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VfGH vom 12.10.1991, B249/91

VfGH vom 12.10.1991, B249/91

Sammlungsnummer

12873

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit durch Abweisung eines Antrags auf Verlegung einer öffentlichen Apotheke innerhalb des bewilligten Standortes; denkunmögliche Anwendung des Gesetzes durch Annahme der Ermächtigung zu einer Bedarfsprüfung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Landeshauptmann von Oberösterreich erteilte mit Bescheid vom der Beschwerdeführerin gemäß § 51 Abs 1 des Apothekengesetzes die Konzession zum Betrieb einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke in Leonding unter Festlegung des Standortes, der das Gemeindegebiet von Leonding südlich der Verkehrsfläche Paschinger Straße umfaßt.

Die Betriebsstätte der Apotheke ("Apotheke am Harter Plateau") befindet sich in Leonding, Harterfeldstraße 9a.

b) Am beantragte die Beschwerdeführerin, die Verlegung der öffentlichen Apotheke innerhalb des bewilligten Standortes in das Shopping Center Uno Leonding/Doppl, Kremstal Bundesstraße, zu genehmigen.

Der (damals zuständige) Bundeskanzler wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom diesen Antrag gemäß § 14 Abs 1 des Apothekengesetzes, RGBl. 5/1907 idF der Novelle BGBl. 362/1990, (im folgenden kurz: ApG), ab. (Näheres s. u. II.2.).

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Erwerbsfreiheit und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§14 Abs 1 ApG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. (Näheres s.u. II.3.).

3. Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz (der nunmehr die zur Vertretung des angefochtenen Bescheides zuständige Behörde ist - s. ArtI Z 7 der Novelle zum Bundesministeriengesetz, BGBl. 45/1991) erstattete eine Gegenschrift, in der er begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II. 1. Die hier in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des ApG lauten:

"Betriebsanlage und Einrichtung

§6. (1) Die zur Bereitung, zum Verkaufe und zur Aufbewahrung von Heilmitteln, sowie für die Dienstbereitschaft bestimmten Räume einer öffentlichen Apotheke oder einer Filiale einer solchen, sowie die Einrichtungen derselben müssen den Anforderungen entsprechen, welche mit Rücksicht auf die Bedeutung eines klaglosen Betriebes der Apotheken für die öffentliche Sanitätspflege geboten sind.

(2) Vor der Inbetriebsetzung einer öffentlichen Apotheke ist die behördliche Genehmigung für die Betriebsanlage derselben zu erwirken. Eine Änderung der Betriebsanlage bedarf gleichfalls der behördlichen Genehmigung.

(3) ..."

"Konzession

§9. (1) Der Betrieb einer öffentlichen Apotheke, welche nicht auf einem Realrechte beruht (radizierte, verkäufliche Apotheken), ist nur auf Grund einer besonderen behördlichen Bewilligung (Konzession) zulässig.

(2) In der Konzessionsurkunde ist als Standort der Apotheke eine Gemeinde, eine Ortschaft, ein Stadtbezirk oder ein Teil eines solchen Gebietes zu bestimmen. Bei Apotheken, welche schon früher betrieben worden sind, ist der bisherige Standort aufrecht zu erhalten. Die Konzession hat nur für den Standort Geltung."

"Sachliche Voraussetzung der Konzessionserteilung

§10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

1. die Zahl der von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke aus zu versorgenden Personen weniger als 5500 beträgt oder

2. die Entfernung zwischen der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt oder

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich infolge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5500 betragen wird.

(3) Zu versorgende Personen gemäß Abs 2 Z 1 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke zu versorgen sein werden.

(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs 2 Z 3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne der Abs 3 oder 4 weniger als 5500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen.

(6) ..."

"Verlegung

§14. (1) Die Verlegung einer Apotheke innerhalb des festgesetzten Standortes (§9 Abs 2) bedarf der behördlichen Genehmigung.

(2) Die Verlegung einer öffentlichen Apotheke an einen anderen Standort ist zu bewilligen, wenn die Voraussetzungen des § 10 zutreffen und überdies von dem neuen Standort aus der Bedarf des Gebietes besser befriedigt werden kann."

