OGH vom 17.12.2019, 9ObA116/19b

OGH vom 17.12.2019, 9ObA116/19b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und Dr.

Stefula sowie die fachkundigen

Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Krachler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. C***** W*****, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B***** T***** GmbH, *****, vertreten durch e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 110.832,58 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 35/19t-26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Den Dienstgeber trifft gegenüber seinen Dienstnehmern eine Fürsorgepflicht, die sich auch auf deren vermögensrechtliche Interessen erstreckt (RIS-Justiz RS0021544 [T1]). Verletzt der Dienstgeber schuldhaft seine Fürsorgepflicht und entsteht dem Dienstnehmer ein Schaden, so kann dieser Schadenersatzansprüche geltend machen (RS0119353 [T4]).

2. Der Dienstgeber ist im Rahmen der Fürsorgepflicht nicht gehalten, eigene schutzwürdige Interessen zu vernachlässigen. Werden aber durch eine Maßnahme schutzwürdige Interessen sowohl des Dienstgebers als auch des Dienstnehmers berührt, kommt es zu einer Interessenabwägung (RS0054865; 9 ObA 64/16a).

3. Die

Fürsorgepflicht des Dienstgebers wirkt nach und gilt damit grundsätzlich auch nach Beendigung des Vertrags. Der Dienstgeber ist damit auch nach Auflösung des Dienstverhältnisses grundsätzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass dem Dienstnehmer keine Nachteile entstehen (RS0021412). Mit anderen Worten hat der Dienstgeber die Interessen des Dienstnehmers in gewissem Rahmen weiter zu berücksichtigen (8 ObA 217/02y = DRdA 2003/31).

4. Diese Verpflichtung wird auch und gerade im Zusammenhang mit Auskünften gegenüber potentiellen neuen

Arbeitgebern bejaht. Aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen, etwa zu den Postensuchtagen, der Einschränkung der Zulässigkeit von Konkurrenzklauseln und den Regelungen über das Dienstzeugnis, lässt sich insgesamt die Wertung des Gesetzgebers ableiten, dass er das Interesse des Arbeitnehmers an seinem weiteren Fortkommen als schutzwürdig erachtet (9 ObA 104/07w = ASoK 2008, 357 [Marhold-Weinmeier] = DRdA 2009/50 [S. Mayer] = ZAS 2009/6 [Wolfsgruber]). Insbesondere aus den Wertungen den § 1163 Abs 1 Satz 3 ABGB und § 39 Abs 1 Satz 2 AngG, wonach Eintragungen und Anmerkungen in einem (Dienst-)Zeugnis, durch die dem Dienstnehmer (Angestellten) die Erlangung einer neuen Stellung erschwert wird, unzulässig sind, lässt sich eine Verpflichtung des Arbeitgebers ableiten, über frühere Arbeitnehmer grundsätzlich keine nachteiligen Bemerkungen zu machen (9 ObA 151/89 = ZAS 1990/9 [Beck-Mannagetta]). Aus der Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG, wonach eine Kündigung wegen eines verpönten Motivs dann angefochten werden kann, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfolgte, wurde beispielsweise abgeleitet, dass Auskünfte über die „Klagsfreudigkeit“ des Arbeitnehmers zumindest grundsätzlich unzulässig sind (9 ObA 104/07w).

5. Das Interesse des ehemaligen Dienstnehmers am Unterbleiben nachteiliger Mitteilungen (Informationen) ist mit schützenswerten Interessen anderer Beteiligter, insbesondere des potentiellen neuen

Arbeitgebers und des früheren

Arbeitgebers, unter Umständen aber auch mit jenen anderer Personen oder gar der Allgemeinheit abzuwägen (9 ObA 151/89; 9 ObA 56/11t = DRdA 2013/23 [Gahleitner] = EvBl 2012/137 [S. Mayer]). Der Arbeitgeber ist somit auch im Rahmen der nachwirkenden (nachvertraglichen) Fürsorgepflicht nicht gehalten, eigene und schützenswerte Interessen zu vernachlässigen, wenn die Interessenabwägung zu Gunsten der Mitteilung ausschlägt.

