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OGH vom 16.02.2016, 11Os151/15p

OGH vom 16.02.2016, 11Os151/15p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nenad S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2, Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Nenad S***** und Borisa J***** gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom , GZ 36 Hv 108/15m 62, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten S***** und J***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch des Angeklagten Borisa J***** enthaltenden Urteil wurden dieser (A./ und C./) und der Angeklagte Nenad S***** (A./ und B./) „des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG“ schuldig erkannt.

Danach haben gewerbsmäßig ( § 70 StGB), in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden und als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung (teils) im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter die rechtswidrige Einreise von Fremden in und deren Durchreise durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich Österreich, mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, nämlich

A./ Nenad S***** und Borisa J***** am gemeinsam mit den abgesondert verfolgten Vladimir T***** und Jovan N*****, indem sie acht Personen ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich, nämlich im Urteil namentlich genannte vier syrische und vier irakische Staatsangehörige in Budapest/Ungarn am Bahnhof abholten, wobei S***** als Lenker eines Alfa Romeo mit einem serbischen Kennzeichen mit den vier geschleppten syrischen Staatsangehörigen, J***** als Lenker eines Ford Mondeo mit einem deutschen Kennzeichen mit den vier geschleppten irakischen Staatsangehörigen sowie T***** und N***** als Lenker und Beifahrer des „Vorausfahrzeugs“ fungierten und sie gemeinsam die Geschleppten über die Autobahn A 1 in Richtung Deutschland verbrachten, wobei S***** in I***** und J***** in V***** von der Polizei auf frischer Tat betreten und angehalten wurden;

B./ Nenad S***** am , indem er mit dem von seinen Auftraggebern zur Verfügung gestellten Personenkraftwagen der Marke Renault mit einem serbischen Kennzeichen drei unbekannte Personen ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich in Szeged/Ungarn abholte und zu einem Parkplatz in der Nähe von Wien verbrachte;

C./ Borisa J***** in der Zeit von bis gemeinsam mit den abgesondert verfolgten Vladimir T*****, Jovan N***** und Danijel M*****, indem sie zumindest drei unbekannte Personen ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich in Györ/Ungarn abholten und nach Deutschland verbrachten, wobei M***** als Lenker des Fahrzeugs (mit einem serbischen Kennzeichen) mit den geschleppten Personen fungierte, während J***** das Vorausfahrzeug, in welchem sich auch T***** und N***** befanden, lenkte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpfen beide Angeklagte mit auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, Nenad S***** auch auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****:

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet unter Hinweis auf 13 Os 9/14v, hinsichtlich der für die durchgeführten bzw beabsichtigten Beförderungsstrecken (von Szeged bis in die Nähe von Wien [zu B; US 4] und von Budapest nach Deutschland [zu A; US 5 iVm US 2]) ausschließlich von ihm selbst pro Fahrt vereinnahmten bzw erwarteten (im Rechtsmittel als „angemessen“ bezeichneten) Geldbeträge (von 300 Euro [zu B] bzw 400 bis 600 Euro [zu A]) sei kein Vorsatz auf eine „Überzahlung“ durch Vergleich mit einem „adäquaten Fuhrlohn“ und damit auch nicht auf eine unrechtmäßige Bereicherung durch ein an ihn geleistetes Entgelt festgestellt worden. Aus welchem Grund es nach § 114 Abs 1 FPG allerdings bloß auf einen Vorsatz auf persönliche Bereicherung des unmittelbaren Täters ankommen soll (arg „sich oder einen Dritten“; vgl 14 Os 116/15p), legt die Beschwerde nicht dar (RIS-Justiz RS0118416, RS0118415).

Sie ignoriert weiters die Konstatierungen, wonach die fallbezogen zu befördernden Fremden in allen Fällen „ dem Organisator der Beförderung ein Entgelt in der Höhe von 500 € pro Person zu leisten“ hatten (US 5 dritter Absatz) bzw für die am durchgeführte Schleppung (A./) „eine reichliche Entlohnung“ mit dem vermögenslosen, bloß 300 Euro monatlich verdienenden und mit Verbindlichkeiten in Höhe von 2.000 Euro belasteten Angeklagten Nenad S***** vereinbart war (US 4 erster Absatz, US 5 dritter Absatz) und (ersichtlich auch auf diese Konstatierungen bezogen [ Ratz , WK StPO § 281 Rz 19]) beide Angeklagten erkannten und billigten, „dass ... durch den Erhalt eines für die Transportdienstleistung geleisteten Entgelt[s], [sie] und Dritte , denen die eigentliche Organisation der Beförderung der Fremden zukam, unrechtmäßig bereichert werden“ (US 5 vorletzter Absatz).

