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OGH 09.09.1999, 8ObA218/99p

OGH 09.09.1999, 8ObA218/99p

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Zerdik und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Robert M*****, vertreten durch Klein, Wuntschek und Partner, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 212.425,03 brutto sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 58/99z-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 36 Cga 104/98m-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger war bei der Beklagten vom bis als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis hat der Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie Anwendung zu finden. Das Arbeitsverhältnis endete durch Entlassung.

Im Jahr 1993 wirkte der Kläger als Darsteller eines pornographischen Films mit dem Titel "Grenzbereich zehn geschändet" mit, ohne hiefür ein Entgelt zu erhalten. In diesem Film werden mit einer als betrunken dargestellten Frau und mehreren Männern sexuelle Handlungen vorgenommen; so wird seitens einer Männergruppe, der auch der Kläger angehört, die Frau unter anderem mit Kot beschmiert sowie mit Urin und Samen bespritzt. Der Staatsanwaltschaft Graz wurde eine Sachverhaltsdarstellung übermittelt zwecks Prüfung, ob a) der Kläger einen strafbaren Tatbestand durch Verstoß gegen das Pornographiegesetz zu verantworten habe und b) der Kläger die Kassette im Betrieb der Beklagten so vertrieben habe, daß Jugendliche damit in Kontakt gekommen bzw belästigt worden seien. Am teilte die Staatsanwaltschaft Graz mit, daß die Mitwirkung an dem Film nicht strafbar sei und kein Sachverhalt vorliege, der den Tatbeständen der §§ 1 Abs 1 oder 2 Abs 1 PornG zu unterstellen wäre; die Anzeige wurde zurückgelegt.

Der Kläger begehrt S 212.425,03 brutto sA, die hinsichtlich der entlassungsabhängigen Ansprüche der Höhe nach unstrittig sind. Der Anspruch hinsichtlich des Resturlaubs in Höhe von S 12.976,13 brutto sA wurde zur Gänze bestritten; die aktenwidrig vom Erstgericht angenommene Außerstreitstellung aber in der Folge nicht mehr bekämpft.

Die Beklagte begehrt die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger die Entlassungstatbestände des § 82 lit d und f GewO 1859 verwirklicht habe.

Das Erstgericht gab der Klage statt, wobei es die von der beklagten angebotenen Beweise nicht aufnahm und rechtlich ausführte, daß der Kläger keinen Entlassungsgrund nach § 82 GewO gesetzt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung der Beklagten dieses Urteil. Hinsichtlich der von der Beklagten geltend gemachten Verfahrensmängel sprach es aus, daß diese nicht vorliegen würden:

Die Beklagte erblicke eine Mangelhaftigkeit in der Unterlassung der Einvernahme von Zeugen zum Vertrieb der Videokassette im Betrieb der Beklagten. Dabei habe sie aber weder die Wesentlichkeit dieses Mangels aufgezeigt noch sei das Vorbringen der Beklagten geeignet die Mangelhaftigkeit tatsächlich zu begründen.

Es sei im Schriftsatz ON 3 lediglich eingewendet worden, daß der Kläger zusammen mit weiteren Beschäftigten pornographische Videokassetten unter den anderen Arbeitnehmern vertrieben habe. In der Tagsatzung vom habe die Beklagte eingewendet, daß der Inhalt der Kassette jedenfalls pornographisch sei und im Betrieb in einer Weise vertrieben worden sei, daß Jugendliche in Kontakt damit gekommen und belästigt worden seien.

Es fehle daher nach Ansicht des Berufungsgerichtes einerseits die Behauptung, daß der Kläger den letztgenannten Vertrieb zu verantworten habe und auch, daß der Vertrieb an Jugendliche unter 16 Jahren erfolgt sei. Es erfülle jedoch nur - abgesehen von den sonstigen Voraussetzungen - die Weitergabe an diese Altersgruppe den Tatbestand des § 2 Abs 1 PornG.

Auch in dem unterbliebenen Augenschein am Film durch den erkennenden Senat liege keine Mangelhaftigkeit, weil die Beklagte nicht dargetan habe, welche weiteren - nicht ohnehin bereits festgestellten - Handlungsweisen, die noch dazu ein strafrechtlich zu ahndendes Delikt (dessen Vorliegen die Staatsanwaltschaft Graz verneint habe) darstellen würden, gesetzt worden seien. Daraus, daß der Inhalt möglicherweise "absolut unzüchtig" sei, was je nach den unterschiedlichen Moralvorstellungen des Betrachterkreises erheblich differieren könne, sei für die Beklagte nichts zu gewinnen.

Schließlich begründe auch die Unterlassung der Parteienvernehmung des Klägers keine Mangelhaftigkeit, weil die Beklagte einerseits dessen Einvernahme nicht beantragt habe und andererseits auch im Rechtsmittel nicht aufzeige, welche rechtserheblichen Tatsachen sich daraus hätten ergeben können.

