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VfGH vom 11.10.1993, B240/92

VfGH vom 11.10.1993, B240/92

Sammlungsnummer

13567

Leitsatz

Keine Rechtsverletzung durch die Verhängung von Verwaltungsstrafen für die Beschäftigung von Arbeitnehmern eines Großhandelsunternehmens am Samstag nach 13 Uhr; kein Verstoß der Zulässigkeit von Ausnahmen von der Arbeitsruhe nur im Einzelhandel gegen den Gleichheitssatz

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Landeshauptmannes von Wien wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, als Geschäftsführer einer Warenhandels GesmbH für die Beschäftigung namentlich genannter Arbeitnehmer an Samstagnachmittagen im Großhandel, nämlich (zu B239/92) von 48 Arbeitnehmern am Samstag, dem , und (zu B240/92) von 80 Arbeitnehmern am Samstag, dem , Verwaltungsübertretungen nach § 3 Abs 2 iVm § 27 Abs 1 Arbeitsruhegesetz (ARG) begangen zu haben, und mit Geldstrafen von insgesamt 96.000 S (zu B239/92) und 160.000 S (zu B240/92) belegt sowie zu Beiträgen zu den Kosten der Straf- und Berufungsverfahren verpflichtet. Die Wochenendruhe hätte spätestens um 13 Uhr beginnen müssen.

Die dagegen erhobene Beschwerde rügt die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung. Die Beschränkung der Ausnahmen vom allgemeinen Beginn der Wochenendruhe an Samstagen um 13 Uhr auf den Bereich des Kleinhandels, die ArtXVII Z 1 lita der Arbeitsruhegesetz-Verordnung in Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 12 Abs 1 (Z1) ARG vorsehe, sei gleichheitswidrig, verletze die Freiheit der Erwerbsbetätigung und widerspreche dem Gesetz. Nach VfSlg. 12094/1989 sei der für den Kleinhandel geltende § 3 Ladenschlußgesetz (nur) deshalb nicht verfassungswidrig, weil dem Unternehmer durch die Erlaubnis, an einem Samstag im Monat länger offenzuhalten, eine zwar ziemlich eingeschränkte, aber doch noch ausreichende Möglichkeit eigener Disposition über die Öffnungszeiten eingeräumt ist. Gerade diese Dispositionsmöglichkeit fehle aber für den Bereich des Großhandels, in dem eine Verkaufstätigkeit ohne Verwendung von Arbeitnehmern nicht möglich sei, wegen des Beschäftigungsverbotes des § 3 Abs 2 ARG vollständig. Da die Ladenschlußvorschriften durch die Verordnung zum Sachlichkeitskriterium gemacht würden, sei eine von den Ladenschlußbestimmungen abweichende Regelung über die Beschäftigung von Arbeitnehmern unsachlich und gleichheitswidrig.

Der Landeshauptmann weist in seiner Gegenschrift insbesondere darauf hin, daß die einschlägigen Bestimmungen keinerlei Beschränkung der Erwerbsfreiheit beabsichtigten und die Kürzung der Wochenendruhe nur im Interesse der Letztverbraucher erlaubt werde, um Personen, die zu anderen Zeiten beruflich verhindert seien, an einem Samstagnachmittag die Möglichkeit zu geben, die zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse notwendigen Einkäufe zu tätigen.

II. Die Beschwerden sind nicht begründet.

Sie erheben ausschließlich den Vorwurf der Anwendung rechtswidriger genereller Normen. Der Verfassungsgerichtshof teilt ihre Bedenken jedoch nicht:

1. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, Arbeitnehmer zu einer Zeit beschäftigt zu haben, in der dies verboten ist. Nach § 3 Abs 2 ARG, BGBl. 144/1983, hat die Wochenendruhe für alle Arbeitnehmer spätestens Samstag um 13 Uhr zu beginnen. Nur für unbedingt notwendige Abschluß-, Reinigungs-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten dürfen Arbeitnehmer bis 15 Uhr beschäftigt werden (was für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung ist). § 12 Abs 1 ARG gebietet unter anderem,

"für Arbeitnehmer in bestimmten Betrieben Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe für Arbeiten zuzulassen, wenn diese

1. zur Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse notwendig sind;

2. im Hinblick auf während der Wochenend- oder Feiertagsruhe hervortretende Freizeit- und Erholungsbedürfnisse und Erfordernisse des Fremdenverkehrs notwendig sind;"

(folgen weitere, hier nicht in Betracht kommende Gründe).