Weshalb der von den Fremden für die konkrete Beförderungsleistung mit Personenkraftwagen eingeforderte Betrag (US 5: 500 Euro pro Person) und damit das insgesamt pro Transport( einheit) an die Organisatoren geleistete Entgelt angemessen gewesen sein soll (vgl RIS Justiz RS0130267 [T1]; 15 Os 156/15b), lässt die Beschwerde gänzlich offen.

Ebensowenig erklärt sie, welche Feststellungen über die getroffenen Urteilsannahmen hinaus wonach die betroffenen Fremden dem Organisator der Beförderung jeweils ein Entgelt von 500 Euro pro Person zu leisten hatten und beide Angeklagte auch erkannten und billigten, „dass ... durch den Erhalt eines für die Transportdienstleistung geleisteten Entgelt[s], [sie] und Dritte, denen die eigentliche Organisation der Beförderung der Fremden zukam, unrechtmäßig bereichert werden“ (US 5) zur rechtsrichtigen Beurteilung erforderlich gewesen wären.

Woraus methodisch vertretbar abzuleiten sein soll, dass syrische oder irakische Staatsangehörige „ohne gültige Aufenthaltsberechtigung“ (US 4 f) vor Stellung eines Asylantrags „als Flüchtlinge im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention“ ohne Weiteres zur Ein- oder Durchreise in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union berechtigt wären, führt das allgemein auf die „Genfer Flüchtlingskonvention“ Bezug nehmende Rechtsmittel nicht aus (vgl dagegen etwa § 2 Abs 1 Z 13, 14, 15, 16 Asylgesetz 20052 Abs 4 Z 1, 2, 3, 14, 20 und § 15 FPG; RIS-Justiz RS0118058; Art 31 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [BGBl 1955/55] iVm Art 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [BGBl 1974/78]). Mit dem Verweis auf die (teilweise) Aussetzung der Registrierung von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak „seit einigen Monaten“ macht die Beschwerde wiederum nicht klar, weshalb eine auf Grund außergewöhnlicher Umstände an den österreichischen Grenzen ab ca Sommer 2015 geübte behördliche Praxis Auswirkungen auf die Strafbarkeit der Förderung einer rechtswidrigen Einreise (überdies zu den konkreten Tatzeitpunkten im April und Mai 2015) gehabt haben soll.

Soweit die „subsidiär“ ausgeführte Subsumtionsrüge (Z 10) unter Verweis auf das bisher erstattete Vorbringen zur mangelnden Erfüllung des Grundtatbestands nach § 114 Abs 1 FPG auch eine Verwirklichung der Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall leg cit bestreitet und solcherart allfällige Strafbarkeit („wenn überhaupt“) bloß nach § 278 StGB releviert, verfehlt sie die prozessförmige Darstellung des Nichtigkeitsgrundes.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Borisa J*****:

Auch dieser Beschwerdeführer behauptet in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) bloß, es wäre „systemwidrig“, von einer rechtswidrigen Einreise eines „asylwerbenden Flüchtlings“ zu sprechen, verabsäumt aber jegliche Darlegung, aus welchen rechtlichen Erwägungen dies abzuleiten wäre. Überdies nimmt er prozessordnungswidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, wonach die Ein- bzw Durchreise jeweils „ohne Aufenthaltstitel“ erfolgte, dass die Angeklagten erkannten und billigten, dass sie die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von syrischen und irakischen Staatsangehörigen in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union durch ihre Transportdienstleistungen förderten und es dabei ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, dass die betroffenen Personen „keine gültigen Dokumente und Bewilligungen für einen Aufenthalt auf österreichischem und deutschem Staatsgebiet hatten“ (US 5).

Weshalb fallbezogen die subjektive Tatseite „Bereicherungs absicht “ erfordere, ist nicht aus einem Vergleich mit dem Gesetz abgeleitet ( Tipold in WK 2 FPG § 114 Rz 11 f).

