VfGH vom 04.03.2005, b249/04
Sammlungsnummer
17479
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe über einen LKW-Lenker wegen Durchführung einer ökopunktepflichtigen Transitfahrt ohne Entrichtung von Öko-Punkten; keine dynamische Verweisung in einer Strafbestimmung im Güterbeförderungsgesetz durch Anknüpfen an unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht, sondern Umsetzung einer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung; keine Blankettstrafnorm
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (in der Folge: UVS) vom wurde die Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, mit dem über den Beschwerdeführer gemäß § 23 Abs 2 Güterbeförderungsgesetz 1995, BGBl. 593/1995, idF BGBl. I 106/2001 (in der Folge: GütbefG), eine Geldstrafe in bestimmter Höhe verhängt wurde, weil er als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges von Italien kommend eine ökopunktepflichtige Transitfahrt durch Österreich nach Deutschland durchgeführt habe, ohne dafür Ökopunkte entrichtet zu haben, als unbegründet abgewiesen.
Begründend führt der UVS im Wesentlichen aus, dass - entgegen den Angaben des Beschwerdeführers - das Ecotag-Gerät funktioniert habe; bei der vorgeworfenen Übertretung handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt und der Beschwerdeführer habe fahrlässig gehandelt. Die Höhe der verhängten Geldstrafe sei schuld- und tatangemessen und der UVS hege keine Bedenken gegen die ausreichende Bestimmtheit der Strafbestimmungen.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
Der Beschwerdeführer bringt vor, § 23 Abs 2 GütbefG verstoße gegen Art 18 B-VG und Art 7 EMRK, weil es sich bei der Verweisung auf "unmittelbar anwendbare Vorschriften der Europäischen Union über den Güterverkehr auf der Straße" um eine unzulässige Pauschalverweisung handle, die so unbestimmt sei, dass es nicht einmal einem mit dem Güterverkehrsrecht befassten Juristen, geschweige denn dem Beschwerdeführer als Kraftfahrer, möglich sei, mit Sicherheit zu entscheiden, welche gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen durch diese Verweisung erfasst sein sollten. Überdies handle es sich bei dieser Verweisung um eine unzulässige dynamische Verweisung. § 23 Abs 2 leg.cit. widerspreche auch dem Gleichheitsgrundsatz, da Verstöße gegen § 6 Abs 1, 3 und 4 sowie gegen § 9 Abs 2 leg.cit., die im Wesentlichen Pflichten zur Mitnahme diverser Dokumente im Kraftfahrzeug beinhalten würden, mit derselben Sanktion bedroht seien wie pauschal sämtliche Verstöße gegen unmittelbar anwendbares Recht der Europäischen Union über den Güterverkehr auf der Straße, worunter auch Normen fallen könnten, die höherwertige Rechtsgüter (z.B. Umweltschutz, Sicherheit des Straßenverkehrs, Schutz der Arbeitnehmer) beträfen.
3. Der UVS legte innerhalb der ihm gesetzten Frist die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der UVS argumentiert, dass Österreich zur Sanktionierung von Verletzungen des Gemeinschaftsrechts verpflichtet sei, was insbesondere hinsichtlich der Anwendung von Primärrecht gelte. Der Gesetzgeber habe auch nicht jede Verletzung unmittelbar anwendbarer Vorschriften der EU für strafbar erklärt, sondern sowohl eine personelle als auch eine sachliche Einschränkung vorgenommen. Bestraft werden könne nur ein "Lenker", wenn er eine unmittelbar anwendbare Vorschrift der EU "über den Güterverkehr auf der Straße" verletzt habe. Zudem liege der Strafrahmen zwischen € 0,00 und € 726,00. Wörtlich führt der UVS dann Folgendes aus:
"Ferner ist auf Abs 2 des § 5 VStG zu verweisen, der anordnet, dass die Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, dann entschuldigt, wenn sie erwiesener Maßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte. Aus dieser Bestimmung kann daher entnommen werden, dass eine Strafe nur verhängt werden kann, wenn eine 'Kernvorschrift' des Güterbeförderungsgesetzes verletzt wurde. Deswegen wurde bereits in der Gegenschrift vom ausgeführt, dass betreffend der Regelung über die Entrichtung von Ökopunkten es auf der Hand liegt, dass es zu einer richtigen Entrichtung der Ökopunkte zu kommen hat, wobei einziger Ansprechpartner im Gegenstandsfall der Beschwerdeführer ist und es für die Allgemeinheit verständlich und nachvollziehbar ist, dass bei Nichtentrichtung eine Sanktion zu erfolgen hat.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol verweist darauf, dass sich bereits der Verwaltungsgerichtshof in der Entscheidung vom , Zl. 2001/03/0194, mit einem diesbezüglichen Einwand eines Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat, welche die Bestimmung des § 23 Abs 1 Ziff. 8 des Güterbeförderungsgesetzes 1995 betraf und der in seiner Formulierung wesentlich weitreichender war, als die Bestimmung des § 23 Abs 2 Güterbeförderungsgesetz."
