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OGH vom 15.12.2010, 15Os73/10i

OGH vom 15.12.2010, 15Os73/10i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer, in der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Ewald S***** gegen die Antragsgegnerin St***** GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ (nunmehr) 35 Hv 68/07k des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 17 Bs 76/08p, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Mag. Wachberger, des Antragstellervertreters Mag. Rami und des Antragsgegnerinnenvertreters Mag. Lattacher, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Ewald S***** gegen die Antragsgegnerin St***** GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ (ursprünglich:) 31 Hv 33/00 des Landesgerichts St. Pölten, wurde die Antragsgegnerin mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom (ON 22) nach § 6 Abs 1 MedienG verpflichtet, dem Antragsteller Mag. Ewald S***** einen Entschädigungsbetrag von 15.000 ATS zu bezahlen, weil auf S 13 der Ausgabe der periodischen Druckschrift „D*****“ vom ein Artikel mit der Überschrift „Ich hatte auch Wichtigeres zu tun“ veröffentlicht worden war, in welchem dem Antragsteller Mag. Ewald S***** vorgeworfen worden war, nach den Angaben des im „R*****-Prozess“ vernommenen Peter R***** schon vor dem November 1997 Kenntnis davon erlangt zu haben, dass Kredite und Bürgschaften, die der Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RFW) aufgenommen hatte bzw eingegangen war, dem Betrieb R*****s zu Gute gekommen seien, weil ihm die diese Geschäftsfälle belegenden Unterlagen zur Gänze übergeben worden seien; dadurch sei in einem Medium der objektive Tatbestand des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 StGB verwirklicht worden. Gemäß § 34 Abs 1 und 4 MedienG wurde die Antragsgegnerin zur Urteilsveröffentlichung verpflichtet.

Mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 24 Bs 294/01 (ON 27), wurde der Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe nicht Folge gegeben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte mit Urteil vom (Beschwerde Nr 13071/03) im Fall St***** GmbH gegen Österreich fest, dass durch die angeführte Verurteilung Art 10 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt wurde. Unter einem sprach der Gerichtshof der Beschwerdeführerin St***** GmbH 8.000 Euro an materiellem Schadenersatz sowie 5.000 Euro für die Kosten des innerstaatlichen Verfahrens und 3.000 Euro für die Kosten des Verfahrens nach der MRK, jeweils einschließlich Mehrwertsteuer, zu. Das darüber hinausgehende Begehren wies er ab (Pkt 5 des Spruchs).

Mit Beschluss vom , AZ 15 Os 23/07g (ON 122 der Hv Akten), gab der Oberste Gerichtshof dem Erneuerungsantrag der Antragsgegnerin statt, hob die Urteile des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 31 Hv 33/00 22, und des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 24 Bs 294/01, auf und verwies die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht St. Pölten.

Mit Schriftsatz vom (ON 125) zog der Antragsteller seine medienrechtlichen Anträge zurück. Das Landesgericht St. Pölten stellte das Verfahren mit Beschluss vom , GZ (nunmehr) 35 Hv 68/07k 126, gemäß § 227 Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG ein und verpflichtete den Antragsteller gemäß § 390 Abs 1 StPO iVm (richtig:) § 41 Abs 1 MedienG zum Ersatz der Verfahrenskosten. Dieser Beschluss erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Mit Beschluss vom (ON 134) bestimmte das Landesgericht St. Pölten (gemäß § 395 Abs 1 und 2 StPO) die Kosten der Antragsgegnerin antragsgemäß mit 7.903,03 Euro.

Der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde des Antragstellers gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom , AZ 17 Bs 76/08p (ON 141), dahin Folge, dass es die vom Antragsteller der Antragsgegnerin zu ersetzenden Kosten (nur) mit 409,74 Euro (darin enthalten 68,30 Euro an USt) bestimmte. Das Beschwerdegericht meinte, durch den Ausspruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit dem die Republik Österreich verpflichtet worden war, der Antragsgegnerin aus dem Titel des Kostenersatzes für das innerstaatliche Verfahren einen Betrag von 5.000 Euro zu zahlen, wäre die Antragsgegnerin für den bis dahin aufgelaufenen Aufwand gänzlich entschädigt worden. Die gegenständliche Kostenentscheidung hätte daher nur mehr jene Kosten zu umfassen, die nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom aufgelaufen seien, konkret die auf den Erneuerungsantrag und den Kostenbestimmungsantrag entfallenden Kosten von insgesamt 409,74 Euro. Auf das weitere Beschwerdevorbringen ging das Beschwerdegericht demzufolge nicht ein.

