OGH vom 19.02.2016, 8Ob134/15m

OGH vom 19.02.2016, 8Ob134/15m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) U***** F*****, und 2) Ing. M***** F*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Maria Gohn Mauthner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei V***** AG *****, vertreten durch Dr. Max Pichler, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1) M***** AG, *****, vertreten durch die Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, 2) MMag. Dr. K***** P*****, vertreten durch die Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3) A***** AG, *****, vertreten durch die Draxler Rexeis Strampfer Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 907.507,50 EUR sA und Wiederbeschaffung von Wertpapieren, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 23/15x 88, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Kläger beziehen die behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht durch die beklagte Bank auf die kreditfinanzierten (weiteren) Wertpapierkäufe ab Oktober 2007. Dazu stehen sie auf dem Standpunkt, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, sowohl bei Einräumung des Überziehungsrahmens als auch bei jedem einzelnen kreditfinanzierten Wertpapiergeschäft auf das Spekulationsrisiko hinzuweisen und ihnen davor abzuraten. In dieser Hinsicht berufen sie sich auf die Entscheidung 2 Ob 236/04a.

2.1 Zu den Aufklärungs- und Beratungspflichten einer Bank bei Abschluss eines Effektengeschäfts hält die zitierte Entscheidung zunächst allgemein fest: Für die Aufklärungs- und Beratungspflichten sind einerseits die erkennbare Unerfahrenheit und Informationsbedürfigkeit des konkreten Kunden und andererseits die Art des beabsichtigten Geschäfts bzw Wertpapiers entscheidend. Als Grundsatz kann gelten: Je spekulativer die Anlage und je unerfahrener der Kunde, desto weiter reichen die Aufklärungspflichten. Einer strengeren Beurteilung unterliegen kreditfinanzierte Wertpapierkäufe. Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratung ergibt sich dabei jeweils im Einzelfall in Abhängigkeit vom Kunden, insbesondere von dessen Professionalität sowie von dem ins Auge gefassten Anlageobjekt.

Im Hinblick auf die konkret zugrunde liegenden kreditfinanzierten Optionsgeschäfte gelangt diese Entscheidung sodann zum Ergebnis: Bei risikoträchtigen Optionsscheinen hat die Bank auf die Möglichkeit des Totalverlusts hinzuweisen und allenfalls vom Kauf abzuraten. Die Bank hatte damit eine unbedingte Prüfpflicht, ob ihr Kunde in der Lage ist und bleibt, etwaige Verluste aus der gewählten Anlagestrategie durch seine Einkommens- und Vermögenslage zu kompensieren, ohne seine Lebensumstände entscheidend ändern zu müssen oder gar dramatisch zu gefährden. Sie hätte dem Kunden daher sowohl bei der Einräumung des Überziehungsrahmens, bei der ihr bekannt war, dass er für zukünftige Wertpapiertransaktionen dienen sollte, als auch bei jeder einzelnen Inanspruchnahme des Kreditrahmens für den Erwerb besonders risikoträchtiger Wertpapiere, wie Optionen, auf das besondere Risiko des Erwerbs kreditfinanzierter Spekulationspapiere hinweisen und dem Kunden jeweils davon abraten müssen.

2.2 Bei diesen zuletzt angeführten Überlegungen handelt es sich um rechtliche Schlussfolgerungen mit Rücksicht auf den konkreten Anlassfall. Damit werden die allgemeinen Grundsätze zu den Aufklärungs- und Beratungspflichten einer Bank für den Anlassfall konkretisiert. Sie sind aber nicht als abstrakte Rechtssätze zu verstehen, die ungeachtet der konkreten Fallgestaltung generelle und in jedem Fall einzuhaltende Handlungspflichten statuieren.

Es verbleibt damit bei den allgemeinen Grundsätzen, dass die Informationserteilung dem Gebot vollständiger, richtiger und rechtzeitiger Beratung genügen muss, durch die der Kunde in die Lage versetzt wird, die Auswirkungen seiner Anlageentscheidung zu erkennen. Die Bank ist aber nicht verpflichtet, einen spekulierenden Kunden zu bevormunden. Einer strengeren Beurteilung unterliegt die Beratung bei kreditfinanzierten Wertpapiergeschäften. Die konkrete Ausgestaltung der den Anlageberater treffenden Beratungspflichten hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab, die einerseits in der Person des Kunden (zB Risikobereitschaft, Renditeerwartung) und andererseits im Anlageprodukt liegen. Konkret kommt es auf die Schutzbedürftigkeit und darauf an, ob nach der Lage des Falls eine Aufklärungsnotwendigkeit besteht. Die Anforderungen an die Aufklärungs- bzw Warnpflicht dürfen aber nicht überspannt werden (vgl dazu 6 Ob 86/14m mwN).

3. Im Anlassfall waren die Kläger im Handel vor allem mit Aktien versiert. Bereits zum Stichtag hatten sie 30 % ihres Vermögens in Aktien investiert. Ihnen war das Risiko auch eines Totalverlusts bei Aktien bekannt. Sie entschieden sich in ihrem Investitionsverhalten bewusst mehrfach gegen die das Risiko begrenzenden Ratschläge des Mitarbeiters der Beklagten. Der Überziehungsrahmen (in Höhe der Hälfte des damaligen Depotvolumens) wurde den Klägern im August 2007 in Anbetracht des Depotstandes auf Wunsch des Zweitklägers gewährt. Vor der gewählten Konstruktion wurden sie gewarnt und auch auf die Möglichkeit eines Totalausfalls hingewiesen. Entgegen dem wiederholten Ratschlag wollten sie die zu diesem Zeitpunkt schon etwas gefallenen Immobilienaktien nicht abstoßen. Vielmehr investierten sie weiter auch in solche Titel. Der Wertverfall des Depots war vor allem auf die Kursverluste der Immobilienaktien zurückzuführen. Hätten die Kläger die Ratschläge befolgt, so hätten sie jedenfalls das eingesetzte Kapital erhalten und den Kredit zurückzahlen können.

Nach diesem Tatsachensubstrat war den Klägern das Spekulations und (Total )Verlustrisiko bekannt. Sie sind dieses Risiko auch im Hinblick auf die Kreditfinanzierung der Wertpapiergeschäfte und damit ebenfalls das Rückzahlungsrisiko bewusst eingegangen. In dieser besonderen Situation erweist sich die Ansicht der Vorinstanzen, die Beklagte habe ihrer Warnpflicht Genüge getan, zumal die Kläger das ihnen bekannte Totalverlustrisiko hingenommen und entsprechende Warnungen ausgeschlagen hätten, als nicht korrekturbedürftig. Wenn die Kläger darauf hingewiesen werden, dass die Konstruktion der Kreditfinanzierung weiterer Spekulationskäufe gefährlich ist, ist dies nichts anderes als eine Warnung vor und ein Abraten von solchen Geschäften. Wenn die Kläger wiederholt angehalten werden, risikoträchtige Immobilienaktien zu verkaufen, und wenn sie dies bewusst ignorieren, wäre es überzogen, noch weitere Warnungen vor den einzelnen Erwerbsgeschäften zu verlangen.

4. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Auch die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00134.15M.0219.000