Mit der bloßen Behauptung, wonach „die festgestellten Beträge“, „zumindest was das Entgelt des Zweitangeklagten betrifft“ (US 5: zwischen 100 und 300 Euro neben 50 Euro Benzingeld) mit „vergleichbaren Entgelten anderer Transportmittel“ „durchaus korrelieren“ würden und deshalb „auch im Sinne der einschlägigen Judikatur“ nicht „vom Vorsatz einer unrechtmäßigen Bereicherung gesprochen werden“ könne, wird der angesprochene Nichtigkeitsgrund (Z 9 lit a) schon mangels Festhaltens am Urteilssachverhalt nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht.

Im Übrigen ist der Beschwerdeführer auf die Ausführungen zum Rechtsmittel des Angeklagten S***** zu verweisen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten S***** und N***** waren daher in Übereinstimmung mit dem Croquis bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO anzumerken, dass die vom Erstgericht vorgenommene Zusammenrechnung jeweils zweier Mehrpersonentransporte und damit zweier voneinander abgegrenzter Taten (vgl etwa 11 Os 139/15y; A./ und B./ bei S***** sowie A./ und C./ bei J*****) zu einem einzigen und überdies auch nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG (idF vor BGBl I 2015/121) qualifizierten Verbrechen (US 2, 6, 10) rechtsirrig erfolgte: Die Genese dieser Bestimmung zeigt nämlich, dass der Gesetzgeber mit der angesprochenen Qualifikation auf den höheren Unrechtsgehalt von Schleppungen (im Sinn von „einer Tat“ - auch in Gestalt einer tatbestandlichen Handlungseinheit; vgl zu dieser Rechtsfigur RIS-Justiz RS0122006) abstellen wollte, die nicht bloß Einzelpersonen, sondern gleichzeitig (vgl dazu die ähnliche Sachlage bei § 153e Abs 1 Z 2 StGB; RIS Justiz RS0127943) mehrere Fremde oder gar größere Gruppen betreffen. Als Richtwert sah der Gesetzgeber damals „eine größere Zahl von Fremden“ im Sinn der bisherigen Rechtsprechung bei etwa zehn Personen jedenfalls als gegeben an, wollte diese Schwelle aber nicht starr verstanden wissen, sondern im Sinn eines beweglichen Systems das Gefahrenpotential der konkreten Schleppung unter Berücksichtigung der Personenanzahl der Geschleppten und der Professionalität der agierenden Täter für das Rechtsgut im Einzelfall bewertet sehen (EBRV 330 BlgNR XXIV. GP, 35 f). Zuletzt brachte der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 114 Abs 3 Z 2 FPG (BGBl I 2015/121) zum Ausdruck, dass der Richtwert von etwa zehn Personen im Lichte der jüngsten Entwicklungen im Bereich der Schlepperkriminalität zu hoch gegriffen war (1296/A XXV. GP).

Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der von den Tätern zu A./ in zwei gewöhnlichen Personenkraftwagen und einem Vorausfahrzeug im Verbund (im Sinn einer tatbestandlichen Handlungseinheit) geschleppten acht Fremden von einem solchen Unrechtsgehalt auszugehen wäre, der eine Unterschreitung des zur Tatzeit geltenden Richtwerts von etwa zehn Personen erfordern könnte, bietet das Urteil nicht. Die Annahme (auch) der Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG idF vor BGBl I 2015/121 erfolgte demnach ebenso zu Unrecht wie die (dem Angeklagten zum Vorteil gereichende) jeweilige Zusammenfassung zweier getrennter Taten (bzw tatbestandlicher Handlungseinheiten) zu bloß einem einzigen Verbrechen.

Da die verfehlte Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG (aF) im Hinblick auf die gleichzeitig verwirklichte Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG (überdies auch nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG) ohnehin nicht den anzuwendenden Strafrahmen betrifft und allfällige Auswirkungen dieses bloßen Subsumtionsirrtums auf den Bestand von Strafzumessungsgründen in Erledigung der Berufungen der Angeklagten korrigierbar sind, sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, die von den Angeklagten selbst in Ansehung der erwähnten Qualifikation nicht geltend gemachte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO von Amts wegen aufzugreifen (RIS-Justiz RS0090885). Bei der Entscheidung über die Berufungen besteht insoweit auch keine (den Berufungswerbern zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00151.15P.0216.000