OGH vom 13.04.1994, 8ObA214/94

OGH vom 13.04.1994, 8ObA214/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Jelinek und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Anton Liedlbauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Matthias K*****, Bauhelfer, ***** vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Johannes Peter Gruber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung (Streitwert 200.000 S), in eventu Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 32 Ra 132/93-9, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 15 Cga 37/93w-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war seit August 1992 im Unternehmen der beklagten Partei als Bauhelfer beschäftigt. In diesem Unternehmen bestand kein Betriebsrat.

Mit der am beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger, die von der beklagten Partei zum ausgesprochene Kündigung seines Dienstverhältnisses für rechtsunwirksam zu erklären; in eventu, festzustellen, daß das Dienstverhältnis ungelöst aufrecht ist. Hiezu wurde vorgebracht, der Kläger sei auf der Baustelle der beklagten Partei in ***** tätig gewesen. Er habe des öfteren die Installation der nach dem ASchG erforderlichen Baustelleneinrichtungen gefordert. Da dies erfolglos geblieben sei, habe er sich mit dem Sekretär der Gewerkschaft Bau - Holz, Walter M*****, in Verbindung gesetzt und ihn ersucht, eine Baustellenbesichtigung durch das Arbeitsinspektorat zu erwirken. Dieses habe am die Baustelle kontrolliert. Am habe Walter M***** die Baustelle besucht, wo ihm der Kläger erklärt habe, daß jemand vom Arbeitsinspektorat auf der Baustelle gewesen sei. Mit Montag, dem , sei der Kläger von dem für die Baustelle zuständigen Baumeister G***** von der Arbeit freigesetzt worden. Über Empfehlung des Gewerkschaftssekretärs habe sich der Kläger dennoch am Montag auf der Baustelle arbeitsbereit gemeldet. Walter M***** habe Baumeister G***** angerufen und ihm erklärt, daß der Kläger gegen die Freisetzung, unter welcher eine Kündigung zu verstehen sei, Einspruch erhebe, weil es sich um eine Motivkündigung wegen der Intervention beim Arbeitsinspektorat handle. Daraufhin habe Baumeister G***** Walter M***** ersucht, mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei Ing.S***** Kontakt aufzunehmen. Dies sei noch am geschehen. Der Geschäftsführer habe erklärt, daß der Kläger gar nicht wegen der Sache "Arbeitsinspektorat" gekündigt werde, sondern weil die Baustelle auslaufe und er nunmehr mit gekündigt würde. Walter M***** habe daraufhin dem Geschäftsführer erklärt, daß der Kläger auch gegen diese Kündigung Einspruch erheben werde, weil laut § 8 Abs 2 lit a AuslBG bei Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze die Beschäftigungsverhältnisse der Ausländer vor denen der Inländer zu lösen seien. Die beklagte Partei beschäftige derzeit 97 Arbeiter, davon 11 Ausländer mit Beschäftigungsbewilligung und weitere 46 Ausländer mit Arbeitserlaubnis und Befreiungsschein. Dennoch sei dem Kläger am Mittwoch, dem , die Kündigung mitgeteilt worden. Der Kläger fechte die Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG an, weil sie vom Arbeitgeber wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfolgt sei. Der Kläger stütze sich ferner auf § 8 Abs 2 lit a AuslBG, wonach eine Beschäftigungsbewilligung an die Auflage gebunden sei, daß zur Erhaltung der Arbeitsplätze inländischer Arbeitnehmer die Beschäftigungsverhältnisse der Ausländer vor jenen der Inländer zu lösen seien.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete die Verfristung des Anspruches ein, weil er nicht rechtzeitig geltend gemacht worden sei; die Frist laufe ab Ausspruch der Kündigung und nicht erst ab Beendigung des Dienstverhältnisses.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren sowie das Eventualbegehren ab. Der Kläger habe nach seinem eigenen Vorbringen spätestens am Kenntnis von seiner Kündigung gehabt, weil ihm der Geschäftsführer der beklagten Partei an diesem Tage mitgeteilt habe, er werde nicht wegen der Sache Arbeitsinspektorat, sondern wegen des Auslaufens der Baustelle mit gekündigt. Soweit der Kläger vorbringe, ihm sei die Kündigung am mitgeteilt worden, handle es sich lediglich um den Zugang des Kündigungsschreibens. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß dem Kläger die mündliche Kündigung der beklagten Partei spätestens am zugegangen sei, so daß die am bei Gericht eingelangte Klage verspätet sei; aber auch bei Berechnung der Frist ab Zugang des Kündigungsschreibens am sei die Klage verspätet. § 8 Abs 2 lit a AuslBG stelle eine Auflage zu den Beschäftigungsbewilligungen für Ausländer dar; ein Zuwiderhandeln werde gemäß § 9 AuslBG mit dem allfälligen Widerruf der Beschäftigungsbewilligung sanktioniert. Ein gekündigter Inländer könne sich nicht zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes auf diese Bestimmung berufen.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige.

Es führte aus: Wenn der Kläger gegenüber Walter M***** am erklärt habe, daß er mit Montag, dem 5.April, von der Arbeit freigesetzt worden sei, sei daraus zwingend zu erschließen, daß er bereits am von seiner Freisetzung gewußt habe. Wie in der Klage ausgeführt werde, sei unter Freisetzung die Kündigung des Klägers zu verstehen. Es sei daher davon auszugehen, daß dem Kläger die Kündigung bereits am bekannt gewesen sei. Bei Klagseinbringung am 14. oder sei die Frist des § 107 ArbVG bereits abgelaufen gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht oder an das Erstgericht zurückzuverweisen; hilfsweise wird die Abänderung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens beantragt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Zu Recht wendet sich der Revisionswerber gegen die Auffassung der Vorinstanzen, bereits aus dem Klagevorbringen ergebe sich, daß der Kläger die Klage erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist eingebracht habe.