Gegen diese gesetzliche Bestimmung hat der Verfassungsgerichtshof unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken. Schon im Erkenntnis VfSlg. 12094/1989 hat er anerkannt, daß das Wochenende für Freizeit, Erholung und die soziale Integration der Arbeitnehmer von erheblichem Gewicht ist, sodaß selbst das Verbot des Offenhaltens von Verkaufsstellen am Samstagnachmittag verfassungsrechtlich zulässig ist, wenn dem Handelsgewerbetreibenden die Möglichkeit offensteht, einer allenfalls gerade für den Sperrhalbtag bestehenden besonderen Nachfrage wenigstens in eingeschränktem Ausmaß (durch einmaliges Offenhalten im Monat) Rechnung zu tragen. Dieses Urteil unterstellt § 12 Abs 1 (Z1 und 2) ARG bereits das Verständnis, daß während der Zeiten, in denen solche Verkaufsstellen auch am Samstagnachmittag offengehalten werden dürfen, die Beschäftigung von Arbeitnehmern zugelassen ist oder genauer: durch Verordnung zuzulassen ist (vgl. VfSlg. 11558/1987, S 553).

Schon die mit VfSlg. 11558/1987 aufgehobene Regelung des Ladenschlußgesetzes, BGBl. 156/1958, über den Sperrhalbtag hatte übrigens (in § 3 Abs 3) auf die Einkaufsbedürfnisse ("insbesondere der berufstätigen Bevölkerung", aber auch von "Ortsfremden im Interesse der Förderung der Wirtschaft") abgestellt. Der Gesetzgeber des § 12 Abs 1 (Z1 und 2) ARG dürfte also davon ausgegangen sein, daß in Fällen, in denen das Ladenschlußrecht das Offenhalten von Verkaufsstellen an Samstagnachmittagen zuläßt, dieses Offenhalten und daher auch die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Hinblick auf die Einkaufsgewohnheiten der Bevölkerung - pauschal betrachtet - "zur Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse notwendig" ist.

Daß das Gesetz die Erlaubnis zur Verkürzung der Wochenendruhe der Arbeitnehmer auf die Notwendigkeit der Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse und die während der Wochenendruhe hervortretenden Freizeit- und Erholungsbedürfnisse und Erfordernisse des Fremdenverkehrs beschränkt, ist in Anbetracht seines Schutzzweckes unbedenklich. Auch die Beschwerden tragen in Wahrheit dagegen nichts vor.

2. Rechtswidrig könnte unter diesen Umständen nur die in Ausführung des Gesetzes ergangene Verordnung sein. Sie nimmt in der noch geltenden Stammfassung, BGBl. 149/1984, von der Wochenend- und Feiertagsruhe aus:

"XVII. Handel

1. Verkaufstätigkeiten an Samstagen

a) Alle Tätigkeiten in Verkaufsstellen im Sinne des § 1 Abs 1 bis 3 des Ladenschlußgesetzes, BGBl. Nr. 156/1958, soweit die jeweils geltenden Ladenschlußvorschriften ein Offenhalten dieser Verkaufsstellen vorsehen;

b) das Feilbieten im Umherziehen ...

2. Verkaufstätigkeiten an Sonn- und Feiertagen

...

5. Lebensmittelhandel

a) Ein- und Ausladen, Befördern, Manipulieren, Kommissionieren und Magazinieren von Obst und Gemüse;

b) die unbedingt notwendigen Tätigkeiten zur Verhütung des Verderbens oder der Wertminderung von sonstigen rasch verderblichen Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Produkten im erforderlichen Zeitausmaß.

