumt worden sei, auf eigene Kosten und auf eigene Rechnung ein Gebäude auf fremdem Grund zu errichten', möglichst zu verkleinern, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wirtschaftliche Befugnisse eingeräumt wurden, wie sie üblicherweise nur der Eigentümer oder Bauberechtigte hat."

Entgegen der Auffassung der bel. Beh. ist es aber nicht möglich, aus einem bloßen Nutzungsvertrag, auch wenn er dem Nutzungsberechtigten weitgehende Nutzungsrechte überträgt, abzuleiten, daß damit eine Verwertungsbefugnis iS des GrEStG begründet wird. Nutzung und Verwertung eines Grundstückes sind qualitativ auseinanderzuhalten. Von weitgehenden Nutzungsbefugnissen auf eine Grunderwerbsteuerpflicht des Übertragungsaktes zu schließen, geht nicht an.

Der VfGH sieht sich hierin einer Meinung mit der jüngeren Rechtsprechung des VwGH, der in ausführlicher Begründung und mit Hinweisen auf seine Vorjudikatur und die Literatur dargelegt hat, daß dem Begriff der Verwertung nur die Bedeutung zukommen kann, "in Ansehung der eingeräumten Rechte in bezug auf das Grundstück eine andere (Verwertungs-)Macht, zB durch Verfügung über die Substanz der Liegenschaft, als ein bloß Besitz- und Nutzungsberechtigter ausüben zu können" ( Slg. 5582/F). Diese Auffassung hat der VwGH in zahlreichen weiteren Judikaten bestätigt.

4. Indem die Behörde den angefochtenen Bescheid in denkunmöglicher Anwendung der herangezogenen Bestimmung des § 1 Abs 2 GrEStG erlassen hat, hat sie einen in die Verfassungssphäre reichenden Fehler begangen. Der Bescheid war daher allein schon deshalb wegen Verletzung des Grundrechts der Unverletzlichkeit des Eigentums zu beheben, ohne daß auf das übrige Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.