OGH vom 28.10.2015, 9ObA114/15b

OGH vom 28.10.2015, 9ObA114/15b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller, Dr. Markus Orgler ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** P***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung, in eventu Anfechtung einer Entlassung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 51/15d 35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger, der bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern als Qualitätszugbegleiter beschäftigt war, wurde aufgrund eines Disziplinarerkenntnisses von der Beklagten mit Schreiben vom entlassen. Die Vorinstanzen wiesen sein Begehren auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses und die hilfsweise geltend gemachte Entlassungsanfechtung ab. In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Der Kläger meint, die die „Disziplinarordnung 2004“ beinhaltende Betriebsvereinbarung habe keine normative Wirkung, weil nicht feststehe, dass der Zentralbetriebsrat der Beklagten und die Konzernvertretung die jeweiligen Kompetenzübertragungen iSd § 114 Abs 1 und 2 ArbVG beschlussmäßig angenommen und den Betriebsinhaber davon verständigt hätten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Arbeitgeber weder berechtigt noch verpflichtet, Untersuchungen über die innere Willensbildung des Betriebsrats anzustellen, wenn ihm nicht bekannt war oder hätte sein müssen, dass die Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden beschlussmäßig nicht gedeckt ist (RIS Justiz RS0051490). Ein außenstehender Dritter insbesondere auch der Betriebsinhaber kann die Erklärungen des Betriebsobmanns jedenfalls dann als rechtswirksame Stellungnahme des Betriebsratskollegiums ansehen, wenn ihm die dabei allenfalls unterlaufene Verletzung der Vorschriften über die Willensbildung des Betriebskollegiums nicht bekannt war und auch nicht auffallen musste (RIS Justiz RS0051485).

Wie schon zu 9 ObA 108/11i ausgesprochen, ist dieser grundlegende Gedanke verallgemeinerungsfähig und reicht über die Fälle der Zustimmung nach § 105 ArbVG hinaus (RIS Justiz RS0051485 [T3]; RS0051490 [T4]). Der Entscheidung 9 ObA 108/11i lag dabei der Fall zugrunde, dass ein ausdrücklicher Beschluss auf Übertragung der Befugnis zum Abschluss der Betriebsvereinbarung durch den Betriebsrat auf den Zentralbetriebsrat sowie die ausdrückliche Übernahme der Übertragung durch den Zentralbetriebsrat nicht feststellbar waren. Der Oberste Gerichtshof betonte auch dort, dass der Betriebsinhaber in seinem Vertrauen auf die Kompetenzübertragung geschützt sei und sah als Ergebnis dessen selbst in jener Konstellation die Betriebsvereinbarung als für den Kläger wirksam an. Die genannten Grundsätze wurden in der Entscheidung 8 ObA 47/12p, die ebenfalls eine Kompetenzübertragung betraf, ausdrücklich aufrecht erhalten.

Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass neben dem für den Kläger zuständigen Betriebsrat mit einer Ausnahme auch die übrigen für die Mitarbeiter der Beklagten bestehenden Betriebsräte die Kompetenz zum Abschluss einer Disziplinarordnung an den Zentralbetriebsrat der Beklagten und die Zentralbetriebsräte diese Kompetenz an die Konzernvertretung übertragen hatten. Die Beklagte wurde vom Betriebsrat über die Kompetenzabtretung an den Zentralbetriebsrat und von diesem über die Kompetenzabtretung an die Konzernvertretung verständigt. Gründe dafür, warum die Beklagte die Willensbildung des Betriebsrats-, des Zentralbetriebsrats- oder des Konzernvertretungskollegiums und insbesondere die Akzeptanz der Kompetenzübertragungen durch den Zentralbetriebsrat und die Konzernvertretung bezweifeln hätte müssen, sind nicht ersichtlich. Die normative Wirkung der Disziplinarordnung wird vom Kläger danach zu Unrecht in Frage gestellt.

2. Der Kläger will aus § 114 Abs 3 ArbVG ableiten, dass eine Kompetenzübertragung gemäß § 114 Abs 1 ArbVG nur durch alle Betriebsräte erfolgen könne. § 114 Abs 3 ArbVG schränkt für die Konzernvertretung die Ausübung der übertragenen Befugnisse nur insofern ein, als eine Kompetenzübertragung durch zumindest zwei Zentralbetriebsräte vorausgesetzt ist. Das vom Kläger gewünschte Erfordernis lässt sich dem Gesetz damit nicht entnehmen und entspricht auch nicht dem Standpunkt der Literatur (s das Beispiel von Naderhirn in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 114 Rz 10, 26: Übertragen sämtliche Betriebsräte mit einer Ausnahme die Kompetenz zum Abschluss einer bestimmten Betriebsvereinbarung jeweils an den Zentralbetriebsrat und die Zentralbetriebsräte diese Kompetenz an die Konzernvertretung, so gilt die von dieser abgeschlossene Betriebsvereinbarung für alle Unternehmen mit Ausnahme desjenigen Betriebs, dessen Betriebsrat keine Kompetenz übertragen hat).

3. Auf die Frage, ob die Betriebsvereinbarung rückwirkend einen „Wirksamkeitsbeginn“ anordnete und ob ein solcher zulässig war, kommt es hier nicht an, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nach Abschluss und Kundmachung der Betriebsvereinbarung ereignet hat.