6. Bei der konkreten Abwägung ist auf die Grundsätze der Interessenabwägung, wie sie unter anderem im § 1 DSG zugrundegelegt werden, aber auch auf einschlägige arbeitsrechtliche Wertungen Bedacht zu nehmen (9 ObA 104/07w). Auch bei Beurteilung der Frage, inwieweit ein Dienstnehmer aufgrund nachvertraglicher Schutzpflichten noch Anspruch auf Wahrung seines wirtschaftlichen Rufes hat, ist eine Abwägung seiner Interessen mit jenen des vormaligen Dienstgebers oder den allfälligen Interessen Dritter vorzunehmen.

7. Die Frage, ob der

Arbeitgeber in der konkreten Situation durch eine bestimmte Handlung seine

Fürsorgepflichten gegenüber einem ehemaligen Arbeitnehmer verletzt hat, kann naturgemäß nur aufgrund der Umstände des

Einzelfalls beurteilt werden und ist – vom Fall einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung abgesehen – damit grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO. Dies ist hier nicht anders.

8. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht – wie es häufiger der Fall ist – an die ehemalige Arbeitgeberin (Beklagte) um Informationen über den ausgeschiedenen Arbeitnehmer (Kläger) herangetreten wurde. Vielmehr war es die Beklagte als ehemalige Arbeitgeberin selbst, die nicht nur ein Schreiben an den Kläger sandte, mit dem sie diesen eindringlich auf seine nachvertraglichen Rechtspflichten hinwies, sondern darüber hinaus dieses Schreiben auch dem Alleingesellschafter jener Gesellschaft übermittelte, bei der bereits vom Kläger ein neues Dienstverhältnis begründet worden war und seine Bestellung zum Geschäftsführer zumindest im Raum stand. Die zuvor referierte – und auch vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte – Rechtsprechung kann aber auch für einen solchen Fall fruchtbar gemacht werden, weil es um nichts anderes als die Reichweite der Fürsorgepflicht des ehemaligen Arbeitgebers und damit darum geht, inwiefern dieser verpflichtet ist, von für den ehemaligen Arbeitnehmer nachteiligen Handlungen Abstand zu nehmen.

8.1. Dabei ist hier ohne Weiteres davon auszugehen, dass das Schreiben an die Muttergesellschaft der neuen Arbeitgeberin, dem das Schreiben an den Kläger vom selben Tag angeschlossen war, objektiv geeignet war, dessen Fortkommen dadurch zu erschweren, dass er die von ihm angestrebte Stelle als Geschäftsführer nicht erlangt. Eben dieses verwirklichte sich sodann auch tatsächlich. An der Kausalität des Schreibens für den Nichterhalt der angestrebten Position ist aufgrund der Feststellungen nicht zu zweifeln.

8.2. Es ist dann aber auch vertretbar, wenn das Berufungsgericht ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Übermittlung dieses Schreibens an die Muttergesellschaft der neuen Arbeitgeberin verneinte. Der Kläger unterlag bei Übermittlung dieses Schreibens weder einem Konkurrenzverbot, noch lagen hinreichende Gründe für die Annahme vor, er hätte gegen seine vertragliche Verpflichtung zur Geheimhaltung verstoßen. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts beruht auf der einschlägigen Rechtsprechung und Lehre und ist im Einzelfall nicht zu beanstanden.

9. Worin konkret ein Mitverschulden des Klägers liegen soll, wird von der Beklagten nicht überzeugend zur Darstellung gebracht. Der Einwand der Verletzung der

Schadensminderungspflicht gehört nicht zum Anspruchsgrund, sondern betrifft die Schadenshöhe und steht daher der Fällung eines Zwischenurteils nicht entgegen (RS0040783 [T1]).

10. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die

außerordentliche Revision der Beklagten daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00116.19B.1217.000

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