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur aus:

Stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass die MRK oder die Protokolle dazu verletzt worden sind und das innerstaatliche Recht des beteiligten Hohen Vertragsschließenden Teiles (Staates) nur eine unvollkommene Wiedergutmachung der Folgen dieser Verletzung gestattet, so spricht er der verletzten Partei - soweit notwendig nach Art 41 MRK eine gerechte Entschädigung zu.

Grundsätzlich sollte der beteiligte Staat zwar soweit wie möglich den (früheren) konventionskonformen Zustand wieder herstellen (restitutio in integrum); in der Praxis schreitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte allerdings meist direkt zur Feststellung des Schadenersatzes, ohne die Frage der restitutio in integrum näher zu überprüfen. Er folgt damit einer allgemeinen Praxis des Völkerrechts, der zufolge die Staatenwelt Schadenersatz der naturalen Restitution vorzieht ( Villiger , Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention § 13 Rz 238).

Die „gerechte Entschädigung“ nach Art 41 MRK umfasst materiellen und immateriellen Schaden sowie die Kosten des Verfahrens. Kosten und Auslagen für die rechtliche Vertretung werden dabei nicht nur für das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuerkannt, sondern auch für das innerstaatliche Verfahren, und zwar soweit sie mit der Konventionsverletzung in Zusammenhang stehen und in ihrem Ausmaß angemessen sind. Der Gerichtshof ist dabei nicht an innerstaatliche Gebührenansätze, die lediglich als Anhaltspunkt dienen, gebunden; er verfügt vielmehr über einen weiten Ermessensspielraum. Zur Zahlung verpflichtet wird der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch genommene Hohe Vertragsschließende Teil (Staat). Diese Zahlungsverpflichtung ist völkerrechtlicher Natur. Die Überwachung der Durchführung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte obliegt gemäß Art 46 Abs 2 MRK dem Ministerkommitee (zum Ganzen: Grabenwarter , EMRK 4 § 15 Rz 5, 7, 10 ff, § 16 Rz 1).

Ordnet der Oberste Gerichtshof nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit welchem eine Verletzung der MRK oder eines der Protokolle dazu durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt worden ist, gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens (bzw des selbstständigen Verfahrens nach dem MedienG) an und zieht der Antragsteller im erneuerten Verfahren seine auf das MedienG gestützten Anträge auf Zuerkennung einer Entschädigung und Urteilsveröffentlichung zurück, so hat das Gericht das Verfahren gemäß § 227 Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG einzustellen. In diesem Fall ist dem Antragsteller, der die Stellung des Privatanklägers inne hat (§ 8a Abs 1 MedienG), der Ersatz aller infolge seines Einschreitens aufgelaufenen Kosten aufzutragen (§ 390 Abs 1 zweiter Satz StPO). Diese Kostentragungspflicht umfasst nach § 393 Abs 4 StPO auch alle Kosten der Verteidigung (Vertretung des Antragsgegners). Wird über die Höhe dieser Kosten keine Einigung erzielt, so hat das Gericht, das in erster Instanz entschieden hat, gemäß § 395 Abs 1 erster Satz StPO auf Antrag eines Beteiligten die zu ersetzenden Kosten mit Beschluss zu bestimmen, wobei es zu prüfen hat, ob die vorgenommenen Vertretungshandlungen notwendig waren oder sonst nach der Beschaffenheit des Falles gerechtfertigt sind (Abs 2 leg cit).

Der Antragsgegner verliert diesen Kostenersatzanspruch gegen den Antragsteller nicht dadurch, dass er in dem gegen die Republik Österreich geführten Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen einer Verletzung der MRK oder eines der Protokolle dazu (auch) den Ersatz der Kosten des innerstaatlichen Verfahrens begehrt und (zum Teil) zuerkannt bekommen hat. Andernfalls wäre er nämlich - ohne sachlichen Grund - im Fall, dass ihm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen geringeren als den tarifmäßigen Kostenbetrag zugesprochen hat, schlechter gestellt als ein Antragsgegner, der die Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO ohne vorherige Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beantragt hat. Vice versa wäre der Antragsteller ungerechtfertigter Weise privilegiert.

Haften dem Antragsgegner demnach zwar zwei unterschiedliche Rechtssubjekte auf Grund unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen, nämlich die Republik Österreich nach Art 41 MRK und der Antragsteller gemäß § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO, so hat er, der Antragsgegner, soweit sich die Ansprüche überdecken, die Zahlung dennoch nur einmal zu erhalten. Die Republik Österreich und der Antragsteller haften in diesem Umfang zur ungeteilten Hand, dh solidarisch (vgl P. Bydlinski in KBB ABGB² § 891 Rz 2); dies ist im Spruch des Kostenbestimmungsbeschlusses deutlich zum Ausdruck zu bringen.

