OGH vom 18.02.2020, 11Os152/19s

OGH vom 18.02.2020, 11Os152/19s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer in der Strafsache gegen Zabir S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 3 zweiter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 61 Hv 85/19v-72, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zabir S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 3 zweiter Fall SMG (I/A) sowie je eines Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 4 erster Fall SMG (I/B) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II) schuldig erkannt.

Danach hat er am in W***** vorschriftswidrig Suchtgift

I) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge und zwar

A) 3.335 Gramm Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 320,1 Gramm THCA und 24,38 Gramm Delta-9-THC) einem verdeckten Ermittler gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB) überlassen, wobei er schon mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 62 Hv 172/17t-115, wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war,

B) 1.109 Gramm Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 107,7 Gramm THCA und 8,22 Gramm Delta-9-THC) sowie weitere 75 Gramm Cannabiskraut (beinhaltend 5,77 Gramm THCA und 0,44 Gramm Delta-9-THC) mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde,

wobei er selbst an Suchtmittel, nämlich Kokain gewöhnt war und die Straftaten vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen,

II) 44,02 Gramm Kokain (beinhaltend 15,81 Gramm Cocain) ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 4) reklamiert unter Bezugnahme darauf, dass die Verteidigerin „infolge illegaler Tatprovokation“ der „Verlesung des gesamten Akteninhalts“ widersprochen habe (ON 71 S 13 f), eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens gemäß Art 6 MRK, weil „Aktenbestandteile verlesen“ wurden. Dieses Vorbringen geht – abgesehen von seiner völlig fehlenden Konkretisierung – schon deshalb fehl, weil das Gesetz ein Beweisverbot bei unzulässiger Tatprovokation durch Strafverfolgungsbehörden (§ 5 Abs 3 StPO) nicht vorsieht (vgl § 133 Abs 5 StPO; RIS-Justiz RS0132556). Zudem ließ der Widerspruch nicht erkennen, aus welchem Grund Verlesungen hier unter dem Aspekt der Sicherung eines fairen Verfahrens generell unzulässig sein sollten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 57, 336 ff) und wurde nach dem (ungerügten) Protokoll über die Hauptverhandlung „einverständlich der gesamte Akteninhalt (ausdrücklich mit Ausnahme sämtlicher VE-Protokolle …)“ gemäß § 252 Abs 2a StPO von der Vorsitzenden vorgetragen (ON 71 S 15).

Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich der Schöffensenat eingehend mit dem Chatverlauf zwischen dem Angeklagten und der sogenannten Vertrauensperson (des Bundeskriminalamts, die als Vermittler zum verdeckten Ermittler fungierte – US 6) auseinandergesetzt (US 13), daraus jedoch in freier Beweiswürdigung nicht den vom Angeklagten angestrebten Schluss auf seine Weigerung, Suchtgiftgeschäfte zu tätigen, gezogen, sondern vielmehr dessen entsprechende Beteuerungen als Schutzbehauptung gewertet (US 14 – vgl RIS-Justiz RS0099578 [T13], RS0114524).

Entgegen dem einzelne (aus dem Gesamtkontext gelöste) Nachrichten isoliert hervorhebenden Vorbringen war das Erstgericht dem Gebot zu (bestimmter, indes) gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, jede Mitteilung einer gesonderten Erörterung zu unterziehen (RIS-Justiz RS0098717 [T2], RS0098778, RS0098541, RS0098377, RS0106642). Gleiches gilt für Details der – von den Tatrichtern als glaubhaft beurteilten (US 11) – Zeugenaussage der Vertrauensperson zur exakten Dauer des Kontakts zum Angeklagten.

Mit der auf eine „Aufschlüsselung der Kontaktaufnahmen“ gestützten Kritik gegen die Feststellung, dass auch der Angeklagte den Kontakt zur Vertrauensperson suchte (US 8) und der Behauptung, den Ausführungen des Schöffengerichts (US 13) zuwider seien Kontakte nicht wechselseitig gewesen, sondern die Initiative sei „deutlich überwiegend“ von der Vertrauensperson ausgegangen, wird bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung bekämpft. Warum die Initiative für eine vom Erstgericht berücksichtigte Konversation am explizit erörterungsbedürftig gewesen wäre, obwohl von wechselseitigen Kontaktaufnahmen ausgegangen wurde, lässt die Rüge offen. Die Aussage des Angeklagten, ihm sei vom verdeckten Ermittler eine Anstellung in Aussicht gestellt worden, haben die Tatrichter erörtert (US 12).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431 [T2]). Ein solches Fehlzitat wird mit dem Einwand, das Erstgericht habe die Feststellung zum Kontakt der Vertrauensperson mit dem Angeklagten auch während dessen Inhaftierung, „unter anderem auch“ auf den Chatverlauf (ON 69) gestützt, aus dem sich für diesen Zeitraum jedoch nur vom Angeklagten nicht beantwortete Kontaktversuche der Vertrauensperson ergeben würden, nicht angesprochen (RIS-Justiz RS0099524). Im Übrigen wendet sich dieses Vorbringen nicht gegen Konstatierungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS-Justiz RS0106268).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) vermisst Feststellungen zum Vorliegen des Verfolgungshindernisses einer (aus ihrer Sicht) „illegalen“ Tatprovokation (§§ 5 Abs 3, 133 Abs 5 StPO), indem sie behauptet, trotz wiederholter Absagen des Angeklagten seien die Kontaktaufnahmen seitens der Vertrauensperson fortgesetzt und sei er von ihr beharrlich aufgefordert worden, Suchtmittelgeschäfte zu tätigen. Solcherart lässt sie aber bloß prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810, RS0119884) die gegenteiligen Urteilskonstatierungen (US 7 ff) außer Acht, wonach der Angeklagte weder vom verdeckten Ermittler noch von der Vertrauensperson zur Durchführung des Suchtgiftgeschäfts animiert, motiviert, provoziert oder gedrängt wurde (insbesondere US 6, 8).

Zudem erklärt die Rüge nicht, inwiefern in einer Provokation durch eine (bloße) Vertrauensperson eine unzulässige staatliche Tatprovokation liegen sollte (RIS-Justiz RS0130354). Dass der Nichtigkeitswerber aber nach Art einer (Ketten)Bestimmung im Sinn des § 12 zweiter Fall StGB (RISJustiz RS0089581, RS0089777) durch eine Ermittlungsbehörde im Weg einer Vertrauensperson provoziert worden wäre, wird gar nicht behauptet (vgl 11 Os 102/16h = EvBl 2017/27, 180).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00152.19S.0218.000

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