...

7. Mineralölgroßhandel

Alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Ausnahme für Zustelldienste der Mineralölwirtschaft (XI/9) unbedingt erforderlich sind.

...".

Der Beschwerdeführer meint, die Verordnung hätte sich in Z 1 lita nicht auf die Verkaufsstellen im Sinne des Ladenschluß- bzw. seit BGBl. 633a/1989 sogenannten Öffnungszeitengesetzes, also den Kleinverkauf beschränken dürfen, sondern auch den Großhandel einbeziehen müssen, für den besondere Beschränkungen für das Offenhalten gar nicht bestünden. Der Vorwurf ist offenbar dahin zu verstehen, § 12 Abs 1 (Z1) ARG müsse in verfassungskonformer Auslegung so verstanden werden, daß zur "Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse" auch die Beschäftigung von Arbeitnehmern in Verkaufsstellen des Großhandels (zumindest nach Maßgabe des Öffnungszeitengesetzes) zuzulassen wäre.

Dieser Vorwurf geht jedoch an der für die rechtliche Behandlung der einschlägigen Unternehmen maßgebenden Funktion des Großhandels vorbei. Dieser dient nicht unmittelbar der Befriedigung dringender Lebensbedürfnisse, sondern der Versorgung von Wiederverkäufern und gewerblichen Verbrauchern (so sprach der ehemalige § 96e GewO 1859 idF StGBl. 282/1919, dem das Ladenschlußgesetz 1958 den Begriff Kleinhandel entgegensetzte, von "Handelsgewerben, welche Waren vornehmlich oder ausschließlich nicht unmittelbar am Verbraucher absetzen"). Wiederverkäufer und gewerbliche Verbraucher decken ihren Bedarf aber nach anderen Gesichtspunkten als das allgemeine Publikum. Anders als im Bereich des dem Regime des Öffnungszeitengesetzes unterworfenen Kleinhandels ist bei der andersartigen Struktur der Nachfrage im Großhandel nicht erkennbar - und wird auch nicht vorgebracht -, daß besondere Einkaufsbedürfnisse der beim Großhandel einkaufenden Wiederverkäufer bestehen, denen die Großhändler durch entsprechende Dispositionen ihrer Öffnungszeiten gerade am Samstagnachmittag entsprechen können müssen. Für besondere Sachlagen wie etwa im Lebensmittelhandel sind aber ohnedies Sondervorschriften getroffen.

Eine Gleichstellung mit den von ArtXVII Z 1 lita erfaßten Verkaufsstellen für den Kleinverkauf käme daher nur insoweit in Betracht, als Großhandelsunternehmen Waren im untergeordneten Ausmaß auch an Letztverbraucher abgeben. Daß der Gesetzgeber aber auf das allfällige Vorliegen eines solchen untergeordneten Unternehmenszweckes nicht Bedacht nehmen muß, ergibt sich schon daraus, daß er - umgekehrt - auch ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz die Verkaufsstellen des Großhandels von den Ladenschlußvorschriften (des Öffnungszeitengesetzes) ausnehmen darf.

Die Bundesverfassung gebietet also unter dem in Rede stehenden Gesichtspunkt keine Gleichbehandlung von Groß- und Kleinhandel. Es ist nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig, dem Gesetz den von der Beschwerde gewünschten Inhalt zu unterstellen. Daher darf auch der Verordnungsgeber auf den Kleinhandel abstellen und braucht Großhandelsunternehmen die Beschäftigung von Arbeitnehmern während der Wochenendruhe ebensowenig zu erlauben wie der Gesetzgeber ihnen die Einhaltung von täglichen Ladenschlußzeiten vorschreiben muß. Er darf vielmehr an die den Großhandel prägende Tätigkeit anknüpfen und den untergeordneten Kleinverkauf in solchen Unternehmen auch bei Festlegung der Ausnahmen vom Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern außer Betracht lassen.

Die Beschwerden sind mithin als unbegründet abzuweisen.

Von einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof abgesehen, weil von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war (§19 Abs 4 VerfGG).