Insofern verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 17 Bs 76/08p (ON 141), mit welchem die der Antragsgegnerin vom Antragsteller zu ersetzenden Verfahrenskosten auf jenen Teil reduziert wurden, der auf den Verfahrensabschnitt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entfiel, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 390 Abs 1 zweiter Satz, 395 Abs 1 erster Satz und Abs 2 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Stellt der EGMR im Fall einer Konventionsverletzung fest, dass das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung gestattet, so spricht er der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist (Art 41 MRK).

Diese gerechte Entschädigung umfasst nicht nur den Ersatz des (materiellen oder immateriellen) Schadens, sondern auch die Kosten des Rechtsschutzverfahrens vor dem EGMR sowie die Kosten, die dem Beschwerdeführer zum Zwecke der Wahrung seiner Konventionsrechte im innerstaatlichen Verfahren entstanden sind ( Grabenwarter , EMRK 4 § 15 Rz 10 ff; Meyer Ladewig , Handkommentar EMRK Art 41 Rz 25 ff). Über die Anwendung des Art 41 entscheidet die zuständige Kammer nur, wenn ein Anspruch ausdrücklich geltend gemacht wurde und die Frage spruchreif ist (Art 75 der Verfahrensordnung des EGMR). Der Beschwerdeführer hat alle Ansprüche binnen ihm gestellter Frist unter Beifügung einschlägiger Belege beziffert und nach Rubriken geordnet geltend zu machen. Erfüllt er diese Anforderungen nicht, so kann die Kammer die Ansprüche ganz oder teilweise zurückweisen. Die Ansprüche werden der beschwerdegegnerischen Regierung zur Stellungnahme übermittelt (Art 60 Abs 1 4 der Verfahrensordnung; Meyer Ladewig aaO Rz 33 f).

Kosten und Auslagen sind nach der Rechtsprechung des EGMR nur erstattungsfähig, soweit sie tatsächlich entstanden sind, notwendig waren, um die festgestellte Konventionsverletzung abzuwenden, und wenn sie der Höhe nach angemessen sind ( Grote/Marauhn , Konkordanzkommentar EMRK/GG Kap 33 Rz 81 f; Meyer Ladewig , Handkommentar EMRK Art 41 Rz 26; Villiger , EMRK § 13 Rz 242; Frowein Peukert EMRK 3 Art 41 Rz 85).

Stimmt die Regierung der Kostennote des Beschwerdeführers zu, wird in der Regel der begehrte Betrag zugesprochen ( Villiger , EMRK § 13 Rz 242). Im Übrigen setzt der Gerichtshof die Kosten pauschalierend nach billigem Ermessen fest ( Grote/Marauhn aaO Rz 82). An innerstaatliche Tarif und Gebührensätze fühlt sich der EGMR dabei nicht gebunden, kann sie aber als Richtlinie und Anhaltspunkt bei seiner Entscheidung berücksichtigen ( Meyer Ladewig aaO Rz 28). Das Mehrbegehren wird wie im vorliegenden Fall regelmäßig abgewiesen.

Aus dieser umfassenden Prüfung und Behandlung des Kostenbegehrens in einem eigenen, den Parteien auch rechtliches Gehör gewährenden Verfahren erhellt, dass durch die Entscheidung des EGMR zur Gänze und endgültig über den Kostenersatzanspruch der (hier:) Antragsgegnerin (§ 390 Abs 1 zweiter Satz iVm § 393 Abs 4 StPO) abgesprochen werden soll. Somit sind durch die Entscheidung des EGMR ungeachtet des Umstands, dass ein anderes Rechtssubjekt, nämlich die Republik Österreich, zur Zahlung verpflichtet wurde alle Kostenersatzansprüche der Antragsgegnerin abschließend bis zum Zeitpunkt dieses Ausspruchs abgegolten (MR 1998, 265; vgl auch Reindl , WK StPO § 363c Rz 16).

Entgegen der Meinung der Generalprokuratur ist die Antragsgegnerin dadurch auch nicht ohne sachlichen Grund gegenüber einem Antragsgegner schlechter gestellt, der die Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO ohne vorherige Anrufung des EGMR beantragt hat, weil der Beschwerdeführer ja nicht verpflichtet ist, Kosten des innerstaatlichen Verfahrens vor dem EGMR geltend zu machen. Er kann sie alternativ entweder im Verfahren vor dem EGMR oder danach innerstaatlich im erneuerten Verfahren begehren. Eine Rechtsschutzlücke besteht somit nicht.

Das Oberlandesgericht hat daher zu Recht bei Bestimmung der Kosten der Antragsgegnerin jene für das innerstaatliche Verfahren bis zur Entscheidung des EGMR verzeichneten in Abzug gebracht (12 Os 126/91).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.