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OGH vom 12.09.1991, 12Os55/91

OGH vom 12.09.1991, 12Os55/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loub als Schriftführerin in der Strafsache gegen Matthias J***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom , GZ 24 Vr 911/90-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Rifaat, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Der am geborene Matthias J***** wurde von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am in Laterns-Gapfohl die am geborene (unmündige) Christine M***** dadurch, daß er sie an ihrem Geschlechtsteil betastete, und den am geborenen (unmündigen) Gerd B***** dadurch, daß er mit einem Finger in dessen After eindrang, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht und dadurch das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Staatsanwaltschaft dagegen aus § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist begründet.

Weist sie doch zutreffend darauf hin, daß die Urteilsausführungen in Ansehung der Frage, inwieweit sich der Vorsatz des Angeklagten auf das Alter der Tatobjekte erstreckte (siehe S 156 und 160), nicht erkennen lassen, ob der Angeklagte nach Ansicht des Schöffengerichtes die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 207 StGB ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand (§ 5 Abs. 1 StGB). Daß keine Feststellung getroffen werden könne, "ob sich der Angeklagte gedanklich mit dem Alter dieses Mädchens befaßt hat und dabei billigend in Kauf genommen hat, daß er hier ein Mädchen im Alter von weniger als 14 Jahren unsittlich belästigt" (S 156), schließt angesichts der kumulativen Formulierung (verbo: und) die Konstatierung einer gedanklichen Befassung (allein) mit dem Alter des Mädchens nicht aus. Da man evidentermaßen einen Sachverhalt in gedanklicher Befassung aber ernstlich für möglich halten und sich mit ihm abfinden kann, ohne ihn "billigend" (S 156, 160) in Kauf zu nehmen, folgt daraus, daß selbst eine bewußte Gleichgültigkeit gegenüber dem (ernstlich für möglich gehaltenen und daher insoweit auch bewußt gewordenen) Alter des Tatobjekts die Willenskomponente nicht ausschließt und damit diesbezüglich den bedingten Vorsatz verwirklicht (siehe Mayerhofer-Rieder3 § 5 ENr. 18 a und 18 b StGB).

Mit diesen Feststellungsmängeln (Z 9 lit. a) verknüpft sind die von der Anklagebehörde reklamierten Begründungsmängel in Gestalt von Unvollständigkeiten (Z 5). Denn für die Beantwortung der Frage, ob der Angeklagte ein unter der Mündigkeitsgrenze liegendes Alter der von ihm unzüchtig betasteten Kinder ernstlich für möglich hielt, ist es ersichtlich nicht von vornherein irrelevant, daß er nach seiner eigenen Verantwortung die Schüler sah, als er aus dem Veranstaltungsraum gewiesen wurde, weil dort eine Kinderdisco stattfand (S 102) und durfte auch nicht unerörtert bleiben, daß nach der Aussage der Zeugin Petra W***** der Angeklagte die Kinder (am Vorabend der Tat) sicher sehen konnte (S 139). Schließlich durften auch die Aussagen der Zeugen Karin W***** und Eduard M***** nicht mit Stillschweigen übergangen werden, wonach die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen ein kindliches Aussehen aufwies (S 118) und sie demgemäß vom Zeugen M***** auf dreizehn, maximal vierzehn Jahre geschätzt wurden (S 146).

Da die aufgezeigten Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu erkennen.

In rechtlicher Beziehung vermag sich der Oberste Gerichtshof der vom Schöffengericht und auch von der Generalprokuratur vertretenen Meinung, das Einführen eines Fingers in den After eines Menschen stelle keine unzüchtige Handlung dar, nicht anzuschließen. Kann doch bei den notorischen Praktiken homo- und heterosexuellen Charakters nicht gesagt werden, daß der After grundsätzlich nicht zur Geschlechtssphäre zählt und mithin ein sich als Eingriff in den Intimbereich mit objektiv signifikantem (wenn auch pervertiertem) Sexualbezug darstellendes und keineswegs in einer bloß flüchtigen Berührung erschöpfendes Verhalten, wie es vorliegend dem Angeklagten zur Last gelegt wird, bei sexueller Motivation nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalles (30 Blg NR XIII. GP, S 340) eine "äußerlich nicht geschlechtsbezogene Handlung" darstellt. Demgemäß - und das sei bloß der Vollständigkeit halber beigefügt - hätte der Angeklagte auch dann das Verbrechen nach § 207 StGB zu verantworten, wenn er etwa die unmündige Christine M***** nicht durch Betastung des Geschlechtsteils, sondern auf gleichartige Weise wie den Gerd B*****, nämlich durch Einführen eines Fingers in deren After, mißbraucht hätte.