In die Anfechtungsfrist der §§ 105 Abs 4 und 107 ArbVG sind gemäß § 169 ArbVG iVm § 33 Abs 3 AVG die Tage des Postenlaufes nicht einzurechnen (siehe Floretta in Floretta-Strasser Handkommentar ArbVG §§ 105-107 Rz 6.3.5; EvBl 1990/75 = RdW 1990, 123 = WBl 1990, 144 = ZAS 1990/20 [krit - jedoch nicht zur Frage der Nichteinrechnung des Postenlaufes - Andexlinger]). Die Klage wäre daher nicht verfristet, ginge man von einem Zugang der Kündigung erst am und der vom Kläger behaupteten Postaufgabe der Klage am aus.

Soweit das Berufungsgericht aus der behaupteten Mitteilung des Klägers vom über seine Freisetzung ab folgert, der Kläger habe bereits von der Kündigung zum Kenntnis gehabt, ist ihm zu erwidern, daß - folgt man dem weiteren Klagevorbringen - von dem für den Kläger einschreitenden Gewerkschaftssekretär gegen diese Freisetzung eingewendet wurde, es handle sich dabei um eine Reaktion auf die vom Kläger veranlaßte Intervention des Arbeitsinspektorats und damit um eine unzulässige Motivkündigung. Selbst wenn man nun mit dem Gewerkschaftssekretär Walter M***** den vom Kläger gebrauchten Ausdruck Freisetzung mit Kündigung gleichsetzt, wurde, folgt man dem weiteren Klagevorbringen, diese Freisetzung zum im Hinblick auf den Einspruch des Klägers nicht aufrechterhalten (vgl Arb 10.948 = WBl 1992, 360 = DRdA 1992/41 [krit Kerschner], wobei die Vorbehalte Kerschners gegen die Wertung der Bekämpfung der Entlassung als Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht in gleicher Weise für die gegen die Kündigung erhobenen Einwände gelten) und dem für den Kläger verhandelnden Walter M***** erklärt, der Kläger würde zu einem anderen Termin gekündigt, wobei ein anderes Motiv als die unmittelbar vorangegangene Intervention des Arbeitsinspektorats ins Treffen geführt wurde. Dem Revisionswerber ist weiters darin beizupflichten, daß aus dem Vorbringen, der Geschäftsführer der beklagten Partei habe Walter M***** erklärt, daß der Kläger nunmehr mit gekündigt würde, weil die Baustelle auslaufe, nicht mit hinreichender Sicherheit darauf zu schließen ist, damit sei gegenüber dem für den Kläger einschreitenden, zur Empfangnahme einer Kündigungserklärung allenfalls gar nicht bevollmächtigten Gewerkschaftssekretär die Kündigung ausgesprochen worden; eher ist dem Klagevorbringen lediglich die Ankündigung zu entnehmen, der Kläger werde zum gekündigt werden. Dafür, daß auch die beklagte Partei die telefonische Erklärung ihres Geschäftsführers gegenüber Walter M***** nicht als Auflösungserklärung wertete, spricht im übrigen auch der Wortlaut des Kündigungsschreibens Beilage 1 "Wir teilen Ihnen hiemit mit, daß wir unser Dienstverhältnis mit beenden müssen."

Da sich daher entgegen der Auffassung der Vorinstanzen aus dem Klagevorbringen eine Versäumung der Anfechtungsfrist jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit erschließen läßt, hätte es einer näheren Erörterung dieses Vorbringens mit den Parteien und - sollten im Rahmen der Erörterung divergierende Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden - einer Beweisaufnahme über die dem Kläger bzw Walter M***** gegenüber abgegebenen Erklärungen bedurft.

Eine Ergänzung des Verfahrens erster Instanz ist schon aus diesem Grund erforderlich.

Sollte die Klage nicht verspätet sein, wäre in erster Linie das Anfechtungsbegehren nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG zu prüfen. Bei Verneinung des geltend gemachten verpönten Motivs wäre auch auf das zum Eventualbegehren erstattete Vorbringen über die Beschäftigung von Ausländern einzugehen. Hiebei ist darauf hinzuweisen, daß als Sanktion für die Nichtbeachtung der in § 8 AuslBG genannten Auflagen in § 9 Abs 2 lit c AuslBG lediglich der von der Verwaltungsbehörde auszusprechende Widerruf der Beschäftigungsbewilligung, allenfalls gemäß § 30 AuslBG die generelle Untersagung der Beschäftigung von Ausländern vorgesehen ist. Der Oberste Gerichtshof folgt daher der von Schnorr (in AuslBG2 Erl 3 zu § 8) vertretenen Auffassung, daß § 8 Abs 2 AuslBG eine authentische Interpretation des Grundsatzes der sozialen Auswahl gemäß § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG enthält, so daß darauf lediglich im Rahmen einer Kündigungsanfechtung nach dieser Gesetzesbestimmung Bedacht zu nehmen ist (vgl auch Arb 9532, 9633 und 10.386). Das Eventualbegehren wäre daher unter Bedachtnahme auf das hiezu erstattete Vorbringen als Anfechtung der Kündigung auch nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG zu deuten, sollte der Kläger nach Erörterung sein Vorbringen durch Behauptungen in der Richtung einer Interessenbeeinträchtigung ergänzen; in diesem Falle wäre überdies der Kläger zu einer entsprechenden Fassung des Eventualbegehrens - durch Einbeziehung in das Hauptbegehren - anzuleiten.

Der Revision war daher im Sinne des Aufhebungsantrages Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kostenersatzanträge beruht auf § 52 ZPO.