4. Die für den vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich folgendermaßen dar:
§ 23 Abs 2 GütbefG, BGBl. 593/1995, idF BGBl. I 106/2001, lautet:
"(2) Wer als Lenker § 6 Abs 1, 3 oder 4 oder § 9 Abs 2 zuwiderhandelt oder unmittelbar anwendbare Vorschriften der Europäischen Union über den Güterverkehr auf der Straße verletzt, ist mit einer Geldstrafe bis zu 10 000 S zu bestrafen."
§ 6 GütbefG enthält Bestimmungen über die Gewerbeausübung und normiert in seinem Abs 1, dass die zur gewerbsmäßigen Beförderung von Gütern verwendeten Kraftfahrzeuge im Zulassungsschein bzw. in der Zulassungsbescheinigung die Verwendungsbestimmung "zur Verwendung für die gewerbsmäßige Beförderung bestimmt" eingetragen haben müssen, wobei die gewerbsmäßige Beförderung von Gütern auch mit anderen - näher definierten - Kraftfahrzeugen zulässig ist. Die Abs 3 und 4 des § 6 GütbefG listen verschiedene Dokumente auf, die der Lenker im Kraftfahrzeug mitzuführen und auf Verlangen den Aufsichtsorganen auszuhändigen hat. § 9 Abs 2 leg.cit. sieht vor, dass der Lenker die Nachweise über die in § 7 Abs 1 leg.cit. angeführten Berechtigungen (u.a. Gemeinschaftslizenz, Bewilligung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie) bei jeder Güterbeförderung über die Grenze während der gesamten Fahrt vollständig ausgefüllt und erforderlichenfalls entwertet im Kraftfahrzeug mitzuführen und den Aufsichtsorganen auf Verlangen auszuhändigen hat.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Die Beschwerde ist nicht gerechtfertigt.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung dynamische Verweisungen auf Normen einer anderen Rechtsetzungsautorität als verfassungswidrig erachtet, dynamische Verweisungen auf Normen derselben Rechtsetzungsautorität jedoch als grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig angesehen, sofern in der verweisenden Norm das Verweisungsobjekt ausreichend bestimmt festgelegt ist (vgl. VfSlg. 6290/1970, 12.947/1991, 14.606/1996 mwN) und die verwiesene Norm in einem den österreichischen Gesetzblättern vergleichbaren Publikationsorgan kundgemacht wurde (vgl. VfSlg. 12.293/1990). In der Leitentscheidung VfSlg. 6290/1970 hat der Gerichtshof die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit dynamischer Verweisungen auf Normen einer anderen Rechtsetzungsautorität damit begründet, dass damit der Gesetzgeber nicht mehr selbst den Inhalt seiner Norm festlege, sondern dies einem anderen Gesetzgeber überlasse, indem er für die Zukunft die jeweiligen Gesetzesbefehle des anderen Gesetzgebers als eigene Gesetzesbefehle erkläre; der verweisende Gesetzgeber gebe damit in verfassungswidriger Weise seine eigene Kompetenz auf.
Diese Rechtsprechung ist anhand des Verhältnisses von Bundeszu Landesgesetzen entwickelt worden. Ohne dies ausdrücklich zu benennen, ist sie insbesondere von der Überlegung der Exklusivität der Kompetenzordnung und dem - grundsätzlichen - Fehlen konkurrierender Zuständigkeiten geleitet (vgl. dazu zuletzt ausführlich Verfassungsgerichtshof vom , V40/04 mwN). Diese Gesichtspunkte spielen im vorliegenden Fall, in dem es um die Verhängung staatlicher Strafsanktionen im Zusammenhang mit gemeinschaftsrechtlich normierten Tatbeständen geht, keine Rolle:
Anders als etwa im Fall des hg. Erkenntnisses vom , G49,50/03 u.a. Zlen., werden hier nicht Rechtsetzungsakte der Gemeinschaft zu innerstaatlichen Vorschriften gemacht oder in diese inkorporiert, der österreichische Gesetzgeber knüpft vielmehr lediglich an Tatbestände des Gemeinschaftsrechts an und erfüllt damit die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung (vgl. Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art 10 EGV, Rz. 42; , Kommission gegen Griechische Republik, Rz. 24), Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht mit gleichartigen Sanktionen wie vergleichbare Verstöße gegen nationales Recht zu ahnden. Damit gibt der österreichische Gesetzgeber nicht in verfassungswidriger Weise seine Kompetenz auf, sondern berücksichtigt lediglich den auch verfassungsrechtlich abgesicherten Übergang von staatlichen Gesetzgebungskompetenzen auf Gemeinschaftsorgane (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom , G49,50/03 u.a. Zlen.; ferner Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht², 105; ferner Kert, JBl. 1999, 87 ff., 98).