Rechtlich führte es aus, daß der Kläger keine strafbare Handlung gesetzt und niemand anderen zu einer unsittlichen Handlung zu verleiten versucht habe, weshalb die Entlassungstatbestände des § 82 lit d und f GewO nicht vorliegen würden.

Gegen dieses Urteil erhebt die Beklagte Revision aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, die Entscheidung im Sinn der Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG zulässig und auch berechtigt.

Die Beklagte macht teilweise richtig unter den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (nämlich hinsichtlich des Inhalts des Films), teilweise unzutreffend unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (nämlich hinsichtlich des Vertriebs) Mängel geltend, die richtigerweise alle als Feststellungsmängel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung durch die Vorinstanzen zu werten und daher vom Revisionsgericht aufzugreifen sind.

Naturgemäß kann erst dann, wenn dem erkennenden Senat der Inhalt des anstößigen Filmes bekannt ist, beurteilt werden, ob dadurch eine strafbare Handlung im Sinn des StGB oder einer anderen strafbaren Strafbestimmung verwirklicht wurde. Dazu erweist es sich aber als unbedingt notwendig, denn genauen Inhalt des Films zu kennen; es genügt nicht, wenn sich in erster Instanz lediglich die Vorsitzende den Film ansieht und danach hierüber den Laienrichtern berichtet. Schon gar nicht kann es genügen, wenn sich das Berufungsgericht den Film überhaupt nicht ansieht. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, daß die Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft keine Bindungswirkung entfalten kann. Da, nachdem § 268 ZPO vom VfGH aufgehoben wurde, der Zivilrichter nicht einmal mehr an ein strafgerichtliches Urteil gebunden ist, muß dies umsomehr für die bloße Einstellung nach § 90 StPO durch die Staatsanwaltschaft gelten.

Die Vorinstanzen werden daher nach Ansehen des inkriminierten Films aus eigenem zu beurteilen haben, ob durch die Darstellungen im Film der Tatbestand des § 1 PornoG verwirklicht sein kann, weil dann der Entlassungsgrund der § 82 lit d GewO 1859 verwirklicht sein könnte. Die Beklagte macht nämlich auch noch in ihrer Revision diesen Entlassungsgrund hinreichend deutlich geltend.

Wenn auch Fäkaldarstellungen im Allgemeinen nicht zur harten Pornographie gezählt werden (11 Os 82/84, SSt 55/14), können nach Ansicht des erkennenden Senates solche Darstellungen dann ausnahmsweise als absolut unzüchtig und daher - wie abstoßende geschlechtsbezogene Gewaltdarstellungen - gegen § 1 PornoG verstoßen, wenn sie in ihrem Gesamtzusammenhang mit den dargestellten sexuellen Praktiken, insbesondere unter Berücksichtigung der Fesselung des infolge Trunkenheit als nicht voll zurechnungsfähig dargestellten weiblichen Opfers, als absolut abstoßend und ekelerregend zu beurteilen sind: Solche Praktiken an gefesselten Opfern - Beschmieren mit Kot, Bespritzen mit Urin sowie Zwang, dies auch zu schlucken, und Verstopfen des Mundes mit Kot durch eine Männergruppe - kann durchaus dem Schlagen gefesselter Opfer gleichgestellt werden, was als harte Pornographie beurteilt wird (11 Os 169/88 ua).

Bejahendenfalls werden die übrigen Voraussetzungen des § 1 PornoG zu prüfen sein. Die beklagte Partei hat vorgebracht, der Kläger habe die pornographischen Videokassetten im Betrieb an andere Arbeitnehmer vertrieben; daß er für seine Mitwirkung als Darsteller Entgelt erhalten hätte, hat die Beklagte hingegen nicht behauptet. Die Feststellung, der Kläger habe als Darsteller am vorliegenden pornographischen Film mitgewirkt, wofür er keine Einnahmen erhalten habe, betrifft daher nicht den von der beklagten Partei behaupteten Sachverhalt; diesbezüglich fehlt es vielmehr an jeder Feststellung, wobei darauf hinzuweisen ist, daß unter "Vertrieb" Weitergabe gegen Entgelt zu verstehen ist.

Die Beklagte hat sich aber auch - und vor allem - auf den Tatbestand des § 2 PornoG berufen. Dabei ist das Vorbringen der Beklagten - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - zu dieser Frage ausreichend.

Im Schriftsatz ON 3 vom hat die Beklagte eingewendet, daß der Kläger zusammen mit weiteren Beschäftigten pornographische Videokassetten unter den anderen Arbeitnehmern vertrieben habe, in der Tagsatzung vom wurde von ihr vorgebracht, daß der Inhalt der Videokassette jedenfalls pornographisch und im Betrieb (der Beklagten) in einer Weise vertrieben worden ist, daß Jugendliche damit in Kontakt gekommen und belästigt worden sind.