2. Die Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, daß auch in den Fällen des § 14 Abs 1 ApG (Verlegung einer Apotheke innerhalb des festgesetzten Standortes) eine Bedarfsprüfung iS des § 10 ApG stattzufinden habe:

"... Es kann nicht der Schluß gezogen werden, daß, nachdem in § 14 Abs 2 ApG eine Bedarfsprüfung stattzufinden hat und gemäß § 14 Abs 1 eine solche ausdrücklich nicht vorgesehen ist, die im Abs 1 normierte 'behördliche Genehmigung' jedenfalls ohne jegliche weiteren Prüfungen zu erfolgen hätte, wenn die Verlegung nur wirklich innerhalb des einst festgesetzten Standortes vorgenommen werden soll. Die Statuierung einer behördlichen Genehmigung ergäbe keinen Sinn, wenn nicht zumindest die Grundsätze des anzuwendenden Gesetzes, und zwar in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung, einzuhalten wären. Der Grundsatz des Apothekengesetzes ist eine optimale Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. ..."

Von dieser Prämisse ausgehend gelangt die Behörde im konkreten Fall zu folgenden Ergebnissen:

"Im Lichte aller obiger Ausführungen ist ein Versagungsgrund zweifellos vorhanden, nämlich daß die Bewohner des Harter Plateaus durch eine Verlegung der öffentlichen Apotheke in das geplante Einkaufszentrum eine untragbare Verschlechterung der Arzneimittelversorgung hinnehmen müssen, die um den Verlegungsstandplatz angesiedelte Bevölkerung hingegen bereits ausreichend von der dort in der Nähe sich befindlichen 'Christophorus-Apotheke' versorgt wird. Die Bewilligung einer Verlegung unter Berücksichtigung bloß kaufmännischer Erwägungen des Inhabers unter Hintansetzung der Interessen der arzneimittelsuchenden Bevölkerung, ist aus apothekenrechtlicher Sicht nicht zu erteilen. ...

Beim Anlegen der Maßstäbe einer öffentlichen Apotheke würde durch die Verlegung der Betriebsstätte in das Einkaufszentrum Shopping Center Uno, insbesondere auch durch das Vorhandensein zweier naher Nachbarapotheken, ein ausreichendes Wohnbevölkerungspotential für drei Apotheken nicht vorhanden sein. Eine - fast ausschließliche - Orientierung an einem Verkehrspublikum durch ein Einkaufszentrum ist dem Apothekengesetz vom Grundsatz her fremd, wenn auch durch die Apothekengesetznovelle 1990 dem Aufsuchen von 'Einrichtungen' nunmehr vermehrt Bedeutung beizumessen sein wird. ..."

3. Dem hält die Beschwerdeführerin im wesentlichen entgegen, daß bei Verlegung einer Apotheke innerhalb des bewilligten Standortes keine Bedarfsprüfung vorzunehmen sei; das ergebe sich aus dem klaren Wortlaut des § 14 ApG.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Mit dem bekämpften Bescheid wird der Beschwerdeführerin der Sache nach verboten, die Betriebsstätte ihrer Apotheke zu verlegen. Damit wird in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbs(ausübungs)freiheit (Art6 StGG) eingegriffen (vgl. zB VfSlg. 10501/1985). Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985) nur dann verfassungswidrig, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (vgl. zB VfSlg. 11638/1988).

b) Der angefochtene Bescheid stützt sich auf § 14 Abs 1 ApG.

Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen diese bundesgesetzliche Vorschrift unter dem Gesichtspunkt dieses Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

aa) Insbesondere hegt er - anders als Wiederin, Übergang und Verlegung öffentlicher Apotheken, in: FS Winkler, Wien 1989, 257 - nicht das Bedenken, daß diese Bestimmung dem Determinierungsgebot des Art 18 B-VG widerspricht. Dem Gesetz kann nämlich - wie in der Folge noch näher dargetan wird - entnommen werden, an welche Voraussetzungen die Genehmigung zur Verlegung der Apotheke innerhalb des festgesetzten Standortes geknüpft wird.

bb) Die Beschwerdeführerin macht der Sache nach geltend, § 14 Abs 1 ApG stehe dann in Widerspruch zu Art 6 StGG, wenn er - wie die belangte Behörde annimmt - tatsächlich eine Bedarfsprüfung vorsieht.

Der Gesetzgeber ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3968/1961, 4011/1961, 5871/1968, 9233/1981) durch Art 6 StGG ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Umständen verboten ist (also auch den Erwerbsantritt behindernde Vorschriften zu erlassen), sofern er dabei den Wesensgehalt des Grundrechtes nicht verletzt und die Regelung auch sonst nicht verfassungswidrig ist.

Eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, ist nur zulässig, wenn das öffentliche Interesse sie gebietet, sie zur Zielerreichung geeignet und adäquat ist und sie auch sonst sachlich gerechtfertigt werden kann (vgl. VfSlg. 10179/1984, 10386/1985, 10932/1986, 11276/1987, 11483/1987, 11494/1987, 11503/1987, 11749/1988). Das gilt insbesondere für Vorschriften, die eine Bedarfsprüfung vorsehen (vgl. zB VfSlg. 11276/1987, 11625/1988; ).

Zwar hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt (zB VfSlg. 8765/1980, 10386/1985, 10692/1985) ausgesprochen, daß Bedenken gegen die (damals) gesetzlich geforderte Berücksichtigung der Existenzfähigkeit bestehender Apotheken nicht bestünden; diese diene der klaglosen Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln und liege damit im öffentlichen Interesse.

Das bedeutet - auch unter Bedachtnahme auf die seither eingetretene Änderung der Rechtslage (s. die ApG-Novelle 1990, BGBl. 362) - aber nicht, daß auch bei bloßer Verlegung der Apotheken-Betriebsstätte innerhalb des festgesetzten Standortes eine Bedarfsprüfung unter dem Gesichtspunkt der Erwerbsausübungsfreiheit zulässig wäre. Bei einer dem Wortlaut und dem Sinn des § 9 Abs 2 iVm § 10 ApG entsprechenden Umschreibung des Standortes im Apothekenkonzessions-Bescheid ist davon auszugehen, daß eine Verlegung der Apotheke innerhalb dieses Standortes keine gravierenden Folgen für die klaglose Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln hat; dann aber wäre eine Bedarfsprüfung aus öffentlichen Interessen nicht gerechtfertigt.

§ 14 Abs 1 ApG ist jedoch auch anders interpretierbar:

Der Wortlaut und der systematische Zusammenhang legen geradezu nahe, daß diese Vorschrift eine Bedarfsprüfung nicht verlangt. Aus einem Umkehrschluß zu § 14 Abs 2 ApG ergibt sich nämlich, daß die hier für eine Verlegung der Apotheke außerhalb des Standortes ausdrücklich vorgesehene Bedarfsprüfung in dem in § 14 Abs 1 geregelten Fall der Betriebsstättenverlegung innerhalb des Standortes eben nicht stattfinden soll.

Die Erläuterungen zur RV des Stammgesetzes (1912 BlgAH, 17. Sess., 44) meinen zu dieser Bestimmung, daß durch spätere Verlegungen die Interessensphäre der nachträglich am Standorte oder in der Umgebung errichteten Apotheken berührt werden könne, weshalb eine solche Verlegung nicht mehr dem Belieben des Konzessionärs anheimgestellt werden dürfe; es müsse daher in Rücksicht zu ziehen sein, ob durch die Verlegung die Existenzfähigkeit einer nachträglich errichteten Apotheke gefährdet werde. Diese Erläuterungen haben zwar im Hinblick auf die durch die ApG-Novelle 1990 eingetretene Änderung der Rechtslage (Entfall der Existenzgefährdungsprüfung) keine Bedeutung mehr.

Dennoch ist die Behauptung der belangten Behörde, § 14 Abs 1 ApG wäre dann, wenn er nicht zur Bedarfsprüfung ermächtige, inhaltsleer, unzutreffend. Der verbliebene Text des ApG erlaubt nämlich, dessen § 14 Abs 1 dahin auszulegen, daß die nach dieser Gesetzesbestimmung erforderliche behördliche Genehmigung der Klarstellung der - allenfalls strittigen - Frage dient, ob die in Aussicht genommene neue Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke innerhalb des festgesetzten Standortes (§9 Abs 2 ApG) liegt, oder ob die beabsichtigte Verlegung der Apotheke dem Regime des § 14 Abs 2 ApG unterliegt. Eine derartige Klarstellung kann sowohl aus öffentlichen Interessen als auch aus jenen des Apothekers geboten sein.

cc) Bei dem geschilderten Inhalt bestehen gegen § 14 Abs 1 ApG weder unter dem Gesichtspunkt des Art 18 B-VG noch unter jenem des Art 6 StGG, noch aus sonstigen Gründen verfassungsrechtliche Bedenken.

c) Aus dem soeben Gesagten ergibt sich aber, daß die Behörde § 14 Abs 1 ApG deshalb denkunmöglich angewendet hat, weil sie davon ausgegangen ist, diese Vorschrift ermächtige sie zu einer Bedarfsprüfung.

Damit hat sie die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt.

Der angefochtene Bescheid war sohin aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.