2.1. § 23 Abs 2 GütbefG stellt Verstöße gegen "unmittelbar anwendbare Vorschriften der Europäischen Union über den Güterverkehr auf der Straße" unter Verwaltungsstrafe. Es handelt sich somit um eine Blankettstrafnorm. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 12.947/1991 mit zahlreichen Judikaturverweisen) den gesetzestechnischen Vorgang der äußeren Trennung von Tatbild und Strafdrohung, wie er für Blankettstrafnormen kennzeichnend ist, als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Er hat es freilich auch bei Blankettstrafnormen als unerlässlich angesehen, dass der Tatbestand durch das Gesetz mit genügender Klarheit als Verbotsnorm und damit als strafbarer Tatbestand gekennzeichnet ist, dass ferner, wenn der strafbare Tatbestand im Zuwiderhandeln gegen eine Gebotsnorm besteht, der Unrechtsgehalt eines Unterlassens eindeutig erkennbar ist und dass schließlich der Tatbestand einer Blankettstrafnorm mit solcher Deutlichkeit gekennzeichnet sein muss, dass jedermann ihn als solchen zu verstehen vermag (VfSlg. 12.947/1991 mwN). Es darf also auf Grund von Blankettstrafnormen ein unerlaubtes und daher strafbares Verhalten überhaupt nur dann und insoweit angenommen werden, als vom Normadressaten die Abgrenzung des erlaubten vom unerlaubten Verhalten so eindeutig eingesehen werden kann, dass jeder berechtigte Zweifel des Normunterworfenen über den Inhalt seines pflichtgemäßen Verhaltens ausgeschlossen ist (VfSlg. 14.319/1995).
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2001/03/0194 einen Verstoß der Blankettstrafnorm des § 23 Abs 1 Z 8 (jetzt Z 9) GütbefG, idF BGBl. I 17/1998 (eine Verwaltungsübertretung begeht, wer "unmittelbar anwendbare Vorschriften der Europäischen Union über den Güterverkehr auf der Straße verletzt, sofern dies nicht nach anderen Vorschriften zu bestrafen ist"), gegen Art 18 Abs 1 B-VG oder Art 7 EMRK nicht angenommen: Den vorliegend maßgeblichen unmittelbar anwendbaren Verordnungsbestimmungen sei das vom Normunterworfenen geforderte Verhalten eindeutig zu entnehmen, sodass jeder berechtigte Zweifel des Normunterworfenen über den Inhalt seines pflichtgemäßen Verhaltens ausgeschlossen sei.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt im Ergebnis für § 23 Abs 2 GütbefG diese Auffassung. Bei den dort angesprochenen unmittelbar anwendbaren Vorschriften der Europäischen Union handelt es sich entweder um Vorschriften des Primärrechts oder um Verordnungsbestimmungen, die bereits gemäß Art 249 EG in Österreich unmittelbar gelten, nicht hingegen um Richtlinien, bei denen die unmittelbare Anwendbarkeit an sich sowie Art und Ausmaß der Verdrängung innerstaatlichen Rechts im Einzelfall zweifelhaft sein können. Auch das unter Strafe gestellte Verhalten erscheint hinreichend bestimmt, wenn man berücksichtigt, dass die Strafbestimmung an die "Lenker" von Lastkraftwagen adressiert ist, die als solche ohnehin verpflichtet sind, sich über die für ihre Berufsausübung geltenden innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften Kenntnis zu verschaffen. Die Strafsanktion richtet sich dabei (lediglich) gegen Verstöße, die den Güterverkehr auf der Straße betreffen. Somit kann nur ein Verstoß gegen (im Amtsblatt der Europäischen Union kundgemachtes und damit ausreichend publiziertes) unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des Güterverkehrs, das an Lenker adressierte Vorschriften enthält, zu einer Bestrafung nach § 23 Abs 2 GütbefG führen. Zu diesen Vorschriften zählen nach der ständigen (umfangreichen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Regelungen in dem den EU-Beitrittsakten beigefügten Protokoll Nr. 9 über den Straßen- und Schienenverkehr sowie den kombinierten Verkehr in Österreich (BGBl. 45/1995) sowie die "Ökopunkte-Verordnung" [Verordnung (EG) Nr. 3298/94 über ein System von Ökopunkten für Lastkraftwagen im Transit durch Österreich, ABl. 1994 L 341, S. 20, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2012/2000, ABl. 2000 L 241, S. 18] (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom , Zl. 2001/03/0194 mwH). In den Materialien ist - neben der "Ökopunkte-Verordnung" - auch noch (beispielhaft) die "Gemeinschaftslizenz-Verordnung" [Verordnung (EWG) Nr. 881/92 über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten, ABl. 1992 L 95, S. 1] angeführt (668 BlgNR, 21. GP, 14).
Bei dieser Sachlage mag es zwar möglich und aus der Sicht der Normadressaten vielleicht auch wünschenswert sein, die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Ge- oder Verbote exakter zu bezeichnen (vgl. Öhlinger/Potacs, a.a.O., 137; Irresberger, Legistische Probleme der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Verweisungs-Problematik, in Bußjäger/Kleiser, Legistik und Gemeinschaftsrecht, Institut für Föderalismus, Schriftenreihe Bd. 84, 2001, 115 ff., 128). Verfassungsrechtlich (Art18 B-VG) geboten ist dies im vorliegenden Fall nicht.
3. Da der Beschwerdeführer nur die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet hat, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung eines anderen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechtes vorliegt (z.B. VfSlg. 9607/1983, 10.981/1986).
Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
III. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.