Aus diesem Vorbringen läßt sich einerseits die Behauptung erkennen, daß im Betrieb der Beklagten auch Jugendliche beschäftigt sind, die durch den behaupteten Verkauf durch den Beklagten mit diesem Film in Berührung gekommen sind, und andererseits, daß dieser Film möglicherweise an im Betrieb beschäftigten Jugendliche verkauft wurde, da die Beklagte im Schriftsatz vom ganz allgemein vom Vertrieb unter den anderen Arbeitnehmern, und damit können auch Jugendliche gemeint sein, gesprochen hat. Es war für die Beklagte nicht erforderlich, zu behaupten, daß der Vertrieb an Jugendliche unter 16 Jahren erfolgt sei, da im allgemeinen Sprachgebrauch auch 14-jährige als Jugendliche bezeichnet werden und daher die von der Beklagten gewählte Bezeichnung Jugendliche die Altersgruppe unter 16 Jahren auch mitumfaßt.

Da § 2 Abs 1 lit a PornG normiert, daß wer wissentlich eine Schrift, Abbildung oder sonstige Darstellung, die geeignet ist, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen durch Reizung der Lüsternheit oder Irreleitung des Geschlechtstriebes zu gefährden oder einen solchen Film oder Schallträger einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt anbietet oder überläßt, sich einer gerichtlich strafbaren Handlung schuldig macht, könnte eine strafrechtlich relevante Handlung durch den Kläger verwirklicht worden sein.

Auch zur Prüfung unter diesem Gesichtspunkt erweist er sich als notwendig, den genauen Inhalt des Filmes zu kennen; primavista könnte der behauptete Inhalt des inkriminierten Pornofilms durchaus geeignet sein, den Geschlechtstrieb von Jugendlichen irre zu leiten.

Wäre dies zu bejahen, wird es notwendig sein, die von der Beklagten namhaft gemachten Zeugen zur Frage des Vertriebes zu vernehmen und entsprechende Feststellungen zu treffen. Auch diesbezüglich ist die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft, die zur Einstellung nach § 90 StPO geführt hat, selbstverständlich nicht bindend, zumal aus der Mitteilung gar nicht zu entnehmen ist, daß diesbezüglich eine entsprechende Prüfung stattgefunden hat.

Im übrigen ist auch die Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung nicht erforderlich. Für das Vorliegen des Entlassungsgrundes nach § 82 lit d GewO genügt auch die Strafbarkeit nach den Normen des Verwaltungsrechtes (9 ObA 213/89), wobei eine Verurteilung nicht erforderlich ist (9 ObA 14/98v). Der Kläger könnte sich - wenn es zutrifft, daß Jugendliche durch den Kläger in Kontakt mit diesem Film gekommen sind - nach den Bestimmungen des Steiermärkischen Jugendschutzgesetzes strafbar gemacht haben. Eine solche Strafbarkeit könnte aber, wenn sie die Vertrauensunwürdigkeit des Klägers bewirkt, eine Entlassung rechtfertigen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Gerhard Fuchs und Ulrike Legner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Robert M*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 212.425,03 brutto sA, infolge Zurücknahme der Revision in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Zurücknahme der Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Über die Revision der beklagten Partei wurde vom erkennenden Senat am im Sinne der Aufhebung und Rückverweisung an das Erstgericht entschieden und der Akt am an die Geschäftsabteilung übergeben.

Die beklagte Partei teilte mit beim Erstgericht am eingelangtem Schriftsatz mit, dass sie die Revision im Hinblick auf eine umfassende außergerichtliche Einigung der Streitteile zurückziehe. Hievon wurde der Oberste Gerichtshof erst durch Vorlage dieses Schriftsatzes am in Kenntnis gesetzt.

Zu diesem Zeitpunkt war eine wirksame Zurücknahme der Revision nicht mehr möglich, weil über sie bereits entschieden und der Akt der Geschäftsabteilung übergeben worden war.

Die Zurücknahme der Revision ist in den Bestimmungen über die Revision nicht gesondert geregelt; gemäß § 513 ZPO sind die Vorschriften über die Berufung sinngemäß anzuwenden. Aus § 484 ZPO ergibt sich, dass die Zurücknahme der Berufung nur bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung zulässig ist. Findet keine mündliche Verhandlung statt, dann muss die Zurücknahme des Rechtsmittels beim funktionell zuständigen Rechtsmittelgericht noch vor dem Zeitpunkt eintreffen, in dem der Rechtsmittelsenat seine Entscheidung über das Rechtsmittel der Geschäftsstelle zur Ausfertigung übergeben hat, weil dieser gemäß § 416 Abs 2 ZPO an seine Entscheidung gebunden ist, sobald er dieselbe in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung abgegeben hat (Fasching ZPR2 Rz 1707).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:1999:008OBA00218.99P.0909.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAD-92252