4. Die Revisionsausführungen scheinen die Geltung der Betriebsvereinbarung auch mit dem Argument in Frage zu stellen, dass nicht aufgelegte bzw nicht angeschlagene Betriebsvereinbarungen keine normative Wirkungen entfalten. Nach der Rechtsprechung stellt aber auch die Veröffentlichung einer Betriebsvereinbarung in einem internen Computernetz mit einem entsprechenden Link zum maßgebenden Text jedenfalls dann eine ausreichende Kundmachung dar, wenn der Text der Betriebsvereinbarung auch in gesicherter Form beim Betriebsrat oder beim Betriebsinhaber eingesehen werden kann (RIS Justiz RS0128176). Das ist hier der Fall.

5. Der Kläger bezweifelt auch das Vorliegen eines Konzerns iSd § 15 AktG, weil die der Ö***** H***** AG gesetzlich obliegende Anteilsverwaltung keine einheitliche Führung darstelle.

Die Argumentation übersieht, dass eine Konzernvertretung unstrittig tatsächlich errichtet wurde. Gemäß § 88b Abs 4 Z 5 ArbVG endet die Tätigkeitsdauer einer Konzernvertretung (erst) dann vorzeitig, wenn das Gericht die Errichtung für ungültig erklärt, wobei diese Klage spätestens einen Monat nach Konstituierung der Konzernvertretung einzubringen ist. Das Gesetz sieht daher für den Fall von Mängeln der Errichtung der Konzernvertretung grundsätzlich deren Anfechtung bei Gericht vor, mangels einer solchen die Funktionsperiode der Konzernvertretung weiter aufrecht bleibt (vgl RIS Justiz RS0051096; s auch Naderhirn in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 88a Rz 45). Selbst wenn hier die Voraussetzungen eines Konzerns iSd § 15 AktG nicht vorlägen, wäre für den Kläger sohin nichts gewonnen.

6. Der Kläger bemängelt weiters die aus seiner Sicht arbeitgeberlastige Zusammensetzung der Disziplinarkommission, die ungeklärte Abstimmungs reihenfolge ihrer Mitglieder und die Bestimmungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit.

Nach der verfahrensgegenständlichen Disziplinarordnung besteht die Disziplinarkommission aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, wobei ein Beisitzer von der Gesellschaft, deren Arbeitnehmer der Beschuldigte ist, und einer vom für den Beschuldigten zuständigen Betriebsrat bestellt wird. Der Vorsitzende und die Stellvertreter werden einvernehmlich zwischen dem Vorstand der Ö***** H***** AG und dem Präsidium der Konzernvertretung für die Dauer von jeweils vier Jahren bestimmt. Mangels Einigung wird der Vorsitzende letztlich durch Losentscheid bestimmt. Entgegen der Ansicht des Klägers bewirkt gerade die Notwendigkeit einer Einigung der Konzernvertretung mit der Konzernmutter auf einen Vorsitzenden eine Besetzung, bei der die Bestellung des Vorsitzenden auch vom Willen des für den Arbeitnehmer zuständigen Belegschaftsorgans mitgetragen ist. Einen Losentscheid behauptet auch der Kläger nicht.

Nicht anders als im Gerichtsverfahren (vgl § 413 ZPO) erfolgt die Beratung und Abstimmung der Disziplinarkommission nach der Disziplinarordnung nicht öffentlich. Die Abstimmungsreihenfolge ist hier damit einer gerichtlichen Überprüfung entzogen.

Nach der Disziplinarordnung ist die Verhandlung nicht öffentlich. Der Beschuldigte hat jedoch das Recht, die Zulassung von drei Arbeitnehmern seiner Wahl als Zuhörer zu verlangen; überdies ist ua auch drei Mitgliedern des Betriebsrats der Zutritt als Zuhörer gestattet. Dass diese der Arbeitgeberseite zuzurechnen wären, behauptet der Kläger nicht. Warum daneben auf eine paritätische Zusammensetzung der Zuhörerschaft geachtet werden müsste, ist nicht ersichtlich. Auch den Bedenken des Klägers an den Öffentlichkeitsbestimmungen ist damit nicht zu folgen.

7. Welche Rolle die Bezeichnung der Disziplinarordnung (hier als „Disziplinarordnung 2004 idF 2009“) für deren normative Wirksamkeit spielen sollte, ist nicht erkennbar.

8. Der Kläger bezweifelt schließlich das Vorliegen von Entlassungsgründen.

Die Frage, ob im Einzelfall ausgehend von den konkreten Feststellungen das Verhalten des Arbeitnehmers einen Entlassungsgrund verwirklicht, stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS Justiz RS0106298 [T8]; RS0111817). Angesichts der Tatsache, dass der Kläger Fahrbegünstigungen für seine Lebensgefährtin (weiter) erschlichen hat, obwohl er sich von dieser schon seit langem getrennt hatte und für sie keine Fahrbegünstigungen mehr beantragen hätte dürfen, ist die Beurteilung der Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig. Warum der Beklagten die Beendigung der Lebensgemeinschaft bekannt sein hätte müssen, ist nicht erkennbar. Soweit der Kläger meint, die Wahrnehmung eines Termins in der Freizeit rechtfertige die Entlassung nicht, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, nach dem er vor dem innerhalb der Dienstzeit angesetzten Mitarbeitergespräch seinen Dienst verlassen hat, ohne den Grund dafür anzugeben.

9. Da es dem Kläger zusammenfassend nicht gelingt, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO darzulegen, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00114.15B.1028.000